Zwei Bündnisse, zwei Wege – Anti-AfD-Protest: „Wir müssen Herrn Müller vom Kleingartenverein erreichen“

Darf auf einem Anti-AfD-Protest auch gegen die SPD gewettert werden? Nach zwei Demonstrationen steht Leipzig vor der Frage, wie viel Geschlossenheit im Kampf gegen rechts nötig ist.

Pfarrer Wolff ist zufrieden. Während am Dienstag auf dem Augustusplatz Tausende gegen die AfD demonstrierten, hatten seine Kundgebung auf dem nur 200 Meter entfernten Nikolaikirchhof immerhin auch einige Hundert besucht. Oberbürgermeister Burkhard Jung hielt eine Rede, genau wie der Museumsdirektor Anselm Hartinger. „Solche Reden“, schwärmt Wolff, „hätte ich denen auf dem Augustusplatz auch gewünscht.“

Aber wer sind: die? In Leipzig gehen Tausende gegen rechts auf die Straße. Zuerst am vorletzten Sonntag. Nun, am Dienstag, abermals. Aber neben der Frage, was der Protest bewirken soll (AfD-Wähler umstimmen? Nicht-Wähler aktivieren? Zusammenhalt demonstrieren?), tut sich nun eine neue Problematik auf: Braucht es ein großes Bündnis – oder eher viele kleine?

Pfarrer Wolff: „Möglichst vielen das Gefühl geben: Du bist hier genau richtig“

Mehr als 70 000 Menschen sollen es gewesen sein, die am Sonntag, 21. Januar, unter der Überschrift „Zusammen gegen rechts“ auf die Straße gingen. Eine gewaltige Menge. Die aber nicht immer nur ihre Einheit beschwor. Etwa, als auf dem Podium auch Politik links der AfD, von SPD, Grünen oder FDP kritisiert wurde. Spätestens als eine Rednerin der „Eltern gegen Polizeigewalt“ ihrem Vorredner, Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), vorwarf, bloß aus wahltaktischen Gründen gekommen zu sein, machte sich bei manchen Missmut breit.

Etwa bei Pfarrer Christian Wolff, der flugs für einen eigenen Protest am 30. Januar, dem Jahrestag von Hitlers Machtergreifung, vor der Nikolaikirche aufrief. Am Montag orderte er eine Lautsprecheranlage zur Leihe, OBM Jung gewann er als Redner. Weshalb? „Es geht doch in erster Linie darum, dass die AfD nie das Sagen kriegen darf“, sagt er. „Ich verstehe nicht, warum manche dann ihre eigenen Kämpfe austragen wollen.“

Wolffs Sorge: Protestierende, die vielleicht zum ersten Mal auf eine antifaschistische Demo kommen, fühlen sich plötzlich fehl am Platz. Dabei, so der 74-Jährige, müsse man auch Konservative gewinnen. Leute, also, die tendenziell nicht links denken. Oder, wie Wolff es formuliert: „Auch den Herrn Müller vom Kleingartenverein nebenan müssen wir erreichen.“ Wolff, der sein Bündnis „Leipzig für alle“ nennt, meint es genau so: „Wenn es gegen die AfD geht, müssen wir möglichst vielen das Gefühl geben: Du bist hier genau richtig.“

Springfeld: „Frage, warum es die AfD so leicht hat, muss gestellt werden“

Man kann das alles freilich auch anders sehen. Etwa wie der 21-jährige Zwickauer Autor und Aktivist Jakob Springfeld, der die „Solidarische Vernetzung Sachsen“ mit gründete, die derzeit in ganz Sachsen zu Protesten gegen rechts aufruft – wie am Dienstag auf dem Leipziger Augustusplatz. Auf einer Anti-AfD-Demo, sagt Springfeld, sei es „notwendig, auch die Ursachen für hohe AfD-Werte mit zu benennen.“ Und diese lägen auch in der Sprache und der Politik, etwa bei den Themen Abschiebung und Fachkräftemangel, der etablierten Parteien.

„Die Frage, warum es die AfD so leicht hat“, sagt Springfeld, „muss auf Demos unbedingt gestellt werden, sonst verwässern unsere Forderungen.“ Dass es dann unter Demoteilnehmern zu Meinungsverschiedenheiten komme? Das müsse man aushalten.

Dass er dazu selbst in der Lage ist, zeigte sich am Dienstagabend: Während darum gebeten wurde, keine Fahnen anderer Parteien mitzubringen, hielt vorn ein etablierter Landespolitiker eine Rede und sprach sich für Antifaschismus aus: Sachsens grüner Vizeministerpräsident und Umweltminister Wolfram Günther.

