Maximilian der Identitäre
AfD-Mann Maximilian Krah will Oberbürgermeister von Dresden werden. Und die Stadt zur Heimat des Deutschseins machen. Die Nationalen feiern ihn dafür.
Von der Straße aus deutet an diesem Sonnabend im Mai nichts darauf hin, dass die Burschenschaft Salamandria einen hohen Gast erwartet. Ihre Villa im Dresdner Südwesten mit Fachwerk und Walmdach wirkt verlassen, Rollladen verdecken die Fenster. Und doch warten drinnen rund 30 Leute. Der Star des Abends kommt mit fast einer Stunde Verspätung: Maximilian Krah, Europaabgeordneter der AfD und Oberbürgermeisterkandidat in Dresden.
Der 45-Jährige begrüßt jeden mit Handschlag, einen Ex-Funktionär der NPD-Jugendorganisation ebenso wie die Rentnerin, die sich vor Handystrahlen fürchtet. „Wenn wir hier in diesem Raum stehen, hat es den großen Vorteil, dass ich zu Ihnen sprechen kann, ohne dass ich meine Tatzen mit Mehl bestreue und Kreide vorher fresse“, sagt Krah. Und später: „Bunt und vielfältig ist jede Müllhalde. Ich bevorzuge aber durchaus auch mal eine gepflegte hellere Wandfarbe.“ Die Zuhörer lachen in ihre Bierkrüge.
Solche Sprüche sind es, die den 45-Jährigen zum Hoffnungsträger der Nationalen machen. Nicht nur bei der Burschenschaft. Manche Wahlbeobachter prophezeien, dass es nach der Wahl am 12. Juni auf ein Triell hinauslaufen könnte: Einen zweiten Wahlgang Anfang Juli zwischen Krah, Amtsinhaber Dirk Hilbert und einen Kandidaten von Linken, Grünen und SPD.
Ein Kommilitone beschreibt Maximilian Krah als „strategischen Denker“
Geboren in Räckelwitz bei Bautzen, zog er mit seinen Eltern schon als Zweijähriger in die Landeshauptstadt. Die Familie ist christlich geprägt. „Mein Vater war nicht sonderlich fromm, ich war es auch nicht, aber es war doch ein schönes Statement, dass man mit den Kommunisten nichts zu tun hatte.“ Der Vater, ein CDU-Mitglied, schaffte es nach der Wende bis zum Ministerialrat im Innenministerium. Die Mutter arbeitete als Lehrerin in einer Förderschule. Ihr jüngster Sohn studierte Jura in Dresden und promovierte. Zudem absolvierte er ein Eliteprogramm an der Columbia-Universität in New York und der Londoner Business School. Als „strategischen Denker“ und „äußerst charismatisch“ beschreibt ihn ein früherer Kommilitone.
Ein paar Tage nach dem Abend bei der Salamandria. Man trifft sich im Außenbereich eines Cafés in der Dresdner Innenstadt. Obwohl es 25 Grad im Schatten sind, trägt Krah einen dunklen Anzug, weißes Hemd mit seinen Initialen am Ärmel, Manschettenknöpfe und eine rotweiß karierte Krawatte. Er hat gleich einen Wahlkampftermin im Verkehrsmuseum, ein Forum zum Radverkehr. „Nicht ganz das richtige Outfit dafür“, sagt er. „Aber ich habe so viele Termine, da kann ich mich nicht dauernd umziehen.“ Auf dem Weg zum Forum schlendert er am Fürstenzug mit den Abbildungen der sächsischen Herrscher vorüber. Zu ihm passe am ehesten noch „Friedrich der Streitbare“, sagt er.
