Mehrere Angriffe im Leipziger Lene-Voigt-Park: Anwohner berichten von rechter Gewalt

Beleidigungen, Rassismus, Platzwunden: Im Leipziger Osten hat es in den letzten Monaten mehrere Übergriffe auf Parkbesucher gegeben – darunter auch Minderjährige. Die Angreifer kommen wohl aus dem politisch-rechten Spektrum. Wird Reudnitz (wieder) zum Nazi-Kiez?

Es ist einer dieser lauen Spätsommerabende im September. Etwa 15 Jugendliche – Mädchen, Jungs, manche 16, andere 17 Jahre alt – genießen die sommerlichen Temperaturen im Leipziger Lene-Voigt-Park, feiern ausgelassen. „Bis plötzlich sechs Männer kommen, alle um die 20 Jahre alt“, erinnert sich Richard (Name geändert). Sie tragen Kurzhaarfrisuren und Trainingsjacken. Zuerst hätten sie nach Zigaretten gefragt, dann sei die Stimmung schnell gekippt.

„Die haben uns als ‚scheiß Zecken‘ beleidigt und vom ‚links-grün versifften Park‘ gesprochen“, berichtet Richard. Schnell werden die jungen Männer handgreiflich. Picken sich einen Freund von Richard als ihr Opfer heraus. Doch der Freund kann flüchten, alarmiert die Polizei.

Fünf prügeln auf einen ein

Richard schafft es jedoch nicht, sich der Situation zu entziehen. „Sie sind dann zu fünft auf mich losgegangen“, erzählt er. „Ich lag auf dem Boden, sie haben mich geschlagen und getreten. Gegen meinen Oberkörper, gegen meinen Kopf.“ Und plötzlich habe einer mit einem Elektroschocker vor ihm gestanden. Richard schafft es nach „gefühlten fünf Minuten“ sich auf die Reichpietschstraße zu retten. Doch drei der Angreifer lauern ihm auf, prügeln erneut auf ihn ein. Richard verliert einen Schneidezahn, später im Krankenhaus lautet seine Diagnose „Schädelhirntrauma“, erzählt er. Die Täter können fliehen.

In der Polizeimeldung zu dem Vorfall heißt es, dass sich eine Gruppe rechter Jugendlicher und eine Gruppe linker Jugendlicher eine Auseinandersetzung im Lene-Voigt-Park geliefert hätten. Richard widerspricht: „Wir haben nichts gemacht, wurden grundlos verprügelt.“ Nicht nur er hat Verletzungen davongetragen. „Alle Jungs aus der Gruppe haben mindestens Schläge abbekommen.“ Er ist der Meinung, die Angreifer hätten sich bewusst vermeintlich Schwächere herausgesucht – und dazu auch noch welche, die „anders aussehen“. Zu Richards Gruppe gehören auch Jugendliche mit Migrationsbezug.

„No-go-Areas“ im Leipziger Osten

Bei dem, was Richard berichtet, werden Erinnerungen an eine längst vergangen geglaubte Zeit wach. Nach der Wende und bis in die 2010er-Jahre hinein gab es in Stadtteilen wie Reudnitz, Volkmarsdorf und im gesamten Leipziger Osten eine hohe Präsenz rechter Straßengewalt und rechtsextremer Strukturen.

Die haben uns als ‚scheiß Zecken‘ beleidigt und vom ‚links-grün versifften Park‘ gesprochen. Richard – Opfer eines Angriffs im Park

Einige Orte im Stadtgebiet galten damals als sogenannte „No-go-Areas“ für Menschen, die als „Andersdenkende“ oder „Andersaussehende“ eingestuft wurden – darunter der Lene-Voigt-Park. Erst durch den Zuzug von Studierenden und Migranten sowie zivilgesellschaftlichen Initiativen, Projekte und Organisationen veränderte sich das Bild. Und jetzt? Holt die Vergangenheit Reudnitz wieder ein?

Polizei ermittelt wegen Vorfällen im Lene-Voigt-Park

Der Angriff auf Richard und seine Freunde war nicht der einzige in den letzten Monaten. Die Polizeidirektion Leipzig bestätigt, dass „derzeit mehrere Ermittlungsverfahren“ laufen, bei denen es um Fälle im Lene-Voigt-Park geht. Dabei wurden Personen verbal und körperlich attackiert. Aber geht es auch um rechte Straftaten?

„Insgesamt ermittelt die Polizei derzeit wegen des Anfangsverdachts der gefährlichen Körperverletzung, Beleidigung, Sachbeschädigung und Volksverhetzung in mehreren Fällen“, heißt es weiter. Weitergehende Informationen gibt es keine, da es laufende Ermittlungen sind. Nun versucht die Polizei zu klären, ob es sich bei den Tätern um welche aus dem rechten Spektrum handelt und ob die Taten mit deren Gesinnung in Verbindung stehen.

In Telegram-Gruppen wird vor „Faschos“ gewarnt

Andere sind sich wesentlich sicherer. „Die jungen Täter sind im Kiez bekannt. Das sind Rechte“, sagt eine Anwohnerin, die namentlich nicht in der Zeitung genannt werden möchte – nicht bei so einem heiklen und durchaus gefährlichen Thema. Andere Parkbesucher sagen aber, sie hätten von dieser Gruppe noch nie etwas mitbekommen. In einer Leipziger Telegram-Gruppe, die eigentlich zum Tauschen und Verschenken gedacht ist, wurde kürzlich vor einer „Gruppe Faschos“ gewarnt, die sich Richtung Lene-Voigt-Park bewegen würden. In anderen Kanälen wird regelmäßiger aufmerksam gemacht.

Aktuell wird auch außerhalb der digitalen Welt zur Vorsicht aufgerufen. Vor wenigen Wochen sind in der Gegend um den Lene-Voigt-Park Flyer aus Papier aufgetaucht. „Reudnitz darf kein Nazi-Kiez werden!“, steht auf der Vorderseite. Gezeichnete Personen mit Sturmmasken sind darauf zu sehen, dazu ein antifaschistisches Logo. Auf der Rückseite werden vier Vorfälle beschrieben, die sich seit dem Sommer 2024 im Park ereignet haben sollen. Es geht um Fälle rechter Gewalt.

So soll im Sommer eine „größere Gruppe junger Faschos“ Menschen im Lene-Voigt-Park „überfallen“ haben. Dabei hätten die jungen Männer unter lauten „AfD, AfD“-Rufen gezielt kleine Gruppen und Einzelpersonen attackiert. Einige davon hätten zur Behandlung in ein Krankenhaus gemusst. Zudem wird von einer „Hetzjagd“ und „Schlägen“ gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Christopher Street Days am 17. August berichtet. Anfang Oktober sei eine Person als „scheiß Zecke“ beleidigt und dann geschlagen worden; wahrscheinlich aufgrund der vermuteten Zugehörigkeit zur linken Szene.

Weitere rechte Übergriffe in Reudnitz

Auch beim Dokumentationsprojekt „Chronik LE“, das rassistische Ereignisse in Leipzig und dem Umland erfasst, sind mehrere Vorfälle im Lene-Voigt-Park aus diesem Sommer gelistet. Einmal sollen drei männliche Täter rassistische Erzählungen von kriminellen Ausländern verbreitet und einer Person einen heftigen Schlag gegen den Kopf verpasst haben. Nach dem Eintreffen der Polizei seien die Täter nicht daran gehindert worden, sich vom Tatort zu entfernen.

Weiter heißt es auf dem Portal, dass es Anfang Juni zu einem rechten Angriff ausgehend von circa zehn Personen im geschätzten Alter von 18 bis 20 Jahren gekommen sein soll. Die Täter sollen dabei in Uniformen gekleidet gewesen sein und andere Parkbesucher belästigt, bedroht und geschlagen haben. Die Geschädigten erlitten demnach verschiedene Prellungen, einige sogar Platzwunden am Kopf.

So will die Polizei für Sicherheit sorgen

Der Polizei Leipzig scheint die gefährliche Lage im Lene-Voigt-Park bekannt zu sein. Gegenüber der LVZ bestätigt eine Behördensprecherin, dass „der Park und die angrenzenden Straßenzüge regelmäßig durch das Polizeirevier Leipzig-Zentrum bestreift“ werden. Dabei werden auch anlassbezogene Personenkontrollen durchgeführt.

Doch wie kann die allgemeine Sicherheit im Lene-Voigt-Park, vor allem abends und nachts gewährleistet werden? Das sei ein „allgegenwärtiger Aspekt der Polizeiarbeit“, so die Sprecherin. „Die Parkanlagen der Leipziger Stadtteile werden regelmäßig und zu jeder Jahreszeit auch in der Dunkelheit durch den Polizeivollzugsdienst und die -behörde bestreift.“

Das subjektive Sicherheitsempfinden der Parkbesucherinnen und -besuchern scheint dadurch aber eher nicht gestärkt zu sein. Richard und seine Freunde waren seit dem Vorfall nicht mehr im Park. Und unabhängig von rechter Gewalt sagt eine Spaziergängerin mit Hund an der Leine: „Tagsüber ist der Park wunderschön, abends gehe ich lieber woanders lang.“ Und ein Mitarbeiter der Espressobar „Zack Zack“ pflichtet ihr bei: „Ich mag den Park, aber abends und in der Nacht ist es hier eher schwierig.“