Ärger um Berger: Freie Wähler wollen Zusammenarbeit mit der AfD unterbinden

Der ehemalige Grimmaer Oberbürgermeister hält die Brandmauer für überflüssig. Das bringt dem Landtagsabgeordneten nun Streit mit der Bundespartei ein, die auf das Kooperationsverbot pocht. Sachsens Landesverband steht hingegen zu Berger.
Es ist nur ein einziges Blatt. Eine Erklärung, die der fraktionslose Landtagsabgeordnete Matthias Berger (parteilos) unterschreiben soll. Doch die Tragweite ist erheblich – genauso wie die Auseinandersetzung, die sich jetzt an der fehlenden Unterschrift entspinnt. Denn Berger schenkt wiederholten Aufforderungen vom Bundesvorstand der Freien Wähler seit seiner Wahl im September nur wenig Beachtung.
Konkret soll sich der ehemalige Oberbürgermeister von Grimma (Landkreis Leipzig) zu diesem Standpunkt verpflichten: „Mir ist bekannt, dass der Bundesparteitagsbeschluss zu einem Kooperationsverbot mit der AfD vom 17. Februar 2024 zu den Grundsätzen der Freien Wähler gehört und werde dieses in meiner parlamentarischen Arbeit umsetzen.“
Berger weigert sich, Brandmauer-Erklärung zu unterschreiben
Aber Berger weigert sich. Er hält eine Brandmauer zur AfD für überflüssig und schließt aus, dass er die geforderte Erklärung unterzeichnen wird. „Ich sehe mich als Brückenbauer. Als Landtagsabgeordneter bin ich nur meinem Gewissen verpflichtet und möchte über Parteigrenzen hinweg agieren“, hält Berger entgegen. Für ihn sei dieser Politikstil „zukunftsfähiger als alles, was wir in den vergangenen Jahren erlebt haben“. Dem Bundesverband wirft er vor, „die Zeichen der Zeit nicht erkannt“ zu haben.
Tatsächlich ist die Sache komplizierter, als gemeinhin erscheinen mag. Berger war zur Landtagswahl zwar Spitzenkandidat der Freien Wähler in Sachsen und hat sein Direktmandat im Muldental auch auf deren Ticket gewonnen – doch der 57-Jährige ist kein Parteimitglied. Deshalb fühlt er sich auch nicht an Parteitagsbeschlüsse gebunden. In Sachsen gilt Berger dennoch als Gesicht der Freien Wähler, als deren maßgeblicher Protagonist in der Öffentlichkeit. Deshalb schreitet die Bundespartei ein – und will ihn stoppen.
Gemeinsame Pressekonferenz mit AfD-Fraktionschef
Der Landtagsabgeordnete verweist hingegen auf seine Ankündigungen aus dem Wahlkampf. Schon damals habe er klargemacht, mit allen reden zu wollen: „Eine gute Idee ist eine gute Idee“, laute sein Grundsatz. Dabei spiele für ihn keine Rolle, von wem diese Idee kommt. Deshalb traf er sich schon frühzeitig auch mit AfD-Abgeordneten. Seine Kandidatur zum Ministerpräsidenten wurde im Dezember von der AfD unterstützt.
Zu Jahresbeginn engagierte er sich dann für eine Enquete-Kommission zu Kommunalfinanzen, die die AfD beantragte. „Es sind alle Fraktionen zur Mitarbeit eingeladen worden“, argumentiert Berger, der 23 Jahre lang Stadtoberhaupt von Grimma gewesen ist. Die anderen Landtagsparteien hielten die Kommission allerdings für nicht zielführend. Anfang Februar hat Berger mit AfD-Fraktionschef Jörg Urban dann eine gemeinsame Pressekonferenz gegeben. In der kommenden Woche soll die Enquete-Kommission ihre Arbeit aufnehmen, die AfD hat ihn als Mitglied nominiert.
Bayerns Freie-Wähler-Fraktionschef ist „absolut empört“
Das war offenbar der Punkt, der für die Bundespartei der Freien Wähler das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Denn das Kooperationsverbot schließt nach ihrer Lesart nicht nur Koalitionen zwischen der AfD und den Freien Wählern aus, sondern auch gegenseitige Hilfe und die Absprache inhaltlicher Arbeit. „Die Grundlinie lautet: Keine Zusammenarbeit mit der AfD – wir machen nichts, was die AfD möglicherweise stärken könnte“, erklärt Generalsekretär Gregor Voht.
In diesen Streit mischt sich auch Florian Streibl, der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler in Bayern, ein. Er halte Bergers Verhalten für „absolut inakzeptabel“ und sei „empört“, dass die Brandmauer nach rechts durch den sächsischen Abgeordneten aufgeweicht werde. „Ich fordere ihn auf, jeglicher Zusammenarbeit mit der AfD abzuschwören. Wenn er unter unserer Flagge segelt, muss er sich an unsere Spielregeln halten – oder gehen“, sagt Streibl.
Bundesvorstand will im März über Berger entscheiden
Nun kann Berger aber nicht aus der Partei geworfen werden – weil er eben kein Mitglied ist. Im Bundesvorstand werden dennoch Zwangsmaßnahmen vorbereitet, sollte der widerspenstige Sachse nicht einlenken. Am 21. März will sich das Gremium ein letztes Mal mit der Personalie befassen.
Danach könnte ihm beispielsweise untersagt werden, „den Namen, das Logo und das Erscheinungsbild“ der Freien Wähler zu verwenden. Dann müsste Berger etwa sein Wahlkreisbüro in Grimma neu dekorieren, das bislang im Partei-Orange leuchtet. Aufsteller, Schilder und Plakate müssten geändert werden. Und auch im Landtag dürfte der Abgeordnete nicht mehr für die Freien Wähler in Erscheinung treten.
Sachsens Freie-Wähler-Vorsitzender verteidigt seinen Abgeordneten
Thomas Weidinger, der sächsische Landesvorsitzende der Freien Wähler, hält zu Berger. „Die Landesvereinigung Sachsen strebt keine strategische Zusammenarbeit mit der AfD an und hat auch nicht gegen das Kooperationsverbot verstoßen“, macht Weidinger klar. Allerdings werde das Verbot für wenig hilfreich angesehen, fügt er hinzu: Denn die Brandmauer habe bisher nicht dazu geführt, dass die AfD schwächer geworden sei – im Gegenteil.
Deshalb heißt die sächsische Linie der Freien Wähler: „Wir grenzen uns klar und deutlich von der AfD ab – grenzen sie und damit mehr als 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler aber nicht aus“, erklärt Weidinger. Zugleich erwidert der Landesvorsitzende die Kritik mit einer Rücktrittsforderung an Bundesgeneralsekretär Voht, der den konservativen Kurs seiner Partei infrage stelle und die Freien Wähler „links von der CDU“ rücken wolle.
Berger tangieren die inzwischen bundesweit geführten Diskussionen um seine Person wenig. Er werde sich nicht unterordnen, niemals. „Ich habe mich in meinen Entscheidungen noch nie abhängig davon gemacht, wie sich andere verhalten. Dafür stehe ich. Wenn ich jetzt eine Sache im Landtag für richtig halte, stimme ich ihr zu – ob der Vorschlag nun von der AfD oder von den Linken kommt.“ Bei diesem Kurs will er auch in Zukunft bleiben. Ob mit oder ohne Freie Wähler im Rücken. Aber auf jeden Fall ohne Brandmauer.