Kein Fehlerbewusstsein Das Sächsische Justizministerium rechtfertigt die Hausdurchsuchung bei einem Journalisten – sein Zeugnisverweigerungsrecht habe nicht gegolten
Das sächsische Justizministerium sieht keine Fehler bei einer von der Staatsanwaltschaft Leipzig angeordneten Hausdurchsuchung bei einem Journalisten in Halle, der das Demogeschehen an Tag X als Pressefotograf begleitet hatte. Aus der Antwort zu einer Kleinen Anfrage von Juliane Nagel (Linke) im sächsischen Landtag geht hervor, dass das sächsische Justizministerium infrage stellt, dass der Betroffene an Tag X tatsächlich als Journalist tätig war. Zudem sei die Durchsuchung auch gerechtfertigt gewesen, wenn der Betroffene tatsächlich als Journalist tätig war: Aufgrund laufender Ermittlungen hätte sich der Journalist nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können.
Mitte Dezember veranlasste die Staatsanwaltschaft Leipzig eine Hausdurchsuchung bei einem freien Journalisten und Mitglied von LZO Media in Halle, weil er an Tag X Fotos von Brandsätzen gemacht hatte, die Demonstrierende auf die Polizei geworfen haben sollen. Die Staatanwaltschaft wertet die Fotos als Beweismittel in Ermittlungen wegen versuchten Totschlags. Gegenüber dem kreuzer erklärte der Journalist Anfang des Jahres im Interview, an Tag X als Pressefotograf unter anderem für die Deutsche Presseagentur (dpa) tätig gewesen zu sein. Als er unmittelbar vor der Durchsuchung seinen Presseausweis vorzeigte, hätte die anwesende Staatsanwältin erklärt, einen Jugendpresseausweis »kennen wir nicht«.
DJV hat keine Zweifel an journalistischer Tätigkeit des Betroffenen
In der von Sachsens Justizministerin Katja Meier (Grüne) unterzeichneten Antwort auf die Kleine Anfrage im Landtag schreibt das Ministerium, dass die Frage, ob der Journalist an Tag X tatsächlich als solcher tätig war, zuständige Gerichte klären müssten – was bereits auf eine anstehende juristische Klärung des Vorgehens der Staatsanwaltschaft hindeutet.
»Der Kollege hat an diesem Tag unter anderem für eine Videotochter der dpa gearbeitet, für die er regelmäßig tätig ist. Das kann er belegen – und deshalb steht für uns außer Frage, dass er am Tag X journalistisch tätig war«, sagt Lars Radau, Geschäftsführer des sächsischen Landesverbands des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV), gegenüber dem kreuzer. »Daher hatte er auch allen Grund der Welt, sich auf sein Zeugnisverweigerungsrecht zu berufen.«
Journalistinnen und Journalisten besitzen laut Strafprozessordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht. Dadurch können sie mit vertraulichen Quellen wie Informantinnen oder Informanten kommunizieren, ohne befürchten zu müssen, Informationen oder Kontaktpersonen offenlegen zu müssen.
Staatsanwaltschaft prüfte, unter welchen Umständen Durchsuchungen bei Journalisten möglich sind
Die Staatsanwaltschaft führte den betroffenen Journalisten in ihren Ermittlungen von Anfang als Zeugen, informierte ihn darüber vor der Hausdurchsuchung jedoch nicht. Für Radau ein legales, aber dennoch fragwürdiges Vorgehen der Behörden. Laut Durchsuchungsbeschluss, der dem DJV vorliegt, war offenbar zunächst die gezielte Sicherstellung einzelner ermittlungsrelevanter Aufnahmen geplant. Der Journalist weigerte sich, diese herauszugeben, verwies auf sein Zeugnisverweigerungsrecht. »Im Anschluss hat die Staatsanwaltschaft erheblich mehr Datenträger sichergestellt, als allein für diese Aufnahmen wohl nötig gewesen wäre. Das lässt auf eine Eskalation im Zuge der Durchsuchung schließen.« Laut Radau seien andere Journalisten, die an Tag X vor Ort waren, zuvor von einer Ermittlerin kontaktiert und um Herausgabe von Daten gebeten wurden. Ein ungewöhnlicher Ermittlungsansatz, sagt Radau, letztlich sei es aber eine Gewissensentscheidung der betroffenen Journalisten, ob sie Daten an Ermittlungsbehörden rausgeben.
Juliane Nagel wollte in ihrer Anfrage wissen, ob das Justizministerium im Nachhinein Konsequenzen aus der Durchsuchung ziehen würde. In seiner Antwort betonte das Ministerium, dass es keinen Anlass für Konsequenzen oder die Wiederherausgabe des beschlagnahmten Materials sehe.