Auf der Veranstaltung des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs spielt sein Anzug keine Rolle. Krah schlängelt sich mit Ideen und Ortskenntnis durch das Grünen-Terrain. Dabei hatte er in der Burschenschaft über seine grüne Mitbewerberin noch gelästert: „Gucken Sie sich mal unser super Rathaus an (…) Glauben Sie wirklich, das haben unsere Vorfahren gebaut, damit da am Ende Eva Jähnigen drinsitzt?“
Gäbe es am Fürstenzug Tiere als Appositionen, so wäre für ihn Maximilian das Chamäleon zutreffend. Vor zwei Wochen berichtete Der Spiegel über seine Kontakte in Russland, unter anderem zu einem „ideologischen Vordenker des Überfalls auf die Ukraine“. Krah bestätigt die Recherchen. Einzig ein Zitat sei „verkürzt“ wiedergegeben worden. Kurz darauf bezeichnet er den Text in einer Rede auf dem Theaterplatz dennoch als „Hetzartikel“. Angesprochen auf solch mühelosen Wechsel von sanften Erklärungen und harten Parolen sagt er: „Marktplatzreden dienen dazu, in bildlicher Sprache abgefasst zu sein.“
Der Anfang des CDU-Frustes von Krah war die Heitmann-Affäre
Mit den Jahren ist sein Verdruss auf fast alles „Etablierte“ gestiegen. Egal, ob auf Medien, Institutionen oder Parteien. Das hat mit seinen Erfahrungen zu tun in der CDU, die ihm fast ein Vierteljahrhundert politische Heimat war. Noch in der Jungen Union erlebte er die Affäre um den damaligen sächsischen Justizminister Steffen Heitmann. Den hatte Bundeskanzler Helmut Kohl 1993 als neuen Bundespräsidenten vorgeschlagen. Doch Heitmann eckte an: mit Aussagen gegen eine multikulturelle Gesellschaft, für mehr Nationalbewusstsein, zur Enttabuisierung der Zeit des Nationalsozialismus. Danach galt er als nicht mehr vermittelbar. Das hat Krah nie vergessen. Mehr als 20 Jahre später schrieb er in einem Essay, Heitmann habe damals „eine kulturelle Alternative zum linksliberalen Mainstream“ formuliert. Zum Dank sei er „von den eigenen Parteifreunden aus dem Rennen genommen“ worden.
Die Kandidatur fürs Oberbürgermeisteramt ist nicht das erste lokalpolitische Rennen Krahs. Schon 2012 wollte er für die Dresdner CDU in den Bundestag. Seine Eltern, die inzwischen in Heidenau leben, unterstützten ihn. Auch die frühere sächsische Kultusministerin Stefanie Rehm warb für Krah und ließ sich auf einem Flyer zitieren: Er sei (…) „werteorientiert, erfolgreich, gebildet, hat Familie mit vier Kindern. (…) Im Grunde ist er ein Vorbild.“
Inzwischen hat Krah sieben Kinder. Seine erste Ehefrau Claudia starb 2014 an Krebs. Nach ihrem Tod verlobte er sich mit einer slowakischen Mode- und Beautybloggerin, die inzwischen auch russlandkritische Texte in der katholischen Tagespost schreibt. Aus dieser Beziehung stammen zwei Kinder. Das Paar hat sich getrennt. Krah sagt, er sei nun mit einer Lehrerin aus Radeberg liiert und erneut Vater geworden.
In der Salamandria kreisen die Bierkrüge, während er redet. Ein ausgestopfter Fuchs mit Burschenschaftsmütze beobachtet das Treiben von einem Schrank aus. Ob auch der Verfassungsschutz dabei ist, weiß niemand. Unbekannt ist Krah dort jedenfalls nicht, unter anderem deshalb, weil er gern mit dem Nazi-Begriff „Umvolkung“ hantiert. Diesmal deutet er die Regenbogenflagge als Symbol „für ein Leben ohne Bindung, Biologie und Tradition.“
In der Dresdner CDU scheiterte Krah mit seiner Radikalität an der Bundestagsbewerbung – und das nicht nur 2012, sondern auch 2016. Obwohl er gut vernetzt war: Ein Foto zeigt ihn bei einer Reserveübung mit dem heutigen Kultusminister Christian Piwarz. Doch Krah verbreitete im Diskurs um die Flüchtlingspolitik teilweise Falschnachrichten, griff Kanzlerin Merkel frontal an, schmähte politische Gegner. So widerfuhr ihm selbst das Heitmann-Schicksal: Er galt in der CDU als „nicht mehr vermittelbar“. Nun verließ er die Partei, im Internet forderte er weitere Christdemokraten zum Austritt auf. Der kurz darauf erfolgte Eintritt in die AfD sei für ihn wie eine „gedankliche Befreiung“ gewesen.
