Leipziger Flüchtlinge über Bezahlkarte und Arbeitspflicht: „Man hat das Gefühl, es ist eine Bestrafung“
Sachsen will die Bezahlkarte bald einführen, einige Landkreise wollen Asylbewerber zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. Beides ist umstritten. Was sagen die dazu, die es betrifft?
Gabriel Alvarez kann das schon verstehen mit der Bezahlkarte. Er fährt jeden Monat ins Leipziger Sozialamt, um sich das Geld abzuholen, das ihm als Asylbewerber zusteht. „Es ist einfacher für die Behörden, uns das auf die Karte zu laden“, sagt er. Dann mischt sich seine Mutter ein. Vor zwei Jahren sind die beiden, 20 und 49 Jahre alt, aus Venezuela nach Deutschland gekommen, sitzen jetzt mit drei anderen Asylbewerbern um einen Tisch in einer Gemeinschaftsunterkunft im Leipziger Süden. Um solche Fragen, Bares oder Cash, gehe es doch in Wahrheit gar nicht, sagt Patricia Quevedo. „Ihr wollt, dass wir uns integrieren. Wir wollen das auch. Aber dafür brauchen wir Chancen, statt nur immer neue Restriktionen.“
Bezahlkarte und Arbeitspflicht, die neuen und alten Ideen zum Umgang mit Deutschlands Migranten, sie werden von Alvarez, Quevedo und den anderen auf zwei Arten diskutiert. Einmal praktisch. Wie das genau gehen wird mit der Bezahlkarte, mit 50 Euro bar im Monat. Und einmal emotional. Denn so verstehen das fast alle hier: Bezahlkarte und Arbeitspflicht sind nicht einfach nur Regeln des Staates, der sie vorerst aufgenommen und nun mit ihnen umzugehen hat. Sie sind auch eine Botschaft, in etwa die: „Die Bezahlkarte ist auch ein Element, um die Zuwanderung weniger attraktiv zu machen“, sagt Henry Graichen (CDU), Präsident des Sächsischen Landkreistages und Landrat im Leipziger Land. Wie kommt diese Botschaft an?
Ganz praktische Fragen zur Bezahlkarte
Ncham Edwin Kuh und die anderen sind längst zugewandert. Der Kameruner ist 25 Jahre alt und seit gut einem Jahr in Deutschland. Seit einigen Wochen darf er arbeiten, fängt bald als Produktionshelfer bei BMW an. Er hat Fragen, ganz praktische. Vor allem zur Bezahlkarte, von der er auf Facebook gehört hat.
Er weiß, dass er dann nur noch 50 Euro monatlich abheben kann. Aber wie wird er damit sein Deutschlandticket bezahlen, für das aktuell Geld von seinem Konto abgeht? Wie kauft man ein in Secondhandläden und in den kleinen, günstigen Geschäften im Leipziger Osten, in denen man höchstens größere Beträge mit Karte zahlen kann? Kuh wünscht sich, dass darüber genauer informiert würde, auch über den Grund, warum das System geändert werden müsse. „So hat man das Gefühl, es ist eine Bestrafung.“
„Hab das nicht durchgerechnet, als ich ins Schlauchboot stieg“
Damit zur emotionalen Botschaft der neuen Regeln. Wenn Asylbewerber wenig Bargeld zur Verfügung haben, heißt es von den Befürwortern der Bezahlkarte, dann können sie auch kein Geld mehr in die Heimat schicken, Schlepper nicht von Asylbewerberleistungen bezahlen und es gebe einen Grund weniger, nach Deutschland zu fliehen. In der Unterkunft im Leipziger Süden lächeln alle nur müde, als man sie fragt, welche Rolle die Sozialleistungen im Zielland für eine Flucht spielen. „Ich hab das nicht durchgerechnet, als ich in Afrika ins Schlauchboot stieg“, sagt Kuh.
Klar, Deutschland sei bekannt dafür, dass es Flüchtlinge gut behandle. Darum gehe es eher bei der Wahl des Fluchtlandes – dass man Rechte habe, dass es schon eine Community aus dem eigenen Land gebe. Geld nach Hause schicken eigenen Angaben zufolge weder Kuh noch die anderen, dafür reiche es gar nicht. Hört man sich weiter um, erfährt man, dass das schon vorkomme, wenn auch selten. Manche Asylbewerber, sagen Sozialarbeiter, könnten sehr sparsam leben.
Auch zur Arbeit von Asylbewerbern gibt es eine neue Idee, oder besser: eine alte. Schon seit den Neunzigern können Asylbewerber für 80 Cent pro Stunde zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet werden, für einige Stunden am Tag. Das Gesetz ist nun leicht angepasst worden.
In Sachsen leisten derzeit gut 1500 Asylbewerber Arbeiten nach diesem Gesetz. In den Erstaufnahmeeinrichtungen putzen sie und pflegen die Außenanlagen, so die Landesdirektion. Ein Bruchteil, allein im Januar und Februar hat es 2200 neue Anträge auf Asyl in Sachsen gegeben. Einige Landkreise, darunter Nordsachsen, wollen künftig ebenfalls die Arbeitspflicht nutzen.
„Für mich ist jede Art von Arbeit okay“
Zur Arbeitspflicht ist die Meinung am Tisch in der Leipziger Flüchtlingsunterkunft nicht ganz so einhellig. Haitham aus Syrien, 22 Jahre alt und seit sechs Monaten in Deutschland, hat kein Problem damit. „Für mich ist es total okay, jede Art von Arbeit zu machen“, sagt er. Er fühle sich willkommen in Leipzig, sei Deutschland dankbar und wolle gerne etwas zurückgeben. Es werde noch lange dauern, bis er gut genug Deutsch könne, studiert oder eine Ausbildung gemacht habe. „Es ist selbstverständlich für mich, in der Zeit nebenher zu arbeiten, auch für wenig Geld“, sagt Haitham.
Patricia Quevedo sieht das anders. Auch sie habe kein Problem damit, zu arbeiten, sie wolle es sogar ganz unbedingt. Aber sie wolle dafür genauso bezahlt werden wie alle anderen. 80 Cent pro Stunde, das sei „moderne Sklavenarbeit.“ Es müsse viel mehr darum gehen, Leute in den Job zu beschäftigen, für die sie qualifiziert seien. Quevedo hat in Venezuela als Lehrerin gearbeitet und in Deutschland ein Praktikum in einem Kindergarten gemacht. Sie wollte dort gerne weiter arbeiten, aber ihre venezolanischen Diplome auf diesem Fachgebiet seien noch nicht anerkannt.
Dass so was so lange dauert, ärgert Quevedo. Andererseits: Es sind zuletzt viele Menschen nach Deutschland gekommen, die Prozesse allein deswegen zäh. Das stimme, sagt Ncham Edwin Kuh, Deutschland habe viele Flüchtlinge aufgenommen und „jedes Recht, dafür Gesetze zu machen und Migration zu steuern“.
Auch Patricia Quevedo sieht die Herausforderungen. „Integration ist viel Arbeit“, sagt sie. „Aber man sollte versuchen, nicht nur auf die Probleme zu schauen, sondern Lösungen dafür zu finden.“ Sie wolle dabei gerne mithelfen. Sie habe aber nicht das Gefühl, dass man sie lasse.