Urteil nach Sturm auf Connewitz: Mildere Strafe für Leipziger JVA-Beamten
Seit Dezember 2017 ist ein Leipziger JVA-Beamter wegen schweren Landfriedensbruchs angeklagt. Er soll beim sogenannten Sturm auf Connewitz beteiligt gewesen sein. Jetzt gab es ein Urteil.
Leipzig. Vor mehr als neun Jahren soll er beim sogenannten Sturm auf Connewitz dabei gewesen sein: Für einen Beamten im Dienst des sächsischen Justizvollzugs endete der Berufungsprozess am Mittwoch vor dem Landgericht mit einer milderen Bewährungsstrafe als zuvor. Ob das Endlos-Verfahren damit tatsächlich abgeschlossen ist, bleibt offen.
Kersten H. (39) soll am Abend des 11. Januar 2016 mitgemischt haben, als ein gewalttätiger Mob aus Rechtsextremen und Hooligans eine Schneise der Verwüstung durch den linksalternativen Stadtteil zog. 25 Geschäfte, Lokale und Wohnungen sowie 18 Autos wurden angegriffen, die Polizei bezifferte den Schaden auf mehr als 110.000 Euro.
Angeklagter arbeitete weiter in Haftanstalten
Am 22. Dezember 2017 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Kersten H., was sich innerhalb der Justiz allerdings nicht herumsprach. Denn trotz der Tatvorwürfe konnte er weiterhin in den Justizvollzugsanstalten (JVA) Leipzig und Bautzen arbeiten. Dabei war er sogar auf Stationen eingesetzt, auf denen auch Mitbeschuldigte der Connewitz-Krawalle inhaftiert waren – ein veritabler Skandal. Die Sache flog Anfang Januar 2019 auf, als sich Kersten H. bei seinem Vorgesetzten in der Leipziger Haftanstalt offenbarte.
Im Februar 2022 verurteilte das Amtsgericht den bisher nicht vorbestraften Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung legten dagegen Berufung ein. Daraufhin verschärfte das Landgericht im Juni 2023 das Strafmaß – ein Jahr und fünf Monate auf Bewährung. Kersten H. legte Revision ein, worauf das Oberlandesgericht Mitte Dezember 2023 das Urteil aufhob und das Verfahren zurück ans Landgericht verwies.
Schränke von Männern, einige mit Baseballschlägern
Nun hatte die 12. Strafkammer zu entscheiden. Auf die Berufung des Angeklagten wurde das Urteil aufgehoben und Kersten H. zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Drei Monate gelten aufgrund der langen Verfahrensdauer als bereits vollstreckt. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert, die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung.
Es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Angeklagte an jenem Abend zufällig in den gewalttätigen Mob geraten sei, so der Vorsitzende Richter Berthold Pfuhl. Es sei eine homogene, geschlossene Gruppe gewesen, Schränke von Männern, einige mit Baseballschlägern. Da begebe man sich nicht versehentlich hinein. Allerdings sei es auch nicht nachweisbar, dass Kersten H. sich aktiv an Gewaltaktionen beteiligte. Er sei auch kein Rädelsführer gewesen. Das Gericht verneinte daher auch einen besonders schweren Fall.
Im Zuge der Krawalle waren Verfahren gegen mehr als 200 Beschuldigte eingeleitet worden. 212 Angeklagte wurden nach Angaben des sächsischen Justizministeriums verurteilt, davon 209 rechtskräftig. Wie es für Kersten H. weitergeht, ist offen. Mit dem jüngsten Urteil würde er nicht automatisch seinen Beamtenstatus verlieren. Das geschieht erst bei mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe.
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Lucas Böhme 16. April 2025 LIZ
Überfall auf Connewitz 2016: Landgericht mildert Strafe für JVA-Beamten ab
Ein Verfahren, das sich äußerst zäh durch die letzten Jahre zog, endete am Mittwoch wieder mit einem Schuldspruch wegen Landfriedensbruchs: Über neun Jahre nach dem Überfall Rechtsextremer und Hooligans auf Connewitz wurde ein damals mutmaßlich beteiligter JVA-Beamter zu elf Monaten auf Bewährung verurteilt. Mit dem Urteil könnte er seinen Beamtenstatus eventuell behalten.
