Sächsische Justiz lässt AfD im Vogtland die „Festnahme“ eines Journalisten durchgehen
„Blinde Wut“ und ein Angriff auf die Pressefreiheit: Das Justizministerium geht nach Einstellung der Ermittlungen zu einem Vorfall im Juli 2020 in Plauen auf Distanz zur Generalstaatsanwaltschaft, greift aber nicht ein. Warum der Fall nach Ansicht eines Opferverbandes dennoch Anlass zur Hoffnung gibt.
Die Staatsanwaltschaft Zwickau stellte ihre Ermittlungen zu dem Vorfall im März 2021 ein. Als der junge Journalist daraufhin Widerspruch einlegte, bestätigte die Generalstaatsanwaltschaft den Schritt und äußerte Zweifel, dass es sich bei der AfD-Veranstaltung mit dem Plauener Landtagsabgeordneten Frank Schaufel und dem Europaabgeordneten Maximilian Krah im rechtlichen Sinne überhaupt um eine Versammlung gehandelt habe.
Nach Beschwerde der Dresdener Rechtsanwältin und Opferrechtsspezialistin Kati Lang musste das Justizministerium den Vorfall erneut aufrollen. Demnach gab es Hinweise auf drei Straftatbestände.
Das bewusste Umrennen eines Menschen „in blinder Wut“ komme als Körperverletzung in Betracht. Das Konfiszieren der Kamera samt Entnahme der SD-Karte, die die Veranstalter erst nach Aufforderung durch die Polizei wieder herausgerückt haben, entspreche dem „Tatverdacht des Diebstahls“. Dass der junge Mann von mehreren Personen gewaltsam zu Boden gedrückt wurde, ergibt für zwei Hauptakteure den „hinreichenden Tatverdacht der Begehung einer Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung“.
Soweit die Theorie. In der Praxis hat Sachsens Justiz einen Schlussstrich gezogen und alle Verfahren eingestellt. Das Justizministerium wies die im Mai 2021 eingereichte Dienst- und Fachaufsichtsbeschwerde am 1. Juli 2022 zurück – trotz jener Hinweise auf Straftaten und eines Videos, auf dem das Handgemenge dokumentiert ist.
Die achtseitige Begründung offenbart Differenzen innerhalb der sächsischen Justiz. Das Ministerium geht auf Distanz und „teilt in mancherlei Hinsicht die Rechtsauffassung des Generalstaatsanwaltes nicht“, wie es Ministerialrat Till Pietzcker im Sommer 2022 formulierte. Maßnahmen der Dienst- und Fachaufsicht durch das Ministerium seien dennoch „im vorliegenden Fall nicht veranlasst“, heißt es. Trotz unterschiedlicher Bewertungen komme „die Erteilung einer Einzelfallweisung“ an die Generalstaatsanwaltschaft nicht in Betracht.
In der Begründung des milden Vorgehens attestiert das Justizministerium den AfD-Ordnungskräften eine gewisse Ahnungslosigkeit und folgt der Argumentation der Generalstaatsanwaltschaft, keinen Vorsatz nachweisen zu können. Die zupackenden Akteure seien allesamt der Annahme gewesen, es handele sich um keine öffentliche Veranstaltung – und daher habe der unerwünschte Gast, der im Übrigen einer öffentlichen Einladung der AfD gefolgt war, keine Fotos machen dürfen. Da die Gastgeber dies ohne rechtliche Grundlage, jedoch voller Überzeugung durchsetzen wollten, sei es zur Eskalation gekommen. Der Fall sei aufgrund seiner Unübersichtlichkeit schwer einzuordnen.
Der Journalist wurde wiederum von den Beschuldigten als Aggressor beschrieben. Er habe im Handgemenge einer AfD-Frau das Handy aus der Hand geschlagen und in ihre Richtung getreten. Kurzum: „Alle Beschuldigten“ hielten das Fotografieren für rechtswidrig, ihre eigenmächtige Festnahme des Störenfrieds indes für korrekt. Dazu Ministerialrat Pietzcker: „Dass dies tatsächlich ihr handlungsleitendes Motiv war, lässt sich anhand der vorliegenden Beweismittel nicht hinreichend sicher widerlegen.“
Der AfD-Kreisverband Vogtland ist indes auf Distanz zu seinen zupackenden Parteifreunden gegangen. Der Kreisvorsitzende René Standke bezeichnete das Vorgehen als sinnlos, anmaßend und unclever. Standke gelangte daher zum Schluss: „Das hat der AfD geschadet.“
Der junge Journalist sieht in der Verfahrenseinstellung unterdessen einen peinlichen Vorgang für Sachsen. Den Übergriff habe er als „furchtbar und bedrohlich“ empfunden. Von Ermittlungsbehörden sei er „bis heute nicht vernommen worden“, betont er. „Eine juristische Aufarbeitung wurde unterlassen.“
Der Deutsche Journalistenverband hatte sich mit dem Opfer ebenso solidarisiert wie auch mehrere Kommunalpolitiker im Vogtland. Die Rechtsanwältin Kati Lang bilanziert: „Damit ist klar, dass die Täterinnen und Täter nicht belangt werden.“ Das sei ein „fatales Signal für die Pressefreiheit“. Andrea Hübler, Fachreferentin Opferberatung bei dem in der Demokratiearbeit engagierten Verein RAA, gibt sich dennoch zuversichtlich. Die zweijährige Auseinandersetzung mit dem Fall habe „einen Wandlungsprozess im Umgang der Justiz mit pressefeindlicher Gewalt angestoßen“, hofft sie.