Medientage: Wirbel um Auftritt von Ex-Bild-Chef Reichelt in Leipzig
Die Medientage Mitteldeutschland in Leipzig stehen bevor. Eine Talkrunde zu alternativen Medien sorgt im Vorfeld für Ärger. Weil Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt dabei ist, gibt es eine Absage.
In der nächsten Woche (17./18. April) wird Leipzig wieder zum Nabel der deutschen Medienszene. Auf dem Spinnereigelände in Lindenau treffen sich Expertinnen und Experten, Verantwortliche aus ARD-Anstalten, Verlagen und von neuen digitalen Plattformen, um bei den Medientagen Mitteldeutschland (MTM) über die Zukunft der Branche zu diskutieren. Wie geht es für den öffentlichen Rundfunk weiter? Wie entwickeln sich regionale Verlage? Und wie groß ist der Spagat zwischen Meinungsfreiheit und Marktfreiheit? In Leipzig soll darüber in vielen Podiumsrunden offen diskutiert werden.
Doch eine Talk-Runde sorgt im Vorfeld der MTM für Verstimmung und eine demonstrative Absage. Beim Thema „Mehr als Nische? Journalismus von außen“ (18. April, 14.45 Uhr) soll es um alternative Medien gehen und vor allem um die Frage, ob sie Symbol für die wachsende Spaltung der Gesellschaft seien. Zu den Teilnehmern gehören neben Barbara Tóth (Wiener „Falter“) und Hans Demmel (Ex-Chef von n-TV) auch der Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt, Direktor und journalistischer Kopf des 2023 gegründeten Portals Nius. Medienexperten kritisieren das Portal als rechtspopulistisch, in den Social-Media-Kanälen wird aber eine wachsende Reichweite registriert.
„Kontext“-Chefin: Will keine Sparringspartnerin sein
Für Anna Hunger, Chefredakteurin der Wochenzeitung „Kontext“, ist es beides – die Person Reichelt und sein Portal – die sie dazu bewogen haben, ihre Teilnahme an dem Leipziger Forum abzusagen. „Sie möchte keine Sparringspartnerin für einen Typen sein, der in seiner Zeit bei ,Bild“ so viele junge Frauen gedemütigt hat, was mittlerweile unter dem nichtssagenden Begriff ,Machtmissbrauch‘ firmiere“, zitierte die „Kontext“-Webseite die Gründe ihrer Chefredakteurin. Und sie wolle in keiner Form dazu beitragen, „Nius“ als diskussionswürdiges Medium erscheinen zu lassen.
MTM: Ziel ist offener Austausch und Dialog
Unter den Veranstaltern der MTM sorgte die Absage von Hunger für Bedauern. „Wir hätten ihre Standpunkte und Perspektiven sehr gern auf dem Podium gehört, respektieren aber die Entscheidung“, sagte eine Sprecherin. Die MTM setzen sich prinzipiell dafür ein, dass auch über diskursive Themen diskutiert werde. Ziel der Foren sei immer ein offener Austausch auch kontroverser Standpunkte, so die Sprecherin. „Wir stehen für einen offenen Dialog.“
Bei der umstrittenen Runde mit dem Ex-Bild-Chef vertrauen die MTM dann vor allem auf die Moderation von Ulrike Simon („Eine der erfahrensten deutschen Medienjournalistinnen“). Und man habe neben Reichelt mit Barbara Tóth und Hans Demmel noch profilierte Gäste für diese Debatte gewinnen können.
13.02.2024
Verstöße gegen journalistische Sorgfaltspflicht? – Medienaufsicht beschäftigt sich mit Reichelt-Portal „Nius“
Das rechte Medienportal „Nius“ ist ins Visier der Medienaufsicht geraten. Es gibt mehrere Beschwerden über die Plattform von Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt – und Fragen, wie genau es „Nius“ mit der journalistischen Sorgfaltspflicht nimmt.
Die zuständige Medienanstalt Berlin-Brandenburg (Mabb) beschäftigt sich mit mehreren Beschwerden über das rechtspopulistische Nachrichtenportal „Nius“ von Julian Reichelt. Das bestätigte die Aufsichtsbehörde gegenüber dem Portal „T-Online“.
