Landkreis Bautzen: So erleben junge Menschen Angriffe der rechten Szene

Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Landkreis Bautzen schildern, wie sie Angriffe aus der rechten Szene erleben. Vorfälle gibt es vor allem in Bautzen, aber nicht nur.

Es ist die nächste Sachbeschädigung am Jugendclub „Kurti“ in Bautzen. In der Nacht zum 14. Juni 2024 haben bislang Unbekannte hier die Scheibe der Eingangstür eingeworfen. Die Bautzener Wohnungsbaugesellschaft (BWB) als Eigentümerin des Gebäudes in der Kurt-Pchalek-Straße hat Anzeige erstattet, wie Geschäftsführerin Kirsten Schönherr bestätigt. Die Polizei ermittelt.

Laut dem Projekt „Support“ für Betroffene rechter Gewalt des Vereins RAA Sachsen haben „etwa fünf vermummte Personen nachts gegen 4/4.30 Uhr die Scheibe der Eingangstür zum Jugendclub Kurti eingeschlagen“. Dabei sollen sie Parolen wie „Scheiß Antifa“ gerufen haben. Zwei Personen seien dabei beobachtet worden, „wie sie an die Tür des Jugendclubs spuckten“.

„Kurti“ in Bautzen ist immer wieder Ziel rechter Angreifer

Junge Menschen, die dort verkehren, wundert der Vorfall nicht. Mehrere Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Landkreis Bautzen haben mit Sächsische.de über ihre Erfahrungen mit Angriffen oder Bedrohungen gesprochen. Meist ordnen sie die Täter der rechten Szene zu. Weil sie ihre Namen nicht öffentlich nennen wollen, tragen sie in diesem Text andere.

Das „Kurti“ in Bautzen sei ein beliebtes Ziel der Angreifer. Der Mittzwanziger Rico spricht von „einem krassen Erstarken von Gewalt gegen nicht rechts gerichtete Jugendliche“. Das sei früher schon mal der Fall gewesen, Angriffe auf Jugendclubs gehörten dazu.

Dass die rechte Szene ihre Sticker am „Kurti“ hinterlasse, gehöre zum Alltag, sagt Rico. Er habe auch schon erlebt, dass er vor dem „Kurti“ stand und eine Gruppe vermummter Personen gezielt auf den Jugendclub zugekommen sei und gegen die Rollläden getreten habe. Diese Personen seien klar der rechten Szene zuzuordnen und teils polizeibekannt.

Neuer Bautzener Kreisrat gehört zur rechten Szene

Dazu würden etwa Mitglieder der vom Verfassungsschutz als neonationalsozialistisch eingestuften Gruppe „Balaclava Graphics“, darunter Benjamin Moses, gehören, die versuchten, „sehr organisiert unsere Strukturen und den geschützten Raum kaputtzumachen“. Moses wurde als Kandidat der Liste Bündnis Oberlausitz/Freie Sachsen am 9. Juni 2024 in den Bautzener Kreistag gewählt.

Da sich das „Kurti“ klar gegen „rechts“ ausspreche, sei es Ziel dieser Angreifer, sagen die Jugendlichen. Das führe dazu, dass der Jugendclub manchmal schließen müsse. Das Gefahrenpotenzial sei einfach zu groß. Kevin befürchtet, dass es nicht bei Sachbeschädigungen bleibt.

Die Angreifer seien zum Teil mit Schlagstöcken, Messern oder Quarzhandschuhen bewaffnet, und man müsse damit rechnen, dass sie diese auch benutzen. In den vergangenen Monaten seien mehrfach Gruppen von bis zu 25 Personen aus verschiedenen Kreisen der rechten Szene in Bautzen auf das „Kurti“ zugekommen und hätten etwa „Deutschland den Deutschen“ oder „Sieg Heil“ skandiert. Die Altersspanne der Angreifer reiche von etwa 12 bis 50 Jahre.

