Wenn die Brandmauer fällt

In vielen sächsischen Kommunen entscheidet die AfD längst mit – auch über die Verteilung von Fördermitteln. Besonders im Visier sind soziokulturelle Zentren, die sich für Demokratie, Vielfalt und Teilhabe einsetzen.
Wo diese Strukturen wegfallen, gerät nicht nur Kultur unter Druck. Auch die Demokratie steht auf dem Spiel.
Wo demokratische Strukturen fehlen, kann die extreme Rechte leichter an Einfluss gewinnen1. In vielen sächsischen Gemeinden ist das längst Realität. Doch gerade dort, wo lokale Bündnisse aus Zivilgesellschaft , Politik und Kultur aktiv sind, sinken rechtsextreme Einstellungen messbar.
Das zeigen aktuelle Studien2: Eine starke Zivilgesellschaft ist der beste Schutz gegen rechte Einflussnahme.
Die Leipziger Autoritarismus-Studie (2024)3 verweist darauf, dass zivilgesellschaftliche Strukturen wie Kulturvereine oder Sportclubs das Gefühl politischer Selbstwirksamkeit stärken. Fehlen solche Räume, steigt die Anfälligkeit für rechtsextreme Normalisierung.
Zusammenarbeit zwischen AfD und CDU
Vera Ohlendorf von der Amadeu Antonio Stiftung beobachtet diese Entwicklung seit Jahren: „In Sachsen ist die rechtsextreme Normalisierung in den Landkreisen praktisch abgeschlossen“, erklärt sie. „AfD und teilweise die Freien Sachsen sind in den Kommunen und Kreisparlamenten etabliert. Sie arbeiten regelmäßig mit der CDU und anderen demokratischen Parteien zusammen.“
Eine Brandmauer existiere in den sächsischen Kommunen nicht, sagt sie. Die AfD könne ihre Agenda immer besser umsetzen und sei auch deswegen erfolgreich, weil parlamentarischer Gegenwind fehle oder andere Parteien mit der AfD gemeinsam agieren und entscheiden. Die Brandmauer wird regelmäßig eingerissen. Die AfD verhandelt mit, bestimmt mit – und demokratische Parteien wehren sich selten dagegen.
Generalverdacht des Linksextremismus
Darunter leiden vor allem die soziokulturellen Vereine, die sich vor Ort für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft einsetzen. In vielen Orten sind sie regelrecht zum Feindbild der lokalen Rechten geworden. Um die Vereine unter Druck zu setzen, ihnen Geld und Fördermittel zu entziehen, nutzt die AfD vielerorts dieselbe Strategie: Projekte, die sich gegen Rechtsextremismus stellen, werden als „linksextrem“ gebrandmarkt.
Ein Antifa-Sticker reicht aus, um einem Verein die Gemeinnützigkeit streitig zu machen. „Der Druck, als demokratische Initiative die eigene Existenz zu rechtfertigen, nimmt spürbar zu“, erklärt Ohlendorf.
Tätliche Angriffe und Anfeindungen
Doch die Bedrohung kommt nicht nur durch politischen Druck, sie zeigt sich auch in tätlichen Angriffen und Anfeindungen. Ohlendorf berichtet, dass an vielen Orten Unsicherheit um die in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen herrscht. Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus oder für Demokratie starkmachen, werden immer häufiger zur Zielscheibe. Wer sich engagiert, lebt gefährlich.
„Die Überlegung, aus Sachsen wegzuziehen, hören wir leider immer häufiger.“
Anfeindungen, Diffamierungen und offene Gewalt nehmen zu. „Immer mehr Träger müssen immer mehr Energie dafür aufwenden, solche Angriffe abzuwehren“, erklärt Vera Ohlendorf. Gleichzeitig steigen jedoch auch die Anfeindungen gegenüber denen, die den Verein besuchen. Besonders betroffen sind Geflüchtete und Migrant: innen, von Rassismus Betroffene und queere Menschen4. Der Bedarf an Schutzräumen und kulturellen Angeboten, wie ihn Kulturvereine vor Ort bieten, wird also umso größer.
Land in Sicht
Um Demokratieprojekte insbesondere im ländlichen Sachsen zu unterstützen, wurde 2019 der Verein „Land in Sicht“ gegründet. Er besteht vor allem aus Menschen aus dem Kultur- und Kunstbetrieb. Der Verein unterstützt einige sächsische Demokratieprojekte finanziell. Gründungsmitglied David Schnell will mit seinem Verein insbesondere Projekte und Jugendzentren auf dem Land stärken. „Uns wurde dargelegt, dass es hauptsächlich finanzielle Schwierigkeiten gibt und eben auch die Angst, dass mit dem Erstarken der AfD in den Land- und Stadträten auch die Förderungen eingeschränkt werden“, erklärt Schnell.
