Landkreis Görlitz erstmals eine Schwerpunktregion rechtsextremer Gewalt
Sächsische Opferberatungsstelle registriert mehr Angriffe als noch im vorigen Jahr. Rechtsextreme erwerben zudem mehr Immobilien in Sachsen.
Im vergangenen Jahr haben Opferberatungsstellen in Sachsen deutlich mehr Fälle rechtsextremer Gewalt gezählt. Bei den fast 250 rechtsmotivierten Angriffen sei erstmals auch der Landkreis Görlitz zu einer Schwerpunktregion geworden, teilte die Regionale Arbeitsstellen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie (RAA) Sachsen am Freitag in Dresden mit.
Die meisten Angriffe, bei denen es sich überwiegend um Körperverletzungen, Nötigungen oder Bedrohungen gehandelt habe, gab es der RAA zufolge in Leipzig, Dresden und Chemnitz. Bei den Landkreisen fiel außer Görlitz negativ auf: Zwickau, Leipzig und Bautzen. Insgesamt seien 380 Personen von den Angriffen betroffen gewesen, hieß es. Die Zahl sowohl der Attacken als auch der Opfer stieg demnach um 21 Prozent im Vergleich zu 2022.
33 Angriffe hätten sich gegen politische Gegner gerichtet, berichtete die RAA. 29 Attacken galten Nichtrechten und Alternativen, 20 gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität, zwei gegen Wohnungslose und zwei gegen Menschen mit Behinderung. Einen deutlichen Anstieg hat RAA Sachsen mit sechs Angriffen bei antisemitisch motivierten Gewalttaten beobachtet, drei davon gegen Teilnehmer von Kundgebungen in Solidarität mit Israel nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. In 26 Fällen sei das konkrete Tatmotiv unklar gelblieben.
Rechtsextreme kaufen verstärkt Immobilien in Sachsen
Neue Zahlen legte auch die Linken-Politikerin Kerstin Köditz vor. Demnach hat die rechtsextreme Szene ihr Netz an Immobilien in Sachsen im vorigen Jahr erneut ausgebaut. Die Landtagsabgeordnete verweist dabei auf das Innenministerium, das derzeit 35 Objekte als „rechtsextremistisch genutzte Immobilien“ einstuft. Köditz zufolge sind das sieben mehr als 2022. Zudem sei das ein der höchste Stand seit Einführung der Analyse im Jahr 2017.
Jeweils fünf Anlaufpunkte gebe es im Landkreis Mittelsachsen sowie in Chemnitz. Das Innenministerium listete in einer Tabelle weitere Objekte auf, darunter das Aryan Brotherhood Eastside in Bautzen, einen Treffpunkt der Gruppierung Black Devils in Hoyerswerda und ein Vereinshaus des Nationalen Jugendblocks in Zittau.
Das Innenministerium räumte ein, dass zwei der aufgeführten Einrichtungen und Grundstücke der öffentlichen Hand gehörten. Weitere Erkenntnisse dürften aus Datenschutzgründen nicht mitgeteilt werden.
Kötitz sagte, mit dem Wegfall eines Gasthauses als Konzertstätte in Staupitz im Landkreis Nordsachsen habe die Szene „einen Dämpfer“ erhalten. Zudem registriere sie „ein entschlosseneres behördliches Einschreiten“. So seien 2023 sechs Musikevents aufgelöst oder bereits vor ihrem Beginn verhindert worden.
Ebenfalls am Freitag warnte der sächsische Landesrabbiner Zsolt Balla vor dem erstarkenden Antisemitismus. Dieser sei Gift „nicht nur für Juden, alle haben darunter zu leiden“, sagte der 45-Jährige. Antisemitismus sei nicht allein auf muslimische Zuwanderer zu reduzieren. Er existiere auch in der deutschen Gesellschaft „rechts und links“. Mit Blick auf Sachsen begrüßte Balla den unlängst erneuerten Staatsvertrag zwischen den jüdischen Gemeinden und dem Freistaat. Demnach wird das Land seine finanzielle Unterstützung für die Gemeinden ab 2025 von jährlich 1,07 Millionen Euro auf 2,1 Millionen verdoppeln.
10.06.2022
Wie Rechtsextreme sich in Sachsen einkaufen
Wer selbst ein Grundstück besitzt, muss sich nicht mit den Vorgaben anderer plagen. Rechte oder auch rechtsextreme Gruppierungen kaufen deshalb im Osten Immobilien als Rückzugsorte – auch in Sachsen.
Im „Königreich“ von Peter Fitzek packt der Monarch höchstpersönlich mit an. Auf einem Werbevideo des „Gemeinwohlstaates Königreich Deutschland“ sieht man ihn mit einem Baumstamm auf der Schulter durch einen verwilderten Garten laufen. „Meine Vision ist, dass wir ein eigenversorgtes Dorf hinbekommen, wo wir eigentlich alles das machen können, was man da draußen nur schwerlich tun kann“, sagt er in die Kamera.
