Ehemaliger Eutritzscher Freiladebahnhof – Sorge um Großbauprojekt in Leipzig: Wiener Immobilienfirma rutscht in Pleite

Der ehemalige Eutritzscher Freiladebahnhof gilt als das größte städtebauliche Projekt in Leipzig – doch nun sorgt die Pleite des Immobilienentwicklers Imfarr für neue Unruhe.

Die Pleite des Wiener Immobilienentwicklers Imfarr hat neue Unruhe um Leipzigs größtes Städtebauprojekt ausgelöst. Das österreichische Unternehmen, nach eigenen Angaben Eigentümer des Projektes, hat beim Handelsgericht Wien ein Insolvenzverfahren beantragt. Das geht aus einer Mitteilung des österreichischen Kreditschutzverbandes KSV1870 hervor.

Die Nachricht hat in Branchenkreisen Unruhe ausgelöst. So schrieb das „Handelsblatt“, das Großprojekt in Leipzig stehe nun vor einer ungewissen Zukunft. Der geplante Baubeginn in diesem Jahr sei kaum noch zu halten.

„Glücklicherweise keine Auswirkungen“ durch Insolvenz

Doch offenbar gibt es nach Informationen der LVZ vorsichtige Entwarnung. Auf Nachfrage sagte Holger Tschense, Generalbevollmächtigter der für das Projekt verantwortlichen L 416 GmbH: „Diese Insolvenz hat glücklicherweise keine Auswirkungen auf die L 416 und die L 416 Management und damit auch keine auf unser Bauprojekt Freiladebahnhof“.

So habe der Hedgefonds Oaktree Capital Management Anfang des Jahres alle Anteile der Imfarr an der L 416 übernommen. Oaktree habe gemeinsam mit Banken die Projektfinanzierung vorfristig bis Ende 2025 sichergestellt. „Das heißt, Projektentwicklung und Partnersuche gehen wie bisher weiter“, sagte Tschense. Verhandelt werde gegenwärtig mit vier, fünf potenziellen Investoren, die in Teilbereichen erste Wohn- und Geschäftshäuser errichten könnten. Für Ende des Jahres kündigte Tschense den Beginn der Erschließungsarbeiten im Bereich Roscherstraße/Eutritzscher Straße an.

Hedgefonds sind Investmentfonds, die abseits der Börse gehandelt werden und unter oft hohem Risiko das Ziel verfolgen, eine maximale Rendite zu erzielen. Oaktree lehnte auf LVZ-Anfrage zweimal ab, zu den Vorgängen Stellung zu beziehen. „Kein Kommentar“, hieß es aus London.

Stadt Leipzig prüft mögliche Folgen

Das Leipziger Rathaus äußerte sich indes eher zurückhaltend. „Welche Folgen die Insolvenz des Wiener Immobilienentwicklers Imfarr Beteiligungs GmbH für die Entwicklung am ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhof nach sich zieht, wird in den kommenden Tagen rechtlich geprüft werden“, teilte das Dezernat Stadtentwicklung und Bau auf Anfrage mit.

Dazu gehöre auch, „ob Schritte im Rahmen des Insolvenzverfahrens seitens der Stadt zu veranlassen sind“. Die Stadt verwies ferner auf die Leipzig 416 GmbH als Vertragspartnerin der Kommune.

Immobilienbranche steckt in der Krise

Grund für die Pleite der Imfarr sind laut österreichischem Kreditschutzverband die aktuellen Verwerfungen auf dem Immobilienmarkt, die das Unternehmen „besonders schwer getroffen“ hätten. So hätten etwa die gestiegenen Zinsen die Finanzierungskosten erhöht und zu einer geringeren Nachfrage geführt. Projekte seien daher „nicht im geplanten Umfang bzw. im geplanten Zeitrahmen umgesetzt und fertiggestellt“ worden. Die Imfarr ist mit 600 Millionen Euro verschuldet und strebt nun eine Sanierung ohne Eigenverwaltung an.

In Deutschland war die Imfarr bisher an prestigeträchtigen Immobilienprojekten beteiligt, so auch am Freiladebahnhof in Eutritzsch. Auf der heutigen Brachfläche sollen rund 2600 Wohnungen entstehen, darunter 750 Sozialwohnungen. Ebenso geplant sind 100.000 Quadratmeter an Gewerbe- und Büroflächen sowie Bauten für Soziales und Kultur.

