Früherer FDP-Landeschef Holger Zastrow tritt aus der FDP aus

Der Dresdner FDP-Mann Holger Zastrow habe lange überlegt, wie es für ihn politisch weitergehe, sagt er. Nun hat er eine Entscheidung getroffen, die für viele überraschend sein dürfte.

Holger Zastrow kann mit Fug und Recht als FDP-Urgestein bezeichnet werden. Der langjährige Chef der Sachsen-FDP war bereits im Bund Vize der Liberalen und sitzt aktuell noch im Dresdner Stadtrat für die Partei. Überraschend hat der 55-Jährige am Dienstag bekanntgegeben, aus der FDP noch am selben Tag austreten zu wollen. Warum?

Seinen Weggang von den Liberalen begründet Zastrow mit der Berliner Politik. Die FDP ist Teil der Regierungskoalition, der auch SPD und Grüne angehören. Erst am Montag postete der Politiker bei Facebook ein Bild von einem Traktor, das ein Transparent mit der Aufschrift „Die Ampel muss weg“ zeigt. Das Foto kommentierte er mit den Worten: „FDP, du hast dich verrannt, bitte kehre um!“

„Politik hat die Mehrheit aus dem Blick verloren“

Bereits in der vergangenen Woche schrieb Zastrow zu den Bauernprotesten: „Auf den Bauernprotesten in Dresden hat man nicht nur die Landwirtschaft getroffen, sondern sehr viele Gewerke vom Handwerk über Transportunternehmen bis zur Gastronomie. Unsere Leute! Alle teilen die Sorge um unser Land und eine Politik, die nicht nur ein erfolgreiches Wirtschaften immer schwerer macht, sondern auch die Mehrheit aus dem Blick verloren hat.“ Auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf die ursprünglichen 19 Prozent kritisierte Zastrow scharf.

Einer anderen Partei will sich Zastrow nicht anschließen, sagt er. Er wolle etwas eigenes aufbauen, eine „Sammlungsbewegung“, wie er es nennt. Nächste Woche soll es losgehen. Auf jeden Fall wolle er weiter Politik machen.

Holger Zastrow gilt als einer der umstrittensten Politiker in Dresden und noch dazu bei vielen bekannt als Gesicht der Ausflugsgaststätte Hofewiese in der Dresdner Heide. Nach der Wende – in deren Vorfeld er am Dresdner Hauptbahnhof im Jahr 1989 Steine in Richtung von Volkspolizisten geworfen hat – wurde Zastrow Gründungsvorsitzender der Liberalen Jugendorganisation in Dresden – der Vorgängerorganisation der Jungliberalen Aktion. 1993 trat er dann in die FDP ein und legte einen steilen Aufstieg hin.

Mehr als 11.000 Stimmen bei vergangener Stadtratswahl

1999 wurde Zastrow zum Landesvorsitzenden der FDP Sachsen gewählt und bis 2019 immer wieder bestätigt. Von 2004 bis 2014 war er Vorsitzender der FDP-Fraktion im Landtag und von 2011 bis 2013 stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Seit 2004 bis jetzt ist er zudem Stadtrat in Dresden. Bei der Wahl 2019 wurde er Stimmenkönig – mit 11.313 Stimmen holte er weit mehr als die Kandidaten der anderen Parteien. Kurz darauf setzte er sich trotz einiger Widersacher in der Fraktion durch und wurde zum Chef gewählt.

In der Politik eckt er immer wieder mit seinen Positionen an, so bezeichnet er die Verkehrspolitik in Dresden als gescheitert, moniert Fahrradstreifen und sagte, in einigen Themen könne er nur Mehrheiten mit der rechtsextremen AfD bilden – wegen letzterem wird er als „rechtsoffen“ kritisiert. Zastrow legte sich auch mit Verkehrsbürgermeister Stephan Kühn (Grüne) öffentlich an und einiges mehr. Aufgrund seines Agierens auf Landes- und Bundesebene gab es immer wieder Kritik an Zastrows „sächsischem Weg“.

Als Unternehmer hat er eine Werbeagentur, betreibt Märkte wie den Augustusmarkt am Goldenen Reiter, künftig das Winterevent auf dem Altmarkt in Dresden und ist seit 2015 das Gesicht der Hofewiese, die offiziell seine Frau Ariane betreibt.


03.12.2019

„Ich habe 1989 Steine geworfen“

Holger Zastrow ist der bekannteste und umstrittenste Dresdner FDP-Politiker. Überraschende Seiten des Hofewiese-Wirts.

Viele sehen in ihm einen polternden Politiker, andere den netten Hofewiese-Wirt. Vor wenigen Wochen endete eine Ära: 20 Jahre lang war Holger Zastrow Landeschef der FDP in Sachsen. Nach dem gescheiterten Wiedereinzug in den Landtag hat der 50-Jährige für viele in der Partei ausgedient. Deshalb zog er selbst die Notbremse, trat nicht mehr an. Ein Porträt.

