Aufruhr wegen Budapester Antifa-Prozess

Italien bestellt ungarischen Botschafter ein, Meloni ruft Orbán an

Der Fall der in Ungarn inhaftierten Italienerin Ilaria S., die vor einem Jahr in Budapest rechtsextreme Demonstranten angegriffen haben soll, wird zunehmend zur Belastung zwischen den beiden EU-Partnerstaaten. Die Lehrerin aus Mailand bezeichnet sich selbst als Antifaschistin und wurde bei einer Verhandlung vor dem Stadtgericht in Budapest mit Hand- und Fußfesseln und einer zusätzlichen Kette vorgeführt. Italiens konservativer Außenminister Antonio Tajani ließ am Dienstag den ungarischen Botschafter in Rom einbestellen und fordert von der Regierung in Budapest, die 39-jährige Lehrerin ausreisen zu lassen.

Am Montag hatte in Budapest ein Prozess gegen drei Aktivisten aus Deutschland und Italien begonnen. Hintergrund ist der »Tag der Ehre«, bei dem sich Neonazis in der ungarischen Hauptstadt jedes Jahr zu einem der größten Aufmärsche in Europa treffen. Er erinnert an die erfolglosen Versuche deutscher und ungarischer Truppen, am 11. Februar 1945 den sowjetischen Belagerungsring um Budapest zu durchbrechen. Bei diesem »Heldengedenken« wurden im vergangenen Jahr neun tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten von Angreifern verletzt; diese sollen dazu Schlagwerkzeuge genutzt haben.

Die drei Angeklagten werden von der Staatsanwaltschaft beschuldigt, einer in Deutschland gegründeten »linksextremistischen Organisation junger Erwachsener« anzugehören. Die Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung hätten »Krafttrainings« erhalten, »ausgewählte Opfer« seien unter anderem mit tödlichen Waffen angegriffen worden.

Der aus Berlin stammende Tobias E. hatte sich am Montag zu dem Vorwurf der Mitgliedschaft schuldig bekannt und wurde in einem verkürzten Verfahren zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Das Gericht berücksichtigte die Unbescholtenheit des Angeklagten und den Umstand, dass er in Deutschland einem weiteren Strafverfahren ausgesetzt ist. Als erschwerend für die vorgeworfene Straftat galt unter anderem »ihr internationaler, grenzüberschreitend organisierter Charakter«. Tobias E. soll zudem Anführer der Vereinigung gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte gehen gegen das Urteil in Berufung.

Ilaria S. wird außerdem eine zweifache schwere Körperverletzung vorgeworfen; wie die ebenfalls aus Deutschland stammende Anna M. bestreitet sie jedoch die Mitgliedschaft in der angeblichen Vereinigung. Anna M. erhielt erneut Haftverschonung und durfte nach dem Vorverfahren am Montag wieder ausreisen, muss aber an ihrem Wohnort Meldeauflagen befolgen.

Das Verfahren wird in einer Hauptverhandlung ab dem 24. Mai fortgesetzt. Die Strafforderung der Staatsanwaltschaft ist noch unbekannt; im Falle eines Geständnisses hatte sie für Ilaria S. elf Jahre und für Anna M. dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Sie sollen zudem eine zehn- beziehungsweise fünfjährige Einreisesperre erhalten.

Ilaria S. sei »wie ein Hund« in das Gericht geführt worden, kommentierte ihr Anwalt am Montag. »Eine Italienerin in Ketten – an Händen und Füssen gefesselt in Ungarn«, schrieb dazu Giuseppe Conte, Vorsitzender der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung Italiens, am Tag darauf. Auch die rechtsextreme Lega Nord äußerte sich entsprechend: »Wir bedauern die Behandlung von Ilaria S. und hoffen, dass sie ihre Unschuld beweisen kann«, sagte die stellvertretende Sekretärin der Partei. Am Dienstagabend soll schließlich auch die italienische Premierministerin Giorgia Meloni mit ihrem Amtskollegen und politischen Freund Victor Orbán in der Angelegenheit telefoniert haben.

Ungarn will in dem Antifa-Prozess auch den Italienier Gabriele M. vor Gericht stellen, derzeit sitzt er im Auslieferungsverfahren in Mailand im Hausarrest. Bereits in den letzten Wochen hatte der zuständige Staatsanwalt Cuno Tarfusser angesichts menschenunwürdiger Haftbedingungen von Ilaria S. eine Auslieferung von Gabriele M. angezweifelt. Nach den Bildern vom Montag will Tarfusser den Antrag ablehnen. »Ich werde sicherlich nicht Orbáns rechte Hand im Ausland sein. Wenn ein Staat von einer gemeinsamen europäischen Rechtsauffassung abweicht, muss ich das als italienischer Richter berücksichtigen«, zitiert ihn die Zeitung »Il Manifesto«. Eine Entscheidung könnte nach einer Anhörung am 13. Februar fallen.

