Zum Umgang mit dem Angriff auf das Casa

Am 24. Oktober wurde bekannt, dass zwei Scheiben der „Bäckerei“, also die öffentlichen Räume des Casas, einem Hausprojekt in Leipziger Westen, eingeworfen worden waren. Nach einer gewissen Unklarheit, wer dafür verantwortlich sein könnte, tauchte ein Bekenner:innenschreiben bei indymedia auf, in welchem sich eine linke Gruppe zum Einwerfen der Scheiben bekannte und dies damit begründete, dass sich unter anderem dort die Gruppen Zora und Handala treffen würden. Beide waren durch krude Verharmlosungen oder Befürwortungen des Überfalls der Hamas auf Israel vom 7.10.2023 aufgefallen und waren auch davor schon bekannt dafür, hier eine Position zu vertreten, die die Existenz Israels als illegitim betrachtet und für die Abschaffung Israels eintritt.

Die eingeworfenen Fensterscheiben bekamen eine zusätzliche Brisanz, weil die hinzugezogene Feuerwehr die Vermutung äußerte, es handele sich bei den Wurfgeschossen um Schweinefett. Es folgten einige Solidaritätsbekundungen mit dem Casa im Internet, die natürlich wieder alles bestens und genauestens wussten und einordneten. Aber: Auch wenn das nicht allen gefällt, bleiben bis auf Weiteres Dinge unklar:

• Unbekannt ist, ob es tatsächlich ein Angriff von Linken war, oder ob nicht versucht wird, einen innerlinken Konflikt, der ohnehin schon aufgeheizt ist, weiter aufzuheizen

• und unbekannt ist bis auf Weiteres auch, ob es sich tatsächlich um Schweinefett handelte. Vielleicht war die Feuerwehr ja mit Expertise vor Ort, aber es kann auch sein, dass es sich um etwas anderes handelte und die Feuerwehr vor Ort zunächst nur mutmaßte.

Beides als gesetzt anzunehmen, kann zwar auch richtig sein, aber einem sollte doch dabei klar bleiben, dass es eine Unsicherheit gibt, ob es denn so war. Und manchmal ist es ja besser, erst einmal abzuwarten, was denn am Ende herauskommt, bevor schon mit den großen Geschützen aufgefahren wird. Und das Auffahren großer Geschütze kann allen bisher dazu veröffentlichten Statements, außer vielleicht dem vom Casa selbst, angelastet werden. Dass ausgerechnet vom Casa das moderateste Statement veröffentlicht wird, während andere schon hochfahren, verweist darauf, dass hier manche:r auch endlich einen willkommenen Grund hat, unaushaltbare Spannungen abzubauen, die die aktuellen Zeiten mit sich bringen und es nun endlich um einen Konflikt geht, der sich handhaben lässt, der die Eindeutigkeit mit sich bringt, die man braucht, um eine klare und wichtige Position zu beziehen. Dabei kommen aber dann doch einige Sachen unter die Räder und das ist nicht gut, das ist sogar so falsch, dass es wichtig ist, dagegen vorzugehen und diejenigen, die hier schon in die Fanfaren zur Schlacht stoßen, von ihrem unsinnigen Kurs abzubringen.

1. Wir sind und bleiben alle Linke

Es ist eine bekannte Figur, dass versucht wird, die politische Linke zu homogenisieren. Das heißt, dass immer wieder versucht wird, Gruppen, die Meinungen oder Ansichten vertreten, die einem nicht gefallen, aus der Linken hinauszuschieben. Diese oder jene Gruppe sei nicht links, weil sie Positionen vertritt, die dann in der Regel der politischen Rechten zugeschrieben werden. Hintergrund dafür ist zum einen die Unfähigkeit, Widersprüche auszuhalten. Die eigene Position besitzt einen ausschließlichen Charakter, es können nicht zwei Sachen richtig sein, also ist eine notwendig falsch. Dass eine gegenläufige Position Elemente von Wahrheit enthalten kann, wird abgelehnt, gerade weil damit die eigene Position als unausgereift erscheint. Dies wiederum wäre Grund zur Reflexion der eigenen Position. Reflexion ist aber im Allgemeinen keine verbreitete Fähigkeit, auch weil die politische Position häufig starke identitäre Elemente enthält. So geht es also auch häufig um die Verteidigung und Stabilisierung des eigenen, stets diffundierenden Ichs.

