Vergewaltigungen israelischer Frauen hält man auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz für unbewiesen. Und: Die Hamas brauche es für das „sozialistische Klassenbewusstsein“. Ein Ortstermin.
Sprechchöre hallen durch das Tempodrom in Berlin: „Free, Free Palastine“, „Free, Free Palastine“. Hier tagt am Samstag die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz. Am Rande finden sich Hamas-Unterstützer und -Sympathisanten verschiedener Couleur zusammen. Der Verlauf des Tages zeigt, wie weit viele von ihnen sich in ihre ganz eigene Weltsicht verrannt haben.
An einem Stand der „Kommunistischen Organisation“ im Foyer ist ein Mann anzutreffen, Namen und Beruf will er nicht nennen. Aber er gibt Auskunft zu den Geschehnissen des 7. Oktober. Die Taten der Hamas seien Kampf gegen Besatzung und Apartheid und damit legitim. „Mit welchen Mitteln die Palästinenser sich wehren, ist ihre Entscheidung.“ Und er geht noch weiter: Der zionistische Staat Israel müsse „aufgelöst“ werden.
Auf der Bühne spricht Wieland Hoban als Vertreter der „Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost“. Das Publikum applaudiert zustimmend, als er ruft: „Es findet gerade ein Genozid im Gazastreifen statt.“ Und: Der 7. Oktober sei „die zu erwartende Antwort auf jahrzehntelange Unterdrückung“. Tote palästinensische Kinder würden von westlichen Politikern achselzuckend hingenommen.
Als Stargast angekündigt: Jeremy Corbyn
Als Stargast angekündigt war Jeremy Corbyn, einstiger Vorsitzender der britischen Labour-Partei. Seit Langem steht er immer wieder wegen Antisemitismusvorwürfen in der Kritik. Am Ende tritt er nur per Videobotschaft auf, er wird in Den Haag gebraucht, wo sich Israel gerade wegen des Vorwurfs des Völkermords zu verteidigen hat. „Waffenstillstand jetzt“ fordert Jeremy Corbyn, und die Halle jubelt. Im Oktober 2023 hatte er es abgelehnt, die Terrortaten der Hamas klar zu verurteilen.
Beim Publikum ist der Widerhall solcher Positionen zu beobachten. Auf Nachfrage erklärt eine junge Frau in den Zwanzigern morgens in der Einlass-Schlange: „Es ist nicht die ganze Hamas strukturell antisemitisch.“ Ihr Beruf, eigener Angabe zufolge: Studentin der Politikwissenschaft.
Dass am 7. Oktober Babys enthauptet worden seien, sei „widerlegt“. Und überhaupt, ergänzt ein Freund, durch Bombardements in Gaza seien sehr viel mehr Kinder ums Leben gekommen. „Die Hamas ist bereit für den Frieden“, glaubt er. Wie seine Mitstreiterin bleibt er lieber anonym und sagt nur, er arbeite als Servicekraft in der Gastronomie.
Und dann ist da noch die Frage nach der sexualisierten Gewalt. Systematische Vergewaltigungen durch die Hamas? Da seien keine echten Belege und keine Zeuginnen zu finden, sagt die Studentin. Hingegen sei verbrieft, dass die israelische Armee „Gruppenvergewaltigungen an palästinensischen Frauen“ begangen habe. Wer eine solche Weltsicht hat, lässt sich von Fakten nicht irritieren.
Die Hamas soll „das Klassenbewusstsein stärken“
Ein paar Meter weiter steht ein junger Mann, nach eigener Angabe studiert er Physik. Auch er bleibt lieber anonym. Das Ziel der Hamas am 7. Oktober sei es nicht gewesen, Zivilisten zu töten, glaubt er. Sondern die Hamas habe Geiseln nehmen wollen, um einen „Gefangenenaustausch“ zu erreichen – ganz so, als hätten beide Seiten gleichermaßen Gefangene.
Ob die Hamas-Täter Terroristen sind? Unterm Strich ist ihm das „egal“. Es gehe darum, in Palästina einen „sozialistischen Staat zu schaffen“. Derzeit brauche es die Hamas, um „das Klassenbewusstsein zu stärken“.
Für diese Stärkung gibt es hier auch die passende Literatur. Zum Verkauf bereit liegt im Foyer ein Werk namens „Palästina: Ethnische Säuberung und Widerstand“. Auf dem hinteren Buchumschlag wird die Frage der Fragen gestellt: „Ist die Hamas wirklich judenfeindlich?“
Aus Bayern angereist sind Klaus Uszkoreit, 77, und Gregor Thaler, 65. Beide sagen, sie würden verurteilen, was am 7. Oktober geschehen sei. Sie bestreiten nicht, dass Zivilisten ermordet wurden. Mit dem Begriff „Terroristen“ will Uszkoreit aber „vorsichtig“ sein. Er hat seine Zweifel, ob die Hamas Israel vernichten will, und er findet: Auf den Kontext kommt es an, wenn es darum geht, die Geschehnisse des 7. Oktober zu beurteilen.