Kostproben seiner freien Gedanken liefert er auf dem Burschenschaftsabend zuhauf. „Was sind die großen Treiber der Massen-Migration?“, fragt er in die Runde. „Das ist Hartz 4 und Ficki-Ficki“, antwortet er selbst. Oder: Ein Oberbürgermeister Krah wirke „auf Migranten ungefähr wie Knoblauch auf Dracula“. Oder: Dresden solle gezielt um die Menschen werben, die einen Ort suchten, „wo Deutschland noch deutsch“ sei. „Und zwar bitte um die mit Geld.“
Krah legte in der AfD die Karriere hin, die ihm in der CDU verwehrt blieb. Er schaffte es in den Landesvorstand und ist seit 2019 Europa-Abgeordneter in der Fraktion Identität und Demokratie. Ihr gehören neben der AfD unter anderem die französische Rassemblement National, die FPÖ und die italienische Lega Nord an. Er bekommt rund 9.200 Euro brutto im Monat und eine Kostenpauschale von fast 4.800 Euro monatlich. Als Oberbürgermeister werde er weniger verdienen, behauptet Krah. Doch das werde wettgemacht durch den „Gewinn an Gestaltungsmacht und an Freude an der Destruktion unserer ganzen linken Gegner.“ Er habe den Eindruck, es sei vor allem seine Kampagne, „auf die geguckt wird“.
Wahlplakate mit „dem langen Max“ sorgten in Dresden für Ärger
Unrecht hat er damit nicht. Seine Helfer hängten vier Einzelplakate übereinander; nur zusammen ergeben sie ein vollständiges Bild, den „langen Max“. Da Wahlplakate an Laternenmasten jedoch nur eine bestimmte Größe haben dürfen, schritt das Rathaus ein. Krah klagte – und war in den Schlagzeilen. Eine Initiative namens OB2022 hat einen Brief an die Verwaltung des EU-Parlaments geschickt. Den Absendern zufolge hat seine Fraktion die Großflächen-Plakate, die ihn am Rednerpult in Straßburg zeigen, „rechtswidrig“ finanziert. Krah widerspricht. Die Verwendung der Plakate sei vorab geprüft worden, es habe keine Einwände gegeben. Den Wahlkampf bezahle er privat, mithilfe seiner Partei und mit Spenden.
Schon bei den Kommunalwahlen 2018 zählte Krah zu den führenden Köpfen hinter dem Wahlkampfprogramm der Dresdner AfD. Damals lautete das Motto: „Dresden zeigt, wie’s geht.“ Dass die Parole von Pegida stammte, war kein Zufall. „Wir mögen uns, sind aber nicht deckungsgleich“, sagte Krah damals. Man solle Pegida-Gründer Lutz Bachmann das Koks und seine Nutten nicht vorwerfen. „Dass wir die Begriffe Islamisierung und Abendland so locker flockig verwenden dürfen, verdanken wir diesem Mann.“ Krah forderte, was er jetzt auch wieder verlangt: etwa ein Museum für Ost-Kunst, Sozialwohnungen nur bei Genossenschaften, eine Abkehr von der Eintönigkeit der Neubauten.