Solidaritäts-Netzwerk will im Umland demonstrieren – Pfarrer Wolff auf dem Nikolaikirchhof
Springfeld will nun weiter auf Demos unterwegs sein, in Glauchau, Grimma und Markkleeberg. Er ruft dazu auf, dass sich besonders entschlossene Leipziger anschließen. „Die Wahlen werden eher noch im ländlichen Raum entschieden“, sagt er.

Der Leipziger Pfarrer Wolff will weiterhin auf dem Nikolaikirchof „gegen völkischen Nationalismus“ protestieren: Mit dem 18. März und dem 23. Mai auch abermals an zwei geschichtsträchtigen Terminen.


Mark Daniel 31.01.2024

Jenseits der Demos: Wo man sich in Leipzig für Demokratie engagieren kann

Demonstrationen gegen rechts haben in den vergangenen Tagen auch in Leipzig Zehntausende mobilisiert. Doch wie kann man sich jenseits der Proteste, im Alltag, engagieren, um Demokratie zu stärken und Rechtsradikalismus entgegenzutreten? Hier sind zehn Vorschläge.

Zehntausende Menschen sind in den vergangenen Tagen gegen die AfD, Rechtsextremismus und für die Demokratie auf die Straße gegangen. Dabei wurde auch der Appell laut, sich über die Proteste hinaus für demokratiestärkende Projekte zu engagieren. Welche Möglichkeiten gibt es in Leipzig? Wir machen zehn Vorschläge.

Erich-Zeigner-Haus

Der Verein organisiert zahlreiche Projekte gegen Rassismus und Antisemitismus, durch Jugend- und Erwachsenenbildung, Verlegung und Putzen von Stolpersteinen und Workshops, die sich mit den Themen Argumentieren gegen rechts, Antimuslimischem Rassismus und Erinnerungskultur auseinandersetzen. Das Zeigner-Haus ist Träger des Leipziger Netzwerks für Demokratie. Es unterstützt und vernetzt Vereine, Institutionen, Organisationen, Initiativen, Schulen und Bürger, die sich für ein demokratisches Zusammenleben einsetzen. Ehrenamtliche Hilfe für Projekte und Veranstaltungen ist dabei immer willkommen.

Infos & Kontakt: Interimsadresse Steinstraße 18, www.erich-zeigner-haus-ev.de, Telefon 0341 8709507, kontakt@erich-zeigner-haus-ev.de

Ariowitsch-Haus

Als Zentrum der jüdischen Kultur realisiert das Haus Projekte und Workshops, Konzerte, Diskussionsrunden und gemeinsames Feiern traditioneller jüdischer Feste. Fortbildungen für Gruppen zum Thema Antisemitismus sind ebenso möglich wie freie Mitarbeit bei Schulungen und Veranstaltungen. Ab September wird das neue mobile Programm „Jüdisches Leben erFahren“ in den ländlichen Regionen Sachsens unterwegs sein. Für die Ideenfindung sucht das Ariowitsch-Haus Lehrkräfte aus Gymnasien und Oberschulen; Interessierte mailen an erfahren@ariowitschhaus.de. Um Antisemitismus einzudämmen, ist auch das Melden von Vorfällen auf der Seite report-antisemitism.de/report/ wichtig.

Infos & Kontakt: ariowitsch-haus.de, 0341 22541000, kontakt@ariowitschhaus.de

RAA

Die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA) will Demokratie und bürgerschaftliches Engagement stärken. Das Leipziger Team engagiert sich für Vielfalt und Toleranz sowie gegenseitigen Respekt. Mit ihrem Opferfonds unterstützt die RAA Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt und Diskriminierung sowie Betroffene von Konflikten und Gewalt im Bereich Migration. Es gibt unter anderem Projekte für Jugendliche und Integrations- und Sprachmittlung. Ehrenamtlich kann man sich in vielen Bereichen engagieren, wichtig sind zudem Geldspenden.

Infos & Kontakt: raa-leipzig.de, 0341 99995771, post@raa-leipzig.de

Rigardu

In diesem Verein arbeiten junge Menschen, die Bildungsangebote zu den Themenkomplexen Flucht, Migration und Menschenrechte ermöglichen, außerdem zur Arbeit gegen Rassismus und andere Diskriminierungsformen. Workshops, Projekttage und Vorträge für und mit Jugendlichen und Erwachsenen sollen Denkanstöße geben. Wer sich hier engagiert, kann junge Menschen in Workshops für demokratiefördernde Themen sensibilisieren.

