Anna und Arthur schütteln den Kopf
Namen, Gruppenzugehörigkeit, sogar ein Dating-Profil: Mitgliedern des Studierendenrats in Halle (Saale) wird vorgeworfen, umfangreiche Informationen über die dortige linke Szene an die Polizei übergeben zu haben.
Linke zerstreiten sich gerne, doch auf einen Grundsatz können sich vielleicht die meisten einigen: Man gibt keine inkriminierenden Informationen an die Polizei weiter, um anderen Linken zu schaden, die man als politische Gegner betrachtet. So würde man zumindest hoffen. Doch vergangene Woche wurden schwerwiegende Vorwürfe gegen Mitglieder linker Hochschulgruppen in Halle (Saale) erhoben. Mehrere Angehörige des Studierendenrats (Stura) der dortigen Martin-Luther-Universität sollen Informationen über Personen aus der linken Szene an die Polizei weitergegeben haben: Namen, Gruppenzugehörigkeit, sogar ein Dating-Profil.
Die Vorwürfe wurden in einem ausführlichen Post auf der Internetplattform Indymedia erhoben. Veröffentlicht hat ihn ein »Anti-Repressions-Bündnis Halle«, das bisher nicht in Erscheinung getreten war. Die im Indymedia-Text als »Bullenspitzel« bezeichneten Personen werden dort namentlich genannt. Einige von ihnen kandidieren bei den Kommunalwahlen diesen Sommer auf den Listen der Linkspartei beziehungsweise der SPD für den Stadtrat von Halle (Saale).
Es handle sich um die »vermutlich ausführlichste Kooperation linker Aktivist:innen mit den Ermittlungsbehörden, die es in der Geschichte Sachsen-Anhalts jemals gegeben haben dürfte«, heißt es auf Indymedia. »Gut ein Dutzend Mitglieder des Studierendenrates der Martin-Luther-Universität Halle plauderte in polizeilichen Zeugenvernehmungen« über »vermeintliche oder tatsächliche Mitglieder der halleschen Antifa-Szene«.
Hintergrund der Ermittlungsverfahren, in deren Rahmen die Vernehmungen stattfanden, war eine Auseinandersetzung über den Arbeitskreis Antifa des Studierendenrats. Der Arbeitskreis wurde 2022 nach einer langen Auseinandersetzung durch eine Stura-Abstimmung aufgelöst. Der Konflikt entbrannte unter anderem an einer Veranstaltung im September 2021 mit dem Titel »Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie«, bei der Vojin Saša Vukadinović und Hannah Kassimi Grundannahmen der Queer Theory kritisierten. Dem AK Antifa wurde damals vorgeworfen, dass in den Vorträgen transfeindliche Inhalte verbreitet worden seien. Eine Koalition aus Jusos, Grüner Hochschulgruppe und der Offenen Linken Liste beantragte im Stura die Auflösung des Arbeitskreises, scheiterte aber zunächst.
Der Vorgang war Teil eines größeren innerlinken Konflikts, der in Halle (Saale) nicht nur im Studierendenrat ausgetragen wurde. Die antideutsche Gruppe »No Tears for Krauts« störte im April 2022 eine queerfeministische Demonstration, die unter das Motto »Raise your Voice Against Terfs« gestellt wurde.
Das Akronym Terf soll »trans-exklusive Radikalfeministinnen« bezeichnen. Im Mai 2022 wurde das Frauenzentrum Dornrosa mit Farbbeuteln beworfen und mit dem Schriftzug »Terfs boxen« besprüht. Diese Auseinandersetzungen thematisierte damals sogar das Landesamt für Verfassungsschutz von Sachsen-Anhalt recht ausführlich in seinem Jahresbericht 2022 – vielleicht auch in Ermangelung nennenswerter linksradikaler Aktivitäten im Land.
Im Juli 2022 schließlich wurde im Studierendenrat erneut ein Antrag zur Auflösung des AK Antifa eingebracht. Aus Protest dagegen blockierten dessen Sympathisant:innen am 8. Juli mehrere Gebäude der Universität, um die Sitzung des Stura zu verhindern. Als sie erfuhren, dass die Sitzung abgesagt worden war, meldeten sie eine Spontandemonstration an, im Zuge derer es zu Zusammenstößen mit der Polizei und Sachbeschädigungen kam. Zwei Stura-Mitglieder erstatteten Anzeige wegen Hausfriedensbruchs, die Polizei nahm Ermittlungen auf. Gegen zwei Teilnehmer des Protests wurden Strafanzeigen wegen Landfriedensbruchs, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Nötigung gestellt.
Die Auflösung des Arbeitskreises wurde schließlich in der folgenden Woche in einer Online-Sitzung beschlossen. Unterstützer:innen des AK Antifa demonstrierten dagegen, dabei wurde ein Stein durch ein Fenster der Räumlichkeiten des Studierendenrats geworfen. Dies war jedoch nicht Gegenstand der Ermittlungen, auf die sich die aktuellen Vorwürfe beziehen. Bei diesen geht es nur um die beiden Protestteilnehmer vom 8. Juli.