Mit „draußen“ meint er die Bundesrepublik. „Drinnen“ ist demnach sein eigenes Reich. Seit wann gerade ein Königreich für Gemeinwohl steht, bleibt Fitzeks Geheimnis. Der Verfassungsschutz Sachsen rechnet ihn den „Reichsbürgern“ zu. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat ihm mehrfach unerlaubte Geschäfte seiner „Gemeinwohlkasse“ untersagt.
In Sachsen sind derzeit im ostsächsischen Bärwalde und in Eibenstock (Erzgebirge) „Gemeinwohldörfer“ im Entstehen. Dazu hat Fitzek, der aus Halle an der Saale stammt und sich selbst auch als Menschensohn bezeichnet, mit dem Geld seiner „Untertanen“ zwei heruntergekommene Schlösser gekauft. Nach seinen Vorstellungen sollen sich die Dörfer „unabhängig von alten Systemstrukturen versorgen“ und ein selbstbestimmtes Leben „ohne Impfpass, Maske und Zentralbankkonto“ ermöglichen. Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) ist alarmiert.
„Rechte Landnahme“ in Ostdeutschland nimmt zu
„Das ‚Königreich Deutschland‘ leugnet die geltende Rechts- und Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Es will pseudo- legitimierte Parallelstrukturen zu real existierenden staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen wie beispielsweise dem Steuer- und Finanzwesen sowie dem sozialen Sicherungssystem aufbauen“, schrieb LfV-Präsident Dirk-Martin Christian im März in einer Art Warn- Schreiben an Kommunalpolitiker. Fitzek sei für seine Ziele auf die Ersparnisse beziehungsweise Finanzeinlagen seiner „Bewohner“ zwingend angewiesen. Es bestehe die Gefahr, dass sich weitere extremistische, sektenähnliche Siedlungsgemeinschaften herausbildeten.
Tatsache ist, dass die „rechte Landnahme“ – so wird das Phänomen inzwischen genannt – vor allen in Ostdeutschland zunimmt. Während in Fitzeks „Königreich“ die Grenzen zu Verschwörungstheorien und Esoterik fließend scheinen, gilt anderswo rechte Ideologie als Markenkern. Nach Angaben des Verfassungsschutzes wirbt seit Februar 2020 etwa die „Initiative Zusammenrücken“ für die Ansiedlungen von Rechtsextremisten in „Mitteldeutschland“, vor allem im Raum Leisnig. In der Stadt, aber auch in umliegenden Gehöften, hätten sich in den vergangenen Jahren Rechtsextremisten mit ihren Familien angesiedelt.
Die Akteure kämen auch aus dem Westen, heißt es. „Sie zählen zur Neonazi-Szene, manche von ihnen gehören dem parteigebundenen rechtsextremen Spektrum an. Auch ehemalige Mitglieder der im Jahr 2009 verbotenen neonazistischen ‚Heimattreuen Deutschen Jugend‘ zählen dazu“, heißt es im Jahresbericht des Verfassungsschutzes. „Ziel ist es, einen an rassistischen und völkischen Ideen orientierten Lebensentwurf zu verwirklichen, der ein Zeichen gegen die von der Szene empfundene ‚Überfremdung‘ durch die Zuwanderer setzen soll.“
„Hier wird man noch als richtiger Deutscher akzeptiert“
Dafür scheint der ländliche Raum in Ostdeutschland bester Nährboden. Einer der Protagonisten der „Initiative Zusammenrücken“ hält Sachsen für ein ideales Gebiet, da „man hier noch als richtiger Deutscher akzeptiert“ werde und „als Volk in Ruhe wieder wachsen könne“, zitiert ihn der Verfassungsschutz im Lagebericht. Geworben wird etwa mit günstigen Bedingungen wie preiswertem Wohnraum, niedrigen Immobilienpreisen, ländlicher Abgeschiedenheit und geringen Zahlen an Migranten. Experten sehen in den Siedlungsprojekten zugleich ein Indiz für Bestrebungen, die rechtsextreme Szene weiter zu vernetzen.
Auch in Thüringen beobachtet der Verfassungsschutz Umtriebe Rechter beim Immobilienerwerb, so etwa in Schmölln. Sie verbänden damit vor allem die Erwartung, „durch Schaffung ständig verfügbarer Anlaufstellen örtliche Strukturen zu festigen, sich ungehindert zu internen Treffen versammeln und damit auch überregionale Anziehungskraft ausüben zu können“. Das Thüringer Landesamt hat einen Handlungsleitfaden für Kommunalpolitiker verfasst, doch ist das Gegensteuern schwierig. Nicht selten läuft der Kauf über unbedenklich erscheinende Strohmänner ab.
Auch der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt sieht den Erwerb von Immobilien durch Rechtsextreme als Gefahr für die innere Sicherheit. Die Orte dienten nicht nur für Versammlungen, sondern könnten bei Vermietung auch Einnahmen bringen. Als Beispiel nennt das Amt das „Lokal 18“ in Naumburg.
