Nach jahrelanger Verzögerung: „Euthanasie“-Mahnmal der Uni Leipzig eingeweiht
Nach langer Verzögerung ist am Dienstag in Leipzig das Mahnmal zum Gedenken der Opfer der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ eingeweiht worden.
Zwischen formuliertem Plan und der Vollendung liegen knapp 20 Jahre. Am Dienstag hat die Universität Leipzig auf ihrem Erziehungswissenschaftlichen Campus das Mahnmal zum Gedenken der Opfer der sogenannten „Kinder-Euthanasie“ eingeweiht. Die Installation stammt von den Künstlern Andreas Wendt und Tobias Rost.
Die Leipziger Hochschule war im Nationalsozialismus eines der Ausbildungszentren der sogenannten „rassenhygienischen“ Ideologie, 1939 begannen an der Universitätskinderklinik „Kinder-Euthanasie“-Verbrechen: Menschen mit Behinderungen, psychischen und anderen Erkrankungen wurden systematisch getötet – mehr als 5000 Kinder im gesamten Deutschen Reich.
Zwischen Garten und Schreibtisch
Zur Einweihung des Mahnmals in der Marschnerstraße kamen unter anderem Vertreter von Universitätsleitung, sächsischem Sozialministerium und der Stadt sowie vom Beirat für Menschen mit Behinderungen. Die am Haus 5 der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät stehende Installation besteht aus dem „Kleinen Garten für die Kinder“ mit Pflanztrögen und einer Sitzbank (Wendt) sowie einem Schreibtisch aus Beton mit gusseisernen Stühlen (Rost) – symbolisch für den kurzen Weg zwischen unbeschwertem Spiel und dem Ort tödlicher Beschlüsse.
Leipzig und insbesondere die Universität waren eng mit den Entwicklungen und Anfängen der NS-„Euthanasie“-Verbrechen verbunden. Mit seiner 1920 veröffentlichten Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ gilt der einstige Unirektor Karl Binding als Wegbereiter für die menschenverachtende Haltung im Nationalsozialismus. Erst im Jahr 2010 annullierte der Stadtrat die an Binding 1909 verliehene Ehrenbürgerwürde.
Lange Verzögerung
Maßgeblich beteiligt daran war eine 2005 gegründete Arbeitsgruppe des Leipziger Behindertenbeirats, die die Vergangenheit aufarbeitete und außerdem eine Spendensammlung für ein Mahnmal startete. 2007 wandte sich der Geschäftsführer des Behindertenverbandes Gunter Jähnig an den damaligen Uni-Rektor Franz Häuser. Trotz einer Zusage für einen Gedenkplatz am Neuen Augusteum passierte nichts. „Für mich ein Lehrstück darüber, wie man zu einer Sache ja sagen kann, aber eine Umsetzung nicht stattfinden lässt“, so Jähnig.
Ab 2015 favorisierte die Uni den neuen Bildungscampus in der Jahnallee als geeigneten Ort. Seit 2018 ist im Foyer des Gebäudes die Dauerausstellung „Ausgegrenzt, entwürdigt, vernichtet – ,Euthanasie‘ und Zwangssterilisation in Leipzig“ zu sehen. Wenige Hundert Meter entfernt befindet sich das Sächsische Psychiatriemuseum, das sich dem Thema „Euthanasie“ ebenfalls widmet.
Kritik vom Behindertenverband
Schon vor knapp drei Jahren kritisierte der Behindertenverband die anhaltende Verzögerung. Laut Uni-Professor Thomas Hofsäss lag das an der Vergabe zur Gestaltung. Neben dem Einbinden unter anderem des Baudezernates und der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät sorgte auch die Pandemie dafür, dass es lange nicht voranging.
Nach weiterem Verzug nun also der Vollzug. Die „noch heute unvorstellbaren Verbrechen“ dürften „nicht dem Vergessen überlassen werden, sondern müssen in unser aller Bewusstsein gegenwärtig bleiben“, sagte Uni-Rektorin Eva Inés Obergfell zur Einweihung.
Das Mahnmal solle auch dazu anregen, „sich mit der noch heute bestehenden Ausgrenzung und Herabwürdigung von Menschen und insbesondere von Kindern mit Behinderungen auseinanderzusetzen“. Die Rektorin würdigte ausdrücklich das Engagement aller Beteiligten, unter anderem von Gunter Jähnig, der am Eröffnungstag verhindert war.