Prozess gegen Hooligan-Truppe „Starke Jugend“ gestartet: „Vorherrschaft“ des FC Erzgebirge Aue war ihr Ziel
Laut Generalstaatsanwaltschaft wollten sie die „Vorherrschaft“ des FC Erzgebirge Aue mit Gewalt durchsetzen. Die Staatsschutzkammer am Landgericht Dresden verhandelt seit Donnerstag gegen zwei mutmaßliche Rädelsführer sowie drei Mitglieder der Hooligan-Truppe „Starke Jugend“, die von der Anklage als kriminelle Vereinigung eingestuft wird.
Die „Starke Jugend“ wurde bereits 2020 als Ultra-Nachwuchstrupp aus dem Umfeld des Drittligavereins gegründet. Allerdings wurde sie 2022 „neu strukturiert“, wie der Staatsanwalt verlas.
Dabei agierten dann Paul B. (23) und Pascal Marvin P. (23) als Rädelsführer. Der Pflegefachkraft-Azubi und der Fußbodenveredler führten sozusagen ihre Anhänger in die Schlacht. „Feindliche“ Fußballanhänger wurden gezielt gesucht, massiv vermöbelt und ihrer Fan-Schals oder Trikots beraubt.
Wahlweise wurde „Rache“ dafür genommen, wenn Aufkleber von den Veilchenblauen von Laternenmasten gekratzt wurden. In eigenen Chats wurden Maßnahmen abgesprochen, ausgewertet und organisiert.
Um die „Starke Jugend“ schlagkräftig zu halten, wurde regelmäßig Kraftsport absolviert. Wer nicht erschien, musste mit Sanktionen rechnen.
Kurierfahrer Maurice A. (24) rekrutierte den Nachwuchs. Verfahrenstechnologe Elias W. (19) gab den Kassenwart. Paul B. hatte gar eine Wohnung samt Hausordnung organisiert. Jedes Mitglied zahlte 10 Euro „Miete“. Schüler Paul H. (18) war laut Anklage „einfaches“ Mitglied.
Opfer wurden teilweise erheblich verletzt
Oft in Überzahl griffen die Schläger ihre Opfer an. So im Mai 2022 drei Fans von Werder Bremen in Aue, als die ein Pub verließen. In Würzburg stürmten die „Erzgebirgs-Fans“ aus einem Transporter, als ein vermeintlicher Würzburg-Fan an der Ampel stehend entdeckt wurde.
In Schneeberg „kontrollierte“ die Truppe, vermummt und mit Quarzhandschuhen, drei Jungs, die sie als Feind von Aue ausgemacht hatten. Nach der „Kontrolle der Personalien“ durften die Opfer weiterziehen. Dafür wurden in einem Lehrlingswohnheim in Schneeberg Dynamo-Fans vermutet und immer wieder angegriffen und beschimpft.
In Zwickau wurden vermeintliche Fans mit dem Schlachtruf „Schnappt sie euch“ verdroschen, einer davon sogar mit einem Klappstuhl. Sämtliche Opfer wurden dabei zum Teil erheblich verletzt, erlitten Nasenbeinbrüche, verloren Zähne, kamen ins Krankenhaus.
Vor einem Jahr dann rückten über 100 Polizisten in Aue und Umgebung zu Razzien aus, drei Beschuldigte kamen sogar in U-Haft. Hinter Gitter sitzen derzeit Paul B. und Pascal Marvin P. immer noch.
Die Staatsschutzkammer hat nun 37 Verhandlungstage geplant, um eventuell im November Urteile fällen zu können. Bislang äußerten sich einige Angeklagte nur im Ermittlungsverfahren zu den Vorwürfen. Nun will die Kammer Zeugen hören. Der Prozess wird fortgesetzt.
Moritz Müllender TAZ 31. 5. 2023
Razzia gegen rechte Hooligans
Die Staatsanwaltschaft beschuldigt 34 „Brigade Jugend“-Mitglieder. Sie sollen Körperverletzung und Raub geplant haben.
