FLINTA* gehen, Macker bleiben – Eine persönliche Geschichte über Ausschluss, Abwehrmechanismen und das Mackertum in linken Räumen

Dieser Text schildert persönliche Erlebnisse, Eindrücke und Sichtweisen. Die in diesem Beitrag beschriebenen Situationen, Erlebnisse und Handlungen basieren auf meinen subjektiven Erinnerungen. Ich, J., identifiziere mich selbst als FLINTA*. Alle Namen wurden pseudonymisiert. Der Text entstand aus dem Bedürfnis heraus, strukturelle Diskriminierungsmechanismen, Sexismus und Machtstrukturen sichtbar zu machen – vor allem innerhalb vermeintlich feministischer oder linker Räume.

Der Text zeigt, dass auch linke Räume, Orte patriarchaler Machtverhältnisse sind und was passiert, wenn FLINTA* sich diesen nicht unterordnen. Die Entscheidung, meine Erfahrungen zu veröffentlichen, ist Ausdruck persönlicher Verarbeitung und politischer Haltung gleichermaßen.

Ich habe lange geschwiegen, mich zurückgezogen, versucht „drüber zu stehen“ – aus Angst, zu wütend, zu radikal, zu unbequem zu sein. Aber dieses Schweigen schützt nicht – weder mich noch andere Betroffene. Aber vor allem: Es verändert nichts. Ein stiller Rückzug zementiert genau die Strukturen, gegen die ich mich eigentlich wehre. Schon immer gewehrt habe.

Also schreibe ich diesen Text. Weil ich nicht länger akzeptieren will, dass die Aneignung des Feminismus durch männliche Führungspersonen in linken Kreisen einfach hingenommen wird. Weil der Machtmissbrauch, der Sexismus und die psychische Gewalt, die damit einhergehen, nicht weiter ohne Konsequenzen bleiben dürfen.

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Teil 1: Die Theke – Vom sicheren Raum zum Anfang vom Ende

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Kristof ist einer dieser Männer. Einer dieser Männer, die an alle weiblich gelesenen Personen in ihrem Umfeld zum Frauenkampftag solidarische Grüße schicken. Einer dieser Männer, die im Café sitzen, mit demonstrativ zur Schau gestellter Lektüre über Feminismus, linke Theorien, solidarische Gesellschaftsstrukturen und den Klassenkampf. Einer, zu dem andere Männer aufschauen, den sie als Autorität anerkennen, dem sie sich unterordnen. Den sie „Captain“ nennen – weil es offenbar schon reicht, dass er Bücher liest. Oder weil er mit einem solchen Selbstverständnis von Überlegenheit auftritt, dass es schwerfällt, das überhaupt noch in Frage zu stellen.

Er ist nämlich auch einer dieser Männer, die Autorität für sich beanspruchen. Die vor allem diskutieren, um sich selbst reden zu hören, um ihren vermeintlichen Intellekt zur Schau zu stellen, um ihre sich selbst zugeschriebene Überlegenheit zu demonstrieren. Die nicht verstehen – oder nicht verstehen wollen – dass das, was sie da im Café so lässig lesen, auch was mit ihnen zu tun hat. Ein Macker eben. In diesem Fall keiner, der mit körperlicher Überlegenheit protzt, aber einer der sich trotzdem über seine männliche Dominanz definiert.

Kristof war für mich kein Freund, aber ein langjähriger, vertrauter Bekannter, mit dem ein Austausch auch mal spannend sein konnte – solange man nicht erwartete, dass er zuhört, sondern sich aufs Zuhören beschränkte.

Livia, seine On-Off-Freundin war mehrere Jahre lang meine Freundin – seit mehreren Jahren schon nicht mehr. Es gab mal Streit: über verschiedene Haltungen zu bestimmten Themen, über unser unterschiedliches Empathieverständnis – nichts worüber sie nicht auch mit anderen regelmäßig aneinandergeriet. Jedenfalls hatte es sich auseinanderentwickelt. Ohne großes Drama.

Sie ist eine Frau, die darauf besteht, keine Feministin zu sein – weil sie meint, dass es sowas nicht braucht. Weil sie sich gerne die Welt erklären lässt, von ihrem Captain. Und weil sie noch nie Nachteile erlebt zu haben glaubt, nur weil sie eine Frau ist.

Beide – Kristof und Livia – sind Teil von links geprägten Strukturen. Nicht links-aktivistisch, aber geprägt von einem linken Menschenbild. Beide beanspruchen Führungsrollen in diesen Strukturen. Beide sind Teil der Theke.

Die Theke: Ein privater Raum in der Bochumer Innenstadt – ursprünglich gegründet von Leuten, die keine Lust mehr hatten, jedes Wochenende ihre WG fürs Biertrinken zur Verfügung zu stellen. Aber sie hatten eine Zapfanlage, also wollten sie auch eine richtige Kneipe haben. Aber nur für sich. Eine Privatkneipe also. Mit der Zeit wuchs die Gruppe. Der Ort wurde entdeckt. Und irgendwann kamen sie alle: die Ultras, Graffiti-Menschen, die Szene-Linken, der einsame Nachbar von obendrüber, Besucher*innen aus der Kneipe um die Ecke, die schon dichtgemacht hatte. Es war ein Ort, an dem jede*r sein konnte, wie er*sie war. Beruf und Status spielten keine Rolle. Für mich war es ein Raum, in dem ein linkes Menschenbild wirklich gelebt wurde – im Kleinen, ohne große politische Debatten, ohne öffentliche Bekenntnisse. Aber spürbar. Authentisch.

Auch ich war jahrelang Teil der Theke. Der Ort bedeutete mir viel. Ich fühlte mich dort zu Hause und sicher. Vermeintlich umgeben von Menschen mit ähnlichen Werten. Von Menschen, die nicht nur Bücher lesen, sondern ihre Überzeugungen auch leben.

Auch wenn es ein männlich geprägter Raum war, wirkte er auf mich nicht männlich dominiert. Natürlich fiel uns FLINTA* auf, dass Kristof ein Problem damit hatte, weiblich gelesenen Personen auf Augenhöhe zu begegnen. Natürlich war das manchmal Thema. Aber nur bei Organisationstreffen, bei denen er wie selbstverständlich das Gespräch moderierte, wie selbstverständlich weiblich gelesenen Menschen weniger Redezeit zugestand oder sie ganz überging, machte das wirklich wütend. Aber es war nicht richtig greifbar und niemand wollte ein Fass aufmachen. Also schwieg man – und empfand es als ungerecht.

Der Anfang vom Ende

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Kurz vor dem Knall war eigentlich alles gut. Livia und ich organisierten gemeinsam die Thekenrenovierung, waren seit Langem mal wieder Kaffee trinken. Wir würden keine Freundinnen mehr werden – dazu waren wir zu unterschiedlich in zu wichtigen Punkten. Aber wir waren Teil derselben Gruppe. Teil der Theke. Und das war gut so.

Dann kam ein Thekenabend, der alles veränderte. Ein typischer Thekenabend eigentlich. Kein Exzess. Einfach ein paar Biers auf entspannt. Kleine, vertraute Runde – bis auf eine Person, Ferdinand.

Ferdinand war ein regelmäßiger Gast, aber kein fester Teil der Gruppe. Niemand wusste genau, woher er kam oder wie er überhaupt in die Theke hineingeraten war. Ich hatte mich nie näher mit ihm unterhalten. Er störte mich nicht – aber er interessierte mich auch nicht weiter.