„Das Angebot ‚nius.de‘ ist uns bekannt, die Mabb hat hierzu bereits mehrere Beschwerden erhalten“, wird der Justiziar und Vizedirektor der Medienanstalt, Marco Holtz, zitiert. Zu Inhalten der Beschwerden und Stand eines etwaigen Verfahrens bezüglich „Nius“ könnten keine Auskünfte geben werden – das dürfe die Mabb erst, wenn sie Entscheidungen getroffen habe. So weit sei es noch nicht: „Förmliche Aufsichtsmaßnahmen wie etwa eine Beanstandungs- oder Untersagungsverfügung hat die Mabb gegen die Anbieterin von ‚nius.de‘ noch keine vollzogen“, so Holtz. Es geht bei der Prüfung um die Frage, „ob die journalistischen Sorgfaltspflichten eingehalten wurden“. Die politische Ausrichtung eines Angebots sei für die medienrechtliche Überprüfung unerheblich.
Laut „T-Online“ äußerte sich „Nius“ auf Anfrage nicht zum Umgang mit der journalistischen Sorgfalt. Zum Verfahren bei der Aufsichtsbehörde hieß es lediglich, zu internen Vorgängen nehme man öffentlich keine Stellung.
Gewerkschaftschef: Journalismus machen und keinen rechten Kulturkampf
Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalisten-Union (dju) in Berlin-Brandenburg, sagte gegenüber „T-Online“: „Wo Journalismus im Internet draufsteht, sollte auch Journalismus drin sein und nicht rechter Kulturkampf, ‚verdrehte Fakten‘ und Populismus.“ Die dju erwarte, „dass die Mabb dem Medienhaus auf die Finger schaut und die Aufsichtspflichten wahrnimmt“.
Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt hatte das Portal, das durch den Milliardär Frank Gotthardt finanziert wird und im vergangenen Sommer online gegangen war, mit aufgebaut und ist inhaltlich verantwortlich. Für Schlagzeilen sorgte im vergangenen Oktober eine einstweilige Verfügung, die der Satiriker Jan Böhmermann mit seiner Produktionsfirma gegen Reichelt und „Nius“ erwirkt hatte. Das Landgericht Hamburg untersagte Reichelt und „Nius“ zahlreiche Aussagen im Zusammenhang mit der Affäre um den früheren Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, Arne Schönbohm.
Reichelt musste im Herbst 2021 seinen Posten als Chefredakteur bei der Boulevardzeitung „Bild“ räumen und den Konzern verlassen. Hintergrund waren Vorwürfe des Machtmissbrauchs in Verbindung mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen. Der Journalist selbst hatte später von einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn gesprochen und Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Christian Rath 23.08.2023
Axel Springer vs. Julian Reichelt: Kein Showdown vor Gericht
Eigentlich sollte Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt seine Millionenabfindung zurückzahlen. Doch nun vermeidet Axel Springer den Prozess durch einen Vergleich mit Reichelt.
Der Axel Springer Verlag und Ex-„Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt haben ihren arbeitsgerichtlichen Streit durch einen Vergleich beigelegt. Reichelt kann damit seine Abfindung in Höhe von 2 Millionen Euro behalten. Der Prozess vor dem Arbeitsgericht Berlin, der am 15. November beginnen sollte, fällt aus. Noch aber ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen Reichelt wegen Betrugs.
Ausgelöst wurde die Affäre durch Vorwürfe des Machtmissbrauchs gegen Reichelt. Der „Bild“-Chefredakteur soll regelmäßig seine Stellung benutzt haben, um junge Journalistinnen zu fördern und in sexuelle Affären zu verwickeln. Springer untersuchte den Vorgang zwar im Frühjahr 2021. Doch dies war nicht der Kündigungsgrund.
Kündigung Reichelts erst ein halbes Jahr später
Die Kündigung erfolgte erst ein halbes Jahr später im Oktober 2021. Reichelt soll die Beziehung zu einer Mitarbeiterin fortgeführt und den Verlag darüber getäuscht haben. Damit Reichelt gegen die Kündigung nicht klagt, schloss Springer parallel einen Abwicklungsvertrag mit ihm, in dem Reichelt zwei Millionen Euro Abfindung zugesichert werden und sich der Journalist unter anderem verpflichtete, Unterlagen und Daten aus seiner Zeit bei Springer zu vernichten und zu löschen.
Kurz bevor die Abfindung ein Jahr später, im November 2022, ausbezahlt werden sollte, musste Reichelt gegenüber Springer versichern, dass er sich an seine Verpflichtungen aus dem Abwicklungsvertrag hält. Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, dass Reichelt anderen Medien Material angeboten haben soll.
„Berliner Zeitung“-Herausgeber ging an die Öffentlichkeit
Tatsächlich machte Holger Friedrich, der Herausgeber der „Berliner Zeitung“, im April 2023 bekannt, dass Reichelt ihm Unterlagen angeboten habe, um seine Sicht auf die Machtmissbrauchsvorwürfe zu untermauern.