Im Zuge dieser Ermittlungsverfahren sollen mehrere Mitglieder des Studierendenrats bei der Polizei ausgesagt haben. Sie sollen unter anderem Teilnehmer:innen der Proteste zur Unterstützung des AK Antifa identifiziert und dafür zum Teil sogar eigenes Bildmaterial vorgelegt haben. Auch über »Zugehörigkeiten von Personen zur AG Antifa, der Antifaschistischen Liste und anderen linken Gruppen und Mitgliedern des Bündnis Halle gegen rechts« sollen Aussagen gemacht worden sein, heißt es im Indymedia-Text. Der Jungle World liegen Informationen vor, die diese Vorwürfe bestätigen.
Im Gespräch mit der Jungle World weist Tom Neuhaus vom AK Antifa darauf hin, dass »nur Ermittlungen gegen zwei Personen eingeleitet« worden seien; »in den Ermittlungsakten sieht man aber, dass ohne Not persönliche Details über Leute ausgeplaudert wurden, gegen die die Cops nicht mal ermitteln«.
Für Neuhaus machte es den Anschein, als wären die Aussagen aus voller Überzeugung erfolgt: »Ich fand es gruselig, dass die dabei nicht gezögert haben. Da hatte ich den Eindruck, dass die das mit einem reinen Gewissen tun. Später sind dieselben Leute im Kontext des Antifa-Ost-Verfahrens auf die Antirepressionskampagne aufgesprungen.«
Er sei überrascht gewesen, wie gering die Berührungsängste mit der Polizei gewesen seien. Teilweise sei Auskunft über früheres politisches Engagement und vorherige Wohnorte gegeben und es sei angeboten worden, noch zusätzliche Fotos nachzureichen. Bei den Auskünften soll es sich Neuhaus zufolge teilweise nur um Mutmaßungen und Gerüchte gehandelt haben. Sie würden »sehr viel mehr über deren Denken als über die tatsächlichen Strukturen« aussagen, so Neuhaus.
Der Umfang der gesammelten Daten ist bemerkenswert. Einem Mitglied des Studierendenrats, das für die Linkspartei für den Stadtrat kandidiert, wird sogar vorgeworfen, selbst Recherchen betrieben und die Ergebnisse an die Polizei weitergegeben zu haben. Darunter fanden sich Fotos von öffentlichen Veranstaltungen und – so Neuhaus im Einklang mit dem Indymedia-Post – das Online-Dating-Profil eines Mitglieds des AK Antifa, dem weder seitens der Zeug:innen noch der Polizei strafrechtlich relevante Vorwürfe gemacht worden seien.
Auch der Jungle World liegen Informationen vor, die bestätigen, dass ein Zeuge der Polizei einen Screenshot mit einem Foto von einem Dating-Profil vorgelegt hat. Derselbe Zeuge hat für die Polizei verschiedene Demonstrationsteilnehmer identifiziert, auch auf eigenem Bildmaterial.
Die Jungle World hat über den Stadtverband der Linkspartei um eine Stellungnahme der drei Stadtratskandidaten Anton Borrmann, Klara Stock und Patricia Fromme gebeten. Die drei waren Mitglieder des Studierendenrats. Im Indymedia-Post wird ihnen vorgeworfen, Informationen mit der Polizei geteilt zu haben. Ein Sprecher des Stadtverbands der Linkspartei teilte jedoch mit, dass sie sich gemeinsam darauf verständigt hätten, keine Aussagen zu tätigen, weil das Ermittlungsverfahren noch läuft.
Der Stadtverband selbst antwortete auf die Frage der Jungle World, wie man die Vorwürfe bewerte, lediglich, dass man »als Stadtvorstand von Die Linke Halle« dabei sei, sich »mit den Vorwürfen und den Problematiken auseinanderzusetzen«. Doch »gleichzeitig können wir die Vorwürfe aufgrund des laufenden Ermittlungsverfahrens nicht kommentieren und haben keine Möglichkeit der Überprüfung«.
Henriette Quade, die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei im Landtag von Sachsen-Anhalt, schrieb auf X (vormals Twitter): »Die Vorwürfe, die hier im Raum stehen, sind erheblich. Und sie sind bisher nicht entkräftet, im Gegenteil.« Sie verurteile »Transfeindlichkeit und den Steinwurf auf den Stura« – eine Woche nach der Blockade hatten Unbekannte während einer Stura-Sitzung einen Stein durch ein Fenster in den Raum geworfen, verletzt wurde niemand –, auch habe jeder das Recht, Straftaten anzuzeigen. Doch wer »über das für die Aufklärung eines Angriffs Notwendige hinaus Informationen über Dritte weitergibt«, trage zur »Repression linker Strukturen bei, nicht zu linker Politik«.