Zum anderen wird sich die politische Linke als etwas moralisch und inhaltlich Hochwertiges vorgestellt. Die Linke soll moralisch und inhaltlich integer sein. Sie darf keine Elemente des Rückschritts enthalten, weil sie dann nicht als gesellschaftliche Avantgarde funktionieren kann. Sie soll in ALLEN Bereichen fortschrittlich sein und nicht nur in einzelnen. Wer sich als links bezeichnet, fühlt sich immer auch verantwortlich für alles, was unter dem Label „links“ firmiert und da fühlen sich viele schnell beschmutzt, wenn andere, die eine gegenläufige Position vertreten, sich auch als links bezeichnen. Man ist zwar bereit, sich dem Konflikt und der Kritik gegen die Linke zu stellen, aber nur aus einer Richtung, nicht aus mehreren Richtungen, erst recht aber nicht von innen. Man will frei von Fehlern auftreten können und nicht behaftet mit Fehlern sein, erst recht nicht von Fehlern, für die andere verantwortlich sind. Daher ist die Linke besonders gut darin, sich ständig von allem und allen abzugrenzen, um sich als unbesudelte, gesellschaftliche Elite darstellen zu können, welche in der Lage ist, die Welt in Ordnung zu bringen und von allen als Orientierungspunkt akzeptiert wird, oder zumindest eben von allen, die man als relevant einstuft. Wenn andere Linke nun aber eine andere Gruppe als relevant einstufen, und sich die eigenen Auserwählten dadurch abgeschreckt fühlen, muss man diese irgendwie loswerden und da ist es eben besonders einfach zu sagen: „Das? Ach, das sind gar keine Linken, das kann ich beweisen.“

Versuche, sich dieser Widersprüche zu entledigen, sind zahlreich und auch in den letzten Jahren häufiger geworden. So etwa in bestimmten Strömungen des Anarchismus, wo dann gesagt wird: „Wir sind keine Linken mehr, wir sind Anarchist:innen“, in Auseinandersetzungen im Feminismus, in Bezug auf Fragen nach der Beurteilung von Sexarbeit oder Queerness, im Konflikt zwischen antideutschen und antiimperialistischen Kommunist:innen, die dann zum Teil den gleichen Move machten, sich selbst nicht mehr als Teil der Linken zu betrachten und so weiter. Und es ist nun gar keine Neuigkeit, dass diese Konflikte auch je nach Zuspitzung mit Gewalt ausgetragen wurden und werden. Wer das nicht glaubt, der muss sich nur einmal ein ganz klein wenig mit der Geschichte ab dem Zeitpunkt befassen, ab dem es so etwas wie die politische Linke überhaupt gibt. Dass dies alles recht hilflos und falsch ist, ist ebenso leicht einzusehen. Denn das, was links ist und was nicht, dass ist gesellschaftlich und nicht durch den innerlinken Diskurs bestimmt. Wer wissen will, in welcher Weise die Linke gesellschaftlich bestimmt ist, der muss nur einmal einen Blick in den Verfassungsschutz werfen, regelmäßig die Medien verfolgen oder sich insbesondere angucken, wen die politische Rechte als ihre Feinde ausmacht. Von innerlinken Konflikten und Diskursen bleibt dieses gesellschaftliche Bild vollkommen unberührt. Oder um es einmal drastischer auszudrücken: Nach einem Tag X liegen wir alle in den gleichen Leichensäcken nebeneinander.