In Deutschland wartet in derselben Sache die in Dresden inhaftierte Maja T. auf eine Entscheidung zur Auslieferung. Die ungarischen Behörden fahnden zusammen mit dem sächsischen Landeskriminalamt außerdem nach insgesamt 14 weiteren Personen; mindestens vier sollen an den Angriffen in Budapest beteiligt gewesen sein.

Vergangene Woche hatten Angehörige der Gesuchten öffentlich gemacht, vom Bundesamt für Verfassungsschutz angesprochen worden zu sein, um sie zur Kooperation zu bewegen. So weit bekannt hätten dies alle Aufgesuchten abgelehnt, berichtete eine Elterninitiative.

Dazu wurden nun neue Details bekannt: Nach Angaben der Initiative gab es insgesamt zwölf solcher Ansprachen von Eltern, Großeltern, Geschwistern und Freunden in den Bundesländern Sachsen, Thüringen, Berlin, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und Bayern. Die meisten Vorfälle sollen sich am 6. Dezember ereignet haben.

Überprüfen lässt sich das nicht; auf Anfrage erklärt der Geheimdienst, sich zu »derartigen Sachverhalten« grundsätzlich nicht zu äußern. Hintergrund könnte jedoch ein Deal sein, in dem den Gesuchten versprochen wird, eine Auslieferung nach Ungarn abzulehnen, wenn sie sich einem Verfahren in Deutschland stellen. Die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden müsste dem Vorschlag jedoch zustimmen.


31.01.2024

Es ist etwas faul in Italien

Matthias Monroy zum Protest aus Rom gegen die Haftbedingungen von Ilaria S.

Italiens rechtsextreme Premierministerin, der konservative Außenminister und der rechte Koalitionspartner kritisieren Ungarns Umgang mit Ilaria S. in Haft und vor Gericht. Die Lehrerin aus Mailand ist bekennende Antifaschistin und muss sich in Budapest wegen Angriffen auf mutmaßliche Neonazis verantworten.

Die 39-Jährige wurde an einer Kette zum Prozess geführt, Hand- und Fußgelenke gefesselt. Protest gegen diese Behandlung bräuchte es auch aus Berlin: Zwei Deutsche sind ebenfalls in Budapest angeklagt, einer sitzt im gleichen dreckigen Gefängnis wie Ilaria S.

Auch in Italien werden Menschen von Polizei und Justiz gefoltert, oft sind die Opfer Geflüchtete, es gibt zahlreiche Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs. Der europäischen Linken ist dies seit dem G8-Gipfel 2001 in Genua schmerzlich bekannt. Italien hat zudem die UN-Folterkonvention erst 2017 umgesetzt – in schwächster Form, wonach nur mehrfache Taten darunter fallen. Wenn sich nun ausgerechnet Rom als Hüter der Menschenrechte aufschwingt, ist daran einiges faul.


Matthias Monroy 29.01.2024

Berliner Antifa-Aktivist bekennt sich

Gericht in Budapest verurteilt Tobias E. wegen Mitgliedschaft in krimineller Vereinigung

Der aus Berlin stammende Antifa-Aktivist Tobias E. hat sich vor dem Stadtgericht in Budapest schuldig bekannt, Mitglied einer kriminellen Vereinigung zu sein. Anschließend wurde der 29-Jährige in einem Vorverfahren zu drei Jahren Haft verurteilt. Hintergrund ist ein Verfahren wegen einer Serie gewaltsamer Angriffe am Rande des »Tages der Ehre« am vergangenen 10. und 11. Februar in der ungarischen Hauptstadt. Bei dem europaweiten Neonazi-Aufmarsch waren neun tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten verletzt worden, sechs davon schwer. Die Angreifer sollen mit Teleskopschlagstöcken, Hämmern und Bleihandschuhen bewaffnet gewesen sein, von einem der Vorfälle gibt es eine Videoaufzeichnung.

Es war der erste Verhandlungstag eines Prozesses, in dem drei Aktivisten aus Deutschland und Italien angeklagt sind. Gegen Tobias E. ließ die Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen Körperverletzung fallen, übrig blieb deshalb nur der Vereinigungsparagraf. »Ich erkenne meine Schuld an und verzichte auf die mir im Verfahren zustehenden Rechte«, zitierte ihn die ungarische Zeitung »Blikk«. Der Angeklagte sitzt seit seiner Festnahme vor einem Jahr in Untersuchungshaft und wurde in Hand- und Fussfesseln in den Saal geführt.

Die Staatsanwaltschaft hatte für Tobias E. dreieinhalb Jahre Haft beantragt und könnte nun in Berufung gehen. Anschließend kann die Verteidigung beantragen, dass er seine Gefängnisstrafe in Deutschland absitzen darf. Bliebe er in Ungarn inhaftiert, wäre nach zwei Dritteln der Strafe eine Umwandlung in eine Bewährung möglich.