Thaler sagt, ihm fehle es an Sympathie für die Hamas. Aber wenn die Taten der Hamas sich nur gegen israelische Soldaten gerichtet hätten, hätte er dafür Verständnis gehabt. Dann nämlich, so erklärt er, wäre es das „volle Recht einer Befreiungsbewegung“ gewesen, aktiv zu werden. Bei der Frage, ob israelische Frauen vergewaltigt wurden, hat auch Thaler Zweifel. „In diesem Krieg wird so viel gelogen, dass ich bei jeder Seite skeptisch bin.“
Die Leugnung der Gräueltaten der Hamas ist hier gesellschaftsfähig. Und es gibt noch anderes, was unwidersprochen bleibt. An einem Stand wirbt der „Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee und der Grenztruppen der DDR“.
Mitglied Andreas Reinicke, 63, erklärt: Die Sache mit dem Schießbefehl an der Mauer müsse von zwei Seiten betrachtet werden, schließlich habe jedermann die Möglichkeit gehabt, einen Ausreiseantrag zu stellen. Die DDR habe sich auch schützen müssen. Und überhaupt: Die Grenztruppen hätten nur nach Vorwarnung geschossen und zuerst nur auf die Beine.
Für „Traditionspflege älterer Herren“ und „nachvollziehbar“ hält das die junge Gastro-Kraft, die morgens in der Einlass-Schlange stand und gerade in der Nähe unterwegs ist. Im Foyer steht auch Tobias Pflüger, Mitglied der Linkspartei und bis 2021 Bundestagsabgeordneter. Inhaltlich sei der NVA-Traditionsstand eine „Katastrophe“, sagt er. Aber auch das würde hier nun einmal dazugehören, „das weiß man vorher“.
Dietmar Koschmieder, Geschäftsführer der „Jungen Welt“ und somit Veranstalter der Konferenz, sagt: „Wir geben allen ein Forum, die uns unterstützen wollen.“ Es gehe darum, die ganze Bandbreite linker Positionen abzubilden.
Auf der Bühne werde niemand die Gelegenheit bekommen, zu leugnen, dass die Hamas Zivilisten ermordete. „Aber an den Ständen können alle ihre Position vertreten.“ Im Übrigen ist ihm wichtig: Sowohl die Hamas als auch Israel würden den Tod von Zivilisten in Kauf nehmen – Israel aber in sehr viel größerer Dimension.
Und so sind sich alle einig in einer Weltsicht, die ganz spezielle Bündnisse schafft. Morgens, zur Eröffnung der Konferenz, werden besondere Gäste begrüßt. Auch drei Botschaftsgesandte sind gekommen. Sie vertreten Russland, China und Belarus. Das Publikum spendet freundlichen Applaus.
Sebastian Leber 06.01.2024
Drei Monate nach den Massakern des 7. Oktober: Versuchte Geschichtsfälschung im Zeitraffer
Obwohl die Gräuel der Hamas vom 7. Oktober umfassend dokumentiert sind, werden sie im Netz systematisch geleugnet und verharmlost. Das Ausmaß überrascht auch Experten.
Zivilisten? Wurden am 7. Oktober überhaupt keine getötet. Allerhöchstens aus Versehen. Oder weil israelische Soldaten sie erschossen. Oder weil Benjamin Netanjahu es genau so haben wollte…
Was mich an Lügen wie diesen am meisten erschreckt: von wie vielen Menschen sie geglaubt oder jedenfalls widerspruchslos hingenommen werden. Obwohl die Massaker der Hamas gerade drei Monate her und umfassend dokumentiert sind, obwohl die Faktenlage so eindeutig ist.
In den sozialen Netzwerken macht sich ein Nebel aus Desinformation, Desinteresse und schlichter Leugnung breit. Es ist der Versuch einer Geschichtsfälschung im Zeitraffer.
Anteil daran haben anti-israelische Aktivisten und Fake-News-Schleudern wie das Instagram-Projekt „Landpalestine“, das beispielsweise verbreitet, die 364 ermordeten Besucher des Nova-Festivals seien allesamt von israelischen Kampfhubschraubern getötet worden – und die israelische Regierung habe dies inzwischen offiziell eingeräumt. Beides ist grob unwahr, doch Zehntausenden gefällt’s.
Die Freude am Massakrieren Wehrloser
So komplex und verworren der Nahostkonflikt insgesamt sein mag, so furchtbar simpel waren die Ereignisse des 7. Oktober. Tausende Terroristen drangen aus Gaza nach Israel ein, ermordeten 1200 Menschen, großteils Zivilisten, und verschleppten 240 Geiseln. Es gibt keinen Deutungsspielraum, wer hier die Täter waren und wer die Opfer.
An diesem Tag haben die Hamas-Terroristen systematisch Jagd auf Zivilisten gemacht. Es bereitete ihnen Freunde, Zivilisten zu massakrieren. Das weiß man, weil sie sich selbst dabei filmten und die Aufnahmen ihrer GoPros später auf Telegram hochluden, wo diese von anderen gefeiert wurden und werden.