Viele Menschen, die im ländlichen Raum aufgewachsen sind, würden nun unter anderem aus finanziellen Gründen wieder zurückziehen. „Die wollen sich ein Umfeld schaffen, wo es nicht um Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung geht.“
„Es hat die Menschen beflügelt, anderen zu helfen“
Unter den vielen Projekten, die „Land in Sicht“ schon unterstützt hat, erleben manche einen großen Rückhalt in der Stadt. So zum Beispiel der Lebenshaus e.V. in Lichtenstein, im Landkreis Zwickau. „Innerhalb Lichtensteins haben wir es so erlebt, dass es die Menschen beflügelt hat, anderen zu helfen“, erklärt Leiterin Silvia Groß. Insbesondere als Russland die Ukraine angriff, hätten sich viele ehrenamtlich eingebracht.
„Das ist ein Aspekt, den man nicht unterschätzen darf, dass es wirklich Freude macht und guttut, andere zu unterstützen und sich über den eigenen Horizont hinweg mit anderen zu beschäftigen.“ Auch von Seiten der Stadt würde der Verein finanzielle Unterstützung und Wertschätzung erfahren.
Bedrohte Projekte in Sachsen
Dem gegenüber stehen jedoch zahlreiche Projekte, die durch die kommunale Rechte und die fehlende Brandmauer zunehmend bedroht werden. In mehreren Kommunen verhinderten AfD und (teilweise auch) CDU gezielt Förderungen für demokratische Kulturinitiativen.
Mitte April hat der Wurzener Stadtrat auf Initiative der AfD die Finanzierung des soziokulturellen Vereins „Netzwerk für Demokratische Kultur“ gestoppt.5 Die Vorwürfe lauten: Das Netzwerk sei zu linkslastig. Bereits seit vielen Jahren wird der Verein von rechts attackiert.
Auch in Döbeln wirbt die AfD seit Jahren gegen den soziokulturellen Verein „Treibhaus e.V.“ und hat bereits dafür gesorgt, dass Förderungen gekürzt wurden.6 Immer wieder gibt es Attacken gegen das Treibhaus.
In Meißen stimmte der Stadtrat im Oktober für eine geänderte Prioritätenliste bei der Förderung lokaler Projekte. Der Verein „Buntes Meißen“ fällt damit die nächsten drei Jahre aus der Förderung. Erst im Juli ereignete sich ein Brandanschlag auf das Gelände des Vereins.7 Unweit des Brandortes wurden volksverhetzende Sprüche auf einem Plakat sowie einer Laterne entdeckt.8
Weißwasser – eine Stadt braucht Kultur
In Weißwasser in der Oberlausitz hat die AfD bei der Kommunalwahl im vergangenen Jahr fast 30 Prozent der Stimmen erreicht. Der soziokulturelle Verein „Telux“ erlebt immer wieder, dass er auf lokalpolitischer Ebene auf Ablehnung stößt. Tino Chrupalla, der sogar ursprünglich aus der Kleinstadt kommt, sprach beim Oberbürgermeister-Wahlkampf 2024 davon, den soziokulturellen Zentren mit seiner Partei „den Rotstift anzusetzen“. Das erzählt Patrick Pirl, Mitarbeiter im Bereich Kultur- und Veranstaltungsmanagement des Vereins.
„Die wollen den ländlichen Raum kulturell auch nicht aufgeben.“
Das soziokulturelle Zentrum ist Veranstaltungsort und Treffpunkt für Menschen aller Hintergründe und Altersgruppen. Hier wird getanzt, gesungen, gelesen, gewerkelt. Und das in einer Stadt, die stark unter dem Strukturwandel in der Lausitz leidet. Von ehemals 40.000 Einwohner:innen sind nur noch knapp 15.000 geblieben. Stadt und Menschen sind von Verlusterfahrungen geprägt. Eine umso wichtigere Rolle spielen soziokulturelle Angebote, wie es das Telux bietet. „Neben uns gibt es in der Quantität und Qualität hier keine vergleichbaren kulturellen Angebote“, sagt Pirl.
