„Es ist schrecklich da drinnen“: Schwere Vorwürfe gegen Dresdner Asylunterkunft
Maden im Zimmer, verschmierte Toiletten, Schlafkammern ohne Zimmerdecken: Die Zustände in der Asylunterkunft im Dresdner Industriegebiet seien unhaltbar, beklagt ein Geflüchteter.
Eine Pritsche steht in der Ecke des Raumes; die Kamera hält kurz drauf und schwenkt dann auf den grauen Boden. Weiße Punkte sind zu erkennen. Erst könnte man meinen, es ist die Maserung des Bodens. Doch dann geht die Kamera dichter heran: Die Punkte bewegen sich. Es sind Maden. Viele Maden.
Aufgenommen hat die Szene Abdallah Alqassass in der Asylunterkunft im ehemaligen Eventwerk in der Hermann-Mende-Straße im Dresdner Industriegebiet. Das Video und viele weitere, dazu auch Fotos, hat er unter anderem an die Sächsische Zeitung gesendet und einige auch ins Netz gestellt. Seit dem 22. Juli ist der 20-jährige Geflüchtete aus dem Gaza-Streifen in der Unterkunft untergebracht.
Maden, Dreck und Lärm: Kritik an Dresdner Asylunterkunft
Nach Deutschland sei er wegen des Kriegs im Gaza-Streifen geflohen. „Meine Mutter, mein Bruder und mein Vater sind noch dort“, sagt er. „Sie haben dort kein Internet. Ich weiß nicht, wie es ihnen geht – ich habe keine Verbindung zu ihnen.“ Kurz steigt seine Stimme an. Ein zweiter Bruder ist ebenfalls in Deutschland; ebenfalls in der Unterkunft in der Hermann-Mende-Straße.
Mit ihm steht Abdallah Alqassass an diesem Tag vor dem Gebäude. Er hat eine Mappe mit seinen Fotos aus der Einrichtung in der Hand. „It is horrible inside“, sagt er. Auf Deutsch: „Es ist schrecklich da drinnen“.
Als er am Ankunftstag in sein Zimmer geführt worden sei, habe er die vielen Maden entdeckt. Aber nicht nur die Maden seien ein Problem. Der 20-Jährige zeigt auch Videos der Toiletten: Eine Schüssel ist braun verschmiert, der Boden ist nass, Klopapier liegt auf dem Boden. „Überall da drinnen ist es dreckig“, sagt er.
Überwachungskameras in den Gängen
„Die Wände unserer Räume sind dünn, aus Pappe oder so etwas“, sagt er. „Es ist ständig laut, bis tief in die Nacht.“ Weil die Räume, in denen die Geflüchteten jeweils zu zweit untergebracht sind, keine Decken haben, können sie sich auch keinen ruhigen Ort suchen. Er studiere eigentlich Völkerrecht, sagt er. „Das Lernen ist so aber nicht möglich.“
In den Gängen im Gebäude hingen zudem Überwachungskameras, schildert Abdallah Alqassass. Er zeigt mehrere Fotos. „There is no privacy“, beklagt er. „Wir haben keine Privatsphäre.“ Auch die Gemeinschaftsduschen spielen eine Rolle: Es gibt keine Einzelkabinen. Zudem sei das Essen ein Problem. Es gebe oftmals nur eine Portion Reis oder Kartoffeln, nichts dazu. Auf seinem Handy zeigt er die Fotos der Teller. „Die Situation ist nicht menschenwürdig, sie ist untragbar“, sagt der junge Geflüchtete.
Während des Gesprächs vor dem Gebäude gesellt sich eine Frau dazu. „Ein Freund von mir wohnt ebenfalls hier“, sagt sie. „Manchmal schickt er mir nachts aus seinem Zimmer Sprachaufnahmen. Es klingt dann, als wäre er auf einem Rummel, so laut ist es.“ Auch ihr Freund habe ihr von Maden erzählt. „Er kann gerade nicht herkommen, er geht noch zur Schule“, sagt sie. Aber sie sei vor kurzem gemeinsam mit ihm in die Uniklinik gefahren, weil er Pusteln am Körper hatte. Das Ergebnis der Ärzte: „Hier sind Bettwanzenbisse nicht auszuschließen“, heißt es in dem Befund.
Ausländerrat: „Das sind unhaltbare Zustände“
Die schwierige Situation in der Unterkunft in der Hermann-Mende-Straße ist auch unter Flüchtlingshelfern ein Thema. „Immer wieder kommen Leute verzweifelt zu uns und wollen dort weg“, schildert ein anonymer Helfer. Der Name ist der Redaktion bekannt.