Auf den Videos sieht man die pure Begeisterung in den Gesichtern der Terroristen, während sie auf am Boden liegende, unbewaffnete, bereits verletzte Zivilisten losgehen. Ein Angreifer schlägt immer wieder mit dem Spaten auf den Hals eines bewusstlosen Mannes ein, ruft dabei jedes Mal „Allahu Akbar“. Ein anderer prahlt damit, wie viele Juden er binnen weniger Stunden eigenhändig ermordet habe. Sie jubeln beim Abschlachten Wehrloser, als sei dies der schönste Tag ihres Lebens.
Das sind die Menschen, von denen man jetzt in den sozialen Netzwerken lesen muss, es handle sich um „Freiheitskämpfer“ oder gar um „progressive Kräfte“, die als „Teil einer sozialen Bewegung“ anerkannt werden müssten.
Besonders auffällig ist der Eifer, mit dem Israel-Hasser Vergewaltigungen leugnen. Auch diese sind umfangreich dokumentiert. Dennoch argumentieren im Netz zuhauf Männer, sie glaubten den Berichten der betroffenen Frauen nicht, solange sie keine Filmaufnahmen dieser Vergewaltigungen gesehen hätten. In jedem anderen Kontext würden solche Äußerungen zurecht in Grund und Boden geshitstormt. Hier werden sie als legitime Einschätzungen akzeptiert.
Wie die Geiseln verhöhnt werden
Die freigelassenen israelischen Geiseln werden im Netz verhöhnt. Einer Frau, die im Fernsehen über ihre schlimmen Erfahrungen in Gefangenschaft berichtet, werden „Krokodilstränen“ vorgeworfen – und dass sie mit ihren Schilderungen als „weiße Frau“ öffentlich Furcht vor „nicht-weißen Männern“ schüren wolle. Andere unterstellen ihr, dass sie eigentlich vergewaltigt werden wollte.
Über eine verängstigte Neunjährige, die durch 50 Tage Geiselhaft in Händen der Hamas schwer traumatisiert wurde, wird auf X behauptet, dem Kind seien in Gefangenschaft „arabische Kultur und Gastfreundschaft“ beigebracht worden. Dieser abscheuliche Kommentar stammt nicht etwa von einem anonymen Internettroll, sondern von Ramsis Kilani, dem Sprecher der BDS-Truppe „Palästina Spricht“. Kilanis Gruppe hält den 7. Oktober für einen Tag, der gefeiert gehöre.
Man muss den Hamas-Oberen nur zuhören
Um die Terroristen zu aufrechten Freiheitskämpfern umzudeuten, ist es auch zwingend nötig, deren eigene Äußerungen nicht ernstzunehmen. Denn die Hamas-Oberen machen aus ihrer Barbarei und ihrem Todeskult ja gar kein Geheimnis. Sie sprechen offen aus, dass Juden in ihren Augen „dreckige Tiere“ sind, deren Existenz mit Waffengewalt ausgelöscht werden muss.
Dass die Hamas weitere Massaker wie die vom 7. Oktober durchführen will, so lange, bis Israel nicht mehr existiert. Auch dass sich die Hamas überhaupt nicht für den Schutz der Zivilisten von Gaza zuständig fühlt. Dass der Tod palästinensischer Zivilisten, vor allem der von Frauen, Kindern und Alten, sogar hilfreich für den Kampf der Hamas ist. Und dass die Hamas den Tod von Millionen Palästinensern einkalkuliert und akzeptabel findet, um die eigenen Ziele zu erreichen.
Antisemiten nicht ernst zu nehmen, deren eigene Worte zu ignorieren oder so zu verdrehen, dass man sie irgendwie entschuldigen kann, ist eine geübte Praxis unter Israel-Hassern. Die Berliner BDS-Aktivistin Eva Meier erklärte schon vor Jahren in einem Interview, man dürfe Menschen, die „Juden sind scheiße“ oder „Ich hasse Juden“ rufen, nicht gleich Antisemitismus unterstellen. Man müsse schauen, ob sie nicht eigentlich bloß die Politik Israels ablehnten und ob ihnen dafür das richtige Vokabular fehle.
Der Versuch der Hamas-Verharmloser, die Massaker vom 7. Oktober schönzureden, mag bei einigen am inneren Zwang liegen, die lange gehegten Täter-Opfer-Schemata aufrechtzuerhalten. Vor allem aber verfolgt er einen strategischen Zweck. Denn gäbe es die Gräueltaten des 7. Oktober nicht, wäre Israel grundlos in Gaza einmarschiert. Dann ließe sich der jüdische Staat mal wieder als unterdrückerischer Aggressor dämonisieren.
Dass die Leugnung der Massaker in so kurzer Zeit so weite Kreise zieht, hat auch Experten überrascht. Manche warnen, es könnte sich hierbei um einen Präzedenzfall handeln. Die Historikerin Deborah Lippstadt, die Antisemitismusbeauftragte des US-Außenministeriums, sagt: „Wenn Geschichte so schnell umgeschrieben werden kann, ist nichts sicher.“