Das Gespräch kam auf Frauenfeindlichkeit in der Gesellschaft. Keine Ahnung wie, keine Ahnung warum, aber kein außergewöhnliches Thema, kein außergewöhnliches Gespräch in diesem Umfeld. Doch Ferdinand äußert plötzlich Ansichten, die ich so nicht erwartet hätte. Nicht in diesem Raum jedenfalls. Grundsätzlich stellt er in Frage, dass FLINTA* in unserer Gesellschaft diskriminiert werden. „Wo wurdest du denn bitte schon mal diskriminiert?“, fragt er mich. Kein kooperativer Ton. Eher ein provokanter. Trotzdem versuche ich zu argumentieren. Berufliche Nachteile? Seien gerechtfertigt, weil Frauen eben Kinder kriegen könnten. Sexuelle Belästigung? Die Reaktionen darauf seien meist übertrieben. Er selbst genieße es, sexuell belästigt zu werden. Die Beispiele ließen sich fortführen. Ich werde wütender: „Wir leben in einer rassistischen, frauenfeindlichen, ableistischen, queerfeindlichen Gesellschaft – und jede*r, der*die das anzweifelt, stützt genau dieses System!“

Ferdinand belächelt mich. Spricht mit mir, als sei ich zu dumm, um seiner Argumentation zu folgen. Sucht mit seinen Blicken Bestätigung in der männlich besetzten Runde. Ich fühle mich unwohl. Sein Ton ist herablassend, sein Verhalten bedrängend. Ich will raus aus dem Gespräch. Aber er lässt nicht los. Er lässt nicht ab von dem Thema. Ich merke, dass ich in seinen Fokus geraten bin – ein Fokus, in dem ich nicht sein will.

Da kommt Kristof in den Raum. Meine Chance, denke ich. Zwei Männer, die gerne reden – vielleicht würden sie sich gegenseitig absorbieren. Also sage ich: „Kristof wir diskutieren grade, ob wir in einer frauenfeindlichen Gesellschaft leben. Was sagst du dazu?“

Eine sichere Bank. Er springt sofort drauf an und antwortet – ganz der Feminist, der er vorgibt zu sein und für den er sich vermutlich selbst auch hält: „Natürlich leben wir in einer frauenfeindlichen Gesellschaft.“

Ich atme auf und lehne mich zurück. Sofort ändert sich Ferdinands Ton. Seine Mimik. Seine Haltung. Von arrogant herablassend zu respektvoll, beinahe unterwürfig. Ich lasse die beiden reden.

Kurze Zeit später wechselt die Gruppe die Lokalität. Auf dem Weg dorthin merke ich, dass es mir keineswegs gelungen ist, Ferdinand von mir abzulenken: Den ganzen Weg über kommt er zu mir, will das Gespräch weiterführen, will mir erklären, dass ich falsch liege, will es ausdiskutieren. Ich blocke ab. Ich wechsle die Position in der Gruppe, damit er nicht mehr neben mir geht. Er kommt mir hinterher. Ich sage, dass ich kein Gespräch mehr mit ihm führen möchte. Er akzeptiert es nicht. Lässt nicht von mir ab. Es fühlt sich bedrängend an. Ich weiß nicht, wie ich ihn endlich loswerden kann. Ich stelle immer wieder Abstand her.

In der neuen Lokalität angekommen, macht er weiter. Ich versuche erneut Abstand zu halten. Er folgt mir, redet auf mich ein. Ich sage, dass er mich in Ruhe lassen soll.

Dann – endlich – Unterstützung: Ein männliches Mitglied unserer Gruppe stellt sich dazwischen, sagt Ferdinand deutlich, dass er verschwinden soll. Missmutig verlässt Ferdinand den Ort. Ich bin erleichtert.

Tage später bedanke ich mich für die Unterstützung. Aber in den folgenden Tagen und Wochen überwiegt die Beunruhigung, die dieser Abend in mir ausgelöst hatte. Solche Sichtweisen hatte ich in der Theke bisher noch nie gehört. Und eigentlich, dachte ich, gehören solche Positionen nicht an diesen Ort. Es machte mir Sorgen, dass Ferdinand seit Jahren in dem Raum verkehrte und keine*r von uns wusste, wie er offenbar denkt. Kann die Theke ein sicherer Ort für FLINTA* sein, wenn solche Positionen dort unbehelligt bleiben? Wenn selbst über solche grundlegenden Fragen keine Einigkeit herrscht?

Der Abend beschäftigte mich nachhaltig. Ich erzählte vielen mir nahestehenden Personen von dem Erlebnis, beschrieb Ferdinands Verhalten als bedrohlich, sagte, dass ich Angst habe, dass er mich jetzt „auf dem Kieker“ hat.

Eine männliche Person, die an dem Abend dabei gewesen war, kam später auf mich zu und sprach mir ihre Solidarität aus. Er sagte, er habe es bemerkenswert gefunden, wie ich Ferdinand gegenüber aufgetreten war.

Ich war über diesen Support erleichtert und auch beruhigt – weil mir das zeigte, dass ich die Situation richtig eingeordnet hatte.

Viele Wochen später suche ich das Gespräch mit Kristof. Die Sache lässt mich einfach nicht los. Ich weiß, dass er Ferdinand besser kennt. Er war an dem Abend dabei. Und vor allem: Ich habe ihm vertraut. Ich sage ihm, dass ich mir noch immer Gedanken mache. Dass es mich beunruhigt, solche Ansichten in der Theke vertreten zu wissen. Dass ich ein ungutes Bauchgefühl habe.

Kristofs Antwort ist klar: „Guck dir den Typen doch an. Das ist ein Opfertyp, der wahrscheinlich in seinem Leben kaum Kontakt zu Frauen hatte. Der hat mehr Angst vor dir als du vor ihm. Aber schmeiß ihn raus, sobald du dich unwohl mit ihm fühlst.“ Und natürlich – ganz der Macher – kündigt er an, Ferdinand nochmal ins Gewissen zu reden. Ihm klarzumachen, dass so ein Verhalten in der Theke keinen Platz hat. Ich belasse es dabei. Ich hoffe, dass sich einfach alles wieder beruhigt. Dass sich das Problem von allein löst. Dass Ferdinand auf Kristof hören wird. Ich will glauben, dass Kristofs verharmlosende Reaktion die richtige ist.

Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht weiß: Kristof und Ferdinand stehen längst in E-Mail-Kontakt. Ein Austausch über den Abend. Über mich. Über die „Causa J.“ wie sie es nennen. Obwohl ich Angst geäußert, obwohl ich klar gesagt hatte, dass ich kein gutes Bauchgefühl habe, dass ich den Eindruck habe, Ferdinand habe sich auf mich fixiert – hält Kristof das Thema in Ferdinands Kopf präsent, statt zu deeskalieren. Mich wiegt er in Sicherheit. Führt mit mir mehrere scheinbar vertrauliche, scheinbar verständnisvolle, scheinbar solidarische Gespräche. Und während ich denke, ich werde ernst genommen, hat er längst begonnen, mir in den Rücken zu fallen. Meine Sorgen zu verhöhnen. So fühlt es sich in der Rückschau jedenfalls an.

Derweil geht Ferdinand weiter in der Theke ein und aus. Doch losgelassen hat ihn das Thema offensichtlich nicht. Wie auch? Er steht ja in stetigem Mailverkehr über den Abend, über mich, über alles. Aber davon weiß ich zu dem Zeitpunkt nichts.

Einige Wochen später – inzwischen sind gut zwei Monate vergangen, in denen ich ihn konsequent ignoriert habe – wieder ein Abend in der Theke. Dieses Mal ist viel los. Der kleine Raum ist voll mit Menschen. Da spricht mich Ferdinand direkt an: „Du hast da letztens was falsch verstanden!“, sagt er. Ich kann es nicht fassen. Eine Entschuldigung hätte ich zu diesem Zeitpunkt vielleicht angenommen. Ein „Ich habe gemerkt, dass ich falsch lag“ hätte ich akzeptiert, vielleicht sogar respektiert. Aber das?! Ich erwidere, dass ich sehr genau weiß, dass ich nichts falsch verstanden habe – und dass ich nach wie vor kein Gespräch mehr mit ihm führen werde. Doch er setzt noch einen drauf: „An deiner Reaktion merke ich, dass du weißt, dass du im Unrecht bist.“ „LASS MICH ENDLICH IN RUHE!“ Ich werde laut. Ich bin wütend. Ich bin fassungslos. Aber vor allem: Die Situation fühlt sich bedrohlich an. Wochen, Monate sind vergangen – und ich bin immer noch in seinem Kopf! Genau das wollte ich verhindern. Ich sage ihm – drohend -,

Wieder einige Wochen später ruft mich meine Freundin Lena an. Auch sie ist Teil der Theke – und damals eine meiner engsten Freundinnen. Gleichzeitig auch eine der besten Freundinnen von Livia. Sie ist aufgebracht. Ihr Freund Severin hat in der Theke ein beunruhigendes Gespräch geführt. Wieder fielen Aussagen über Frauen, die in diesem Raum eigentlich keinen Platz haben sollten: Awareness-Konzepte seien scheiße. Sie führten zu Prüderie. Und: Die ganzen Feministinnen würden ja nur noch in Kartoffelsäcken rumlaufen. Da sehe man vorher gar nicht mehr, was man „kriegt“.