Im jetzigen Wahlkampf setzt er auf ein Dresden-Gefühl. Ein Schlüsselwort dabei: Identität. Es fällt mehrfach in seiner Rede im Burschenschaftshaus. Prägend für die Dresdner Identität sei der 13. Februar 1945 gewesen. Wenn der jetzige Oberbürgermeister dazu mal eine Rede halte, dann gehe es um „eine bemerkenswerte Täter-Opfer-Umkehr“, klagt Krah.
An anderer Stelle betont er, sein Ziel sei es, das Dresdner Bürgertum „wieder tonangebend“ zu machen. Ein Bürgertum, das seine Identität aus Bildung, Kultur und Tradition beziehe. Wie viele andere habe auch er in den 1990er-Jahren seine ostdeutsche Identität zunächst unterdrückt: „Ein Ossi wollte keiner sein.“ Erst später habe er verstanden, dass es zur Identität der Ostdeutschen gehöre, den Begriff „Nation“ positiv zu besetzen, während die tonangebenden Kreise des Westens damit nur eine Verbrechensgeschichte assoziierten.
Seine DDR-Prägung habe ihm beruflich mehr genützt als geschadet. „Du hast in einer derartigen Härte deine Gegner angegriffen, das hätten wir niemals gemacht“, hätten Anwaltskollegen aus dem Westen ihm gesagt, erzählt er. Über Umwege sei er so auch zu seiner ersten großen Mandantschaft gekommen: die erzkonservative katholische Piusbruderschaft, die ihre Messen auf Latein zelebriert.
Von Ende 2008 an kümmerte er sich um einen Teil ihrer Finanzen. Die Piusbrüder waren Begünstigte eines Erbes in zweistelliger Millionenhöhe; es stammte von einer österreichischen Baronin. Auch um Steuern zu sparen, entwarf er ein Finanzkonstrukt mit einer Gesellschaft in der Schweiz und einer Stiftung in Wien. Erst als Anwalt, später als Zeuge war Krah auch in den Prozess gegen den Holocaust-Leugner und britischen Piusbruder-Bischof Richard Williamson verwickelt, der erst 2019 vor dem Europäischen Gerichtshof endete.
Der erste Roman ist auch schon fertig
Zuletzt jedoch machte Krah mehr Schlagzeilen mit Prozessen rund um die Meinungsfreiheit. Er verteidigte etwa den Vorsitzenden eines Obdachlosenhilfe-Vereins, der dem Chef der Tafel Dresden einen „baldigen Tod und nichts Anderes“ gewünscht hatte. Er vertrat 2017 ein damaliges CDU-Mitglied, das mit drei anderen Männern einen psychisch kranken Flüchtling an einen Baum gefesselt hatte; inzwischen sitzt der Ex-CDUler für die AfD im Bautzener Kreistag.
Die Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen, der ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier und dessen Frau, der als „Hutbürger“ bekannt gewordene LKA-Mitarbeiter und die AfD-Görlitz – sie alle waren oder sind noch ebenfalls seine Mandanten.
Er wird also nicht am Hungertuch nagen, sollte seine Kandidatur scheitern. Der Anwalt kann zumindest bis 2024 als EU-Parlamentarier weitermachen. AfD-intern werden ihm auch Ambitionen auf den Landesvorsitz nachgesagt. „Auch wenn ich verliere, und das ist nicht so unwahrscheinlich, haben wir die Stadt doch mal durchgeschüttelt“, sagt Krah in der Burschenschaft.
Neuerdings führt er gern ein dickes Bündel Papier mit sich. 487 bedruckte Schreibmaschinen-Seiten. „Reise nach Europa“ steht auf der ersten. Es sei sein erster Roman, sagt Krah. Es gehe um einen jungen Anwalt, der das Millionenerbe einer Adeligen mit familiären Wurzeln in der Ukraine organisieren soll. „Kennen Sie einen Verleger?“, fragt er. Ohne Scheu und Distanz.