Die Staatsanwaltschaft warf Tobias E. vor, für die Taten in Budapest eine »mit der linksextremen Ideologie sympathisierende Organisation« gegründet zu haben. Hauptangeklagte in diesem Verfahren ist die Italienerin Ilaria S.; ihr wird außerdem versuchte lebensgefährliche Körperverletzung vorgeworfen – dafür verlangt die Staatsanwaltschaft elf Jahre Haft. »Ich habe diese Verbrechen nicht begangen, ich akzeptiere nicht, was sie mir vorwerfen«, sagte sie laut einer ungarischen Zeitung am Montag vor Gericht.

Wegen der menschenunwürdigen Haftbedingungen von Ilaria S. hat sich in Italien eine große Solidaritätskampagne gebildet. Eine Petition zu ihrer Freilassung und Überstellung nach Italien hat 50 000 Unterschriften erreicht. Zu dem Prozess am Montag war auch der Vater der in Italien bekannten Aktivistin angereist, auch verschiedene italienische Medien waren anwesend.

In dem Verfahren ist außerdem die aus Deutschland stammende Anna M. angeklagt. Anders als die anderen beiden Aktivisten erhielt sie vor einem Jahr Haftverschonung und Meldeauflagen an ihrem Wohnort; zum Prozess am Montag war sie angereist. Auch gegen sie steht nur noch der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, sie soll deshalb ebenfalls dreieinhalb Jahre ins Gefängnis.

Zusammen mit Tobias E. soll Anna M. laut der Anklage einer deutschen Gruppe angehören, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, militant gegen Rechtsextremisten vorzugehen. Vier Personen waren in diesem Zusammenhang Ende Mai im sogenannten Antifa-Ost-Verfahren vom Landgericht in Dresden wegen mehrerer Angriffe zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Das deutsche Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Zusammen mit dem Landeskriminalamt in Sachsen fahndet die ungarische Staatsanwaltschaft nach 14 weiteren mutmaßlichen Tätern, darunter zehn Deutsche. Mindestens vier sollen sich auch an den Taten beim »Tag der Ehre« in Budapest beteiligt haben. Nach einem europäischen Haftbefehl aus Ungarn hat die Berliner Polizei im Dezember eine weitere beschuldigte Person in Berlin festgenommen, die von ihrem Unterstützerkreis Maja T. genannt wird und in Dresden in der Untersuchungshaft auf den Ausgang ihres Auslieferungsverfahrens wartet. In Italien war zuvor Gabriele M. festgenommen und in Hausarrest gesteckt worden.

Vergangene Woche hat eine Initiative von Angehörigen mehrerer Gesuchter einen »Elternbrief« veröffentlicht und dazu aufgerufen, den zehn aus Ungarn gesuchten Deutschen ein faires Verfahren in Deutschland zu ermöglichen und diese nach einer Festnahme nicht auszuliefern. In drohe ansonsten ein »im Vergleich zu Deutschland unangemessen hohes Strafmaß«.

In die gleiche Richtung argumentieren mehrere Verteidiger rund um den »Antifa-Ost-Komplex« in einer Erklärung. »Das ungarische Justizsystem entspricht nicht rechtlichen Standards«, heißt es darin unter Verweis auf Urteile mehrerer Oberlandesgerichte. Mit den Haftbedingungen sollten die Gesuchten mürbe gemacht und bewogen werden, sich in Deutschland zu stellen, kritisieren die Anwälte.

In diese Lücke stößt nun das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das nach Aussagen mehrerer Angehöriger von Gesuchten in mehreren Bundesländern Ansprachen durchgeführt hat. Jedoch blieb der Geheimdienst erfolglos, keiner der Angesprochen war zur Mitarbeit bereit. Nun ist auch klar was das Amt vorhat: Laut der Anwaltsgruppe hat sich das BfV der Generalstaatsanwaltschaft in Dresden als »Vermittlung« für einen Deal angeboten. Die Gesuchten sollten sich stellen, dafür soll die Nichtauslieferung zugesichert werden. Ob sich die Justiz auf eine solche Absprache einlässt, ist noch unklar.

Auch die Soligruppen von Tobias E. und Maja T. vermuten, dass das heutige Schuldbekenntnis auf die menschenunwürdigen Bedingungen im Budapester Gefängnis zurückgeht. »Dass Tobias den Deal des Gerichts angenommen hat, beweist, wie das ungarische System funktioniert: Beschuldigte werden durch die unsäglichen U-Haftbedingungen zu Geständnissen gezwungen«, heißt es in einer Stellungnahme. Ein fairer Prozess könne deshalb gar nicht erst stattfinden. »Deswegen müssen wir die Auslieferung von Maja und Gabriele unbedingt verhindern und Tobias und Ilaria sobald wie möglich in ihre Länder zurückholen.«