Ich schlucke. Ich kenne diese Sprache. Ich meine den Ton zu erkennen.

Auch Lena weiß sofort, wen ihr Freund hier vor sich hatte – obwohl sie Ferdinand nur aus meinen Erzählungen kennt. Die Beschreibung passt. Es ist derselbe Typ. Wir sind uns einig: Jetzt reicht es!

Solidarität für einen kurzen Moment

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Monate liegen zwischen meinem Erlebnis mit Ferdinand und diesem Abend. Und offensichtlich hat er seine Haltung kein Stück überdacht. Stattdessen präsentiert er hier ein ziemlich verfestigtes, ziemlich misogynes Frauenbild. Ein Frauenbild, das die Theke zu keinem sicheren Raum für FLINTA* mehr macht, wenn es dort akzeptiert oder einfach hingenommen wird. Wir schreiben in die Theken-Telegram-Gruppe. Berichten von meinem Erlebnis, von Severins Gespräch, von den Aussagen. Und wir schlagen vor, über ein Hausverbot zu diskutieren – das wir beide für angebracht halten. Die Reaktion kommt sofort – und sie ist solidarisch! Einige schreiben spontane Bekundungen, einige sehr eindeutig, manche gehen vielleicht ein wenig über das Ziel hinaus: „Man sollte Ferdinand zum Mond schießen.“ Aber wir sind erleichtert. Die Stimmung ist eindeutig. So eindeutig, dass man beschließt: Es braucht keine ausführliche Diskussion. Ein Hausverbot wird ausgesprochen. Punkt.

Lena und ich telefonieren. Wir sprechen darüber, wie glücklich wir sind, Teil dieser Gruppe zu sein. Einer Gruppe, die so klar reagiert. Wir reden über Vertrauen. Darüber, wie wichtig solche Orte sind – dass wir uns auf die anderen verlassen können. Wie entscheidend es ist, dass einem geglaubt wird.

Für uns ist klar: Es geht nicht um meine persönliche Geschichte mit Ferdinand. Es geht nicht um meine Angst oder mein Bauchgefühl. Wenn es nur darum gegangen wäre, hätte ich mich schon viel früher geäußert. Aber es geht um mehr. Um ein grundsätzliches Problem. Ein strukturelles, das uns als Kollektiv betrifft – nicht nur mich.

Und trotzdem – ich habe ein Störgefühl. Zwei Personen haben bisher nichts geschrieben. Zwei Personen, die sonst nie darauf verzichten, Führung zu übernehmen, wenn es sich anbietet. Zwei, die zu allem etwas zu sagen haben…

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Teil 2: Der Bruch – Abwehrmechanismen statt Solidarität

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Ich will es gerne glauben, dass das hier der schwierigste Part war. Ich will gerne glauben, dass die Sache mit Ferdinand sich endlich erledigt hat. Dass sie vorbei ist. Abgeschlossen.

Aber rückblickend beginnt sie hier erst richtig. Hier beginnt eine Entwicklung, an deren Ende ich kein Teil der Theke mehr bin. An deren Ende es die Freundschaft zwischen Lena und mir nicht mehr gibt. An deren Ende ich manchmal drüber nachdenke, Bochum zu verlassen. Weil ich die Ungerechtigkeit, die daraus gefolgt ist, nicht mehr aushalte. Weil sie immer noch dastehen – unangefochten, ohne Kratzer im Image. Und ich die bin, die nicht mehr da ist. An deren Ende das Mackertum gesiegt hat. Alles wie immer.

Später am Abend ist es dann so weit: Kristof meldet sich in der Gruppe. Eine lange Nachricht. Typischer Duktus: intellektualisierend, belehrend, von oben herab. Der Text trieft vor internalisierten Klassismus. Es drängt sich förmlich die Frage auf, was Kristof mit dieser Art der Sprache zu kompensieren versucht. Aber das ist ein anderes Thema.

Er listet vermeintlich männerfeindliche Aussagen auf – von mir und einer anderen FLINTA* aus der Gruppe. Aussagen, die er nutzt, um Ferdinands Misogynie zu relativieren. Es sind Aussagen, die Jahre zurückliegen. Und sie waren überspitzt, ironisch – nicht mal halbernst gemeint. Ich erinnere mich nur vage. Teilweise gar nicht mehr. Zwei Beispiele: Ich habe mal gesagt, dass es gerechter wäre, wenn Männer ab dem Alter, in dem Frauen in die Menopause kommen, ebenfalls keine Kinder mehr zeugen dürften. Oder: Ich habe Kristof – bei einer der wenigen Gelegenheiten, bei der er in der Theke geputzt hat – gefragt, ob er überhaupt wisse, wo das Putzmittel steht. Bezog sich darauf, dass er sich sonst kaum je an solchen Aufgaben beteiligt hat.

Ich zweifele nicht daran, dass ich das – so oder so ähnlich – gesagt habe. Aber es war bedeutungslos für mich. Unwichtig. Nicht mal erinnerungswürdig. Und doch scheint es, als habe Kristof eine Liste mit diesen Verfehlungen geführt. Jahrelang. Worauf hat er gewartet? Auf diese Gelegenheit?

Und es wird schlimmer. Kristof kopiert einen Auszug aus einem offensichtlich länger laufenden E-Mail-Verlauf mit Ferdinand in die Gruppe. Ferdinand schreibt darin von der „Causa J.“, davon, dass er mein „irrsinniges Gebaren“ belächelt habe. Er spricht von einem „Verständigungsversuch“, den er eingeleitet habe. Davon, dass ich ein unzutreffendes Bild von ihm zeichne.

Aber noch schwerer wiegt: Kristof – für mich bis zu diesem Punkt eine vermeintliche Vertrauensperson in dem Thema – steht seit Wochen, vielleicht seit Monaten mit Ferdinand in Kontakt. Er gibt Informationen weiter, die ich ihm anvertraut habe. Er weiß, dass ich Angst davor habe, weiterhin in Ferdinands Fokus zu stehen. Und er verstärkt genau das. Von Anfang habe ich Ferdinands Fixierung auf mich als Bedrohung empfunden. Genau dieser Fixierung wollte ich entkommen. Und nun erfahre ich, dass sie durch Kristof weiter befeuert wurde. Über Wochen hinweg schrieben sie sich. Während ich hoffte, die Sache sei vorbei. Während ich mich sicher fühlte. Aber hinter meinem Rücken braute sich etwas zusammen. Etwas, dessen Konsequenzen ich nicht mehr kontrollieren konnte. Kristof hatte mich in Sicherheit gewogen. Ich hatte ihm vertraut. Ich hatte ihm meine Sorgen anvertraut – und er hatte mich im Stich gelassen. Er hatte mich einer Bedrohung ausgesetzt. Er hatte mir Solidarität suggeriert – und das Gegenteil getan. Ich bin

Und es endet nicht dort: Kristof schreibt weiter, dass Ferdinand suizidal gewesen sei – das Patriarchat habe auch für ihn schlimme Folgen.

Die Nachricht schließt damit ab, dass er sich schäme für das Verhalten der Gruppe. Die Solidarität prangert er an. Von Ekel ist die Rede. Von Scham. Mit „Happy Hexenjagd ihr Arschlöcher!!!“ endet der Text.

In mir ist nur Fassungslosigkeit.