Rechte Szene auch in Wilthen und Bischofswerda aktiv

Marie ist regelmäßig in Bautzen unterwegs. Die 18-Jährige erzählt, dass sie am Bahnhof von fünf Männern Mitte 20 beleidigt worden sei, weil sie zur LGBTQ-Szene gehöre und einen Anstecker in Regenbogenfarben an ihrem Rucksack getragen habe. Von Jugendlichen sei sie auch schon bespuckt worden. Auch sie ordnet diese Personen der rechten Szene zu. Wenn sie abends oder nachts in Bautzen unterwegs ist, trage sie diesen Anstecker nun nicht mehr.

Laut RAA-Geschäftsführerin Andrea Hübler bildet die Stadt Bautzen innerhalb des Landkreises den Schwerpunkt für rechtsmotivierte Gewalt. Dem RAA sind zehn Fälle aus dem Jahr 2023 bekannt, davon drei Angriffe auf nichtrechte oder alternative und politische Gegner*innen, ein Fall mit unbekanntem und sechs Angriffe mit rassistischem Motiv.

Doch Übergriffe gibt es nicht nur in Bautzen. Die Halbsyrerin Zadie ist Mitte 20 und vor einigen Jahren aus Bayern nach Ostsachsen umgezogen. Bei manchen Vorfällen in Bautzen sei sie dabei gewesen, aber auch in Wilthen jüngeren Neonazis begegnet. Am dortigen Skateplatz seien sie und ihre Begleiter mit Parolen wie „Zecken klatschen“ konfrontiert worden. Auch in Bischofswerda gebe es eine große und präsente rechte Szene, die mit Bautzen gut vernetzt sei, sagt Kevin.

Homosexueller Jugendlicher berichtet von Bedrohungen

Hakan sieht sich weniger wegen seiner halbtürkischen Herkunft von rechten Jugendlichen bedroht. „Bei mir ist es meine Homosexualität“, sagt der Jugendliche, der in einem Dorf im Landkreis Bautzen wohnt. „Sie fragen mich, was ich hier zu suchen hätte, oder schreien mir Beleidigungen hinterher.“

Er versuche, diese Begegnungen zu vermeiden. Das funktioniere aber nicht immer, etwa beim Busfahren. Er habe das auch mal der Polizei angezeigt, aber erst nach vier Monaten Antwort und die Aufforderung bekommen, die Täter zu beschreiben.

Gesellschaft sollte Haltung zeigen und sich einmischen

Auch Kevin sagt, er habe sich schon an die Polizei und natürlich an „Support“ gewandt, aber das löse die Probleme mit der rechten Szene nicht. Er wünscht sich mehr Aufklärung. Zumindest in Bautzen wäre es ein Thema für den Stadtrat und für die Schulen, findet er.

„Es ist wieder salonfähig geworden, diese Botschaften zu verbreiten, auch bei jungen Menschen, die es vielleicht witzig meinen. Das ist es aber nicht, sondern es handelt sich um Rassismus und Sexismus.“ Gerade diese Jugendlichen müsse man erreichen, bevor sie Jugendclubs attackieren und sich an Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung beteiligen.

Marie fordert die Gesellschaft auf, Haltung zu zeigen und sich einzumischen. „Jeder kann etwas dazu beitragen, zum Beispiel kein Arschloch oder Nazi zu sein. Wir sollten uns nicht beschimpfen und gegenseitig so akzeptieren, wie wir sind.“


18.06.2024

Linken-Bürgerbüro in Bautzen angegriffen

Unbekannte warfen in der Nacht zum 18. Juni 2024 einen Pflasterstein an die Scheibe des Bautzener Büros der Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay. Nicht die erste derartige Tat.

Das Bautzener Bürgerbüro der Lausitzer Linken-Bundestagsabgeordneten Caren Lay ist in der Nacht zu Dienstag, dem 18. Juni 2024, angegriffen worden. Unbekannte haben mit einem Pflasterstein die Schaufensterscheibe des Büros in der Schülerstraße beworfen, teilt die Politikerin mit.

