Eine Nachricht von InternationalistInnen in Rojava
Wir sind InternationalistInnen in Rojava,
Wir sind im Herzen der Frauenrevolution.
Wir sind im Geist der revolutionären Jugend.
Wir sind in der Stärke der YPG und YPJ Verteidigungseinheiten.
Wir sind in Infrastrukturarbeiten wie Wasser- und Energieversorgung tätig.
Wir sind in Schulen, Universitäten, Kommunalräten, Volksgerichten und Stadtverwaltungen zu finden.
Wir sind in den Tunneln und trainieren für die Verteidigung der Städte unter den schwierigen Bedingungen der technischen Überlegenheit des Feindes.
Wir sind in den Mala Jin und lernen von den weisesten Frauen dieser Revolution.
Wir sind in den Dörfern und lernen die wahre Bedeutung von Kommunalität.
Wir sind in den Geflüchteten-Camps und sehen den lebendigen Widerstandsgeist.
Wir besuchen Familien und reden über die Bedeutung davon, im eigenen Land, mit der
eigenen Kultur und Sprache leben zu können.
Wir versuchen mit unseren Berichten einen Teil der Wirklichkeit hier mitzuteilen.
Wir haben von den Menschen hier gelernt, was es bedeutet das eigene Stück
Erde zu verteidigen, die eigene Existenz, darauf zu bestehen bis zuletzt.
Seit 11 Tagen ist diese Region wieder verstärkt Angriffen ausgesetzt, Kriegsflugzeuge und Kriegsdrohnen bombardieren die „kritische Infrastruktur“ von Millionen Menschen. In mitten einer weltweiten Hungerkrise hat die Türkei Weizensilos zerbombt, inmitten einer Energiekrise Ölquellen, inmitten einer Wasserknappheit Staudämme für Trinkwasser angegriffen und an manchen Orten Krankenhäuser und Schulen von den faschistischen Angriffen zerstört. Der türkische Staat hat anschliessend verlauten lassen: „Was auch immer sie versuchen wieder aufzubauen, wir werden es gleich wieder dem Erdboden gleichmachen.“ Der türkische Staat terrorisiert in den letzten Tagen gezielt die Bevölkerung: 5 Frauen, die auf einem Feld nahe Dirbesiye Baumwolle sammelten wurden schwer verwundet, ein 10 und ein 9 Jähriges Kind wurden in Ain Isa tödlich getroffen, die Liste dieser Gräueltaten wird jeden Tag länger.
All das gegen eben jene Bevölkerung, die jahrelang den IS bekämpfte und bis heute hunderte internationale IS-Kader in Gefängnissen und Camps verwaltet, weil die Länder aus denen sie gekommen waren, sie nicht zurücknehmen. All das gegen die Bevölkerung, die 13 000 Gefallene im Kampf gegen den IS und weitere islamistische Gruppen zu betrauern hat. All das gegen die Bevölkerung, die als „Helden und Heldinnen“ gefeiert wurden, als es im Interesse einiger internationaler Staaten lag. All das gegen eine Bevölkerung die vor mehr als 10 Jahren zum Hoffnungsträger geworden ist, das Licht das den Weg aus Faschismus und Zerstörung weist. Und wenn diese Bevölkerung den Kopf nicht senkt, sondern sich selbst verteidigt, ihre Kraft des Widerstandes zeigt, wird die Gewalt des Gegners intensiver.
Am 1. Oktober 2023, dem Tag der Parlamentseröffnung nach der Sommerpause explodierten im Herzen Ankaras mehrere Bomben. Zwei Militante, Rojhat Zîlan and Erdal Şahîn der „Brigade der Unsterblichen“ der kurdischen Freiheitsbewegung entschieden sich für eine Aktion, opferten sich selbst in einem Akt des Widerstandes. Sie betraten den inneren Bereich der Spezialkräfte, die für die Verteidigung des Innenministeriums der Türkei zuständig sind, erschossen dort Angehörige dieser Einheit und explodierten mit den Bomben, die sie bei sich trugen.
Warum so eine Aktion?
Die Frage derjenigen, die den täglichen Terror der Türkei nicht sehen.
In Nordkurdistan wird ein systematischer Krieg gegen die Bevölkerung und Frauen im besonderen geführt, Vergewaltigungen, Entführungen und Ermordungen sind an der Tagesordnung. Dörfer werden angegriffen, Friedhöfe zerbombt, Leichname werden den Familien in Säcken und Kisten nach Hause geschicḱt. Die demokratische Opposition ist massenweise in Haft oder im Exil, täglich verlassen politische Gefangene in Särgen die Gefängnisse, es gibt systematische Folterungen und Justizwillkür. In Südkurdistan (Nord-Irak) führt die Türkei einen grausamen Krieg um die Guerilla zu vernichten. Dabei setzen sie Chemiewaffen, verbotene Kampfstoffe und taktische Nuklearwaffen ein, doch die Guerilla kämpft seit einigen Jahren von komplexen Tunnelsystemen aus und sind nach wie vor unbesiegbar. Weil die Türkei weder durch Bodenoffensiven, noch durch Luftangriffe gegen die Guerilla erfolgreich sind, haben sie seit Jahren damit begonnen ihren politischen Einfluss in der Region zu stärken und baut systematisch Geheimdienstnetzwerk aus.
