Für 80 Cent Stundenlohn – Arbeitspflicht für Geflüchtete? Leipzig will das nicht – andere Landkreise schon
Sollten Geflüchtete zur Arbeitsaufnahme verpflichtet werden? Der Vorstoß eines Landrats in Thüringen hat für bundesweites Aufsehen gesorgt. In Sachsen folgen ihm jetzt einige, andere lehnen das ab.
Sollten Geflüchtete zur Arbeitsaufnahme verpflichtet werden? Im Landkreis Nordsachsen ist dazu ein klares „Ja“ zu vernehmen. Man wolle „die Möglichkeit der Beschäftigung von Asylbewerbern nach Paragraf 5 Asylbewerberleistungsgesetz“ wieder nutzen. Der Landkreis hatte das bereits nach der Flüchtlingskrise 2015/16 so gehandhabt, teilt Sprecher Thomas Seidler auf LVZ-Nachfrage mit.
Das sei dann aber wieder eingeschlafen, unter anderem weil der Verwaltungsaufwand zu groß war. Jetzt sei der genannte Paragraf überarbeitet und vereinfacht worden. Das Gesetz sah dies in der Vergangenheit zwar bereits vor. Voraussetzung war allerdings, dass es sich um Tätigkeiten handelte, die nicht von anderen verrichtet werden könnten. Diese Regelung wurde angepasst: Asylbewerber können nun auch reguläre Tätigkeiten übernehmen.
Nordsachsens Landrat Kai Emanuel (parteilos) habe deshalb in dieser Woche das zuständige Dezernat damit beauftragt, geeignete Projektträger zu finden – unter Einbeziehung der Stadt- und Gemeindeverwaltungen. Emanuel reagiert damit auf einen Vorstoß aus Thüringen, der bundesweit für Aufsehen sorgt.
Im Saale-Orla-Kreis will Landrat Christian Herrgott (CDU) Geflüchtete für einfache Tätigkeiten wie Reinigungs- und Gartenarbeiten für vier Stunden pro Tag heranziehen und ihnen 80 Cent pro Stunde zahlen. Weigern sie sich, erhalten sie nur noch Leistungen zur Deckung ihres Bedarfs an Ernährung und Unterkunft, einschließlich Heizung sowie Körper- und Gesundheitspflege.
Landkreis Leipzig lehnt Arbeitspflicht ab
Herrgott beruft sich dabei auf das bereits erwähnte Asylbewerberleistungsgesetz. Dort heißt es: „Arbeitsfähige, nicht erwerbstätige Leistungsberechtigte, die nicht mehr im schulpflichtigen Alter sind, sind zur Wahrnehmung einer zur Verfügung gestellten Arbeitsgelegenheit verpflichtet.“ Anders als Nordsachsen lehnt der Landkreis Leipzig dieses Vorgehen ab. Wie Landrat Henry Graichen mitteilt, würden Geflüchtete bisher nicht zur Arbeit herangezogen. Und das wolle man auch so beibehalten, so der CDU-Politiker.
„Der Landkreis Leipzig konzentriert sich aktuell darauf, Flüchtlinge schnell und qualifiziert in sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten zu vermitteln. Damit versuchen wir, eine nachhaltige Integration zu erreichen.“ Dies erfolge bewusst im Interesse der Menschen und der Unternehmen, die dringend Arbeitskräfte suchten. „Dazu nutzen wir unsere Arbeitsberater Integration, die eng mit dem kommunalen Jobcenter zusammenarbeiten, um über Sprachkurse, Praktika und geringfügige Beschäftigung den Weg ins Erwerbsleben zu ebnen.“
In Leipzig helfen Asylbewerber in den Unterkünften
Im Leipziger Rathaus heißt es dazu, dass man bereits seit vielen Jahren Asylbewerbern Beschäftigungsmaßnahmen anbietet. „In Leipzig werden diese Maßnahmen überwiegend innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte durchgeführt“, teilt das Sozialamt mit. „Zum Jahresende 2023 bestanden 77 aktive Arbeitsgelegenheiten in rund 25 Gemeinschaftsunterkünften beziehungsweise bei freien Trägern.“
Pläne, Asylbewerber wie in Thüringen zu vier Stunden Arbeit am Tag zu verpflichten, gibt es nicht. Es sei auch nicht abzuschätzen, „wie viele Geflüchtete für eine Tätigkeit infrage kommen, die mit den zur Arbeit verpflichtenden Projekten in einigen sächsischen Landkreisen vergleichbar ist“.