Das größte Bauvorhaben der Stadt ist seit jeher von Problemen geplagt. Mehrfach wechselte es den Besitzer, bis die Wiener Imfarr das Gelände im Jahr 2019 von der CG-Gruppe erworben hatte. Der Preis war über die Jahre immer wieder angestiegen, Imfarr hatte seinerzeit 195 Millionen Euro gezahlt. Zudem wechselte der Investor mehrfach. Nun ist offenbar der Hedgefonds Oaktree Capital Management am Projekt beteiligt.


Mark Daniel 24.07.2024

Chronologie des Falls: Was ist los am Eutritzscher Freiladebahnhof in Leipzig?

Die Baugeschichte des Eutritzscher Freiladebahnhofs in Leipzig ist eine unrühmliche und scheint kein Ende zu finden. Statt einem Wohnviertel gibt es Spekulationen, Verzögerungen und Insolvenz. Ein Überblick.

Leipzig. Das Areal auf dem früheren Eutritzscher Freiladebahnhof sollte ein Vorzeige-Stadtviertel für Leipzig werden. Stattdessen steht es für eine Gemengelage aus Spekulationen, Verzögerung und Insolvenz. Eine Übersicht über die scheinbar endlose Geschichte zu einem der größten Wohnungsbauprojekte in Ostdeutschland.

2005 – Vermögensverwaltung übernimmt

2005 gab der Eigentümer Deutsche Bahn die Flächen für 2,1 Millionen Euro an einen Vermögensverwalter ab. Als „Preußischer Freiladebahnhof“ hatte das 25 Hektar große Areal ab 1905 dem Be- und Entladen von Güterzügen gedient. Aus DDR-Zeiten stammt die neue Bezeichnung des Eutritzscher Freiladebahnhofs, abgeleitet von einem kleinen Bahnhof für den Industrie-Stadtteil Eutritzsch.

2015 – Neues Stadtviertel für Leipzig?

Die CG-Gruppe des Unternehmers Christoph Gröner kauft das Gelände für 33 Millionen Euro. Erklärtes Ziel: am Standort ein neues Stadtviertel entwickeln.

2017 – Stadt Leipzig und CG-Gruppe präsentieren Vertragsentwurf

Die Stadt Leipzig und die CG-Gruppe stellen den Entwurf für einen städtebaulichen Vertrag vor. Laut der damaligen Stadtbaurätin Dorothee Dubrau wird der Freiladebahnhof zu einem Modellprojekt, der ersten „kooperativen Baulandentwicklung“ in Leipzig. Das bedeute zusätzliche Kosten für den Investor. Unter anderem müsse er die komplette Planung und Erschließung finanzieren, auf vier Hektar Grünflächen schaffen und sie der Stadt gratis überlassen. An den Herstellungskosten für 330 Kita-Plätze und eine vier- bis fünfzügige Grundschule werde der Investor prozentual beteiligt. CG-Prokurist Ulf Graichen sagt dazu: „Ohne eine bunte soziale Mischung und ohne Verantwortung für die Umwelt kann man ein so großes Vorhaben nicht zum Erfolg führen.“

2018 – Stadtrat will Nachverhandlung

Der Stadtrat erteilt auf Initiative von Grünen, Linken und SPD an die Verwaltung den Auftrag, den Vertrag mit dem Investor nachzuverhandeln. Unter anderem werden die Kündigung des Clubs So&So sowie Entmietungen der Gewerbeflächen kritisiert, „weil sie in keiner Weise mit dem Ergebnis des umfangreichen Bürgerbeteiligungsprozesses zusammenpassen“, so Franziska Riekewald (Linke). Trotz Demo von 2 500 Menschen und einer Petition zum Erhalt des Clubs setzt der Investor seine Interessen durch.