Springer nahm dies zum Anlass, Reichelt vor dem Arbeitsgericht Berlin zu verklagen. Reichelt sollte demnach die Zwei-Millionen-Abfindung zurücküberweisen und eine Vertragsstrafe in Höhe von knapp 200.000 Euro zahlen. Reichelt erhob eine Widerklage und verlangte Informationen von Springer über die internen Machtmissbrauchsuntersuchungen gegen ihn.
Anfangs lehnte Axel Springer Vergleich noch ab
Im Juni fand ein öffentlicher Gütetermin am Arbeitsgericht Berlin statt – begleitet von großem Medieninteresse. Damals lehnte Springer aber einen Vergleich ab. Man vertraue darauf, den Prozess zu gewinnen.
Nur zwei Monate später sieht alles wieder anders aus. Auf seiner Webseite teilte der Axel-Springer-Verlag mit, dass die arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung mit Julian Reichelt beendet sei. Sowohl der Verlag als auch Reichelt hätten ihre Klagen zurückgenommen. Über den genauen Inhalt der Einigung sei Vertraulichkeit vereinbart worden. Springer behalte sich aber vor, gegen Reichelt wieder vorzugehen, wenn dieser gegen den Abwicklungsvertrag oder die neue Einigung verstoße.
War Springer sich doch nicht mehr so sicher?
Die Einigung kann verschiedene Gründe haben. Möglichkeit eins: Springer war sich doch nicht mehr so sicher, den Prozess vor dem Arbeitsgericht zu gewinnen. Immerhin hatte Reichelt stets betont, er habe der „Berliner Zeitung“ vor allem eigene Chatverläufe und keine Verlagsinterna übermittelt.
Möglichkeit zwei: Springer war der Image-Schaden zu hoch. Wie sich im Gütetermin ergab, durfte Reichelt noch lange nach seiner Kündigung in einer gemeinsamen Chatgruppe mit Springer-Führungsleuten über den Umgang mit den Machtmissbrauchsvorwürfen diskutieren. Das hätte auch für Springer peinlich werden können.
Keine Auswirkungen auf Berliner Ermittlungsverfahren
Möglichkeit drei: Vielleicht wollen Springer und Reichelt auch wieder enger zusammenarbeiten und deshalb den belastenden Rechtsstreit beenden. Derzeit produziert Reichelt mit seiner Firma Rome Media das rechtspopulistische Medienportal nius.de.
Keine Auswirkungen hat die arbeitsgerichtliche Einigung auf das Ermittlungsverfahren der Berliner Staatsanwaltschaft gegen Reichelt. Springer hatte gegen Reichelt parallel zur Klage beim Arbeitsgericht auch Strafanzeige wegen Betrugs gestellt. Auch dabei ging es um die angeblich falsche Versicherung Reichelts im November 2022, er halte sich an seine Verpflichtungen aus dem Abwicklungsvertrag. Mit dieser Täuschung habe Reichelt die Auszahlung der Abfindung erreicht, so die damalige Argumentation von Springer. Auf Anfrage dieser Zeitung erklärte die Staatsanwaltschaft Berlin: „Die Ermittlungen dauern an.“
Norbert Wehrstedt 01.06.2022
Was ist denn nun Unterhaltung? In Leipzig beginnen die Medientage Mitteldeutschland
Zwei Tage diskutiert die Medienbranche in der Leipziger Baumwollspinnerei bei den Medientagen Mitteldeutschland über aktuelle und Dauer-Themen, auch über einige Knackpunkte im neuen Medienstaatsvertrag.
er Streit um die Unterhaltung – ein Dauerthema. Was ist Unterhaltung? Wo fängt sie an? Wo hört sie auf? Kopieren ARD/ZDF die Privaten? Ein weites Feld, auf dem auch der neue Medienstaatsvertrag unterwegs ist. Nicht alles ist klar. Am Mittwoch und am Donnerstag diskutieren erneut die 16 Länder. Natürlich an vorderer Stelle über die Unterhaltung. Genau dazu starteten am Mittwoch in Leipzig die Medientage Mitteldeutschland. Ritt in ein durchaus umstrittenes Feld.