Der Stein hat die Scheibe nicht durchdrungen. Sie ist jedoch beschädigt und müsse ersetzt werden. Der Schaden wird mit etwa 1.000 Euro beziffert.

Am Dienstagvormittag hat eine Wahlkreismitarbeiterin die Beschädigung entdeckt und die Polizei informiert. Es wurde Anzeige wegen Sachbeschädigung erstattet.

Es sei die 12. Attacke in Bautzen und insgesamt der 30. Angriff auf eines ihrer beiden Wahlkreisbüros in Bautzen und Hoyerswerda seit 2010, erklärt Caren Lay. „Ich verurteile den Angriff scharf und gehe von einer politisch motivierten Tat aus. Auf meine Arbeit im Wahlkreis wird dies jedoch keinen Einfluss haben, von solchen Vorfällen lasse ich mich nicht einschüchtern.“


David Berndt 26.04.2024

Einfluss von Rechtsextremisten in Bautzen nimmt zu

Angehörige der rechtsextremistischen Szene zeigen in Bautzen immer mehr Präsenz. Dazu gehört auch der „Jugendblock“. Wer dahintersteckt und wie gefährlich das ist.

Sie fallen vor allem durch ausländerfeindliche Banner und Parolen auf – eine Gruppe vornehmlich Jugendlicher und junger Erwachsener, die sich an den Umzügen der „Mahnwache Bautzen“ beteiligen. Sie gehören laut dem Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) dem sogenannten „Jugendblock“ und der Gruppe „Balaclava Graphics“ an. Sie heben sich „deutlich vom übrigen Demonstrationsgeschehen bei den Montagsprotesten in Bautzen ab“, so ein LfV-Sprecher.

Der „Jugendblock“ sei Beobachtungsobjekt der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene, die Zahl der zugehörigen Personen liege aktuell im mittleren zweistelligen Bereich. Bei „Balaclava Graphics“ handele es sich um eine Gruppe der neonationalsozialistischen Szene, die maßgeblich durch einen bekannten Rechtsextremisten beeinflusst werde, „der seit mehreren Jahren Online-Plattformen für die Mobilisierung für Versammlungen zur Verfügung stellt“. Bis zur Umbenennung fand dies unter dem Namen „Stream BZ“ statt.

Rechtsextremistischer Einfluss auf Proteste

In Bautzen zeigen sich diese Personen im Umfeld der Veranstaltungen, die sich gegen Rechtsextremismus richten, sowie regelmäßig als Teilnehmer der Montagsproteste. Am 12. Februar 2024 etwa zogen sie mit „Lügenpresse“-Rufen durch die Bautzener Innenstadt.

Am 15. April 2024 hat die Teilnehmerzahl laut LfV gar im dreistelligen Bereich gelegen. „Zurückzuführen ist dies auf die Teilnahme von Rechtsextremisten auch aus anderen Landkreisen, die zuvor in den Sozialen Medien intensiv für den Protest mobilisiert hatten“, heißt es vom LfV. In den Sozialen Medien und bei Veranstaltungen wie den Montagsprotesten versuche die Szene, neue Anhänger zu gewinnen. Sowohl der „Jugendblock“ als auch „Balaclava Graphics“ versuchen laut LfV „offensiv, das Protestgeschehen rechtsextremistisch zu beeinflussen und so in nicht extremistische Milieus hineinzuwirken“.

Rechtsextremistische Szene in Bautzen schüchtert ein

Das beobachtet auch das mobile Beratungsteam (MBT) des Kulturbüros Sachsen für die Landkreise Görlitz und Bautzen. Die Mitarbeiter registrieren „massiv eine rechte Raumnahme“ durch Sticker und Graffiti sowie persönliche Präsenz dieser Personen bei Veranstaltungen von „Happy Monday“ in Bautzen, aber auch an anderen Wochentagen. Die Teilnehmer würden öffentlich verfassungsfeindliche Zeichen wie den Hitlergruß oder auch erhobene Fäuste zeigen. „Das nehmen Menschen wahr, manche bekommen Angst und lassen sich einschüchtern“, so das MBT.

