Selber verwirrt
Die Soligruppe für Gefangene scheint ganz außer Rand und Band zu sein und schreibt sich in Rage. Bekanntermaßen gehe ich ebenfalls gern und ausführlich meinem Äußerungsbedürfnis nach, habe mir aber ernsthaft vorgenommen, dazu einen Reflexionsprozess zu beginnen. Bei der Soligruppe hingegen sieht es scheinbar anders aus. Mit den zahlreichen aneinander gereihten Wortfetzen kann nur mühevoll verschleiert werden, wie wenig Inhalt ihnen zu eigen ist. Was ist mein Problem? Warum lasse ich mich hier in die nächste verbale Schlammschlacht verwickeln, statt etwas Sinnvolles zu tun?
Ich würde niemanden dazu auffordern für die Ukraine zu kämpfen oder die deutsche Regierung, dazu Waffen zu liefern oder vermeintlich taktisch erst mal die mehr oder weniger liberale Demokratie des kapitalistischen Staates zu verteidigen. Vielmehr wünsche ich mir, dass sich Menschen selbst bestimmen und entscheiden können – was sicherlich häufig anders aussieht, als ich selbst handeln und mich positionieren würde. Ich wünsche mir auch, ein gemeinsames sozial-revolutionäres Projekt zu entwickeln. Natürlich ist es für Anarchist*innen nicht zielführend, irgendeinen Staat und eine Regierung zu unterstützen. Aber es organisieren sich unglaublich viele Menschen in der Ukraine selbst. Und daran gilt es anzuknüpfen, sich in solche Organisierungsprozesse einzubringen.
Problematisch ist der Fundamentalismus als problematische Reaktion auf gesellschaftlich bedingte Widersprüche; die dogmatische Engstirnigkeit; implizite Führungsansprüche und damit verbundene sektiererische Einstellungen. Heruntergebrochen meine ich in Bezug auf den aktuellen Text der Soligruppe:
- Aus dem Text der Soligruppe geht eine weltfremde Haltung zu gegenwärtigen Entwicklungen hervor. Sie orientiert sich nicht an realen Lebenssituationen, sondern dogmatischen Setzungen. Das ist problematisch für eine anarchistische Position.
- Die Autor*in/die Autor*innen geht von einem konstruierten anarchistischen Ideal aus, welches es so nie gab, nicht gibt und nicht geben wird. Darin ist sie im eigentlichen Sinne idealistisch.
- Folge dieses problematischen Idealismus ist eine inhärent sektiererische Einstellung mit welcher andere Positionen gemessen an das selbst gesetzte Idealbild als „Konterrevolutionäre“ und „Reaktionäre“ in den eignen Reihen gebrandmarkt und angefeindet werden.
- Stattdessen könnte man sich auch realen Problemen widmen. Doch der Stil des Textes lässt vermuten, dass es erst mehr oder weniger alle Anarchist*innen gleichzuschalten gälte, bevor man einheitlich verwirrt agieren könnte.
- Dieses Sektierertum lässt weiterhin vermuten, dass die Betreffenden im Grunde genommen keinen Kontakt zu Aktiven in emanzipatorischen sozialen Bewegungen haben. Sie unterlaufen damit ihre eigene Argumentation, denn solches Sektendasein kann per Definition nicht sozial-revolutionär sein.
- Dabei ist die Aufforderung „die Parole [sollte] immer noch Kapitalismus oder Anarchie, bzw. soziale Revolution oder Konterrevolution sein“ ist eine bloße verbalradikale, hohle Phrase.
- Statt sich wirklich auf die Argumentation der Gegenseite einzulassen (und diese meinetwegen zu kritisieren), sind es allein Worte, die sie zur Rage bringen. Ihre alberne Wortgläubigkeit offenbart ein fundamentalistisches Wahrheitsverständnis.
- Weil die fundamentalistischen Autor*innen Widersprüche nicht aushalten können, sind sie auch nicht in der Lage, ihre grundlegende gesellschaftliche Transformation zu denken oder voranzubringen. Um ihre selbst gewählten Gegner*innen zu diskreditieren greifen sie erneut auf das Mittel der Manipulation zurück und konstruieren Schein-Widersprüche. Demgegenüber setzen sie auf eine vermeintlich straighte Haltung (oder was auch immer das sein soll) und sprechen ihren Kontrahent*innen auf arrogante Weise jede Haltung ab.
- Dies irritiert umso mehr, als dass sie ja zahlreiche historische Beispiele aufzählen, in denen Anarchist*innen offenbar widersprüchlich gehandelt haben. Verstehen, warum dies der Fall ist und warum es auf lange Sicht gesehen, durchaus kohärent und stringent sein kann, wenn man eigene Widersprüche aushält, offenlegt, thematisiert und damit weiterentwickelt, können sie nicht.
- Ironischerweise zeigt sich eben darin ihre eigene Widersprüchlichkeit und das Leiden an der eigenen wirren Wahrheit. Um sie aufrecht zu erhalten, werden Konkurrent*innen angefeindet. Und gerade ihr Fundamentalismus ist Ausdruck für ihr von der sogenannten Postmoderne geprägtes Denken, welches sie zu kritisieren glauben.