Ausbau von Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten – Bundespolizei treibt umstrittenes Pilotprojekt voran

Trotz Überbelastung regulärer Einheiten und Personalproblemen hält die Bundespolizei an einem Prestigeprojekt fest: In Sachsen soll nach SPIEGEL-Informationen ein weiterer Spezialtrupp entstehen – obwohl Kritiker keinen Bedarf sehen.

In der Bundespolizei rumort es. »Obwohl jeder weiß, dass das Projekt zum Scheitern verurteilt ist, buttert man Ressourcen rein«, schimpft ein leitender Beamter. Ein Luftschloss werde gebaut, ein unnötiges dazu.

Die Rede ist von einem Experiment der Bundesbereitschaftspolizei am Standort Bad Düben in Sachsen. Nach SPIEGEL-Informationen soll dort bis Ende nächsten Jahres, bestenfalls schon zur Fußball-EM in Deutschland, eine weitere sogenannte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) entstehen. An fünf Standorten gibt es die hoch spezialisierten Trupps bereits, verteilt über das Bundesgebiet. Für viele BFE-Experten ist das neue Projekt jedoch ein schlechter Scherz: Schon jetzt mangele es überall sowohl an geeigneten Einsätzen als auch an qualifiziertem Personal, sagen Eingeweihte. Wozu noch eine Einheit?

Störer, Gewalttäter, Terroristen

BFE-Trupps sind in Hundertschaften (BFHu) organisiert und haben spezielle Aufgaben, vor allem die Festnahme gewalttätiger Störer bei besonderen Lagen wie Risiko-Fußballspielen oder Demos. Teil der Hundertschaften sind auch sogenannte BFE-Plus-Einheiten, die nach islamistischen Anschlägen in Europa 2015 zur Terrorbekämpfung gegründet wurden und Spezialkräfte wie die GSG 9 unterstützen sollen.

Der Ausbau der BFHu gilt als Herzensanliegen des Präsidenten der Direktion Bundesbereitschaftspolizei, Uwe Sieber. Wie der SPIEGEL im November berichtete, erwog Sieber laut einer vertraulichen Dienstanweisung sogar eine sukzessive Verdoppelung der besonderen Hundertschaften von fünf auf zehn. Das Bundespolizeipräsidium in Potsdam teilte seinerzeit mit, es handele sich dabei lediglich um »Gedankenspiele«. In BFHu-Kreisen regte sich heftiger Widerstand gegen die Pläne.

Aufgebrachte Bundespolizisten wetterten, Sieber wolle sich mit dem überambitionierten Plan kurz vor seiner Pensionierung wohl ein Denkmal setzen – ohne die Wirklichkeit zu sehen. Denn noch mehr der top ausgebildeten BFHus zu schaffen, sei schlicht sinnlos und unrealistisch, kritisierten damals führende Beamte. Zum einen seien die bereits existierenden Einheiten unter anderem aufgrund hoher Aufnahmestandards stark unterbesetzt. Eine Hundertschaft besteht theoretisch aus etwa 120 Beamtinnen und Beamten. Doch bundesweit seien Hunderte Dienstposten in den BFHu frei, hieß es. Mehr Einheiten bedeuteten somit fast zwangsläufig, dass die Ansprüche sinken müssten und folglich die Qualität leide.

Spezialtrupps auch an der Grenze

Zum anderen, so die Kritik nach dem Vorstoß 2022, seien die BFHu auch längst nicht entsprechend ihrem Aufgabenprofil ausgelastet. Während normale Bundesbereitschaftspolizisten zum Beispiel aufgrund steigender Flüchtlingszahlen an den Grenzen massenhaft Überstunden sammelten, hätten die fünf BFHus im Vergleich lange viel weniger Einsätze gehabt. Immer öfter würden sie daher nun in Lagen eingesetzt, die nicht zu ihren Fähigkeiten passen, berichteten Insider. Inzwischen müssten die BFHus auch an der Grenze aushelfen.

Die Bedenken verfingen offenbar auch im Bundespolizeipräsidium in Potsdam. Der Traum von Bereitschaftschef Sieber von einer Verdoppelung der BFHu liegt wohl erst einmal auf Eis. Sieber, der im nächsten Jahr in Pension geht, schien von den öffentlichen Anwürfen getroffen.

Gesichtswahrende Lösung?

Das Pilotprojekt der neuen BFE-Einheit in Bad Düben, das offiziell bereits im April startete, wird in Bundespolizeikreisen nun als gesichtswahrende Lösung des Potsdamer Präsidiums für Sieber interpretiert. Auch Bundespolizeipräsident Dieter Romann kenne die Probleme, berichten Vertraute. Was auf absehbare Zeit wohl dringender gebraucht werde als ein weiterer Spezialtrupp sei Personal in der Fläche. Doch mit dem BFE-Testlauf in Bad Düben könne der Präsident seinem Gefolgsmann Sieber, ein Fachmann mit großen Verdiensten, intern noch einmal den Rücken stärken.

Uwe Sieber weist die Kritik von sich. »Wir bekommen viel Zuspruch, gerade auch aus den Standorten, die noch keine BFE haben«, sagt Sieber dem SPIEGEL. »Es gibt eine große Menge Führungskräfte, die unsere Pläne unterstützen«. Für einen langfristigen Ausbau der BFHu gebe es viele gute Gründe. »Es gibt Hunderte Interessenten in der Bundesbereitschaftspolizei, die gern in einer BFE arbeiten würden. Sie wollen aber an einen Standort in ihrer Nähe«, so der Beamte. »Das merken wir auch beim Nachwuchs aus der Generation Z. Wir müssen attraktive Arbeitsbedingungen schaffen, gerade für diese Generation«.

Ob das Projekt in Bad Düben über 2024 hinaus fortgesetzt wird, ist offen. Ein Großteil der Bewerber in Bad Düben bestehe wie erwartet die harten Vor- und Aufnahmetests nicht, heißt es aus Sachsen. Man müsse eine »Evaluierung« des Experiments abwarten, so die Behördenleitung in einer internen Mitteilung an die Belegschaft.

Uwe Sieber bleibt optimistisch. »Ich bin überzeugt, dass das Projekt ein Erfolg wird«, sagt er. Das Ergebnis werden wohl andere beurteilen. Anfang nächsten Jahres geht der Bundespolizist in den Ruhestand