Geschäftsführer des DJV-Sachsen sieht Kernpunkte der Pressefreiheit in Gefahr
Die Staatsanwaltschaft Leipzig habe laut Ministerium vor der Durchsuchung und Beschlagnahmung der Daten eine rechtliche Prüfung durchgeführt: »lm Ergebnis der Prüfung geht die Staatsanwaltschaft Leipzig von der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung bei dem Betroffenen aus, weshalb deren Vollzug – auch nachdem der Betroffene am Ort der Durchsuchung einen ›Jugendpresseausweis‹ vorzeigte – aufrechterhalten blieb«. Teil der rechtlichen Prüfung sei auch gewesen, unter welchen Umständen Durchsuchungen auch bei Journalistinnen und Journalisten möglich seien.
So hätte sich der Betroffene nach Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft auch als Journalist nicht auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können, weil die Ermittlung wegen versuchten Totschlags »auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre«. Dabei beruft sich das Justizministerium auf den zweiten Absatz des Paragraphen 53 der Strafprozessordnung, der besagt, dass das Zeugnisverweigerungsrecht entfalle, »wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll« – wodurch gleichzeitig laut Staatsanwaltschaft auch eine Durchsuchung und Beschlagnahmung von Daten möglich würde.
Lars Radau kritisiert das Vorgehen der Behörden: »Journalisten sind keine Ermittlungshelfer der Staatsanwaltschaft. Die Vorwürfe des versuchten Totschlags wiegen schwer, trotzdem rechtfertigen sie diesen Eingriff in die Pressefreiheit nicht.« Sollte das Vorgehen der Behörden zukünftig zur Praxis werden, bedrohe das die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten. »Wenn das journalistische Zeugnisverweigerungsrecht derart ausgehöhlt wird, betrifft das Kernpunkte der Pressefreiheit und des Informantenschutzes. Informantinnen oder Informanten können sich dann nicht mehr gewiss sein, dass ihre Informationen bei Journalisten sicher sind.«
03.01.2024 Marco Brás Dos Santos
»Die Staatsanwältin meinte, einen Jugendpresseausweis ›kennen wir nicht‹«
Ein Journalist aus Halle machte Fotos an Tag X, Mitte Dezember wurde sein Haus durchsucht
Mitte Dezember veranlasste die Staatsanwaltschaft Leipzig eine Hausdurchsuchung bei einem freien Journalisten und Mitglied* von LZO Media in Halle, weil er als Pressefotograf am »Tag X« tätig war. Mehrere Tausend Menschen hatten am 3. Juni letzten Jahres in Leipzig gegen das Urteil im Prozess gegen Lina E. protestiert, es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Fokus der Hausdurchsuchung: Die Fotos des Journalisten von geworfenen Brandsätzen, die zur Ermittlung wegen versuchten Totschlags dienen sollen. Trotz Jugendpresseausweis wurde ihm das Material entzogen. Im Interview mit dem kreuzer spricht der Journalist über die Durchsuchung, die Kritik des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) zum Vorgehen der Staatsanwaltschaft und die Auswirkungen für seine Pressearbeit.
Den sozialen Medien war zu entnehmen, dass es bei Ihnen eine Hausdurchsuchung anlässlich des Demonstrationsgeschehens an »Tag X« gegeben hat. Was ist da genau passiert?
Ich war am 3. Juni, dem sogenannten »Tag X«, als Journalist in Leipzig, um das Versammlungsgeschehen zu begleiten und zu dokumentieren. Für den Tag hatte ich einen Auftrag der Deutschen Presseagentur. Foto- und Videomaterial von mir wurde auch in Fernsehsendern und verschiedenen Medien veröffentlicht. Gegen 18 Uhr brachen Demonstrationsteilnehmende aus der Ansammlung in die Scharnhorststraße aus und bewarfen Polizeikräfte mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik. Auch ein Brandsatz detonierte. Auf der Wiese am Alexis-Schumann-Platz wurde später noch ein Brandsatz auf die Einsatzkräfte geworfen. Die Staatsanwaltschaft Leipzig ermittelt in beiden Fällen wegen versuchten Totschlags. Bei der Hausdurchsuchung bei mir ging es um den ersten Brandsatz, da ich von der Detonation Fotos gemacht hatte. Von davor habe ich Bilder von Einzelpersonen, die sich in Rauchschwaden befanden. Teils hatte ich diese Bilder verpixelt in den sozialen Medien veröffentlicht.
Sie haben die Bilder aus Plattformen veröffentlicht, wo Sie auch als Journalist ausgewiesen sind?