Es ist also so: Wenn das Bekenner:innenschreiben zum Einwerfen der Scheiben im Casa echt gewesen ist, dann bleibt das – egal wie jemand subjektiv sich dazu positionieren mag – eine innerlinke Auseinandersetzung und als solche muss sich dieser auch gestellt werden. Es ist nicht zu erledigen dadurch, dass man sagt: Es waren keine Linken oder wahlweise: Es hat keine Linken getroffen, egal wie schwer das einem fällt oder wie abstoßend das einem erscheinen mag.

2. Gewalt ist keine rote Linie

In einem Text zum Angriff auf die „Bäckerei“ wurde geschrieben, dass mit dem Angriff eine rote Linie überschritten wurde. Hier muss einem als erstes auffallen: Dieser Spruch, so alt er auch sein mag, hat aktuell gesellschaftliche Hochkonjunktur. Man kommt ja kaum mehr hinterher, welche roten Linien derzeit gezogen und in der Folge dann überschritten werden. Das ist aber kein Zufall, sondern Ausdruck des gesellschaftlichen Verhältnisses aktuell: Überall, so scheint es, ereignen sich Krisen, es wird alles immer schlimmer, es gibt keine Hoffnung auf Besserung, alles zerfällt. Von roten Linien zu sprechen, soll Stabilität bringen. Denn die rote Linie darf nicht überschritten werden. Wenn sie aber überschritten wird, dann muss entweder nun alles getan werden, um hinter die rote Linie zurückzukommen, oder aber: the battle is on! Es ist ein bekanntes Phänomen, dass in Anbetracht von Konflikten, die auf eine offen gewalttätige Auseinandersetzung hinauslaufen, dazu tendiert wird, dann lieber gleich loszuschlagen. Also dem Sog, den Gewalt ausübt, nachzugeben und in den Konflikt, an dem man vielleicht nur am Rande oder nur gedanklich partizipierte, nun auch tatsächlich einzutreten. Dies zumindest macht die Auseinandersetzung greifbar, weil angreifbar, sie verliert dadurch ihre verworrene und undurchschaubare Gestalt und wird zu etwas Handfestem. Wenn Linke hinter dem Angriff auf das Casa stecken, dann wird so etwas wohl auch eine Rolle gespielt haben; Handala trifft sich nicht erst seit gestern dort und ist auch nicht erst seit gestern ein erklärter Feind Israels. Der Grund ergibt sich doch aus dem aktuellen Krieg in Israel, in welchem eben auch Handala mit den hier gegebenen Möglichkeiten zuvor hatte eintreten wollen, in dem sich positiv auf den Angriff der Hamas bezogen und zu Kundgebungen gegen Israel mobilisiert wurde. Genauso ist es dann der nächste Wunsch nach Eintritt in den Konflikt, wenn angebliche Nachbar:innen vom Casa schreiben, nun sei die rote Linie überschritten. Denn: was genau soll das heißen? Ist es ein konsequenzenloses, unbedachtes Hinschreiben einer vielgehörten Floskel oder sollen dem nun Taten folgen? Vielleicht fällt ja einem ein anderes Ziel ein, dass nun angegriffen werden kann, damit klar ist, was passiert, wenn jemand die rote Linie überschreitet? Es sind ja nicht nur die „Nachbar:innen des Casa“, die aktuell in dieses Horn stoßen; überall, hat man ja zwischendurch den Eindruck, sind die Genoss:innen bereit dafür, dass es losgehen muss, nun muss man Farbe bekennen, wenn schon gesellschaftlich völlig irrelevant, dann zumindest im eigenen kleinen Kreis. Und dazu kann auch gesagt werden: etwas Ungewöhnliches ist es nicht, wenn das passiert. Linke haben noch nie durch interne Friedfertigkeit geglänzt, egal wie sehr nach außen für ein friedliches Leben für alle eingetreten wird, an sich selbst findet sich da keine solche Grenze. Es ist interessant, dass in vielen Bereichen auch im Binnenverhältnis Wert darauf gelegt wird, eine Vorbildfunktion zu haben, sich für ein Leben einzusetzen, dass für alle Menschen gut ist, auch schon hier und jetzt, im konkreten. Gewaltlosigkeit gehört jedenfalls nicht dazu. Und diese Gewalttätigkeit fängt schon weit vor der handgreiflichen Auseinandersetzung an. Immer wieder taucht die Frage auf, wieso sich aus der radikalen Linken zurückgezogen wird, hier finden wir zumindest eine Antwort: Weil es in der radikalen Linken nicht sicher ist, zum Teil weniger sicher als in der Mehrheitsgesellschaft. Die radikale Linke hat eine gewalttätige Binnenpraxis mit einem hohen Anpassungsdruck in vielerlei Gestalt, wovon wohl jede:r eine Geschichte erzählen kann – man überdenke nur einmal, ob man sich immer traut, auf einem Plenum das zu sagen, was man denkt, ob man schon einmal Angst hatte, ob andere Linke in irgendwelchen öffentlichen linken Räumen das eigene Gespräch belauschen könnten, ob man schon mal dabei war, jemanden aufgrund einer Meinung auszugrenzen, um nur ein paar Beispiele zu bringen.