Eine Nachricht ohne Antwort

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Obwohl sich die Nachricht sehr eindeutig auch gegen mich als Person richtet, ist für mich sofort klar: Ich werde mich nicht auf eine Diskussion einlassen. Keine Rechtfertigung im Gruppenchat. Aus dem Streit, der sich anschließend im Chat entlädt, halte ich mich raus. Livia und Lena geraten heftig aneinander – eine Auseinandersetzung, in der sich auch bei Livia fragwürdige Haltungen zeigen.

Und Kristof? Der bleibt stumm. Lässt Livia für beide sprechen. Ich will nicht zulassen, dass die Debatte auf diese persönliche Ebene abrutscht. Ich wollte, dass wir über Werte sprechen. Über das, was wir alle als problematisch erkennen sollten. Ich wollte auf misogyne Sichtweisen hinweisen. Mein Erlebnis war doch nur ein Beispiel. Severins Erlebnis ebenso. Es ging – geht – nicht um mich. Warum also geht es Kristof um mich? Versteht er nicht, dass es um etwas Strukturelles geht? Dass es nur darum geht?

Dann beginnt es zu kippen. Die ersten männlichen Mitglieder der Gruppe knicken ein. Plötzlich ist nicht mehr ganz so klar, ob das mit dem Hausverbot wirklich richtig war. Ob wir nicht doch vorschnell waren. Ob die Solidarität vielleicht übertrieben war. Jemand wie Kristof muss es doch wissen. Jemand wie Kristof kann sich ja nicht irren. Jemand wie Kristof kennt sich doch aus mit solchen Themen. Jemand wie Kristof geht immerhin jedes Jahr bei der Demo zum Frauenkampftag mit. Wenn er sagt, wir betreiben eine Hexenjagd. Dann muss da ja was dran sein. Oder? Der Captain muss es doch wissen.

Erst später wird mir klar: Kristof hat die strukturelle Ebene dieses Vorfalls nicht nur nicht verstanden. Er IST die strukturelle Ebene.

Ich schreibe ihm eine persönliche Nachricht. Ich habe kein Interesse an einer Schlammschlacht im Gruppenchat. Aber ich will seine Nachricht nicht unkommentiert lassen. Ich will glauben, dass er erreichbar ist. Dass er verstehen kann, worum es geht. Ich schildere ihm, dass mich seine Nachricht verletzt hat. Ich schreibe über Täter-Opfer-Umkehr. Über den Unterschied zwischen struktureller Diskriminierung und individuellen, punktuellen Spitzen. Über Bagatellisierung von Diskriminierungserfahrungen. Ich schreibe über Mechanismen, die er aus seinen Büchern doch eigentlich kennen müsste. Ich führe ihm seine Abwehrmechanismen vor Augen. Ich erkläre, dass seine Reaktion ein strukturelles Problem verkennt. Ich bitte ihn, in Zukunft mit mir direkt zu sprechen, falls ihn etwas verletzt, das ich gesagt habe. Ich versuche den Raum für ein Gespräch offen zu halten. Ich bleibe respektvoll. Ruhig. Klar. Ich hoffe immer noch, dass er verstehen will. Was ich in dem Moment nicht bedenke: Ein Captain hat kein Interesse an einer

Ich bekomme nie eine Antwort.

Thekentreffen

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Es fand dann ein Treffen der Gruppe statt, um die Angelegenheit zu klären und ein Hausverbot zu diskutieren. Ich war zu dem Zeitpunkt im Urlaub – und sah auch keine Notwendigkeit, selbst anwesend zu sein. Denn für mich war nach wie vor klar: Es ging hier nicht um mein persönliches Erleben. Es ging um eine Haltung gegenüber Frauen, die – aus meiner Sicht – in einem Raum wie der Theke keinen Platz haben sollte. Auf dieser Ebene sollte ein Hausverbot begründet werden. Nicht auf der Basis meines individuellen Bedrohungsgefühls. Würde es mir allein um mich gehen, hätte ich mich schon Monate zuvor an die Gruppe gewandt.

Da Lena zu diesem Zeitpunkt nicht mehr in Bochum wohnte und nur für eine Woche vor Ort war, entschieden wir gemeinsam, dass es keine Rolle spielte, wer von uns am Treffen teilnahm. Hauptsache eine von uns war dort. Weil mein Erlebnis jedoch – neben dem Bericht von Severin über sein Gespräch mit Ferdinand – ein zentrales „Beweisstück“ war, wollte ich trotzdem, dass meine Geschichte in der Diskussion präsent war. Ich entschied mich, auf Basis meines Gedächtnisprotokolls ein Sprachmemo aufzunehmen, das beim Treffen abgespielt werden sollte.

Damit, dachte ich, komme ich meiner Verantwortung nach. Weil: Es geht ja nicht um mich!

Nur aus Erzählungen weiß ich, wie das Treffen abgelaufen ist. Ich weiß, dass mein Bericht von Personen, die an dem besagten Abend dabei waren, bestätigt wurde. Ich weiß aber auch, dass Livia und Kristof meine Glaubwürdigkeit trotzdem in Frage stellten. Beide behaupteten, Ferdinand sei ein guter Freund von ihnen – ein korrekter Mensch. Sie könnten ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass meine Geschichte so nicht passiert sein könne.

Dass zu diesem Zeitpunkt niemand von dieser Freundschaft wusste, macht offenbar nicht stutzig. Einige der ursprünglich solidarischen Personen beginnen, ihre klare Position aufzuweichen. Sie knicken ein. Obwohl meine Schilderung von anderen Menschen bestätigt wird, scheint am Ende doch mehr zu wiegen, dass andere – die an dem Abend gar nicht oder nur teilweise anwesend waren – meine Aussagen anzweifeln. Man einigt sich auf ein vorübergehendes Hausverbot. Die endgültige Entscheidung wird vertagt.

Ich will nicht unerwähnt lassen, dass viele sich auch klar positionieren: Wenn sich ein Mitglied der Gruppe durch eine außenstehende Person unsicher fühlt, soll ein Hausverbot ausgesprochen werden. Und auch wenn ich für diese persönliche Solidarität dankbar bin, ist mir – als Lena mir von dem Treffen berichtet – sofort klar, dass sich der Konflikt damit in die falsche Richtung entwickelt. Ich will keine Solidarität für mich. Nicht, weil ich mich unwohl fühle. Nicht, weil ich Ferdinand als bedrohlich wahrnehme. Ich will Solidarität für Frauen – für alle FLINTA* – als marginalisierte Gruppe. Ich will, dass wir uns als Kollektiv einig sind, dass diese Abwertung von Frauen als Gruppe, Konsequenzen hat. Dass ein Ort wie die Theke kein sicherer Ort sein kann, wenn dort solche Haltungen toleriert werden. Nicht nur nicht für mich. Für niemanden.

Eskalation

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Was nach meiner Rückkehr aus dem Urlaub geschah, war nichts, worauf ich vorbereitet war. Wir waren doch jahrelang gemeinsam Teil der Gruppe gewesen. Livia und ich hatten noch wenige Wochen zuvor gemeinsam die Theke renoviert, einen Cocktailabend organisiert. Kristof und ich waren nie aneinandergeraten. Waren nie in einem direkten Konflikt. Heute kann ich nicht mehr sagen, dass wir Freund*innen waren – in der Rückschau fühlt sich das falsch an. Aber wir hatten mehrere Abende pro Woche miteinander verbracht, gemeinsam für die Theke gearbeitet, waren zusammen auf Festivals gefahren, hatten gefeiert, diskutiert – auch über Feminismus. Dass ich dabei radikale Positionen vertreten habe. Dass ich mich Kristof nicht untergeordnet habe, sondern ihm auf Augenhöhe begegnet bin, mag ihm nicht gefallen haben. Aber gesagt hat er dazu nie etwas.