Korrekt. Es geht der Staatsanwaltschaft Leipzig um diese Bilder, da sie als Beweismittel im Ermittlungsverfahren wegen versuchten Totschlags dienen. In dem Verfahren werde ich als Zeuge geführt. Ich habe dazu aber keine Zeugenvorladung oder Anfrage bekommen, ob Bildmaterial bereitgestellt werden kann. Stattdessen stand am Dienstag, den 12. Dezember, die Staatsanwaltschaft mit Polizeibeamten vor meiner Haustür. Sie hatten einen Durchsuchungsbeschluss und wollten das Beweismaterial sichern.
Was ist denn bei der Hausdurchsuchung passiert?
Um 6:15 Uhr wurde ich von durchgehendem Klingeln geweckt. Ich bin sehr verschlafen zur Tür gegangen und habe geöffnet. Ich war alleine zu Hause und dort standen mehrere Polizeikräfte und eine Staatsanwältin mit einem Durchsuchungsbeschluss vor der Tür. Ich habe daraufhin erstmal gefordert, den Durchsuchungsbeschluss zu sehen und mir erklären lassen, worum es geht. Die Staatsanwältin meinte, es gehe um die Ermittlung wegen versuchten Totschlags. Ich sei Zeuge, weil auf Twitter ein Bild veröffentlicht wurde. Sie haben mich dann aufgefordert, das Bildmaterial von dem Tag auszuhändigen, was ich verweigert habe. Daraufhin meinten sie, dass sie dann alle Speichermedien beschlagnahmen müssten. Ich habe darauf hingewiesen, dass ich Pressevertreter bin und meinen Jugendpresseausweis vorgezeigt. Die Staatsanwältin meinte, einen Jugendpresseausweis »kennen wir nicht«. Daraufhin wurden ein Laptop, Handys, Festplatten und SD-Karten mitgenommen.
Zum Verständnis: Was ist ein Jugendpresseausweis?
Ich bin Mitglied bei fjp media (Verband junger Medienmacher), dem Jugendpresseverband in Sachsen-Anhalt, und die stellen mir den Jugendpresseausweis aus. Dieser wird bundesweit von den großen Presseverbänden anerkannt.
Haben diese Verbände sich zu der Hausdurchsuchung geäußert?
Ja, beispielsweise hat sich der Landesvorsitzende des DJV Sachsen-Anhalt gegen die Hausdurchsuchung positioniert. Auch mein Jugendpresseverband hat die Durchsuchung verurteilt und sieht darin einen Eingriff in die Pressefreiheit. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Pressefreiheit. Ich mache mir Sorgen, dass das massive Auswirkungen auf die zukünftige Arbeit von uns Journalist*innen hat, wenn wir davon ausgehen müssen, dass für Ermittlungen journalistisches Material beschlagnahmt werden kann.
Haben Sie ihr Material inzwischen wieder, nachdem die Staatsanwältin Zeit hatte, sich mit dem Jugendpresseausweis zu beschäftigen?
Bei mir wurde sich weder entschuldigt, noch habe ich meine Materialien zurückerhalten. Ich plane auf jeden Fall, rechtlich dagegen vorzugehen, da ich in der Durchsuchung einen massiven Eingriff in meine grundrechtlich geschützte Arbeit und die Pressefreiheit im Allgemeinen sehe. Es hat keinerlei Abwägung stattgefunden, ob eine Beschlagnahmung journalistischen Materials in diesem Fall gerechtfertigt wäre, vielmehr wurde im Durchsuchungsbeschluss gar nicht erwähnt, dass ich als Journalist vor Ort war.
Wie sind Sie journalistisch tätig?
Ich bin freier Journalist, vor allem Foto- und Videograf, und Teil von LZO Media. Das ist ein Kollektiv junger Journalist*innen. Mein Material wird bei verschiedenen großen Medienhäusern veröffentlicht, und zudem habe ich verschiedene Auftragsarbeiten.
Was bedeutet die Durchsuchung für Ihre Arbeit?
Die Durchsuchung hat mentale Wunden hinterlassen. Ich merke, dass ich schlecht schlafe und mich das weiter beschäftigt hat. Zudem fehlen mir wichtige Arbeitsmittel, weshalb ich nicht richtig arbeitsfähig bin. Das stellt einen massiven Eingriff in meine Pressearbeit dar, die ich momentan nicht mehr so ausüben kann.
*Zum Schutz der Identität des Journalisten, der Zeuge in einem Strafverfahren und Betroffener einer Hausdurchsuchung ist, wurde er im Interview anonymisiert. Der Redaktion des kreuzer ist der Name des Journalisten bekannt.