Neue linksextreme Gruppe: Verfassungsschutz Sachsen beobachtet Anarchisten
Anarchistische Ideen haben in der linksextremistischen Szene Zulauf, warnen Verfassungsschützer. Die Mitglieder von Anarchist Black Cross aus Dresden sind nun als verfassungsfeindlich eingestuft.
Die Beschreibung, die die Gruppe Anarchist Black Cross (ABC; Anarchistisches Schwarzes Kreuz) Dresden Mitte Oktober ins Internet gestellt hat, ist einigermaßen detailliert: Ungefähr 30 Jahre alt sei die „männlich gelesene“ Person gewesen, circa 1,70 Meter groß, „rote Haare und kurzer roter Bart, Sommersprossen“. Das aber ist nicht das Entscheidende.
Bei dem Mann soll es sich laut ABC Dresden um einen „Agenten“ des Verfassungsschutzes gehandelt haben. Ob er beim Landesamt für Verfassungsschutz oder beim Bundesamt arbeite, sei leider „verloren“ gegangen. Er habe sich sowieso schnell „abwimmeln“ lassen.
Ein Einzelfall sei das nicht gewesen, wussten die selbsterklärten Anarchisten zu berichten. „Immer wieder kommt es zu Anquatschversuchen des Verfassungsschutzes. Dabei geht es nicht immer nur um Informationsbeschaffung und Anwerbung als Spitzel“, heißt es auf der Internetseite.
„Einzelne Personen werden gezielt angesprochen, um diese zu verunsichern und einem Gefühl auszusetzen, dass staatliche Repressionsbehörden die Person beobachten oder zumindest im Blick haben.“ Man solle sich den Namen, das Aussehen, gegebenenfalls ein Kennzeichen und den Autotyp merken – sowie das ABC Dresden informieren.
Gruppe ist seit Februar als linksextremistisch eingestuft
Belege für diesen „Anquatschversuch“ gibt es nicht. Das Interesse des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz ist allerdings verbürgt. Seit dem Februar ist ABC Dresden als gesicherte linksextremistische Bestrebung eingestuft. Grund dafür ist deren Bekenntnis zum Anarchismus, der das demokratische System für eine herrschaftsfreie Gesellschaft auflösen will.
Das geht aus der Antwort des Innenministeriums auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Linke) hervor. Darin nimmt das Ministerium ausführlich Stellung zu den Hintergründe.
Die Dresdner Gruppe sei Teil eines globalen Unterstützungsnetzwerks, „welches nach Angaben der Organisation bereits seit dem frühen 20. Jahrhundert aktiv ist“. 40 Kollektive soll es nach den Erkenntnissen der Verfassungsschützer weltweit geben.
Die Gruppierung in der Landeshauptstadt will nach eigener Darstellung konkret „Ideen über Anarchismus und Solidarität“ verbreiten. Dabei setzt sie vor allem beim Justizsystem an: „Wir lehnen das Bestrafungs- und Justizsystem, das unsere Gesellschaft prägt, grundlegend ab“, zitiert das Innenministerium sie.
Anarchisten wollen mehr als 300 000 Euro gesammelt haben
Zudem haben die Dresdner den russischen Krieg gegen die Ukraine als Thema für sich entdeckt. Es werden Spenden gesammelt – anscheinend durchaus erfolgreich. Im September 2022 gaben die Anarchisten an, rund 315 500 Euro erhalten zu haben.
Diese flossen demnach unter anderem in Schutzausrüstung und Equipment, zehn Autos, „die jetzt in der Ukraine sind und dort für verschiedene Aktivitäten genutzt werden“, sowie in die Unterstützung von Menschen, die das Land verlassen hätten.
Das Innenministerium hält dazu fest: „Es soll sich primär um die Unterstützung von Anarchisten handeln, welche in der Ukraine mit Waffen gegen die russischen Streitkräfte kämpfen. Dies lässt den Schluss zu, dass der Aufbau eines von Anarchie geprägten Gebietes das finale Ziel nach Ende des Krieges ist.“
Nur kleiner Teil der linksextremen Szene in Sachsen
Im sächsischen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 war die Gruppe noch nicht enthalten. Als einzige anarchistischen Struktur wurde die „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union“ erwähnt. Rund 80 Personen wurden ihr zugerechnet. Ein kleiner Teil der linksextremen Szene im Freistaat, die insgesamt 890 Personen umfassen soll.
Auch beim Anarchist Black Cross ist lediglich eine geringe Anzahl aktiv. Zehn Akteure sollen es sein, wie eine Sprecherin des Landesamts für Verfassungsschutz mitteilt. „Weitere Personen werden als Unterstützer und Sympathisanten angesehen, deren Anzahl ist nicht valide quantifizierbar.“
Verfassungsschutz: Jüngere interessieren sich für Ideen
Dennoch wächst die Bedeutung der Anarchisten in Sachsen. Die Verfassungsschützer stellten zuletzt fest, dass die sich aufgrund von „Uneinigkeit innerhalb der Szene, Unsicherheit angesichts zahlreicher Exekutivmaßnahmen und nachwirkende Folgen der Corona-Maßnahmen“ bisher bestehende Strukturen und Bündnissen bei Linksextremisten allgemein auflösten.
Demgegenüber erlebte speziell der Anarchismus Zulauf: „Zu beobachten waren zugleich Versuche, neue Beziehungen und Vernetzungen aufzubauen, die sich auffällig häufig als anarchistisch geprägt beschrieben“, analysiert der Jahresbericht 2022.
Dass eine neue Gruppe nun in Dresden ausgemacht wurde, mag Beobachter erstaunen. Bundesweit gilt Leipzig neben Hamburg und Berlin als linksextreme Hochburg. Dresden hat eher regionale Bedeutung. Doch auch in Leipzig wird eine veränderte Stimmung festgestellt.
„Jüngere Szeneangehörige interessieren sich verstärkt für anarchistische Ideologiefragmente“, heißt es in der Verfassungsschutz-Analyse für das vergangene Jahr. Beispielsweise der „kompromisslose Kampf für Freiräume“ spiele eine Rolle. Die neuen Linksextremen „entfernen sich ideologisch von älteren, vorwiegend antifaschistisch orientierten Autonomen“.
Der letzte Eintrag aus dem Februar 2021
Inwiefern die neue Dresdner Gruppe Kontakte nach Leipzig hat, lässt der Verfassungsschutz auf Anfrage unbeantwortet. Eine Sprecherin teilt mit: Die Gruppe ABC Dresden sei aufgrund „ihrer ideologischen Prägung“ in deutsche und internationale anarchistische Strukturen eingebunden, verfüge über entsprechende Kontakte.
Im Internet findet sich eine Homepage von Anarchist Black Cross Leipzig. Im Gegensatz zur Dresdner Seite wurde hier aber lange nichts mehr online gestellt. Der letzte Eintrag stammt vom 15. Februar 2021.