Und auch wenn ich das Verhalten von beiden als verletzend und ihre Perspektiven als problematisch wahrgenommen hatte – eine direkte Konfrontation hatte es ja bisher nicht mal gegeben. Ja, wir waren in der Sache sehr unterschiedlicher Meinung. Ja, ich war enttäuscht. Ja, ich war schockiert, in der Theke auf Argumente zu treffen, die ich eher auf einem CSU-Stammtisch erwartet hätte. Aber noch immer war für mich klar: Es geht hier nicht um mich als Person. Wir führen den Konflikt auf zwei verschiedenen Ebenen. Trotz allem waren die beiden für mich zu diesem Zeitpunkt noch keine Menschen, mit denen ich mir einen Kontakt nicht mehr vorstellen konnte. Ich dachte, dass wir den Konflikt irgendwann, irgendwie klären. Nicht so, dass ich ihnen wieder vertraut hätte, aber so, dass alle weiterhin Teil dieser Gruppe sein könnten.

Dass das ein Irrtum war, stellte sich in den folgenden Wochen auf schmerzhafte Weise heraus. Bewusst wurde mir das, als ich in einem anderen Kontext in einer anderen Lokalität war und die beiden dort saßen. Gemeinsam mit zwei weiteren Personen an einem der Tische. Natürlich wusste ich, dass die Situation angespannt war. Aber ich sah keinen Grund, sie nicht – wie sonst auch – zu begrüßen. Aber sie drehten nicht mal die Köpfe in meine Richtung. Sie zeigten einfach keine Reaktion. Keine Bewegung. Nichts. Ich stand direkt neben ihnen. Und sie taten, als wäre ich nicht da. Als wäre ich unsichtbar.

In diesem Moment begriff ich, dass ich die Dynamik, die sich in meiner Abwesenheit entwickelt hatte, völlig unterschätzt hatte. Aufgelöst und fassungslos ging ich sofort nach Hause.

Ähnliche Situationen wiederholten sich in den kommenden Wochen mehrfach. Ich wollte – ich konnte – das Verhalten so nicht hinnehmen. Also grüßte ich von nun an ganz bewusst. In der Hoffnung, dass sie ihre Blockade irgendwann aufgeben würden. Aber nichts änderte sich. Ohne, dass es je ein direktes Gespräch zwischen uns gegeben hatte, wurde ich von einem Tag auf den anderen vollkommen ignoriert.

Das war natürlich nicht alles. Aber alles, was ich aus eigener Erfahrung berichten kann. Was darüber hinaus geschah, erreichte mich nur indirekt. Das Folgende ist also Hörensagen – doch es kam aus verschiedenen Richtungen, von verschiedenen Menschen, in verschiedenen Kontexten. Man behauptete, ich hätte ein Hausverbot gefordert, obwohl ich das nie getan hatte. Man sagte, ich wollte Ferdinand aus der Theke mobben, weil ich ihn komisch fände. Aus Erlebnissen aus der Vergangenheit wisse man, dass man meiner Einschätzung nicht glauben könne. Man kenne mich, wisse wie ich streite – und könne sich daher vorstellen, wie mein Gespräch mit Ferdinand abgelaufen sei. Auch ohne dabei gewesen zu sein. Auch wenn meine Darstellung von mehreren Anwesenden bestätigt worden war. Es wurde mir vorgeworfen, nicht persönlich am Treffen teilgenommen zu haben. Das – so wurde gesagt – sei Grund genug, mich nicht mehr zu grüßen. Kristof warf mir vor, ein „faschistisches Schiedsgericht“ inszeniert zu haben. Zulasten einer bemitleidens

Und das alles blieb nicht im Thekenkreis. Es wurde weitergetragen – zu Menschen, die mit dem Konflikt bis dahin gar nichts zu tun hatten. Zu Menschen, die mich kaum kannten. Die meine Perspektive nicht kannten. Die gar keinen Anlass hatten, sich ein eigenes Bild zu machen. Für mich hatte das spürbare Konsequenzen. Ich wurde unsicher im Umgang mit Menschen in Bochum. Was wussten sie? Was glaubten sie? Was war ihnen erzählt worden? Welches Bild hatten sie jetzt von mir? Ich zog mich zurück. Verlor meine Unbefangenheit. Hatte keine Kraft mehr, einfach „drüberzustehen“.

Eine Person aus der Thekengruppe rief mich schließlich an: Ich sollte auf Kristofs Menschenkenntnis vertrauen. Sollte nochmal drüber nachdenken, ob er nicht vielleicht doch Recht hatte. Ob vielleicht doch nicht alles so war, wie ich es wahrgenommen hatte. Auf seine Einschätzung könne man sich doch verlassen, sagte sie. Das müsste ich doch einsehen.

Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass die Person, die mich damals anrief, sich Monate später bei mir entschuldigt hat. Als einzige Person aus der Theke. Und ich habe diese Entschuldigung angenommen. Bis heute ist sie eine der wenigen Personen aus dem Thekenumfeld, der ich wieder vertrauen kann.

Und dennoch: Dieses Telefonat steht für sich. Es zeigt, welchen Stellenwert Kristof in der Gruppe einnimmt. Welche Kompetenz ihm zugeschrieben wird. Welche Weisheit. Obwohl er doch grade erst unter Beweis gestellt hatte, dass er nicht verstand, worum es eigentlich ging…

Das zweite Treffen

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Ein zweites Treffen zur Entscheidung über das Hausverbot stand bevor. Die Wochen davor wurden intensiv für „Lobbyarbeit“ genutzt. Diese bestand einerseits aus der Diffamierung meiner Person. Andererseits aus der demonstrativen Inszenierung einer – angeblich schon länger bestehenden – engen Freundschaft zwischen Kristof, Livia und Ferdinand. Obwohl Ferdinand zuvor nur punktuell in der Theke aufgetaucht war und kaum jemand ihn näher kannte, war er nun plötzlich öfter dabei. Nicht in der Theke. Aber auf Geburtstagen. In anderen Lokalitäten. Im Schlepptau von Livia und Kristof Als wolle man seine Harmlosigkeit demonstrieren. Als wolle man ein Gegenbild zu dem zeichnen, was ich berichtet hatte. Treffen fanden demonstrativ in Sichtweite der Theke statt. Man zeigte Solidarität. Führte einen Kampf – angeblich für Gerechtigkeit. Für eine harmlose, suizidale Person, die Opfer eines „faschistischen Schiedsgerichts“ geworden sei.

Auch Ferdinand wurde aktiv. Er tauchte unangekündigt bei einer Person zu Hause auf, um sie zu überzeugen, dass ihm Unrecht widerfahren sei. Er sprach von mir als einer „gestörten Person“, die ihn aus der Theke drängen wolle. Er kontaktierte Menschen, die meine Erfahrung mit ihm bestätigt hatten. Schickte ihnen lange, teils wirre Nachrichten über Messenger. Mal war ich die irre Faschistin. Mal war es Severin, der ihn aus der Theke mobben wollte. Immer wieder fiel der Begriff des „faschistischen Schiedsgerichts“.

Das zweite Treffen stand an. Und auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte – nach den Erfahrungen der vergangenen Wochen – wollte ich mir nicht noch einmal vorwerfen lassen, nicht teilgenommen zu haben. Also ging ich hin. Lena ermutigte mich. Es kostete mich Überwindung. Ich wusste, dass mich Ablehnung erwartete. Anfeindungen.

Wie erwartet, wurde meine Wahrnehmung angezweifelt. Meine Person diffamiert. Meine Glaubwürdigkeit in Frage gestellt. Wieder wurde mit Überzeugung der Standpunkt vertreten, dass alles nicht so gewesen sein könne, weil Ferdinand eine – wenn auch sozial unbeholfene – korrekte Person sei. Ein Freund, für den man die Hand ins Feuer lege. Dass man mich nicht gegrüßt hätte, sei eine Lüge. Und wenn es doch so gewesen sei, wäre das für die Sache völlig irrelevant. Und der Grund dafür seien persönliche Differenzen. Ein offensichtlicher Widerspruch. Aber das störte niemanden.

Diese angeblichen Differenzen seien auch der Grund dafür, warum man sich mir gegenüber so verhalte. Und warum man sich sicher sei, dass ich nicht die Wahrheit sage. Dass meiner Wahrnehmung nicht zu trauen sei.