„Wo fange ich an?“, fragt auch Christian Schäfer-Hock vom Ausländerrat. „Das ist alles nicht neu.“ Auch er habe von den Problemen gehört: Maden, Dreck, Lärm, Zimmer ohne Decken, die vielen Überwachungskameras. „Jede Sache für sich ist unmenschlich“, sagt er. „Die Unterbringung von Geflüchteten ist oft prekär. Hier aber gibt es systematische Probleme.“ Dies sei auch nicht mit der Lage in anderen Unterkünften vergleichbar. „Das sind unhaltbare Zustände. Man kann das nicht unter der Decke halten.“
Ähnlich äußert sich auch Osman Oğuz vom Sächsischen Flüchtlingsrat. Er habe die Unterkunft besucht. Sein Fazit: „Das ist kein Ort zum Leben.“ Als provisorische Lösung für ein paar Tage vielleicht. „Aber hier leben einige Menschen bereits seit 18 Monaten“, sagt er.
Auf die unzähligen Probleme habe Abdallah Alqassass auch bereits mehrere Menschen aufmerksam gemacht. Darunter Florian Zweig, Eigentümer des Gebäudes und Gesellschafter des Betreibers, der Golden Door GmbH. Es gab ein Gespräch, sagt Abdallah Alqassass. „Darin wurde mir vom Eigentümer gedroht, ich dürfe das alles nicht veröffentlichen“, sagt er.
Doch was ist dran an der Aussage? Florian Zweig habe Abdallah Alqassass nach eigenen Angaben „darauf hingewiesen“, dass er „erforderlichenfalls mit gerichtlicher Hilfe Unterlassungsansprüche gegen ihn geltend mache, wenn er die Organisation oder verbundene Unternehmen durch unwahre Tatsachen und manipulierte Fotos zu diskreditieren versucht“, so der Eigentümer. Damit meine er, dass die Toiletten nicht immer in so einem schlechten Zustand seien.
Stadt Dresden kein Fall von Ungeziefer bekannt
Für alle weiteren Fragen verweist Zweig an die Dresdner Stadtverwaltung. Auch die European Homecare, die die Unterkunft im Auftrag der Golden Door GmbH betreibt, verweist an die Stadt.
Die Stadt Dresden indes weist die Vorwürfe zu den Maden von sich: „In der Gemeinschaftsunterkunft gibt es turnusmäßige Schädlingskontrollen durch Schädlingsbekämpfer. Diese waren zu keiner Zeit positiv“, erklärt Stadtsprecher Alexander Buchmann. Es seien auch keine Beschwerden über Ungeziefer von anderen Klienten bekannt. 236 Menschen leben dort derzeit. Auch ein Fall von Bettwanzen sei nicht bekannt. „Es ist jedoch grundsätzlich nicht auszuschließen, dass es in Gemeinschaftsunterkünften zu einem solchen Befall kommen kann.“ Den Maden könne eine unsachgemäße Lagerung von Lebensmitteln zugrunde liegen.
Die Gemeinschaftsflächen der Unterkunft würden täglich mehrfach durch externe Reinigungsunternehmen gesäubert, teilt die Stadt mit. Die Kontrolle der Sanitärräume erfolge zweimal täglich. „Für die Sauberkeit in den Schlafräumen, die jeweils mit zwei Personen belegt sind, ist jeder Bewohner selbst verantwortlich“, so Alexander Buchmann. Die Trennwände zwischen den Zimmern stammten aus dem Messebau.
Geflüchteter hat nach dem Gespräch Hausverbot
Während er spricht, wirft Abdallah Alqassass immer wieder einen Blick über die Schulter, in Richtung Heim. „Die fotografieren uns“, sagt er, mit Blick auf die Security. „Ich weiß nicht, was gleich passiert, aber ich habe Angst.“ Wenig später schickt er eine Nachricht via Whatsapp: Ein Foto ist darauf zu sehen. „Hausverbot“ steht darüber: Abdallah Alqassass wurde rausgeworfen. „Wegen der Fotos, die ich veröffentlicht habe“, vermutet er.
Florian Zweig bestätigt den Rauswurf. Er habe das Hausverbot aber nicht wegen der Fotos und Videos erteilt, sondern weil Abdallah Alqassass „versucht hat, Verantwortliche unter Druck zu setzen, mit dem Ziel, ihm und seinem Bruder eine Wohnung außerhalb einer Gemeinschaftsunterkunft zur Verfügung zu stellen“. Die Behauptung, er habe Hausverbot bekommen, weil er Fotos und Videos gezeigt habe, entspreche nicht der Wahrheit.
Zu dem konkreten Vorfall will sich die Stadt nicht äußern. Ganz generell sei das aber erlaubt, sofern eine Person Beeinträchtigungen oder Gefahren für andere Nutzer der Einrichtung sind oder wenn sie „nachhaltig den Hausfrieden stören“.
Nach dem Gespräch geht Abdallah Alqassass nicht in die Unterkunft zurück; er läuft zur Straßenbahn. „Erstmal zu einem Freund“, sagt er. Danach? „Das weiß ich noch nicht.“