Holger Zastrow und seine Schwester Berit sind Dresdner Lehrerkinder. Der Vater leitete die 17. Grundschule in Friedrichstadt. „Er war einer der wenigen Schulleiter, die nicht in der SED waren. Das ging nur, weil Friedrichstadt ein sozialer Brennpunkt war.“ Auch Mama Zastrow war Grundschullehrerin, in Gruna. „Ich wollte immer Förster werden“, erinnert sich Zastrow. Ab der fünften Klasse hat er Naturschutzarbeit geleistet, hat Teiche gepflegt, Wildtiere gefüttert und Ansitze gebaut.

Nach dem Abschluss der zehnten Klasse gab es lediglich einen Ausbildungsplatz zum Förster im Bezirk Dresden, den bekam Zastrow nicht. Er lernte Industriekaufmann. Um studieren zu dürfen, musste er aber zur Nationalen Volksarmee (NVA). „Es hieß, man muss sich für drei Jahre verpflichten, um einen Studienplatz zu bekommen.“ Das habe er nicht eingesehen, ist zur Uni gefahren und hat genau nachgefragt. Er bekam zur Antwort, dass die drei Jahre NVA keine Pflicht sind. Dann ist er zum Wehrkreiskommando, habe gesagt, er wolle studieren und gefragt, ob sie ihn sofort einziehen können, wenn er sich für eineinhalb Jahre verpflichtet. „Das hat geklappt. Die Leute haben sich etwas einreden lassen. So hat die DDR funktioniert.“

Beinahe im Gefängnis gelandet

Im Frühjahr 1989 kam Holger Zastrow von der NVA zurück, allerdings schaffte er nur den Vorkurs zum Studium. Die anstehende Kommunalwahl war seine erste Wahl. „Als das mit der Wahlfälschung herauskam, war ich sehr angefressen.“ Er sei schon immer politisch interessiert gewesen. Aber ein Eintritt in die SED sei für ihn „undenkbar“ gewesen. Er habe gewusst, wie er sich zu benehmen habe, um keinen Ärger zu bekommen. So sei man durchgekommen.

An der Friedlichen Revolution hat sich Holger Zastrow gar nicht friedlich beteiligt: Er wäre beinahe im Gefängnis gelandet. Anfang Oktober 1989 hörte er von den Tumulten am Dresdner Hauptbahnhof. Zastrow fuhr mit seiner MZ hin, um sich das anzusehen. Er stand mit anderen etwas abseits vom Hauptgeschehen. „Aber plötzlich warfen die von der Transportpolizei Steine auf Unbeteiligte, auch in meine Richtung.“ Treffern konnte Holger Zastrow entgehen, er war fit damals, spielte aktiv Handball. „Dann wurde ich wütend, habe mir meinen Motorradhelm aufgesetzt und war dann mittendrin, habe selber Steine geworfen. Das war meine erste politische Handlung.“ Zastrow wurde von den Beamten über die Prager Straße gejagt.

Und entkam. „Aber ich hatte Angst, dass die mich gefilmt haben. Ich dachte, die führen mich ab.“ Er ist dann mit Freunden in die Sächsische Schweiz geflohen. „Wir haben gedacht, wir müssen uns verstecken.“ Mehrere Nächte schliefen sie im Freien. Damit waren sie aber auch im entscheidenden Moment nicht in Dresden. „Am Tag, als die Gruppe der 20 gegründet wurde, waren wir nicht da.“ Aber sie erfuhren davon und kamen zurück.

Tage danach gab es viele Demonstrationen. Da hatte Zastrow das Gefühl, etwas tun zu müssen. Er kam in Kontakt mit „Demokratie jetzt“. „Aber die waren mir zu alt und zu kirchlich.“ In einer Zeitung hat er dann gelesen, dass sich ein liberaler Jugendverband gründet. Zastrow wurde Gründungsvorsitzender. „Weil ich gesagt habe, ich würde es machen und sich kein anderer fand.“ Es war der Start als liberaler Politiker, die Karriere führt bis zum stellvertretenden FDP-Bundesvorsitzenden.

Rasant war sein Aufstieg. 1993 trat er in die FDP ein, wurde im selben Jahr Mitglied im Landesvorstand. Parallel war er Landeschef des Jugendverbandes Jungliberale Aktion. „Wir haben damals Aktionen gemacht und uns nicht den Mund fusselig geredet wie jetzt.“ So hat er beispielsweise einen Hilfskonvoi nach Sarajevo mit organisiert, der für Waisenkinder bestimmt war. „Wir haben Waren im Wert von 50.000 Mark organisiert – einen ganzen Laster voll.“ Darunter Nudeln aus Riesa und Putzi-Zahncreme. Zastrow fuhr mit. „Das war das Beeindruckendste, was ich je gesehen habe, die Zerstörung, die Angst der Menschen. Sarajevo ist für mich bis heute ein Sehnsuchtsort.“ Der Transport kam aber nicht wie geplant an, der Laster wurde beschlagnahmt. Später landete dieser bei einer anderen Hilfsorganisation, wurde zu einem anderen Waisenhaus gebracht.