Die Zuspitzung eines innerlinken Konfliktes mag der Angriff auf die „Bäckerei“ sicherlich sein, aber dass eine rote Linie überschritten wurde, stimmt nicht. Es wäre hier hilfreicher, sich in Anbetracht des Angriffes bewusst zu machen, wie weit die Zerrissenheit innerhalb der radikalen Linken fortgeschritten ist und sich die Frage zu stellen, wieso und wie das kommt, anstatt ein nicht-bestehendes Tabu zu nehmen, um die Zerrissenheit noch weiter zu vertiefen, und das in einer Zeit, die zunehmend real gefährlich wird und dies auch schon ohne den Krieg zwischen Israel und der Hamas. Schön wäre es, wenn Gewalt innerhalb der radikalen Linken wirklich die Ausnahme oder eine Besonderheit wäre, dazu muss man aber etwas beitragen und Verantwortung übernehmen, gerade und insbesondere dann, wenn es schwierig ist und die Situation dazu verlockt, Unsicherheiten und Vieldeutigkeiten durch klare und harte Urteile zu ersetzen. Dass es aber auch Gruppen gibt, die innerlinke forcieren und versuchen zuzuspitzen, die sich aus einer Spaltung der Linken einen politischen Gewinn versprechen, hat dieser Text noch einmal aufgeführt: https://de.indymedia.org/node/313883

Es kann sich jede:r mal fragen, ob das eigene Verhalten davon geprägt ist, innerlinke Spannungen auszuhalten, oder auch zu denen gehört, die eine innerlinke Hegemonie behaupten wollen.

3. Mit Anschuldigung gegen Anschuldigung

In etlichen Solidaritätsbekundungen, ob in den Soli-Statements oder in irgendwelchen Chatgruppen, wurde nach dem Angriff auf das Casa – vorausgesetzt, dass das Schreiben authentisch ist – auf die Vorwürfe, die darin stehen, gar nicht – oder nur sehr oberflächlich – eingegangen. Stattdessen wurde mit Gegenvorwürfen reagiert. Bevor wir uns hier den Inhalten dessen widmen, ein kurzer Einschub: Wir wollen uns mal anschauen, was an solchen Reaktionen generell zu erkennen ist und zwar insbesondere an der Figur, wo vermeintlich auf den Vorwurf eingegangen wird. Zu erkennen ist so etwas generell daran, dass jemand sagt: „Mag ja sein, dass XY, aber … .“ Bei solchen Figuren, da kann man generell sagen, dass auf alles, was vor dem – , aber- steht, gar kein Bezug genommen wird. Dieses wird nur genutzt, um das eigene Argument zu stärken. Tatsächlich wird ja gar nichts anderes gesagt als: Meine Aussage ist richtig, sie ist und bleibt auch richtig unberührt von anderen Argumenten. Das aber ist es, was die eigene Aussage oberflächlich werden lässt. Denn es wird gesagt, dass an der anderen Position, die man abweist, einfach gar nichts ist, was einen Gehalt besitzt und was daher als ganz und gar gleichgültig vernachlässigt werden kann. Und wir geben hier einfach mal den Tipp, darauf zu achten, wie oft einem das begegnet. Wenn es vorkommt, dann lässt sich feststellen, dass keine Debatte vorhanden ist, sondern das rein statisch Positionen nebeneinander aufgelistet werden und durch inhaltsfremde Argumente, so etwa wie – meine Position ist stärker, weil moralisch stärker, weil wir mehr sind, weil xy – angereichert wird. Sie markieren das Ende jeder Auseinandersetzung oder bezeichnen, dass es gar keine Auseinandersetzung gibt und dass diese auch nicht gewünscht ist, sondern das Durchsetzen der eigenen Position, die uneingeschränkt richtig ist und für die man sich eine Hegemoniestellung innerhalb der radikalen Linken wünscht, um seine Avantgardestellung zu behaupten. Wir raten jedem von einem solchen Vorgehen ab, weil es uns nicht weiterbringt.

Nun zurück zum Casa: Hier wird in etlichen Bekundungen diese Figur genutzt: Wir sind auch gegen Anitsemitismus, aber der Angriff auf das Casa war rassistisch. Und dies ist einfach eine falsche Figur. Zum einen bestärkt dies eine Position, die sich derzeit in verschiedenen Facetten zeigt: Entweder du bist vor allem gegen Antisemitismus, dann bist du aktuell auf der Seite Israels, oder du bist gegen Rassismus, dann bist du auf der Seite der Palästinenser:innen, wobei dann „Rassismus“ in Verbindung steht noch mit Antikolonialismus, Migration im allgemeinen und einer islamfeindlichen Haltung. Dabei muss einem Folgendes klar sein: Die Gegenüberstellung von Antisemitismus und Rassismus, wie sie in der aktuellen Debatte nachgeplappert wird, ist die Übernahme des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses, in welchem das Befürworten von Migration und Eintreten gegen Antisemitismus gegeneinandergestellt wird. Jedes leichtfertige Reproduzieren dieses Diskurses ist absolut fatal und bewirkt eine weitere Zersetzung ohnehin schon meist schwacher und dünn aufgestellter linksradikaler Positionen, beziehungsweise ist zugleich Ausdruck davon, wie ruiniert linksradikale Inhalte aktuell sind.

Wenn wir einmal annehmen, dass das Schreiben zum Angriff echt war, dann muss als Grund für den Angriff doch der Inhalt des Schreibens genommen werden. Es dürfe dann keine Inhalte hinzugenommen werden, die nicht in dem Schreiben stehen. Das wird zur Spiegelfechterei bei der wir den Inhalt verpassen. Und wir müssen uns doch ganz selbstverständlich auf das beziehen, was tatsächlich gemacht wurde und nicht auf etwas, was nicht gemacht wurde. In dem Schreiben jedenfalls wurde kein rassistisches Motiv benannt. Und es wurde auch nichts Ablehnendes gegen das Haus geschrieben, sondern sich explizit auf die öffentlichen Räume bezogen. Es ist ja auf Fotos zu sehen: Es wurde eine Scheibe links und eine Scheibe rechts von der Eingangstür der öffentlichen Räume (die im Übrigen nicht die Haustür ist) eingeworfen. Die öffentlichen Räume befinden sich alle im Erdgeschoss, der Wohnraum ist von diese Räumen getrennt. Wenn der Angriff auch den Bewohner:innen des Hauses gegolten hätte, wieso wurde dann nicht eines der etlichen Fenster oben eingeworfen? Wieso wurde es, wenn der Wurf etwa an Unvermögen scheiterte, nicht im Schreiben thematisiert, dass zwar nur die Scheiben unten eingeworfen wurden, aber der Angriff dem Haus galt? Nichts davon ist der Fall, sondern das Gegenteil ist der Fall. Trotzdem wird so getan, als sei aber beides passiert. Laut Bekennung galt der Angriff den öffentlichen Räumen und genau dort hat er ja auch getroffen. Und als Grund wurde auch nicht die vermeintliche Herkunft der Nutzer:innen der Räume oder der Angehörigen der angegriffenen Gruppen angegeben, sondern deren behaupteter Antisemitismus. Das kann man ja so teilen oder nicht, das kann man falsch finden oder richtig, dass kann man als Grund für einen Angriff sehen oder nicht. Aber was man nicht machen kann, ohne dabei die Wahrheit zu verdrehen, ist daraus Rassismus zu machen.