In Westkurdistan (Nordsyrien) ist die Türkei offizielle Besatzungsmacht in Afrin, Girê Spî und Serê Kaniyê. Regionen, die vor 2018 zur Autonomen Selbstverwaltung gehörten. Bis heute siedelt die Türkei dort islamistische Milizen und ihre Familien an. KurdInnen soll es in diesen Regionen nicht mehr geben. Alle Anschläge und Operationen die der IS in der Region durchführt wie den versuchten Gefängnisausbruch im Februar 2022 sind aus der Türkei gesteuert.
Die zwei Militanten Rojhat Zilan und Erdal Sahin haben eine Nachricht in die
Welt geschickt.
In dem Statement der Hauptquartiere der Volksverteidigungseinheiten, das am 1. Oktober veröffentlicht wurde, heißt es: „Alle Menschen sollten wissen, das die Mitglieder der Brigade der Unsterblichen, mit nur kleinen Änderungen in ihrem timing, ein sehr anderes Ergebnis hätten erzielen können, wenn sie gewollt hätten. Aber solch eine Entscheidung wurde bewusst nicht gefällt (…). Diese Aktion war ein Akt der legitimen Selbstverteidigung, gegen die Missachtung von Menschenrechten, die mit Füßen getreten werden (…); gegen den unmenschlichen Umgang und die Praktiken der Isolation die überall in der Türkei und in Kurdistan in den Gefängnissen angewandt werden; gegen den Gebrauch von chemischen Waffen gegen unsere Guerilla-Kräfte (…); gegen die Plünderung unserer Umwelt und den Eco-zid in Kurdistan; gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes und aller demokratischen Kreise.
Die Türkei versucht seit 1984, dem Beginn des bewaffneten Kampf der PKK, den Widerstandswillen auszulöschen – erfolglos. Dieser Konflikt kann nur durch Dialog und einen Prozess der Demokratisierung der Region gelöst werden. Das sind die Worte Abdullah Öcalans bereits seit den ersten Waffenstillständen in den 90er Jahren. In seinen Verteidigungsschriften wie die „Roadmap für Verhandlungen“ von 2013 beschreibt er detailliert wie ein nachhaltiger Frieden in der Region möglich ist. Die neuesten Angriffswellen zeigen ein weiteres mal, das die Türkei, die Sprache des Kolonialismus und des Genozid sprechend, darauf beharrt ihren Traum von einem Neo- Osmanischen Reich zu verwirklichen.
Die Türkei ist NATO-Mitglied und es handelt sich bei der Armee, die diesen Krieg gegen die kurdische Bevölkerung führt, um die zweitgrösste NATO- Armee.
Der 9. Oktober ist kein zufälliges Datum. Der 9. Oktober 1967 ist der Tag der Ermordung Che Guevaras, einer der bedeutensten Internationalisten der Weltgeschichte. Der 9. Oktober 1998 ist der Tag, an dem Abdullah Öcalan aufgrund von enormem politischen und militärischen Druck Syrien verlassen musste, in dessen Folge er 149 Tage in einer Odysse letztendlich auf dem Flug nach Südafrika gekidnappt und an die Türkei übergeben wurde. Seit dem 15. Februar 1999 befindet er sich unter Totalisolation auf der Gefängnisinsel Imrali, seit 2 einhalb Jahren haben ihn weder Familie noch Anwalt gesehen und seine Situation ist ungewiss. Am 9. Oktober 2019 begann der Angriff auf Girê Spî und Serê Kaniyê, seitdem ist diese Region unter Türkischer Kolonialverwaltung. Diese Jahr am 09. Oktober griff die Türkei die Region Cizîre an. 29 Mitglieder einer Sondereinheit der Asayîş, die auf den Kampf gegen den Drogenhandel in der Region spezialisiert ist, wurden wenige Tage vor Abschluss ihre mehrmonatigen Ausbildung bei einem gezielten Luftanschlag getötet.
Warum verschließt die Welt die Augen?