„Wir wollten in Dresden einen Atompilz zünden, aus Feuerwerkskörpern – aus Protest gegen die Atomtests der Franzosen“, erläutert Zastrow seine revolutionärste Idee. Das klappte aber dann doch nicht. Als Verdienst seiner FDP-Jugendorganisation sieht Zastrow auch die Straßenschilder mit den Namen der Stadtteile. „Die ersten haben wir beschildert, als Aktion. Dann wurde das überall eingeführt.“

In der Zeit hatte Zastrow auch begonnen, Betriebswirtschaft zu studieren. Er verdiente sich auf Baustellen etwas dazu und begann, Veranstaltungen zu organisieren. Das war wiederum der Beginn seiner eigentlichen Arbeit. Seit 1993 ist er als Veranstalter selbstständig, organisierte 1994 das erste Stollenfest auf dem Striezelmarkt. 1999 gründete er mit seiner Schwester die PR-Agentur Zastrow+Zastrow. In der arbeitet auch seine Frau Ariane. Das Studium habe er „auslaufen lassen“, ohne Abschluss. „Ich bin Praktiker. Alles, was ich mache, tue ich ungelernt.“

„Ein Typ mit Ecken und Kanten“

u der Zeit war Holger Zastrow bereits Dresdens Vize-FDP-Chef, genau von 1997 bis 2000. 1999, als er Landeschef wurde, hatte die Partei bei der Landtagswahl 1,1 Prozent geholt. „Die FDP war ratlos, finanziell am Ende.“ Eigentlich habe er nie die Nummer eins sein wollen, sagt er. Im Jahr 2004 zog die FDP unter seiner Führung mit 5,4 Prozent wieder in den Landtag ein. Seit dem Jahr ist er auch Dresdner Stadtrat.

Nach fünf Jahren in der Opposition konnte die FDP ihr Ergebnis fast verdoppeln, holte zehn Prozent und war zum ersten Mal in der Regierung, mit der CDU. Viele dachten, Zastrow wird Minister. Doch er blieb Fraktionschef. Holger Zastrow war auf dem Zenit, wurde 2011 Vize-Bundeschef der FDP. Doch die eigenen Parteifreunde wurden zunehmend unzufriedener: Die Umfragewerte sanken, und viele sahen in der FDP nur noch eine „One-Man-Show“ – von Zastrow. Er wurde bei Parteitagen mit mäßigen Ergebnissen abgestraft. Das gipfelte darin, dass er nicht als Direktkandidat für den Bundestag nominiert wurde. Kritik an Zastrow gibt es viel. Er führe nach seinen Vorstellungen, kommuniziere zu wenig mit der Partei. Auch das Poltern im Stadtrat gefiel nicht allen. Und er positionierte sich nicht gegen rechtslastige Äußerungen von damals noch Parteimitgliedern wie Barbara Lässig und Jens Genschmar.

Ja, er habe Fehler gemacht, räumt Zastrow ein. „Ich hätte mich nicht für Leute krumm machen sollen, die es nicht wert sind.“ Wen genau er damit meint, will er nicht sagen. Kritik an seinem Kurs lässt er aber nicht zu. „Das war nie eine One-Man-Show, wir sind ein Team. Das ist nur sehr klein geworden.“ Er erwarte, dass die Leute sich bei ihm melden, Vorschläge machen und „ihre Aufgabe erfüllen“.

Das alles spiegelt sich auch in den Einschätzungen seiner politischen Gegner wider. „Man muss nicht seine politischen Positionen teilen, aber er ist ein Typ mit Ecken und Kanten“, sagt etwa Linke-Fraktionschef André Schollbach. Max Aschenbach, Stadtrat für die Satire-Partei Die Partei, ist harscher. „Holger Zastrow ist ein narzisstisches Alphatierchen mit geringen, aber den meisten Stadträten weit überlegenen, Fähigkeiten in Selbstdarstellung und Populismus.“ Er würdige seine FDP-Kollegen herab und biedere sich schamlos an Rechtspopulismus an.

Die Dresdner dagegen machten Holger Zastrow mit mehr 11.000 Stimmen zum Stimmenkönig der Stadtratswahl. Zur Beliebtheit, vor allem im Dresdner Norden, dürfte beigetragen haben, dass er die Hofewiese wiederbelebt hat. Alle warten nun auf die Sanierung des Gebäudes. Die plant Zastrow. Aber er habe auch politisch noch viel vor. Seine Ära sei noch nicht vorbei.