Opfer von Hooligan-Attacke an Leipziger Tankstelle: „Ich habe noch immer Angstzustände“
Nach einem brutalen Angriff von Fans des 1. FC Lok Leipzig auf Rivalen der BSG Chemie steht ein 20-Jähriger wegen versuchten Mordes vor Gericht. Am zweiten Prozesstag schilderte das Opfer dieses Horrorerlebnis.
Er kann die Tat nicht vergessen, er kann dem Täter nicht verzeihen: Acht Monate nach dem brutalen Angriff von Hooligans des 1. FC Lokomotive Leipzig auf mutmaßliche Anhänger des Stadtrivalen BSG Chemie hockt Elias W. (18) an diesem Dienstag etwas zusammengesunken auf dem Zeugenstuhl im Landgericht Leipzig.
Ein paar Meter von ihm entfernt sitzt der Angeklagte Louis W. (20). Jener Mann, der ihn in jener März-Nacht in der Leipziger Straße in Böhlitz-Ehrenberg derartig malträtierte, dass ihn die Staatsanwaltschaft wegen versuchten Mordes anklagte. „Ich habe alle möglichen Emotionen, wenn ich ihn sehe“, sagt Elias W., „er hat mir in dieser Nacht meine Sicherheit genommen.“
Es war am 22. März dieses Jahres kurz nach Mitternacht, als laut Anklage rund 30 Lok-Anhänger anrückten und mindestens elf von ihnen über etwa acht Chemie-Fans herfielen. Die Tankstelle, an der der Angriff stattfand, gilt als Treff von Sympathisanten des Fußballvereins aus Leipzig-Leutzsch. Die Fans vom Lokalrivalen aus Probstheida hätten den Überfall geplant, um ihre Überlegenheit deutlich zu machen und Dominanz auszustrahlen, so die Anklagebehörde. Möglicher Hintergrund: das bevorstehende Sachsenpokal-Spiel zwischen beiden Mannschaften am 23. März.
Angreifer riefen: „Kommt her, ihr Chemie-Schweine“
Elias W. sagt, dass er schon ein paar Bier getrunken hat und mit Freunden an der Tankstelle Nachschub holen wollte. Auf der anderen Straßenseite habe er zwei „Späher“ gesehen. Beide seien mit blau-gelben Schlauchschals vermummt gewesen, einer habe etwas von einem Boxclub getragen. „Auf ein Handzeichen kamen plötzlich noch mehr Vermummte“, schildert der Augenzeuge. Die Hooligans hätten gerufen: „Kommt her, ihr Chemie-Schweine, kommt her, ihr Juden!“ Dies habe er selbst gehört.
Dann erinnert er sich nur noch an einen Kniestoß, durch den er zu Boden gestürzt sei. Als er auf der Straße lag, hätten drei Angreifer immer wieder auf ihn eingetreten. Gegen Arme und Beine, auch gegen seinen Kopf. Dabei sei er nicht einmal Fußballfan, wundert sich Elias W. über den Angriff der Lok-Hools. „Ich wurde bewusstlos, konnte später nicht mehr aufstehen, weil mir schwindelig war.“ Eine Freundin habe ihm aufgeholfen. Der Rest ist wie in einem düsteren Film: All die Schreie, die Zerstörungen in der Tankstelle, das Blaulicht der Polizei, der Rettungswagen auf dem Weg ins Krankenhaus.
Angeklagter will Täter-Opfer-Ausgleich
Vier Wochen sei er krankgeschrieben gewesen. Bis heute wache er nachts schweißgebadet auf. „Und ich habe noch immer Angstzustände“, berichtet Elias W. „Die kommen immer dann, wenn nachts die Tatzeit heranrückt oder ich in der Nähe dieser Tankstelle bin.“
Zum Glück wurde er trotz der massiven Gewalt nicht lebensbedrohlich verletzt.
19 Fußtritte habe der Angeklagte dem 18-Jährigen nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft gegen den Kopf versetzt. Versuchter Mord aus niedrigen Beweggründen lautet der Anklagevorwurf. Zum Prozessauftakt hatte Louis W. die Tat weitgehend eingeräumt, aber eine Tötungsabsicht bestritten. Inzwischen wurde er sogar aus der Untersuchungshaft entlassen.
Sein Versuch, sich persönlich beim Opfer zu entschuldigen, scheitert an diesem Dienstagvormittag. „Mein Mandant möchte nicht von dem Angeklagten angesprochen werden“, sagt Nebenklage-Anwältin Doreen Blasig-Vonderlin. Daraufhin richtet Verteidiger René Lau das Wort an Elias W.: Der Angeklagte habe in der U-Haft das Geschehen aufgearbeitet. Jener Entschuldigungsbrief, den Louis W. kurz vor Prozessbeginn an das Opfer schrieb, sei ehrlich gemeint. „Er hat das verinnerlicht“, so Lau. Parallel dazu strebe er einen Täter-Opfer-Ausgleich an und wolle 10.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
„Ich halte davon nichts“, entgegnet Elias W. und schaut in Richtung des Angeklagten, „die Entschuldigung existiert für mich nicht.“
Am nächsten Dienstag wird der Prozess fortgesetzt. Die Ermittlungen gegen weitere Lok-Hooligans wegen Landfriedensbruchs im besonders schweren Fall und gefährlicher Körperverletzung sind nach Informationen der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen.