Streit um Frauen-Schutzräume in Sachsen: Verein fühlt sich im Stich gelassen
Das Justiz- und Gleichstellungsministerium habe einen kurzfristigen Ausbau der Kapazitäten für Opfer häuslicher Gewalt abgesagt – dies beklagen Träger. Das Ministerium sieht die Schuld dagegen bei anderen.
Von „besorgniserregenden Zahlen“ spricht Ministerin Katja Meier (Grüne), als sie Mitte Juni vor die Presse tritt. Es geht an diesem Mittag um Gewalt gegen Frauen. Denn auch in Sachsen ist die häusliche Gewalt im Jahr 2023 angestiegen – um 6,5 Prozent. Das sächsische Kabinett will gegensteuern und hat an diesem Tag einen neuen Landesaktionsplan zum Gewaltschutz beschlossen. Damit soll die Situation betroffener Frauen und Mädchen verbessert werden. Die Justiz- und Gleichstellungsministerin zeigt sich zufrieden. Keine drei Monate später gibt es dennoch Streit um die Schutzmaßnahmen für Frauen.
Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Gewaltfreies Zuhause Sachsen beklagt, dass das Gleichstellungsministerium einen kurzfristigen Ausbau von Schutzplätzen in Sachsen überraschend abgesagt habe. In dem Verein sind Schutzhäuser und Beratungsstellen organisiert, 21 Träger zählen zu den Mitgliedern.
Kurzfristig sollten sieben neue Schutzplätze in Sachsen entstehen
„Noch im Mai war uns vom Ministerium signalisiert worden, dass wir die Kapazitäten ausbauen könnten“, sagt Lisa Rechenberg. Sie arbeitet in der Fachstelle Häusliche Gewalt der LAG. „Wir haben deswegen einen Aufruf bei unseren Mitgliedern gestartet. Neue Schutzwohnungen sind inzwischen gefunden, die Verträge waren fertig. Nun hat sich alles zerschlagen.“
Konkret sollten sieben neue Schutzplätze kurzfristig entstehen. Plätze, die laut der LAG einen Unterschied machten. „Die Mitgliedsvereine sind dem Bedarf nachgegangen, den sie täglich in ihrer Arbeit sehen. Viele Häuser sind ständig belegt“, sagt Rechenberg. „Die sieben Schutzplätze, die über einen Neuantrag geschaffen worden wären, werden dringend benötigt.“
In Sachsen zu wenig Kapazitäten
In Sachsen gibt es vielerorts zu wenig Kapazitäten, um allen Schutzsuchenden zu helfen. Ende 2023 hatte beispielsweise die Koordinierungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt und Stalking (KIS) mitgeteilt, dass die Situation in Leipzig sehr angespannt sei. Andere Stellen stützten diese Einschätzung: Die Zentrale Sofortaufnahme der Frauenhäuser in Leipzig hat demnach viele Frauen und Kinder ablehnen müssen.
Eine sachsenweite Studie, die das Gleichstellungsministerium 2023 vorstellte, kam zu dem Ergebnis, dass 45 Prozent der Befragten häusliche Gewalt auf psychischer Ebene und 35 Prozent auf körperlicher Ebene erfahren haben. Der Aufruf, mehr Plätze zu schaffen, war und ist sehr groß.
Haushaltssperre für Sachsens Landesregierung
Schuld an der aktuell verfahrenen Situation ist die Haushaltssperre für die Landesregierung, die Finanzminister Hartmut Vorjohann (CDU) vor Wochen verhängt hat. Seitdem gilt: Weil die Steuereinnahmen hinter den Erwartungen zurückblieben, sollen die Ministerien insgesamt 265,1 Millionen Euro einsparen. Vorgaben für die Einsparungen gibt es im Detail nicht. Aber die Sparziele müssen eingehalten werden. Zudem wurden auch Finanzierungszusagen für die kommenden Jahre gestoppt.
Beim Justiz- und Gleichstellungsministerium sieht man deswegen die Verantwortung beim Finanzressort – und den Trägern selbst. „Die von den Trägern bis Mai vorgeschlagenen Kapazitätserweiterungen sind im zukünftigen Doppelhaushalt abgebildet und werden entsprechend realisiert“, heißt es mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen.
Linke kritisiert den Ausbaustopp
Ein Ministeriumssprecher betont zudem, man habe im Mai der LAG nicht mitgeteilt, dass ein kurzfristiger Ausbau weiterhin möglich sei. „Nachträglich eingereichte Wünsche zum Kapazitätsaufbau“ könnten erst nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen berücksichtigt werden, sobald auch eine Entscheidung über die Haushaltssperre getroffen sei. Die Entscheidung obliege aber dem Finanzministerium.
Es ist doch absurd, dass bereits angebahnte Mietverträge jetzt nicht zustande kommen sollen, weil Finanzminister Vorjohann den Daumen senkt.
Sarah Buddeberg und Susanne Schaper (Linke) – Mitglieder der Landtagsfraktion
In der Opposition ist man damit nicht zufrieden. Die Linksfraktion kritisiert die aktuelle Situation und den De-Facto-Ausbaustopp der Schutzräume.
Kleine Anfrage an die Regierung geplant
„Es ist doch absurd, dass bereits angebahnte Mietverträge jetzt nicht zustande kommen sollen, weil Finanzminister Vorjohann den Daumen senkt“, sagen die Linken-Landtagsabgeordneten Sarah Buddeberg und Susanne Schaper. Die neue Koalition muss dafür sorgen, dass der Gewaltschutz deutlich verbessert wird und das benötigte Geld fließt. Wenn Kürzungen die mühsam aufgebauten Beratungsstellen, Interventionsstellen und Schutzwohnungen gefährdeten, würde uns das um Jahrzehnte zurückwerfen.“ Mithilfe einer Kleinen Anfrage an die Landesregierung hofft die Linke nun, mehr Informationen über den Fall zu bekommen.
An der Gesamtzahl der verfügbaren Schutzplätze wird das vermutlich wenig ändern. Bei der LAG ist man deswegen regelrecht schockiert: „Das Ganze ist ein Desaster“, sagt Lisa Rechenberg von der Fachstelle Häusliche Gewalt. „Das lässt die Träger unprofessionell dastehen und bringt nicht nur uns in eine schwierige Lage. Es ist schon schwierig genug, überhaupt entsprechende Räumlichkeiten zu finden. Dabei ist der Bedarf nach wie vor sehr hoch.“