Kersten H. ist schuldig des Landfriedensbruchs: Dieses Urteil verkündete eine Berufungskammer des Leipziger Landgerichts am Mittwochmittag. Der 39-jährige Familienvater aus Leipzig erhielt dafür elf Monate Haft auf Bewährung. Drei Monate gelten wegen des langen Verfahrens als vollstreckt. Für die Richter war im neuerlichen Prozess erwiesen, dass sich der JVA-Schließer am Überfall von etwa 250 rechtsgerichteten Personen auf den Connewitzer Szenekiez vor über neun Jahren beteiligt hatte, indem er zumindest, wenn auch ohne nachweisbare Gewaltausübung, bewusst Teil der Menge war.
Der Überfall auf Connewitz bleibt im Gedächtnis
Am Abend des 11. Januar 2016, dem ersten Legida-Jahrestag, hatten die Aggressoren im linksalternativen Viertel entlang der Wolfgang-Heinze-Straße eine Schneise der Verwüstung hinterlassen, Passanten bedroht, parkende PKW und Geschäfte zertrümmert. Auf etwa 113.000 Euro wurde der Sachschaden später geschätzt.
Auch Kersten H. befand sich unter der Masse an über 200 meist ortsunkundigen Personen, die herbeigeeilte Polizisten an jenem kalten Januarabend schnell einkesseln und in einer Seitenstraße festsetzen konnten. Der frühere Bundeswehrsoldat und Afghanistan-Veteran war zu dieser Zeit als Beamter im Strafvollzug tätig. Obwohl seine Personalien aufgenommen wurden, fiel der damals 30-Jährige durch das Behördenraster, konnte weiter Dienst tun und bewachte offenbar sogar inhaftierte Neonazis. Erst Anfang 2019 wurde er suspendiert, als er sich wegen einer Gerichtsvorladung bei seinem Chef outen musste.
Was wird aus dem Beamtenstatus?
Dem heutigen Urteilsspruch war seit 2019 ein Justizmarathon vorausgegangen. Ein erstes Urteil des Amtsgerichts vom Februar 2022, ein Jahr und drei Monate auf Bewährung, wurde ein Fall für die nächsthöhere Instanz, weil der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung einlegten.
Das Urteil des Landgerichts vom Juni 2023, ein Jahr und fünf Monate Haft auf Bewährung, focht der Angeklagte erfolgreich an: Das Oberlandesgericht hob die Entscheidung wegen mangelnder Beweiswürdigung auf und wies einen neuen Prozess vor einer anderen Kammer des Landgerichts Leipzig an. Ende 2024 fiel der Termin krankheitsbedingt aus. Erst ab 27. März 2025 schließlich wurde der Fall wieder neu aufgerollt.
Für Kersten H. ging es vor allem um die berufliche Zukunft: Eine Verurteilung zu über einem Jahr Freiheitsstrafe würde laut Gesetz für ihn zwingend den Verlust seines Beamtenstatus bedeuten. Dies wäre mit dem jetzigen Strafmaß, sollte es Bestand haben, wieder offen.
Die Sache mit dem Meteoriten
Der Streitpunkt, ob Kersten H. Teil der Gruppierung war, die am Tatabend durch Connewitz zog, wurde auch im jetzigen Prozess mit einem klaren „Ja“ beantwortet: „Wir hatten keine Anhaltspunkte, dass sie zufällig in dieses Geschehen geraten sind“, sagte der Vorsitzende Richter Berthold Pfuhl am Mittwoch zum Angeklagten.
Die Wahrscheinlichkeit dafür wurde durch Polizeibeamte, die am Einsatz beteiligt waren, als äußerst gering eingeschätzt, zumal allein wegen der kalten Witterung nur wenig los war. Niemand habe geltend gemacht, dass er als Unbeteiligter in den Kessel geriet, so hieß es. Dazu ergäbe die Annahme, dass sich Außenstehende überhaupt einem laut grölenden und aggressiven, teils bewaffneten Mob annähern, wenig Sinn.