Der Verfassungsschutzbericht Brandenburg listet für 2020 eine ganze Reihe von Immobilien der rechtsextremen Szene auf, darunter „Die Mühle“ in Cottbus und einen Kleingarten in Rathenow. „Politische Arbeit und der Kontakt innerhalb der Szene gestalten sich mit einer eigenen Immobilie deutlich leichter“, hieß es. „Extremistische Parteien und Gruppierungen sind immer auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten oder Grundstücken, die sich möglichst im Eigentum eines Anhängers oder eines Sympathisanten befinden.“
07.05.2021
Rechte nutzen 81 Immobilien in Sachsen
Sachsens Kulturbüro stellt eine Studie vor, die über Versammlungsorte der Rechtsextremen in Sachsen informiert. In der Szene gibt es einen neuen Trend.
Für Läden, Konzerte und Kampfsport: Rechtsextremisten nutzen mehr als 80 Immobilien in Sachsen zur Stärkung ihrer Strukturen. Zu diesem Schluss kommt der aktuelle Bericht „Sachsen rechts unten“ des Kulturbüros, das seit 20 Jahren die Szene im Freistaat unter die Lupe nimmt. Untersucht wurden die vergangenen drei Jahre. „Mit einer Gesamtzahl von mindestens 81 konkreten Orten verfügen die extrem rechten Bewegungen und ihre Szenen in Sachsen über eine ausgesprochen hohe Anzahl von Räumen“, sagte Kulturbüro-Geschäftsführerin Grit Hanneforth am Freitag in Dresden. Es gebe keinen Landkreis im Freistaat ohne solche Objekte.
„Ignorieren ist keine Lösung“, sagte Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, die die Publikation ebenfalls verantwortet. Hanneforth betonte, im Zusammenspiel von Zivilgesellschaft und Behörden ließen sich Gegenstrategien entwickeln.
Chemnitz und Dresden sind rechtsextreme Zentren
Zu den im Bericht erwähnten Immobilien zählen zwei in Plauen. Diese nutze die rechtsextremistische Kleinpartei „III. Weg“. Dem Kulturbüro zufolge werden dort Hausaufgabenbetreuung, Gitarrenunterricht, Kampfsporttraining für Kinder und Erwachsene, Kleiderkammer und Schulungen beworben. „Fast alles davon sind kostenlose Angebote für ‚Deutsche‘ im Sinne der völkisch-rassistischen Ideologie der Partei.“
Die Veröffentlichung befasst sich zudem mit völkischen Siedlern in Mittelsachsen. Dort siedelte sich dem Bericht zufolge in einer ländlichen Region ein rechter Versandhandel an. Auch ehemalige NPD-Funktionäre seien in die Gegend gezogen.
In Dresden wurde laut Kulturbüro insbesondere das Haus einer studentischen Verbindung durch die extreme Rechte bespielt. Der Soldatenfriedhof in Göda bei Bautzen werde von der Neonazi-Szene seit vielen Jahren als ritueller Ort vereinnahmt. Die Szene in Chemnitz habe sich wie die in Dresden zu einem Zentrum rechter Bewegungen entwickelt und besitze eine große Anzahl von Szene-Objekten.
Sachsen: Ein Schwerpunkt der extremen Rechte
Mindestens 19 Räume wurden nach den Recherchen in den vergangenen drei Jahren als Gewerbeflächen genutzt. Zum Angebot zählten szenetypische Kleidung und Tonträger aus dem „rechten Lifestyle“. Die über ganz Sachsen verteilten Räume befänden sich im Besitz von Extremisten oder seien von ihnen „dauerhaft gepachtet oder gemietet“. In Taucha nahe Leipzig habe ein Kampfsportzentrum eröffnet, das von Neonazis betrieben werde. In Aue miete sich die Szene in eine alte Diskothek ein.
Für Ostsachsen nennt der Bericht unter anderem die „bundesweit bekannt gewordene“ Liegenschaft in Ostritz, wo seit mehreren Jahren – unter breitem Protest von Anwohnern – Kampfsport und Konzerte stattfinden. Akteure vor Ort berichteten zudem von Immobiliennutzung und Kaufabsichten, hieß es. Seit vielen Jahren gebe es Treffpunkte und Veranstaltungsorte quer über alle Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. Hinzugekommen sei seit einigen Jahren der Trend, dass versucht wird, eigene Immobilien zu erwerben.
Das Fazit der Autoren: „Der Zugang zu Immobilien ist die infrastrukturelle Grundlage dafür, dass die Organisation der politischen Arbeit und damit die Verbreitung rechter Ideologie stattfinden kann. Zudem werden durch Veranstaltungen oder Gewerbe unterschiedliche Einnahmen generiert.“ Bei der Nutzung von Immobilien durch Vertreter der extremen Rechten sei Sachsen ein Schwerpunkt in Deutschland. „Die Anzahl liegt höher als im Bundesdurchschnitt“, betonte Hanneforth. (mit epd)
Die Publikation „Sachsen rechts unten“ des Kulturbüros Sachsen erscheint zum siebten Mal. Die Reihe beschäftigt sich mit verschiedenen Facetten der extremen Rechten in Sachsen.