2019 – Freiladebahnhof in Leipzig-Eutritzsch weiterverkauft

Ende Januar schließt das So&So. Im LVZ-Interview kritisiert einer der beiden Betreiber das Vorgehen des Investors. „Das Aus hat mal wieder gezeigt, wie unerheblich breite Anstrengungen sein können, wenn es um Profit geht“, so Johannes Reis. Im März wird bekannt, dass die CG-Gruppe den Freiladebahnhof mit enormem Gewinn weiterverkauft hat – für 195 Millionen Euro an das österreichische Unternehmen Imfarr. Die Stadt ist negativ überrascht, kündigt Prüfungen zum Verkauf an und will die Ergebnisse erst im März 2020 vorlegen. Im LVZ-Interview droht CG-Chef Gröner wegen der zeitlichen Verzögerung von Prozessen im Rathaus: „Wenn die Stadt das Verfahren weiter verschleppt, wird sie Schadensersatz bezahlen.“

2020 – Stadt Leipzig und neuer Investor im Konflikt

Die Corona-Pandemie verlangsamt den Prozess weiter. Manager Nematollah Farrokhnia, der die Imfarr-Gruppe aus Österreich vertritt, betont in einem Brief an OBM Burkhard Jung (SPD), es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die beteiligten Dezernate mehrfach fest zugesagte Termine nicht eingehalten hätten. Aus dem März-Termin für den Ratsbeschluss wurde der 8. Juli, dann der 16. September. Die Verwaltung spricht nun von Oktober – obwohl über alle wesentlichen Verhandlungspunkte mit Imfarr längst Einvernehmen bestehen soll. Farrokhina droht mit dem „Abbruch des Vorhabens mit allen Konsequenzen für die Stadtentwicklung“. Aus dem Rathaus heißt es, alles sei „auf einem guten Weg“. Zu einer Einigung kommt es im November. Der Bau soll laut Imfarr Anfang 2022 beginnen.

2021 – 60-fache Wertsteigerung des Leipziger Geländes in 16 Jahren

Imfarr gibt bekannt, 50 Prozent der Finanzierungsgesellschaft für den Eutritzscher Freiladebahnhof verkauft zu haben – an die Nokera AG des Schweizer Unternehmers Norbert Ketterer, über ihren Ableger Gateway Real Estate. Diese sollte Verbindlichkeiten im Wert von 210 Millionen Euro übernehmen. Nach dem Herausrechnen von kleinen Zugewinnen bedeutet das eine Wertsteigerung des Freiladebahnhofs von 2,1 Millionen um das 60-fache innerhalb von 16 Jahren – ohne dass dort ein Haus gebaut wurde. Anfang 2023 jedoch tritt Gateway Real Estate vom Kaufvertrag wieder zurück.

2023 – Verzögerung durch Wohnungsbaukrise

Das Bauprojekt mit 2600 geplanten Wohnungen, Gewerbe- und Büroflächen von fast 100.000 Quadratmeter sowie Bauten für Soziales und Kultur steht auf der Kippe. Holger Tschense vom Vorhabenträger L 416 GmbH warnt Anfang Juli: „Wenn der Stadtrat in dieser Woche kein Baurecht für den Freiladebahnhof erteilt, könnten die Finanzierungspartner abspringen, dann droht eine Pause auf unbestimmte Zeit.“ Der Beschluss wird gefasst, doch für Verzögerungen sorgt auch die Wohnungsbaukrise aufgrund in die Höhe geschossener Kosten.

2024 – Baustart geplant

Ende Mai versichert der Eigentümer des Freiladebahnhofs auf LVZ-Nachfrage, die Erschließungsarbeiten für das neue Quartier würden noch dieses Jahr starten, die Finanzierung dafür sei geklärt. Im Juli wird bekannt, dass Imfarr Insolvenz angemeldet hat. Befürchtungen, der Baubeginn platze erneut, tritt Holger Tschense entgegen. Der Generalbevollmächtigte der L 416 GmbH – seit Anfang des Jahres zum Hedgefonds Oaktree Capital Management gehörend – sagt:

„Die Insolvenz hat keine Auswirkungen auf die L 416 und die L 416 Management und damit auch keine auf unser Bauprojekt Freiladebahnhof.“ Oaktree habe gemeinsam mit Banken die Projektfinanzierung vorfristig bis Ende 2025 sichergestellt. Die Stadt kündigt an, die Folgen der Imfarr-Insolvenz in den kommenden Tagen rechtlich prüfen zu lassen.