Infos & Kontakt: rigardu.de, willkommen@rigardu.de

Romano Sumnal

Der Leipziger Verein mit Sitz in Grünau möchte die Kultur der Roma und Sinti näherbringen, aber auch für das Problem des Antiziganismus sensibilisieren. In diesem Rahmen organisiert er Projekte, Veranstaltungen, Workshops und vieles mehr, jährlicher Höhepunkt ist im Sommer das Festival „Latcho Dives“. Romano Sumnal hat auch eine Melde- und Informationsstelle für Antiziganismus. Helfen kann man ehrenamtlich beim Umsetzen der Projekte oder per Geldspende.

Infos & Kontakt: romano-sumnal.de, 0341 24785244, romano-sumnal@web.de

CEOPS

Das Center for Education on Online Prevention in Social Networks (CEOPS) ist ein ortsungebundenes Fortbildungsprogramm mit Sitz in Halle. Durch digitale Lehrgänge befähigt es Teilnehmende, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Extremismus in den sozialen Netzwerken zu erkennen und dieser im Sinne der Demokratieförderung entgegenzuwirken. Hier kann sich jeder einbringen, dem ein gleichberechtigtes und faires Miteinander im digitalen Raum wichtig ist.

Infos & Kontakt: www.ceops.online, 0345 24993346, info@ceops.online

Gedenkstätte für Zwangsarbeit

Die Gedenkstätte in der Permoserstraße erinnert an die Opfer, das Unrecht und die Geschichte des NS-Zwangsarbeitseinsatzes in Leipzig und dessen Folgen. Am Standort der HASAG, dem ehemals größten Rüstungsbetrieb Sachsens, erinnert sie exemplarisch an den Arbeitseinsatz Tausender ziviler Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge während des Zweiten Weltkriegs im städtischen Raum. Wer mithelfen möchte, kann im Archiv mitarbeiten oder Führungen sowie Stadtteilrundgänge mit umsetzen.

Infos & Kontakt: www.zwangsarbeit-in-leipzig.de, 0341 235 2075, gedenkstaette@zwangsarbeit-in-leipzig.de

Integrationspatenschaft

Kontakt knüpfen und sich kennenlernen statt Ausgrenzen: Wer in Patenschaftsprogrammen Geflüchtete bei der Integration unterstützt, setzt ein klares Statement gegen Fremdenfeindlichkeit. Die ehrenamtliche Tätigkeit kann alle Bereiche des Alltags betreffen und wird je nach Bedarf und Möglichkeiten individuell gestaltet – beispielsweise Deutsch unterrichten oder gemeinsame Unternehmungen wie Sporttreiben oder Konzertbesuche. In Leipzig gibt es fünf Programme. Oft werden auch Workshops angeboten; die Johanniter vermittelten unter anderem „Argumentationsstrategien gegen Menschenfeindlichkeit“.

Infos & Kontakt: www.johanniter.de, 0341 22476045, Mail integrationspaten.akademie@johanniter.de; wirsindpaten.de, 0341 58150114, leipzig@wirsindpaten.de; facebook/gorkistraße120, Telefon 0341 69765810, gorki120.leipzig@malteser.org; Projekt Start-with-a-friend.de, leipzig@start-with-a-friend.de; freiwilligen-agentur-leipzig.de/together, 0341 149 47 28, integration@fwal.de

Stiftung Friedliche Revolution

Ausgehend von den Erfahrungen des Herbstes 1989 ist der Zweck der Stiftung die Förderung der Demokratie. Gestärkt werden sollen bürgerschaftliches und kirchliches Engagement für Gerechtigkeit sowie Zivilcourage und demokratisches Denken und Handeln. Bürgerinnen und Bürger, die im Schulterschluss mit der Stiftung Ideen entwickeln und voranbringen möchten, können eine Mail schreiben an info@stiftung-fr.de (Betreff „Gegen rechts“).

Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“

Das linke Aktionsnetzwerk versteht sich als Plattform für zivilgesellschaftliche und antifaschistische Netzwerke in Leipzig und Umgebung. Das Bündnis mobilisiert gegen rechte Aufmärsche. Unter anderem hat es zuletzt die große Leipziger Demonstration „Zusammen gegen rechts“ am 21. Januar mit mindestens 60 000 Teilnehmern mitorganisiert. „Leipzig nimmt Platz“ steht gelegentlich in der Kritik, sich nicht deutlich genug von linksextremistischen Aktionen abzugrenzen.
Infos & Kontakt: www.platznehmen.de, 0341 98977416 (nur Fax!), platznehmen@systemli.org