Welche persönlichen Differenzen das sein sollten, wurde nicht erklärt. Niemand aus der Gruppe fragte nach. Dass mir selbst diese Differenzen unbekannt waren – spielte keine Rolle. Zwar war man sich einig, dass persönliche Differenzen in dieser Sache keine Rolle spielen dürften. Aber dies richtete sich gefühlt an beide Seiten. Auf meine Nachfrage hin, sagte Livia nur, ich wisse doch, dass wir früher befreundet waren und jetzt nicht mehr. Und dass es in diesem Zusammenhang eben „Differenzen“ gegeben habe. Was diese mit der aktuellen Situation – Jahre waren seitdem vergangen – zu tun haben sollten, blieb offen. Ich weiß es bis heute nicht. Und ich weiß auch, dass ich mit Kristof nie persönliche Differenzen hatte. Dass er diese damaligen Konflikte mit Livia gar nicht mitbekommen hatte – sie waren damals getrennt.

Ich war verzweifelt. Fand mich in einer Diskussion wieder, in der es längst nicht mehr um das Thema ging, sondern nur noch um meine Person. Um meine Glaubwürdigkeit. Um meine Rolle. Um meine Legitimität. Als schließlich eine der anwesenden Personen zu mir sagte: „Ich kenne deine Geschichte zwar nicht, weil ich beim letzten Treffen nicht da war, aber ich glaube trotzdem, dass sie so wie du sie erzählst, nicht wahr sein kann – weil ich Kristofs Einschätzung mehr vertraue.“, wusste ich: Jede weitere Diskussion ist sinnlos. Ich hatte keine Chance mehr, mit meinem Anliegen durchzudringen. Schon gar nicht mit meiner strukturellen Perspektive auf das Thema. Ich selbst war längst zum Thema geworden. Der Zug war abgefahren.

Ein Sieg, der keiner ist

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Dass sich die Gruppe am Ende dennoch für ein endgültiges Hausverbot aussprach, spielte für mich kaum noch eine Rolle. Ich wollte einfach nur weg. Der Beschluss bezog sich – wie befürchtet – auf mein subjektives Bedrohungsgefühl. Auf die persönliche Solidarität zu mir als Person. Nicht auf die Sache selbst. Also kein Sieg für FLINTA*. Kein Fortschritt im Kampf gegen strukturelle Diskriminierung. Nur irgendeine Form von Rückhalt – für mich. Ein individueller Schutz. Kein kollektives Statement. Und das fühlte sich nicht an wie ein Sieg. Weil es nie darum gegangen war. Weil schon zu viel kaputt gegangen war. Und trotzdem – natürlich – war da auch Dankbarkeit. Dafür, dass mir viele geglaubt hatten. Dafür, dass mir mein Erlebnis nicht komplett abgesprochen wurde. Aber verloren hatte ich trotzdem. Vor allem: das Vertrauen. In die Strukturen, in denen ich mich bewegt hatte. In das, was ich einmal für ein gemeinsames Fundament gehalten hatte.

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Teil 3: Das System stützt sich selbst

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Dass die Sache damit abgeschlossen war – ein Trugschluss. Die Feindseligkeit von Livia und Kristof war so präsent, dass ich nicht mehr unbefangen das Haus verlassen konnte. Ich mied Orte, an denen ich mit ihrer Anwesenheit rechnen musste. Ich trug eine Wut in mir. Eine Enttäuschung, die mich zermürbte. Ich konnte nicht akzeptieren, dass dieses Verhalten – die Diffamierung, das Ignorieren – von der Gruppe hingenommen wurde. Dass es als Privatangelegenheit einsortiert wurde. Etwas, mit dem man nichts zu tun hatte. Etwas, worin man sich besser nicht einmischte. Es ging ja schließlich um persönliche Differenzen.

Und damit konnte es ja keine strukturelle Ungerechtigkeit sein, die hier passierte. Ja klar, man wusste darum, dass es strukturelle Diskriminierung gibt. Man wusste darum, dass Diffamierung der Betroffenen und eine Täter-Opfer-Umkehr gängige Abwehrmechanismen sind, um sich nicht strukturell mit Vorfällen zu beschäftigen, um die Verantwortung den Betroffenen zuzuschreiben. Aber das galt nur gesamtgesellschaftlich. Doch nicht hier. Nicht bei uns in der Theke. Nicht durch Livia und Kristof. Hier mussten es persönliche Gründe sein. Und da mischt man sich nicht ein. Da fragt man nicht so genau nach.

Und das ist doch genau der Mechanismus: Strukturelle Diskriminierung wird nicht grundsätzlich geleugnet. Sie passiert nur woanders. Und wenn sie vor den eigenen Augen geschieht – wenn sie ausgeht wird von Menschen, die einem nahestehen, die man lange kennt – dann will man sie nicht sehen. Weil man die Konsequenzen dieses Sehens nicht tragen will.

Wenn es konkret wird, dann findet man immer Gründe, warum dieser eine Fall nun aber wirklich ein Sonderfall ist:

Ja klar, werden weibliche gelesene Personen im Beruf benachteiligt. Aber in diesem Fall lag es wirklich daran, dass sie nicht selbstbewusst auftritt.

Ja klar, sind FLINTA* sexualisierter Gewalt ausgesetzt. Aber in diesem Fall lag es wirklich daran, dass sie sich nicht angemessen gekleidet hat.

Ja klar, wollen wir die Perspektive von Betroffenen hören. Aber in diesem Fall war sie wirklich zu aggressiv im Ton.

Ja klar, muss Menschen geglaubt werden, die Diskriminierungserfahrungen benennen. Aber in diesem Fall wollte die Person jemandem durch die Vorwürfe nur schaden.

Ja klar, dürfen Personen, die diskriminierendes Verhalten benennen, nicht diffamiert werden. Aber in diesem Fall gab es eben persönlichen Differenzen. Da hält man sich raus.

…und so verschwindet sie strukturelle Ebene ganz schnell im Dunst von Zweifeln, Unsicherheiten und Abers.

Ferdinand zeigt sein Gesicht

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Es ging dann so weiter, dass sich mein ungutes Bauchgefühl, mein Gefühl von Bedrohung durch Ferdinand bestätigte. Er akzeptierte das Hausverbot nicht. Er kontaktierte weiterhin Personen der Gruppe, um sie davon zu überzeugen, dass ihm Unrecht getan wurde. Um sich zu erklären. Doch mit jeder Nachricht, mit jeder versuchten Rechtfertigung ritt er sich nur tiefer in die Sache hinein. Zunehmend wurde deutlich: Es ging hier eindeutig nicht um ein Missverständnis, nicht um eine soziale Inkompetenz, sondern um ein zutiefst problematisches Weltbild – nicht nur in Hinblick auf Frauen, sondern weit darüber hinaus. Nach einiger Zeit stellte sich sogar heraus, dass er bereits in den Jahren zuvor an ähnlichen Orten in Bochum ähnlich negativ aufgefallen war.

Bis heute taucht Ferdinand regelmäßig vor der Theke auf. Er mischt sich unter die Leute, wartet ab, ob das Hausverbot tatsächlich durchgesetzt wird. Und er provoziert. Es wirkt, als wolle er es gezielt darauf anlegen, dass jemand ihm gegenüber gewalttätig wird – als suche er geradezu die Eskalation. Sein vielfach erklärtes Ziel: die Zerschlagung der Theke als „faschistische Struktur“. Bisher ist er immer irgendwann gegangen. Aber dafür mussten mehrere Personen ihm gegenüber mehr als deutlich werden. Doch beim letzten Mal hat er eine Person, die ihn des Ortes verwiesen hat, mit Pfefferspray bedroht. Vor einigen Wochen war das Türschloss mit Sekundenkleber verklebt. Ob er es war, weiß ich nicht. Aber Ferdinand wirkt wahnhaft, erratisch – wie auf einem persönlichen Rachefeldzug gegen die Theke. Deutlich bedrohlicher, als ich es je erwartet hatte.

Die „Freundschaft“ von Ferdinand zu Livia und Kristof ist mittlerweile beendet. Wie man hört, weil ihnen nun aufgegangen sei, wie wahnhaft und fanatisch er sei. Man könnte meinen, das sei nun der Moment, in dem meine Sichtweise bestätigt wird. Man könnte meinen, das sei der Punkt, an dem eine Entschuldigung folgen müsste. Doch Menschen wie Kristof und Livia entschuldigen sich nicht. Männer wie Kristof irren sich nicht. Männer wie Kristof geben Frauen gegenüber nicht zu, dass sie im Unrecht waren – dass die Frauen Recht hatten.