Der Kampf ums Überleben
Das Telux ist finanziell abhängig von städtischen Zuschüssen – und genau diese wurden bereits Ende 2024 gekürzt. Im November beschloss der Stadtrat eine rückwirkende Kürzung der Mittel für Träger der freien Jugendhilfe um 30 Prozent – auf Antrag der AfD-Fraktion. Die Streichung bedrohte den sogenannten Sitzgemeinde-Anteil. Das ist der zwingend notwendige städtische Zuschuss für die überregionale Förderung durch den Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien. Eine Großspende kompensierte kurzfristig den Ausfall. Im Frühjahr 2025 stand die Fortführung der Förderung erneut auf der Kippe. Eine Mehrheit im Stadtrat blockierte den Sitzgemeinde-Anteil für das Jahr 2025.
Rückhalt aus der Bevölkerung
„Wir wussten nun, dass es bei den Mehrheitsverhältnissen schwer wird und begannen, die Öffentlichkeit zu suchen und Unterstützung zu mobilisieren, um Druck zu erzeugen“, erzählt Pirl. „Denn rein von den Gästezahlen und der Frequentierung unserer Veranstaltungen wissen wir, dass wir einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung genießen – selbst unter Menschen, die eher AfD-Positionen zugeneigt sind.“ Und damit war das Telux erfolgreich: Eine große Crowdfunding-Kampagne rettete dem Zentrum das Leben, dabei kamen 50.000 Euro zusammen.
Im Juni war das Bangen schließlich vorbei, der Sitzgemeindeanteil – und somit eine Finanzierung bis Ende 2026 – wurde knapp bewilligt. Zwei Enthaltungen sorgten letztlich für die notwendige Mehrheit.
Systematische Angriffe auf die Soziokultur
Weißwasser ist ein Beispiel dafür, wie rechte Akteure gezielt demokratische und kulturelle Vereine schwächen. Die Fraktion „Klartext” sprach im Stadtrat von einem „systemischen Angriff auf die Soziokultur“. Hier zeigt sich, wie leicht die Einflussnahme politischer Kräfte ist. Patrick Pirl vom Telux wünscht sich deshalb mehr Resilienz der Soziokultur, zum Beispiel durch Änderungen in den Förderrichtlinien.
Ähnliches fordert auch Vera Ohlendorf von der Amadeu Antonio Stiftung:
„Die Eindämmung rechtsextremer Parteien, Gruppen und Ideologien kann nicht allein prekären Vereinen oder meist ehrenamtlich agierenden Demokratiebündnissen in ländlichen Räumen überlassen werden.“ Es brauche gesicherte, institutionelle Förderungen – und ein klares Nein zu rechter Einflussnahme auf kommunaler Ebene. „Gerade wenn rechtsextrem das neue Normal ist, muss es darum gehen, diejenigen zu stärken, die diesem Trend entgegenstehen.“
Decker, Oliver Decker, Brähler, Elmar: EFBI Policy Paper 2025, auf: vfrd.de (12.02.2025). ↩︎
Hummel, Steven, Taschke, Anika: Hält die Brandmauer? Studie zu Kooperationen mit der extremen Rechten in ostdeutschen Kommunen, RosaLuxemburg-Stiftung, auf: rosalux.de (März 2024). ↩︎
Decker, Oliver, Kiess, Johannes, Heller, Ayline, Brähler, Elmar: Die Leipziger Autoritarismus Studie 2024: Methoden, Ergebnisse und Langzeitverlauf, in: Vereint im Ressentiment, S. 29-100. ↩︎
RAA Sachsen (Hg.): Opferberatung Support veröffentlicht Jahresstatistik zu rechtsmotivierter Gewalt in Sachsen 2024, auf: raa-sachsen.de (15.04.2025). ↩︎
Amadeu Antonio Stiftung (Hg.): Wo Demokratiearbeit keine Tradition mehr ist: In Wurzen macht der Stadtrat AfD-Kritiker*innen mundtot, auf amadeu-antonio-stiftung.de (30.04.2025). ↩︎
Burfeind, Sophie: „Ist da jemand? Jemand da draußen? Der so fühlt wie ich?“, brand eins, auf: brandeins.de. ↩︎
MDR Sachsen (Hg.): Ermittlungen nach Feuer auf Gelände des Demokratievereins „Buntes Meißen“, auf mdr.de (07.07.2025) ↩︎
Buntes Meißen (Hg.): Brandanschlag und volksverhetzende Botschaften – Angriff auf das Gelände des Buntes Meißen e.V., auf: buntes-meissen.de (07.07.2025). ↩︎