Des Weiteren: Wir können ja noch nicht ausschließen, dass das mit dem Schweinefett stimmt. Aber nehmen wir mal beides an, dass es sowohl Linke waren, als auch dass sie Schweinefett warfen, um damit Anhänger:innen des Islam insbesondere zu beleidigen. Dazu kann gesagt werden, dass dies nicht einmal so unplausibel ist, weil Teile der Antideutschen im Islam nicht nur eine x-beliebige Religion sehen, sondern eine bekämpfenswerte politische Ideologie und auch die Position vertreten wurde, dass der Koran so etwas sei wie Hitlers „Mein Kampf“. Es stellt sich zumindest die Frage, wieso dann davon in der Bekennung nichts drinsteht. Es wäre ja andersrum viel einfacher und auch wirksamer gewesen: Stattdessen Steine zu schmeißen und dann in der Bekennung zu schreiben, dass man im Übrigen auch den Islam verachtenswert findet. Es ergibt von außen betrachtet schlicht keinen Sinn, weil sich alle kritisierten Gruppen als antiimperialistisch positionieren und bei ihnen gar kein positiver politischer Bezug zum Islam zu finden ist. Der Angriff der Hamas wird ja auch dementsprechend von den ganzen antiimperialistischen Gruppen in einen nationalen Befreiungskampf umgedeutet und nicht als das erkannt und benannt, was die Hamas selbst darin sieht, nämlich einen Angriff auf die Jüd:innen im Allgemeinen. Das zusammen ist ja letztlich der Grund warum diese Gruppen so in Verruf geraten sind, weil ihnen aufgrund des positiven Bezugs auf die Hamas eine antisemitische Haltung unterstellt wurde, weil sie den Antisemitismus der Hamas leugnen und in etwas anderes umdeuten und es dann bejubeln.

Wir wollen damit niemanden aus seiner Verantwortung nehmen. Wir halten es für möglich, dass dahinter eine Absicht steckt, die darauf abzielt, Anhänger:innen des Islam herabzuwürdigen und auch , dass es Linke gewesen sein könnten. Dies sind aber implizite Annahmen, die unterstellt werden müssen. Man kommt nicht umhin zur Kenntnis zu nehmen, dass die Begründung für diesen Angriff sich gegen die Inhalte der angegriffenen Gruppen richtet, die gar nicht mit dem Islam identifiziert sind und ein Zusammenhang mit „wir treffen sie durch Schweinefett“ nicht besteht.