Dies zeige sich vor allem an Montagabenden im Umfeld der Versammlungen der „Mahnwache Bautzen“ in der Innenstadt. Geschäfte würden dann bewusst deutlich früher oder später schließen als üblich, damit deren Angestellte nicht während der Versammlung nach Hause gehen müssen.

Das MBT beobachtet eine stärkere Präsenz und Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene, vor allem seit die Demos für Vielfalt und Demokratie und gegen Rechtsextremismus Anfang 2024 begonnen haben. Das Auftreten der Beteiligten sei dabei bewusst weitestgehend einheitlich. Sie zeigen sich in schwarzer Kleidung ohne die sonst üblichen Symbole und Erkennungszeichen der rechtsextremistischen Szene. Das gelte etwa für den Angriff auf eine Veranstaltung zu Ostern in Ralbitz-Rosenthal, die Präsenz am 15. April in Bautzen nach Aufruf etwa der Gruppe „Elblandrevolte“ und generell für die Teilnahme im „Jugendblock“.

„Jugendblock“: Teilnehmer teils jünger als zehn Jahre

Dieser zählt laut MBT 20 bis 30 Personen inklusive einer festen Mädchenclique von fünf bis sechs Teilnehmerinnen. Die meist Jugendlichen und jungen Erwachsenen würden aus dem Oberland und vor allem dem Bautzener Stadtteil Gesundbrunnen kommen und Anschluss suchen. Gefahr gehe von den Beteiligten ab 16 Jahren und älter aus. Der Kern sei im Alter zwischen 13 und 16 Jahren, die Jüngsten unter zehn.

Um damit professionell umzugehen, müsste die Stadt Bautzen viel mehr kleinteilige präventive Jugendarbeit mit mehr Personal außerhalb der Schule in den Stadtteilen machen, so das MBT. „Es geht um attraktive Angebote für junge Menschen, wenn sie draußen sind, also abends und an den Wochenenden.“

Laut der Polizeidirektion Görlitz gab es beim „Jugendblock“ in den vergangenen zwölf Monaten offenbar einen organisatorischen Umbruch. „Die Teilnehmenden wandelten sich dabei ebenso häufig wie auch das Erscheinen immer jüngerer Personen.“ Aus Sicht der Polizei sei es zu einem Zusammenkommen für Jugendliche aus Bautzen geworden. „Dabei sind viele der Jungen und Mädchen offenbar einfach nur da, damit sie dabei sind und weil sie jemanden kennen, der jemanden kennt.“

Rechtsmotivierte Gewalt nimmt in ganz Sachsen zu

Dass neben diesem Zusammenkommen die Gefahr durch die rechtsextremistische Szene zunimmt, zeigt die Auswertung der Opferberatung des RAA Sachsen (Regionale Arbeitsstellen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie). 2023 habe es 17 Fälle rechtsmotivierter Gewalt im Landkreis Bautzen gegeben, vier mehr als 2022. Zwölfmal sei „Rassismus“ das Tatmotiv gewesen. Die Stadt Bautzen sei mit zehn der 17 Fälle Schwerpunkt im Landkreis. Auch alle drei Angriffe auf Nichtrechte, Alternative und politische Gegner hätten sich in der Stadt ereignet.

Laut RAA hat sich die zunehmend gewalttätige rechte Raumnahme in Sachsen aus dem Jahr 2022 in 2023 fortgesetzt und weiter ausgebreitet. „Bedrohungen haben im Bereich der rechtsmotivierten Gewalt wieder eine zunehmende Bedeutung. Betroffene sollen eingeschüchtert werden – wie in Bautzen, wo Neonazis Jugendliche in einem Jugendclub umstellten und massiv bedrohten“, sagt Andrea Hübler, Projektleiterin der RAA-Opferberatung.