Was stattdessen kursiert: Ferdinands Verhalten sei nicht etwa eine Bestätigung meiner Erzählung, sondern die Folge meines Verhaltens ihm gegenüber. Ich hätte ihn „dahingetrieben“. Meine Wahrnehmung sei nach wie vor nicht glaubwürdig, aber ich – oder die Gruppe – sei verantwortlich für seine Eskalation. Weil wir ihn nicht angehört hätten. Weil wir ihm keine Bühne geboten hätten. Weil wir über ihn „gerichtet“ hätten.

Wenn ich Ferdinand heute auf der Straße sehe, ist meine Angst vor ihm so konkret wie nie zuvor. Denn ich weiß: In seiner Wahrnehmung bin ich die Schuldige. Und diese Wahrnehmung wurde über Monate durch Kristof gestützt. Das gibt ihm diese Beharrlichkeit. Das macht sie gefährlich.

Wenn sich die Lage weiter zuspitzt, wenn irgendwann tatsächlich jemand durch Ferdinand zu Schaden kommt, kann ich persönlich nicht ignorieren, dass das Verhalten von Livia und Kristof diese Eskalation begünstigt haben wird. Über Monate hinweg haben sie ihn in seiner Opferinszenierung bestärkt. Haben sie mit ihm gemeinsam das Narrativ des „faschistischen Schiedsgerichts“ geschaffen. Haben sie ihn in eine Rolle gebracht, die ihm offensichtlich zu Kopf gestiegen ist.

Mein Rückzug

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Manchmal frage ich mich, ob ich zu viel will. Zu viel erwarte. Eine Person aus der Thekengruppe hat mich das letztens gefragt: „Was ist denn jetzt noch dein Problem? Die Gruppe hat sich doch hinter dich gestellt, es gab doch ein Hausverbot. Was willst du denn noch?“

Ich will Solidarität, die über das Persönliche hinausgeht. Die sich auf gemeinsame Werte stützt. Für die es keine Rolle spielt, ob die betroffene Person Teil des Freundeskreises ist. Die ein Verhalten, wie das von Livia und Kristof, als das benennt, was es ist: Ausdruck struktureller Diskriminierung – nicht bloß eine persönliche Meinungsverschiedenheit. Um Ferdinand geht es mir schon lange nicht mehr.

Als ich auf strukturelle Mechanismen aufmerksam machte, wurde das Anliegen zu einer persönlichen Sache gemacht. Es ging nicht mehr um Grundsätzliches, sondern nur noch um meine Person. Und als es dann tatsächlich um mich ging – als ich persönlich angegriffen und ausgegrenzt wurde, als ich Schutz gebraucht hätte – war es plötzlich „zu persönlich“.

Als Livia dann auch noch die Dreistigkeit besaß, meine Beziehungsperson zu kontaktieren – eine der letzten Bezugspersonen, die mir in Bochum geblieben war – und sich um eine Fortführung ihrer Freundschaft bemühte, weil „der Streit mit J. ja kein Grund dafür sei, nichts mehr miteinander zu tun zu haben“ war ich am Ende. Es fühlte sich an, als wolle sie mir noch das Letzte nehmen, was mir geblieben war. Ihre Formulierung – „Streit“ – machte mir deutlich, dass sie bis heute nicht verstanden hat, was sie eigentlich getan hat.

Danach suchte ich mir Hilfe bei einer Beratungsstelle. Ich brauchte wenigstens einmal eine neutrale Außenperspektive. Als die Person dort – als erste überhaupt – das Verhalten von Kristof und Livia ganz klar als Mobbing bezeichnete, war das ein Befreiungsschlag. Zum ersten Mal fühlte es sich legitim an, verletzt zu sein. Wütend zu sein. Ich durfte aufhören, mich zu fragen, ob ich überreagiere. Ich musste nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Nicht „endlich drüber hinwegkommen“.

Ich habe mich mittlerweile selbst aus der Theke zurückgezogen. Für mich war es keine Option auf zehn Quadratmetern neben Livia und Kristof zu sitzen, als sei nichts gewesen. Keine Option, die eigene Würde herunterzuschlucken, um die Harmonie zu wahren. Keine Option, Teil einer Gruppe zu sein, die ein solches Verhalten mitträgt.

Ich weiß natürlich nicht, was im Nachgang in der Theke passiert ist. Vielleicht gab es Gespräche, vielleicht auch Auseinandersetzungen mit Livia und Kristof, von denen ich nichts mitbekommen habe. Vielleicht haben sich einzelne Menschen im Stillen zurückgezogen. Aus Enttäuschung, aus Resignation, aus Wut. Aber was ich weiß, ist, dass mich – bis auf die bereits benannte Person – niemand mehr kontaktiert hat. Ich weiß aber auch, dass Schweigen nicht automatisch Zustimmung bedeutet. Ich weiß, wie komplex es sein kann, strukturelle Diskriminierung zu erkennen oder zu verstehen. Deshalb möchte ich niemanden pauschal verurteilen. Ich kritisiere Strukturen – keine individuellen Haltungen, die ich nicht kennen kann. Und dennoch ist auch das ein Teil des Problems: Das betroffene Personen nicht wissen – nicht wissen können – ob sie in der Sache allein sind oder nicht.

Für mich sind Livia und Kristof Täterpersonen. Und damit meine ich nicht, dass sie im juristischen Sinne eine Straftat begangen hätten. Ich verwende diesen Betriff, um ihre Rolle in einem sozialen Gefüge zu beschreiben, in dem sie mich aktiv diffamiert, in meiner Glaubwürdigkeit untergraben und ausgegrenzt haben – wegen meiner Versuche, auf strukturelle Missstände hinzuweisen.

Das kann und will ich nicht ignorieren. Ich will wütend sein dürfen – und das geht an diesem Ort nicht.

Als auch Lena geht

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Auch die Freundschaft mit Lena hielt das irgendwann nicht mehr aus. Obwohl sie selbst anfangs diejenige war, die den Stein mit ins Rollen gebracht hatte, wurde sie – als langjährige Freundin von Livia – von persönlicher Konsequenz verschont. Sie wurde nicht angegriffen, nicht diffamiert. Man ließ sie außen vor. Wahrscheinlich fiel es ihr auch deshalb leichter, es irgendwann einfach irgendwie gut sein zu lassen.

Zu Beginn war sie solidarisch. Teil der gemeinsamen Sache. Sie hörte mir zu, teilte meine Verzweiflung, unsere gemeinsame Wut – vor allem über Kristof. Doch als es irgendwann über bloße Worte im Hintergrund hinausgehen sollte – als sie konkrete Schritte ankündigte, auf die ich so dringend hoffte: „Ich werde mit Kristof sprechen und ihm sagen, dass sein Verhalten inakzeptabel ist.“ „Ich werde ein Gruppentreffen einberufen und dort davon berichten, wie es dir geht.“ „Ich werde beim nächsten Treffen ansprechen, dass die Sache nicht abgeschlossen ist.“ „Auch ich möchte mit der Theke nichts mehr zu tun haben.“ – da geschah plötzlich nichts mehr. Die Unterstützung, die mir in Aussicht gestellt wurde, kam einfach nicht. Stück für Stück verlor ich das Vertrauen.

Lena konnte Gras über die Sache wachsen lassen. Sie hatte keine Lust mehr auf Auseinandersetzungen. Vielleicht hatte sie auch einfach nicht die Kraft dazu. Egal zu welchem Preis – es sollte einfach endlich aufhören. Auch wenn der Vorfall zunächst bestimmt irgendwie zwischen den beiden gestanden hatte, scheint ihre Freundschaft zu Livia heute wieder eng zu sein. Ich hätte nie verlangt, dass sie sich von Livia abwendet. Aber dass das, was geschehen war, für sie kein Grund war, diese Freundschaft zu hinterfragen, war für mich schwer auszuhalten.