Daraus ergibt sich noch eine weitere Annahme: Dass der Angriff auf die Räume den Gruppen galt, so wie es inhaltlich argumentiert wurde, dass aber die Verwendung von Schweinefett sich gegen die Bewohner:innen des Casas richtete, gegen die man kein starkes inhaltliches Argument hatte, außer, dass sie die Räume freigeben für diese Gruppen, und dass man sie daher anders treffen wollte, nämlich durch die Verwendung von Schweinefett in der Annahme, dass dort Anhänger:innen des Islam wohnen, um sie einzuschüchtern oder zu bestrafen. Die Niederträchtigkeit dessen ist offenkundig; es wäre ein Ausdruck davon, dass wir als radikale Linke ziemlich weit herabgesunken sind. Es bleibt aber festzuhalten, dass diese letzte Annahme gar nicht sonderlich plausibel ist, sondern vieler zusätzlicher Annahmen bedarf, die aus dem Ereignis selbst nicht abzuleiten sind.

Kein:e Verfasser:in der bisher veröffentlichten Statements jedoch hat bisher überhaupt Abwägungen plausibel gemacht. Vielmehr wurde einfach unterstellt, dass es sich bei dem Angriff um einen rassistischen Akt gehandelt hat. Dafür müsste man aber sagen, dass ein Angriff auf öffentliche Räume in einem Hausprojekt, in dem BIPOCs wohnen, egal mit welcher Begründung und welchen Grund immer rassistisch ist und das es einen solchen Angriff nicht gegeben hätte, wenn mehr Weiße dort wohnen würden. Es wird auch in keinem Statement plausibel gemacht, wieso ein Angriff, der sich gegen den Islam richtet, das gleiche ist, wie ein rassistischer Angriff. Ein rassistischer Angriff würde sich ja gerade dadurch auszeichnen, dass er sich gegen Nicht-Weiße im Allgemeinen richtet. Er wird doch unterschieden von einem antimuslimischen Rassismus. Dieser zeichnet sich doch insbesondere dadurch aus dass muslimischer Glaube rassifiziert und zur biologischen Eigenschaft eines bestimmten Schlags Mensch gemacht wird. Aber die Begriffe werden einfach durcheinandergeworfen und benutzt, wie es einem gerade in den Sinn kommt, von einem Problembewusstsein bezüglich dieser Begriffe ganz zu schweigen.

Am Ende kommt eine ganz vertraute Denkfigur heraus: Eine Kritik am Staate Israel ist kein Antisemitismus und damit ok, aber die Kritik am Islam ist halt Rassismus und damit nicht ok. Und am Ende einfach diese Aussage: Antisemitismus rechtfertigt keinen Rassismus. Diese Aussage ist ganz selbstverständlich wahr. Dass es hierauf aber zugespitzt wird, ist einfach falsch, es ist, wie oben schon gesagt, dass Abbild der aktuellen gesellschaftlichen Debatte. Aus dieser Dichotomie muss man sich befreien und nicht weiter hineinbegeben. Wer jedenfalls glaubt, ein weiterer Beitrag zu dem Gespräch „Du sagst ich bin Antisemit:in? Du bist Rassist:in!“, „Du sagst ich bin Rassist:in? Du bist Antisemit:in!“ sei für irgendetwas hilfreich, der kann aktuell täglich irgendwem auf die Schulter klopfen, genauso wie diejenigen, die daneben stehen und sagen: „Ist an beidem etwas dran, ich halt mich besser raus, dann bin ich keins von beidem.“ Und das alles ist eine Verflachung, die nicht wir vornehmen, um der Auseinandersetzung eine einfache Gestalt zu geben, sondern diese Verflachung wird von allen vorgenommen, die Statements raushauen und sich nicht im Geringsten die Mühe machen, ihre Meinungen plausibel zu machen.