Die Soko Rex der Polizei Sachsen durchsuchte am Mittwochmorgen die Objekte von fünf Personen im Erzgebirge. Drei nahm sie fest. Insgesamt 34 Mitglieder zählen laut Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) Dresden zu der kriminellen Vereinigung von Hooligans eines Fanclubs des FC Erzgebirge Aue.
Die GenStA Dresden und das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen erklären in einer Pressemittelung, die kriminelle Vereinigung bestehe mindestens seit Februar 2022, damals noch unter dem Namen „Starke Jugend“. Die Mitglieder seien zwischen 17 und 23 Jahre alt. Mittlerweile hat die Gruppe sich in „Brigade Jugend“ umbenannt. Das bestätigte eine Pressesprecherin der GenStA.
Laut GenStA und LKA plane die Gruppe Taten wie Körperverletzung und Raub – vor allem gegen andere Fangruppen. In der Vergangenheit habe die „Brigade Jugend“ bereits mehrere solcher Straftaten begangen. Vier von den fünf Personen, die die Polizei am Mittwochmorgen durchsuchte, seien außerdem durch rechtsextreme Straftaten aufgefallen, darunter Volksverhetzung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.
Der Verein bleibt vage
Der FC Erzgebirge Aue listet die „Brigade Jugend“ auf seiner Webseite als offiziellen Fanclub. Die Pressestelle des Fußballvereins übt sich aber in Zurückhaltung und Allgemeinplätzen. Zu den aktuellen Vorwürfen kenne man keine Details. „Grundsätzlich verurteilen wir jegliches radikales und extremistisches Gedankengut“, schreibt Pressesprecher Peter Höhne. Auf telefonische Nachfrage will er sich nicht äußern – ebenso wie das Fanprojekt Aue.
Aus Kreisen zivilgesellschaftlich Engagierter erfuhr die taz, dass es wohl in der Vergangenheit bereits rechte Vorfälle in der Fanszene um den FC Erzgebirge Aue gab. Auch damals haben die Fan-Organisationen wohl nicht sonderlich zu einer Aufklärung beigetragen.
Dieses Bild bestätigt Anna-Louise Lang. Lang ist Co-Autorin der „Situationsanalyse rechter und antidemokratischer Strukturen im Erzgebirgskreis“ des Else Frenkel-Brunswik Instituts an der Universität Leipzig. Es gebe wenig kritische Berichterstattung über die Verbindungen zwischen Fußballfans und rechter Szene. Zivilgesellschaftliche Akteure seien oft eingeschüchtert und äußerten sich kaum.
Lang habe den Eindruck, dass junge Menschen sich teils in der Fanszene von Rechten radikalisieren ließen. Auch sei auffällig, dass es Verbindungen zwischen rechten Fangruppen aus Aue, Zwickau und Chemnitz gebe. „Normalerweise sind die Vereine nicht gerade befreundet, da ist es schon überraschend, dass die rechten Fans hier zusammenarbeiten.“ Die Fangruppen hätten unter anderem eine Antifa-Demonstration in Zwönitz gegen Querdenker:innen angegriffen.
Zuspruch vom rechten Rand
Zuspruch erfährt die „Brigade Jugend“ vor allem aus der rechten und rechtsextremen Szene, aus den Reihen etwa der Freien Sachsen und der Organisation Ein Prozent. So sind die gleichen Personen, die am Mittwoch verhaftet worden sind, wohl bei einem Coronaprotest mit einem Angriff auf fünf Polizist:innen aufgefallen. Einen verletzten sie schwer. Die Polizei löste damals eine Party auf, bei der die Feiernden die Kontaktbeschränkungen missachteten.
Bei Redaktionsschluss war einer der drei Festgenommenem dem Haftrichter vorgeführt worden. Die übrigen zwei warteten darauf noch. Die Pressesprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Sabine Wyllegalla, sagt der taz: „Die Gruppe hat auf jeden Fall Gewaltpotenzial“. Der rechtsextreme Zusammenhang werde geprüft.