„Bilden, informieren, aber auch unterhalten“
Für Patricia Schlesinger, rbb-Chefin und ARD-Vorsitzende, ist die öffentlich-rechtliche Seite eindeutig: „Bilden, informieren, aber auch unterhalten.“ Sie gehöre einfach zum Vollprogramm dazu. Unverzichtbar. Als Show, als Serie, als Film. Rainer Haseloff, Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, ist sich da nicht so sicher. Zumal, betonte er, im Osten ohnehin mehr Privat-TV gesehen wird. Also Unterhaltungs-Fernsehen, obwohl die ProSiebenSat.1-Gruppe gerade mal wieder in der Info-Offensive ist. Was Vorstandsmitglied Wolfgang Link nimmermüde hervorhob. Thüringen hat – so Staatssekretär Malte Krückels – zum Thema eine klare Haltung: „Unterhaltung von ARD und ZDF muss nicht immer verdoppeln, was private Sender ohnehin tun.“ Diskussion offen.
Aber die Medientage in der Leipziger Baumwollspinnerei suchen ja ohnehin keine letzten Antworten. Sie wollen anregen. Nicht mehr. Nicht weniger. Medienthemen gibt es ja immer etliche, die gerade aktuell in der Branche kursieren. Oder in Dauerschleife sind. Vom Vormarsch der Plattformen in der Pandemie bis zum Umbruch in Regional-Verlagen, von der Breaking News-Manie zum Ukraine-Krieg, von Serien, TikTok und Podcasts bis zum Hörfunk und die mediale Finanzierung jenseits öffentlich-rechtlicher Sicherheiten.
Wenn gebührenfinanzierte Sender Texte von Regionalzeitungen nachfilmen
Stichwort Regional. ProSiebenSat.1-Vorständler Wolfgang Link wies darauf hin, dass die TV-Gruppe nach wie vor keine regionale Werbung machen darf. Staatssekretär Krückels hielt dem MDR vor, zu wenig aus seinem Sendegebiet, produziert von Leuten aus der Region, zu senden. Die eine Seite. Die andere heißt: Gebührenfinanzierte Sender nehmen von Regionalzeitungen recherchierte Geschichten – und filmen den Text einfach nach. „Das ist ärgerlich“, betonte Hannah Suppa, Chefredakteurin der Leipziger Volkszeitung. Da stimmte Julia Becker, Verlegerin in der Funke Mediengruppe, zu: „Unser regionaler Inhalt wird kostenlos verteilt.“ Eine Debatte, die schon lange geführt wird. Mit der zeitweiligen Ruhe ist es in Zeiten des medialen Umbruchs gerade bei regionalen Medien vorbei.
So klang es immer wieder bei der Mittags-Runde um Zukunftsmodelle von Regionalverlagen durch. Julia Becker setzte pointiert den Rahmen: „Print stirbt möglicherweise, aber er liegt noch nicht auf dem Sterbebett.“ Ähnlich geht es beim Inhalt zu. „Die Auflage sinkt, aber das Interesse an lokalen und regionalen Themen stirbt nicht“, sagte Hannah Suppa. Das Problem: In Stadt und Land gibt es unterschiedliche Interessen. Worauf man reagieren muss. Die Klickzahl als Helfer bei der Aufbereitung: Was wird nur angetippt, was länger gelesen? Allerdings, so Julia Becker, muss digital anders gedacht werden als bei der gedruckten Zeitung. Bis 2025 heißt das Ziel bei den Funke-Zeitungen: eine Million Abos, die Hälfte davon digital. Wobei digital als buntes Angebot gedacht wird, also als der Zugang nicht allein zu Informationen, sondern zu mehr Inhalten. Etwa einer Lernplattform.
Bleiben alle Sender von ARD/ZDF bestehen?
Am Nachmittag kam noch einmal der Medienstaatsvertrag auf die Bühne in Spinnerei-Halle 14. Um die leidige Unterhaltung ging es diesmal nur beiläufig. Jetzt kreiste die Debatte um jene Flexibilisierung, die das neue Papier anregt. Im Klartext: Bleiben alle Sender von ARD/ZDF bestehen? Oder werden einige nur noch digital verfügbar sein, andere zusammengelegt und verschwinden?
Vor allem behutsam müsse man vorgehen, plädierte umgehend ZDF-Intendant Norbert Himmler – und hatte BBC 3 (junges Programm) bei der Hand. Den Kanal hatte die BBC vor vier Jahren ins Non-Lineare verschoben – und ihn kürzlich ins Lineare zurückgeholt. Um ihn sichtbar, also auffindbar, zu machen. Karola Wille, Intendantin des MDR, nimmt das Flexibilisierung-Ziel als Auftrag, über One, Tag24, ZDFInfo nachzudenken. Ein Programm zur Einsparung sei das sowieso nicht, desillusionierte KEF-Chef Martin Detzel, die non-lineare Durchleitung koste ja auch. Streamen mehr, klettern die Kosten.