Wenn zwei in einen Wald gingen, einer am Ende erschlagen daliegt und der andere sich entfernt, wäre es auch möglich, dass das Opfer von einem Meteorit getroffen wurde. Naheliegender sei aber ein anderer Schluss: Ebenso wie in diesem Bild könne auch ein Gericht nicht die für den Angeklagten günstigste Version annehmen, solange sie lebensfern scheint und es für sie keinen Hinweis gibt, argumentierte Richter Pfuhl.
Gericht geht von günstiger Sozialprognose aus
Für Kersten H. der sich nicht zum Tatvorwurf äußern wollte, sprach aus Sicht der Kammer gleichwohl, dass er keine Vorstrafen hat, das Verfahren schon sehr lange andauert und von einer günstigen Sozialprognose auszugehen sei. „Wir erwarten nicht, dass sie im Laufe der Bewährungszeit nochmal straffällig werden.“
Außerdem habe er bereits disziplinarische Folgen zu spüren bekommen und sei wohl auch keine Führungsfigur gewesen. Die Kammer ging in der Summe von keinem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs aus.
Mit der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung blieb das Gericht jetzt unterhalb von einem Jahr und fünf Monaten – so die Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung wollte auf einen Freispruch hinaus.
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01.02.2022 Tim Pawletta kreuzer
Sechs Jahre später
Weiterer Prozess zum Neonazi-Angriff auf Connewitz beginnt
Im Amtsgericht Leipzig hat heute der Prozess gegen den ehemaligen Justizbeamten Kersten H. begonnen, ein Urteil gibt es noch nicht. Kersten H. wird als Teil des Neonazi Angriffs auf Connewitz wegen Landfriedensbruch angeklagt. Am Freitag soll der Prozess fortgesetzt werden, mehr als sechs Jahre nach der Tat.
»Justizvollzugsbeamter, suspendiert«, antwortet Kersten H. auf die Frage der Richterin nach seinem Berufsstand. Das ist vor allem eine interessante Aussage vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Verfahren wegen des Neonazi-Angriffs auf Connewitz 2016 handelt. Kersten H. war Teil dieses Angriffs, arbeitete danach jedoch noch drei weitere Jahre als sächsischer Justizvollzugsbeamter, kreuzer berichtete.
Vor drei Jahren wurde der Prozess gegen ihn zum ersten Mal angesetzt. Dieser wurde zunächst verschoben, beim zweiten Termin kam Kersten H. nicht, weil er an Magendarm erkrankt sei, der dritte Termin fiel ebenfalls aus. Die Leipziger Gruppe Rassismus tötet! kritisiert bei einer Kundgebung vor dem Prozess die Dauer der Verfahren gegen die Neonazis. »Wahrscheinlich wäre das verschleppte Verfahren gegen den Justizbeamten in einem funktionierenden Rechtsstaat ein bundesweiter Skandal, aber im Freistaat Sachsen mit den bekannten ‚sächsischen Verhältnissen‘, schaut kaum noch wer auf den Umgang der Behörden zum Neonazi-Angriff in Leipzig-Connewitz«, sagt Hannes Heinze in einer Pressemitteilung. Heute, mehr als sechs Jahre nach dem Angriff, erscheint Kersten H. beim Amtsgericht und der Prozess beginnt.
Bevor die Richterin Bilstein den Prozess überhaupt anfangen konnte, gab es schon die erste Nachfrage des Rechtsanwalts von Kersten H., Helmut-Hartwig Heuer. Er will wissen, ob er ohne Maske sprechen dürfe, die Antwort darauf kommt sehr entschieden und lautete: »Nein, können Sie nicht.« Es sollte nicht das letzte Mal sein, dass die Maskenpflicht Thema im Gerichtssaal ist.
Zu Beginn wird die Anklageschrift verlesen. Kersten H. wird vorgeworfen, er hätte sich vor sechs Jahren mit anderen Rechtsextremen versammelt, um dann gemeinsam den Stadtteil Connewitz anzugreifen. 25 Bars und Wohnungen seien zerstört worden, heißt es in der Anklageschrift, dort wird von 113.000 Euro Schadenhöhe gesprochen. Ungefähr fünf Minuten lang zählt die Richterin alle einzelnen Schäden auf und wie hoch diese jeweils angesetzt sind. Zum Schluss der Verlesung wird der Tatbestand genannt: Es geht um schweren Landfriedensbruch.