4. Es ist alles ganz schlimm

Wir schließen unseren Text mal mit einer Bitte. Bitte schaut euch mal die letzten innerlinken Auseinandersetzungen an, um die die Diskussionen der letzten Zeit, aber auch der letzten Jahre kreisen. Nehmt mal für einen Moment eure eigene Haltung zurück. Seht ihr nicht, dass, wenn an den Vorwürfen, die wir uns gegenseitig an die Köpfe werfen, die radikale Linke aus Antisemit:innen, Rassist:innen, Sexist:innen, QueerfeindInnen, Gewaltfetischist:innen, Refomist:innen und so weiter besteht? So lange jede:r meint, es gäbe da die eine gute Haltung, die dazu führt, dass diese Vorwürfe an einem vorbeigehen, ohne einen zu treffen, dass es also etwas gibt wie die wahre radikale Linke und das man nun selbst auch den Schlüssel dazu in den Händen hält, wird sich dieses Karussell bis zu unserem eigenen Ende immer weiterdrehen. Es wird am Ende nichts dabei herauskommen für uns. Wenn wir die Summe der wechselseitig gemachten Vorwürfe bilden, müssen wir doch jetzt schon feststellen, dass es eine radikale Linke nicht gibt. Es muss sich mit den Vorwürfen, gerade denen, die einem selbst gelten, auseinandergesetzt werden und dies auf einer ganz anderen Ebene als der, dass man sagt: „du sagst ich bin dieses, aber du bist ja jenes!“, sondern auf der Ebene, wo man sich ernsthaft anschaut, was an den Vorwürfen dran ist. Die Widersprüche dürfen eben nicht versucht werden, herausgedrängt oder herausgekämpft zu werden. Durch Angriffe auf die Widersprüche verschwinden diese nicht. Es muss sich den Widersprüchen gestellt werden und versucht werden, diese zu verstehen. Vielleicht mildert sich dadurch ihre Wucht. Wer sie bekämpft, vergrößert ihre Wucht und trägt dazu bei, dass alles zerreißt, auch das, was man selber meint, beschützen zu können. Es geht nicht um die Reinheit der Bewegung von allem, was man als Schmutz identifiziert.

Für den Angriff auf das Casa, womöglich mit Schweinefett, weil sich dort Gruppen treffen, die das Abschlachten der Hamas als Befreiungskampf feiern, tragen wir alle die Verantwortung und zwar schon allein einfach deshalb, weil wir die innerlinke Auseinandersetzung entweder ganz verneinen oder nicht in der Lage sind, sie produktiv zu führen. Weil wir uns in unsere eigenen kleinsten Ecken und Winkel zurückgezogen haben und hoffen, dass alles irgendwie vorbeigeht, oder weil wir hoffen, dass wir im Recht sind, wenn wir am lautesten sind. Sich jetzt hinzustellen und irgendwelche zu brandmarken, die eine Grenze überschritten haben, oder ganze Gruppen aus der Linken raustreiben zu wollen, ist jedenfalls nicht die Übername von Verantwortung, sondern das Leugnen davon. Alles, was ist, hat eine Geschichte und einen Vorlauf. Wer erschrocken darüber ist, was passiert, sollte sich diese ansehen und darüber sprechen und nicht einfach eine Klage am aktuell Schlimmen anstimmen. Und in der Geschichte spielen wir selber eine Rolle. Wenn die radikale Linke eine Pflicht und Aufgabe hat, dann ist es die, dass sich die Rolle in der Geschichte bewusst gemacht und eine selbstbewusste Rolle eingenommen wird und zwar nicht nur in Hinblick auf das, was einem passt, sondern gerade auch auf das, was einem falsch und schlecht erscheint. Nicht das Feststellen der eigenen Integrität ist das Ziel, sondern das Verstehen der eigenen Verantwortung für das Falsche. Ihr seid selber die Gruppe, die sich dort trifft und den Terror der Hamas für etwas Erfreuliches hält und ihr habt euch selber die Scheiben eingeworfen, weil ihr die Strukturen mitaufgebaut habt, die eine produktive Auseinandersetzung im Kampf um die Freiheit und das gute Leben für alle verhindert haben. Wer nicht versteht und akzeptiert, dass wir im Grunde kaputte Existenzen sind, der verhindert, das wir jemals etwas anderes werden.