Das Leipziger Sozialamt meint damit Projekte im Osten Sachsens. Die beiden Landkreise Bautzen und Görlitz wollen, wie der Saale-Orla-Kreis, Geflüchtete künftig zu gemeinnützigen Tätigkeiten verpflichten. In Bautzen wird derzeit ein entsprechendes Pilotprojekt durch das Ausländeramt vorbereitet.
Hilfe bei der Essenausgabe und in der Wäscherei
Im Landkreis Görlitz sollen laut einer Mitteilung des Landratsamtes ab Sommer 2024 „verpflichtende Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber“ angeboten werden. Dazu wolle man zunächst mit den kommunalen Trägern, Arbeitgeberverbänden und Betrieben „ins Gespräch kommen“. Ausgeschlossen sei ein Einsatz in privatwirtschaftlichen Unternehmen.
Eine erste Initiative mit der Diakonie St. Martin in Rothenburg zur Aufnahme von Arbeitsgelegenheiten habe man unter den neuen Rahmenbedingungen angeschoben, heißt es aus Görlitz. Hier könnten Asylbewerber die Mitarbeiter bei der Essensausgabe und in der Wäscherei unterstützen oder sie bei Spaziergängen mit Pflegebedürftigen begleiten.
Einsatz in der Fahrradwerkstatt oder Hilfe im Hort
Bautzen und Görlitz seien keine Einzelfälle, so André Jacob, Geschäftsführer des Landkreistages Sachsen. Seit Längerem würden bereits Landkreise Asylbewerber beschäftigten, etwa im Vogtlandkreis oder im Landkreis Zwickau.
Der Landkreis Meißen hat bereits seit 2016 Arbeitsgelegenheiten für Asylbewerber eingeführt – als erster Landkreis in Deutschland, wie Dezernent Manfred Engelhard betont. Eingesetzt werden Asylbewerber unter anderem in der Fahrradwerkstatt, zur Straßenreinigung, Grünanlagenpflege, Unterstützung des Sportplatzwartes, im Gebrauchtwarenladen sowie als Helfer im Hort bei Sprachbarrieren.
„Nachfrage übersteigt das bisherige Angebot“
Sachsens Ausländerbeauftragter Geert Mackenroth begrüßt, dass die jetzige rechtliche Anpassung die bisherigen Arbeitsmöglichkeiten ausweitet. Arbeitsgelegenheiten für Asylsuchende seien wichtig, „um sich zu beschäftigen und den Alltag zu strukturieren“. Allerdings übersteige die Nachfrage das bisherige Angebot, die Möglichkeiten in den Einrichtungen seien begrenzt. „Die neue Regelung kann da Abhilfe und zugleich einen Mehrwert für die Kommunen schaffen.“
Am Ende entscheiden immer die Kommunen, ob sie Arbeitsgelegenheiten anbieten, sagt Andre Jacob vom Landkreistag. Denn der Aufwand für die Kommunen sei sehr groß. Auch nach der Neuregelung bedarf es weiterhin einer Maßnahmebeschreibung sowie der Erklärung, dass das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient.
Land sollte Landkreise finanziell unterstützen
Vor allem aber seien Träger erforderlich, die die Arbeitsgelegenheiten anbieten. Jacob fordert deshalb eine finanzielle Unterstützung der Landkreise durch den Freistaat, um Träger zu gewinnen. „Ganz grundsätzlich halten wir es für eine Selbstverständlichkeit“, so Jacob weiter, „dass bei der Gewährung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz auch eine Gegenleistung eingefordert werden kann.“ Der Grundsatz der Freiwilligkeit sollte aber im Vordergrund stehen.
Zustimmung signalisiert auch die Handwerkskammer Leipzig. „Eine Arbeitspflicht für Asylbewerber bietet Vorteile bei den Themen Tagesstrukturierung, Akzeptanz und Integration. Sie ist in jeder Weise sinnstiftend, für die Kommunen und die Betroffenen“, meint Hauptgeschäftsführer Volker Lux. Sinnvoll wäre es allerdings auch, merkt er an, sich mit den Kammern abzustimmen, „um Wettbewerbsneutralität mit gewerblichen Anbietern zu gewährleisten“.