Kersten H. ist anwesend, sitzt den ganzen Prozess über unverändert auf seinem Stuhl, die Arme auf den Lehnen. Angaben möchte er keine machen. Nachdem ein paar Fragen geklärt sind, wird der erste Zeuge hereingerufen, Mathias K. Genau wie die anderen drei geladenen Zeugen ist er Polizeibeamter und war bei dem Angriff auf Connewitz im Dienst. Er wird gebeten, die Geschehnisse aus seiner Perspektive wiederzugeben. Dazu ergänzt die Richterin: »Wenn Sie sich an etwas nicht mehr erinnern sollten, machen sie das bitte deutlich. Es ist ja schließlich lange her.«
Mathias K. schildert, genau wie seine Kollegen nach ihm, ausführlich, wie er den Angriff damals erlebt hat. Gewisse Elemente tauchen immer wieder auf: Es spielte sich um das Connewitzer Kreuz ab, es gab Pyrotechnik, es war eine geschlossene Gruppe von über 200 Menschen, überwiegend schwarz gekleidet und bewaffnet. Nach den Ausführungen stellt die Richterin jedes Mal ähnliche Fragen an die Zeugen. »Würden Sie die Personenmenge als eine gemeinsame Gruppe beschreiben, die sich gemeinsam bewegt hat?«, »Gab es Leute, die vereinzelt aus der Gruppe herausgetreten sind?« und, was ein zentraler Teil des Prozesses zu sein scheint: »Gab es die Möglichkeit, zu sagen, dass man aus Versehen dort war und nicht Teil des Angriffs war?« All diese Fragen werden mit Ja beantwortet, nacheinander, von allen befragten Zeugen.
Nachdem Mathias K. den Raum verlassen hat, meldet sich erneut Rechtsanwalt Heuer zu Wort. Die Maske würde ihn in seiner Arbeit behindern und er würde jetzt einen Antrag aufschreiben. Die Richterin liest vor, was er ihr überreicht, es ist ein Antrag darauf, die Maske abzunehmen. Dazu sagt Heuer: »Das ist jetzt wahrscheinlich wieder Verschwörungstheorie, aber meine persönliche Meinung: Die bringen nichts!« Bilstein, sichtlich genervt von dem Antrag, weist diesen ab mit der Begründung, dass sie es zumutbar fände, die Maske eine Stunde lang zu tragen, das würde er ja beim Einkaufen auch tun. Heuers Antwort: »Die Belehrung brauchen Sie mir nicht erteilen, ich gehe nicht mit Maske einkaufen.«
Danach werden die restlichen Zeugen einzeln hereingebeten und erläutern ebenfalls aus ihrer Sicht, wie sie den Tag vor über sechs Jahren wahrgenommen haben. Es werden Details geklärt zur Dauer des Abtransports der Neonazis, zu den Waffen und Sturmhauben, die festgestellt wurden und zu den Anwohnerinnen, die sich im Stadtteil aufgehalten haben. Nach den Zeugenaussagen geht das Gericht über zur Sichtung von Videoaufnahmen, die für den Prozess gegen Kersten H. relevant sein könnten. Die Richterin möchte vor allem ein ganz bestimmtes sehen, das nach der Festsetzung der Neonazis im Polizeikessel aufgenommen sein soll. Nach mehreren Versuchen des Justizbeamten wird jedoch klar, dass das Video gerade nicht gefunden werden kann. Bilstein nimmt aber die wichtigste Information vorweg: Sie konnte Kersten H. bei ihrer Sichtung der Beweisvideos nicht darauf erkennen.
Am 4. Februar wird der Prozess fortgesetzt. Dann wird Rechtsanwalt Heuer sein Plädoyer halten und das fehlende Video gezeigt. Die Richterin beendet die Sitzung mit dem Hinweis, dass Kersten H. auch an diesem Tag zu erscheinen habe. Ob dann ein Urteil gefällt werden kann, ist noch nicht klar.