Die genozidale Kolonialisierung der palästinensischen Bevölkerung, ist in einen offenen Krieg eskaliert und auf der ganzen Welt können wir den Widerstand sehen. Für den türkischen Staat stellt das eine Gelegenheit dar. Die Türkei kann diesen Konflikt nutzen um die Angriffe auf Rojava zu intensivieren und dabei unbemerkt zu bleiben. Solange es keine aktive Invasion in Rojava gibt, verschließt die Welt die Augen, aber die Türkei terrorisiert diese Region schon seit Jahren mit seiner niedrigschwelligen Kriegsführung. Natürlich können wir den Kampf in Palästina, den Kampf in Rojava und den kompletten mittleren Osten nicht getrennt voneinander betrachten. Um eine neue, demokratische Gesellschaft zu errichten, müssen Besatzungen überwunden werden, damit Völker in der Lage sind zusammen zu leben. Egal ob im Namen der palästinensischen, der kurdischen oder der israelischen Bevölkerung, Nationalstaaten können nicht die Antwort sein, eine Lösung wird weder durch Nationalstaaten, noch durch Etno-Nationalismus gefunden werden. Das kurdische Volk hat nicht nur den Kampf um ihre eigene Befreiung aufgenommen, sondern einen größeren Kampf für eine neue Art zu leben, ein freies Leben, einen Weg für alle Völker dieser Welt. Diesen Kampf zu verteidigen, heißt die Hoffnung auf eine neue Welt zu verteidigen.
Die aktuellen Angriffe bezeichnet die Türkei als „erste Phase des Krieges“.
Dabei zerstört er die kollektive Lebensgrundlage der Menschen. Die Türkei will, dass die Menschen in der Grenzregion die Region verlassen, zu „Flüchtlingen“ werden. Denn der Widerstand hier beruht auf der Bevölkerung. Ein verlassenes Land ist leichter zu besetzen. Das ist bereits seit Jahren die Taktik, jedoch stellen die aktuellen Angriffe eine neue „totale“ Dimension dessen dar.
Kurz gesagt: Inmitten einer sogenannten „Flüchtlingskrise“ nimmt ein NATO Staat Millionen von Menschen ihre natürliche Lebensgrundlage.
Über die weiteren Phasen dieses Krieges wird spekuliert. Es kann die zielgerichtete Ermordung von Menschen in Leitungspositionen der Selbstverwaltung sein. Es kann sein, dass Aufstände gegen die Selbstverwaltung aufgrund der verschlechterten Lebensgrundlagen provoziert werden sollen. Es kann sein, dass einige Regionen intensiver angegriffen werden und Massenmigration provoziert werden soll. All das kann sein. Aber…
Was sicher ist, ist unser Widerstand, unsere Entschlossenheit und unsere Klarheit.
Gemeinsam werden wir Rojava verteidigen.
Gemeinsam führen wir den Kampf gegen den Faschismus der Türkei.
Gemeinsam mit allen Menschen, die bereit sind die Revolution der Frauenbefreiung,
Ökologie und Basisdemokratie zu verteidigen.
Gemeinsam mit allen, die Fluchtursachen bekämpfen.
Gemeinsam mit allen, die weltweit unsere Wälder, Täler und Berge bis auf letzte verteidigen.
Gemeinsam mit allen, die JIN JIYAN AZADÎ rufen.
Für all diejenigen, die vor uns bereits diesen Weg gegangen sind und für all jene, die nach uns kommen werden. Für alle, die auf der Suche nach Freiheit sind. Dafür, dass ein Leben jenseits von Kapitalismus, Nationalismus und Patriarchat möglich ist.
Wir laden euch alle ein, mit uns gemeinsam die Revolution in Kurdistan zu verteidigen. Die Wege und Mittel sind so zahlreich wie es Sterne am Himmel gibt. Das wichtige ist, dass wir entschlossen sind und dass wir viele sind.
Die letzten Tage haben wir auf 5 Kontinenten FreundInnen gesehen, die wie wir die Freiheit Abdullah Öcalans fordern. Das hat uns eine enorme Kraft und Energie gegeben – wir senden euch allen unsere kämpferischen Grüsse!
Bijî Rêber Apo!
Bijî Berxwedana Rojava!
Lang lebe der revolutionäre Internationalismus!
JIN JIYAN AZADI!
In Liebe und Verbundenheit,
Eure FreundInnen, Bekannte, KollegInnen und KomillitonInnen;
Eure Schwestern, Brüder, Töchter, Söhne, Enkel und Enkelinnen, Cousins und Cousinen;
Die WeggefährtInnen eurer Söhne und Töchter, die ihr Leben für die Verteidigung der Revolution gaben,
InternationalistInnen in Rojava
12. Oktober 2023
PS: Anbei senden wir euch einige Ideen und Kontakte um euch zu beteiligen!
Serkeftin!
https://messagefrominternationalistsinrojava.files.wordpress.com/2023/10/german-pdf.pdf