Prozess gegen Leipziger Neonazi-Verlag „Der Schelm“ beginnt

Über den Verlag „Der Schelm“ werden rechtsextreme Bücher versendet. Nun beginnt der Prozess gegen drei mutmaßliche Verantwortliche. Darunter ist der Leipziger Neonazi Enrico Böhm.

Am 14. März beginnt am Oberlandesgericht Dresden der Prozess gegen drei mutmaßliche Verantwortliche des Leipziger Neonazi-Verlags „Der Schelm“. In dem Verfahren muss sich auch der ehemalige Leipziger NPD-Stadtrat Enrico Böhm wegen Mitgliedschaft in einer rechtsextremen kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung verantworten. Das Gericht hat Verhandlungstermine bis Mitte April geplant.

Landeskriminalamt Sachsen durchsuchte Verlag

Böhm und seine Mitangeklagten sollen von Leipzig aus Bücher mit nationalsozialistischem und antisemitischem Inhalt über einen Internethandel verkauft haben. Damit seien allein zwischen 2018 und 2020 mehr als 800.000 Euro umgesetzt worden. Bei einer Durchsuchung durch das Landeskriminalamt Sachsen im Dezember 2020 sind in mutmaßlichen Verlagslagern demnach weitere Bücher mit überwiegend volksverhetzendem Inhalt gefunden worden. Verkaufswert: mehr als 900.000 Euro.

öhm und seine mutmaßlichen Mittäterinnen und Mittäter waren der Anklage der Bundesanwaltschaft zufolge für Vertrieb und Lagerung der Ware des „Schelm“ verantwortlich. Sie verkauften demnach Bücher wie „Mein Kampf“ von Adolf Hitler, „Der Aufstieg der Juden“ von Ferdinand Fried oder „Die jüdische Weltpest – Judendämmerung auf dem Erdball“ von Hermann Esser.

Kopf des „Schelm“-Verlages wird in Russland vermutet

Erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde der „Schelm“-Verlag durch Recherchen des NDR 2020. LVZ-Recherchen haben Ende vergangenen Jahres ergeben, dass der „Schelm“-Verlag trotz Ermittlungen und Anklagen weiter versendet. Dahinter vermuten Ermittler den Kopf des Verlages, den Neonazi Adrian Preißinger.

Gegen Preißinger ermittelt die Bundesanwaltschaft weiter. Er hatte den Verlag eigenen Angaben nach gegründet und zunächst aus einer Wohnung im Leipziger Stadtteil Gohlis heraus betrieben. Ermittler vermuten ihn inzwischen in Russland. Preißinger selbst gibt die Adresse des „Schelm“-Verlages in Thailand an. Anfragen zur Stellungnahme lehnt er ab. Auch Enrico Böhm will sich nach Aussagen seines Anwalts nicht öffentlich zu den Vorwürfen äußern.


MDR 14. März 2024

Bundesanwaltschaft – Prozess in Dresden gegen Leipziger Neonazi-Verlag „Der Schelm“ begonnen

Der rechtsextreme Verlag „Der Schelm“ hat jahrelang Tausende Bücher mit Judenhass, Holocaustleugnung und anderen rechtsextremen Inhalten verbreitet, darunter auch Hitlers unkommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“. Dafür müssen sich nun zwei Männer und eine Frau vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten – unter ihnen ein früherer Leipziger NPD-Stadtrat.

Vor dem Oberlandesgericht Dresden hat ein Prozess gegen drei mutmaßliche Mitarbeiter des rechtsextremen Verlags „Der Schelm“ begonnen. Die beiden Männer und eine Frau wurden von der Bundesanwaltschaft unter anderem wegen der Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Sie sollen im großen Stil volksverhetzende Schriften verbreitet haben.

Judenhass und Nazi-Propaganda als Geschäftsmodell

Der Verlag vertrieb demnach zwischen 2018 und 2020 im Ausland gedruckte antisemitische Kinderbücher wie der „Giftpilz“, eine unkommentierte Ausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“ und Schriften, in denen NS-Verbrechen geleugnet werden. „Der Giftpilz“ erschien erstmals 1938 im Verlag des NS-Propagandablatts „Der Stürmer“ des fanatischen Judenhassers Julius Streicher.

Laut Anklage der Bundesanwaltschaft soll der rechtsextremistische Verlag in dem Zeitraum einen Umsatz von mehr als 800.000 Euro erwirtschaftet haben. Im Dezember 2020 wurden bei einer Durchsuchung in Röderaue und Brandenburg volksverhetzende Bücher mit einem Verkaufswert von mehr als 900.000 Euro beschlagnahmt. Die Angeklagten sollen demnach für den Vertrieb und die Lagerhaltung zuständig gewesen sein.
Angeklagte Rechtsextremisten sind auf freiem Fuß

Einer der Angeklagten ist Enrico Böhm, ehemaliger NPD-Stadtrat in Leipzig. Er soll nach NDR-Recherchen für Lagerung und Versand der Bücher zuständig gewesen sein, zusammen mit seiner Freundin Annemarie K. Für die Vereinigung mietete er laut Bundesanwaltschaft Lagerräume in Leipzig an und hatte dort mehrere Tausend im Ausland gedruckte Bücher mit strafrechtlich relevanten Inhalten auf Vorrat. Ein Team des NDR hatte Böhm schon Anfang 2020 gefilmt, wie er offensichtlich Bücher für den „Schelm“ über einen Leipziger Paketshop verschickte.

Dem langjährigen NPD-Aktivisten Matthias B. soll laut Bundesanwaltschaft eine „herausgehobene Funktion“ in der Vereinigung zugekommen sein. Er betrieb ein Antiquariat in Gröditz. Böhm und Matthias B. wurden 2022 in Leipzig und Röderaue in Sachsen festgenommen und zunächst in Untersuchungshaft genommen. Sie kamen später aber wieder auf freien Fuß.

Mutmaßlicher Anführer in Russland vermutet

Als mutmaßlicher Kopf des Verlags gilt der Rechtsextremist Adrian Preißinger, der sich ins Ausland abgesetzt hat. Nach dem 1964 im oberfränkischen Kronach geborenen Mann wird mit internationalem Haftbefehl gefahndet. Er wird in Russland vermutet, von wo aus er über das Internet weiter volksverhetzende Bücher verbreitet. Auf seiner Internetseite wird – offensichtlich zur Verschleierung – eine Adresse in Thailand angegeben.
Preißinger ist auch für die Behörden in Sachsen kein Unbekannter: Das Landgericht Dresden hatte ihn 2002 wegen des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und anderer Taten zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.

Handel des Verlags geht über ausländischen Server weiter

Dass der weitere Handel des „Schelm“-Verlags übers Internet mit der volksverhetzenden Propaganda von Deutschland aus nicht unterbunden werden kann, erklärt LKA-Sprecherin Silvaine Reiche mit den eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten. „Der Server ist bei uns nicht gehostet“, sagte Reiche MDR SACHSEN. Deshalb hätten die Behörden keinen Zugriff.
Solche Propagandaschriften verfügen laut Verfassungsschutz „im Original und als Nachdruck nach wie vor über eine besondere Ausstrahlungs- und Symbolkraft in der rechtsextremistischen Szene“. Dem „Schelm“ attestiert der Verfassungsschutz eine „besonders ausgeprägte antisemitische Agitation“.

Für den Prozess hat das Oberlandesgericht zunächst neun Verhandlungstermine bis Mitte April angesetzt. Sie finden im Hochsicherheitssaal des Gerichts in Dresden am Hammerweg statt.