Im weiteren Verlauf wandte ich mich wegen Ferdinand an das Awareness-Team einer anderen Kneipe, in der er regelmäßig zu Gast war. Dort wurde sofort verstanden, worum es ging. Keine Diskussion. Kein Zweifel. Kein Zögern. Das Hausverbot wurde einstimmig beschlossen – und zwar, weil man begriffen hatte, dass es hier um etwas Grundsätzliches ging. Um Haltung. Nicht um mich.

Lena hatte ich im Vorfeld gebeten, mir bei der Erstellung eines Gedächtnisprotokolls zu helfen. Sie lehnte ab. Sie wolle die Sache nicht wieder aufwärmen. Dass sie für mich immer noch kochend heiß war, verstand sie nicht. Auch wenn sie später vielleicht sogar mit ehrlichem Respekt meine „Kraft“ lobte, weiter für die Sache einzustehen – da war das längst nichts mehr wert für mich.

Als Lena mir schließlich zu verstehen gab, dass sie kein Verständnis mehr für meine Wut habe, brauchte ich Abstand. Heute wirken Livia und Lena wieder so eng befreundet wie früher. Auch mit Severin und Kristof zusammen, ist man wieder gemeinsam unterwegs. Sie engagiert sich auch wieder in der Theke. Als wäre nie etwas gewesen.

FLINTA* gehen – Macker bleiben

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Und als neulich eine Freundin psychische Gewalt durch einen guten Freund von Kristof öffentlich machte – wer wurde da von jemandem aus der Theke als Vermittlungsperson vorgeschlagen? Natürlich Kristof. Wegen seines angeblich so stabilen Wertefundaments.

Als wäre nie etwas gewesen.

Und damit bin ich endlich angekommen – beim Kern dieser Geschichte. Denn was ich erlebt habe, ist kein Einzelfall. Es ist ein Symptom des Systems. Ein Symptom des Patriarchats. Und genau deshalb erzähle ich meine Geschichte. Viel wird aktuell über Männer berichtet, die den Feminismus als Bühne für ihre eigene Selbstdarstellung nutzen. Über Männer, die sich feministisch geben, um Sex von feministisch eingestellten Personen zu bekommen. Über Männer, die selbst den Feminismus zum Mansplaining nutzen. Die eine toxische Form der Männlichkeit hinter einer vermeintlich feministischen Fassade verstecken – und genau diese Fassade nutzen, um sich in feministisch-linken Strukturen als Führungspersonen zu etablieren. Männer, die zwar alles dazu gelesen haben, aber sich selbst dabei konsequent ausklammern. Denn echtes Verstehen würde bedeuten, sich selbst zu hinterfragen, Macht abzugeben, Macht zu teilen. Und genau das tut dieser Typ Mann nicht. Und so wehren sie jede strukturelle Kritik ab, sobald sie selbst gemeint sei

Deshalb geht es in dieser Geschichte nicht um Ferdinand. Es geht um die Reproduktion patriarchaler Unterdrückungsmechanismen. Auch in vermeintlich links gerichteten Räumen sind es immer noch Männer, die entscheiden, was FLINTA* zuzumuten ist. Wo die Grenzen des Sagbaren liegen. Was einen sicheren Raum ausmacht. Was gefordert werden darf. Was zu übertrieben, zu radikal ist. Ob eine Angst legitim ist oder nicht. Ob Äußerungen diskriminierend genug sind, um zu einem Hausverbot zu führen. Dafür sind nicht Männer wie Kristof allein verantwortlich. Verantwortlich sind die männlichen Hierarchien, die männlich dominierten Strukturen, die nach wie vor die Diskurse bestimmen. Strukturen, die bestimmte Männer aus bestimmten Gründen mit besonderer Macht ausstatten und in denen diese Machtverteilung als Kollektiv verteidigt wird. Sobald diese Hierarchie, diese Verteilung von Macht, angegriffen, in Frage gestellt wird, wehrt sich das Kollektiv. Diskurse, die eigentlich struktureller Natur sein sollten, werden – wie in diesem Fall – zu Schauplätzen der Durchsetzung dieser Macht. Diese Durchsetzung erfolgt durch eine oftmals subtile Form von Gewalt. Psychische, emotionale, soziale Gewalt. Weniger sichtbar, aber nicht weniger wirksam. Genau das ist mir passiert.

Um von den anderen Männern diese Macht zugesprochen zu bekommen, reicht es schon aus, ein paar Bücher gelesen zu haben, eloquent zu sein und vor allem mit einer gewissen Selbstverständlichkeit Macht zu beanspruchen. Und schon sprechen sie diesem Mann so viel Autorität, so viel Einschätzungsvermögen, so viel Kompetenz in allen Belangen zu, dass Menschen, die diesen Mann in Frage stellen, indem sie ihn belehren, beweisen, dass er falsch liegt, irgendwie auch die anderen Männer angreifen, die ihn in diese Position setzen. In wiederum deren Einschätzungsvermögen und Kompetenz. Weil, wenn sie diesen Mann für besonders weise halten, sich aber herausstellt, dass er das gar nicht ist, dann hätten sie sich ja geirrt, müssten sich selbst hinterfragen. Schlimmer noch, sie müssten ihn vielleicht sogar kritisieren, von seinem Sockel stürzen und damit ihre eigenen Strukturen erschüttern. Das System stützt sich also selbst. Und wenn dieses System angegriffen wird, schlägt es zurück.

Wenn die Männer ganz oben in der Hierarchie ihre Schwächen aufgezeigt bekommen, empfinden sie das als Bedrohung ihres Herrschaftsanspruchs – und sichern sich diesen mit Gewalt. Nicht zwingend körperlich – Formen von Gewalt gibt es viele. Das Verhalten von Kristof habe ich als psychische Gewalt empfunden. Diese bestand in meiner Wahrnehmung darin, mich zu isolieren, zu diffamieren, meine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Mit dem Ziel seine Autorität und seinen Einfluss in der Gruppe zu bewahren. Adressat*in solcher Gewalt will niemand sein.

Es ist immer der leichtere Weg, sich nicht gegen die Führungspersonen zu stellen. Aber die Führungspersonen – das sind eben fast immer die Macker. Wer sich ihnen entgegenstellt, wer sich ihnen nicht unterordnet, wird zum Störfaktor erklärt, zum Feindbild. Sich ihnen entgegenzustellen, ist anstrengend. Emotional zehrend. Es kann isolieren. Es kann riskant sein – weil man viel verlieren kann, wenn die anderen nicht mitziehen.

Aber man kann auch etwas gewinnen. Oder bewahren. Das eigene Rückgrat zum Beispiel. Die Fähigkeit sich im Spiegel in die Augen schauen zu können.

„Ich kann ja deswegen jetzt nicht eine jahrelange Freundschaft in Frage stellen“ hatte Lena zu mir gesagt. Um sich den Rückzug aus der Verantwortung leichter zu machen. Ja, es tut weh, Konsequenzen zu ziehen. Ja, es ist schwer sich einzugestehen, dass man sich getäuscht hat. Dass Menschen, denen man vertraut hat, Unrecht getan haben, gegen Werte verstoßen, die grundlegend sein sollten, ausgegrenzt und diskriminiert haben. Aber wenn dieses Verhalten kein Grund ist, eine Freundschaft zu hinterfragen – was dann?

Wenn das die Begründung ist, so ein Verhalten weiter zu tolerieren – wie soll sich dann jemals etwas ändern?

Wenn links gerichtete Räume ihre eigenen patriarchalen Machtstrukturen nicht erkennen, nicht erkennen wollen, sich partout weigern in Diskurse auf Augenhöhe mit FLINTA* zu gehen, können sie niemals sichere Räume werden, sondern bleiben bloß Reinszenierungen des Patriarchats.

Und jetzt bin ich weg.

Und sie sind noch da.

Unangefochten.

Ohne Kratzer im Image.

FLINTA* gehen. Macker bleiben.

Und auch dieses Jahr hat er wieder solidarische Grüße zum Frauenkampftag verschickt. Nicht mir natürlich. Aber ich hörte davon.