Zuckerbrötchen und Peitsche
Mit einem überarbeiteten Gesetz will Sachsen die Versammlungsfreiheit ausweiten, doch es hagelt Kritik – die Änderungen im Detail
Im sächsischen Koalitionsvertrag einigten sich CDU, SPD und Grüne darauf, das Versammlungsgesetz »bis 2021 praxisgerechter und verständlicher« zu gestalten. Nun soll das unter Federführung von Innenminister Armin Schuster (CDU) erarbeitete Gesetz verspätet am 1. September 2024, dem Tag der Landtagswahl, in Kraft treten. Ziel sei es laut Schuster, das »Recht auf Versammlungsfreiheit bestmöglich zu gewährleisten«.
Andere widersprechen und halten kleine Verbesserungen – etwa den nun verankerten Schutz der Presse durch die Behörden – für ein medienwirksames Feigenblatt: So spricht die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel (Linke) angesichts der geplanten Änderungen von einem »massiven Angriff auf die Versammlungsfreiheit«.
Irena Rudolph-Kokot, ehemalige Vorsitzende der Leipziger SPD, sagt: »Mit der doppelten Zuständigkeit von Versammlungsbehörde und Polizei ist das Chaos vorprogrammiert.« Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek meint schlicht: »What the fuck? Dass dieser Entwurf ausgerechnet am Tag der Landtagswahl in Kraft treten soll, kann nur Satire sein.«
Kritik gibt es auch von juristischer Seite. Der Leipziger Rechtsanwalt Raik Höfler, der sich unter anderem auf Versammlungsrechtsfragen spezialisiert hat, sagte auf kreuzer-Anfrage: »Der Gesetzentwurf ist abzulehnen. Er atmet den Geist einer staatlichen Kontrolle und Reglementierung, welche dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit fremd ist.«
Das Innenministerium stellte den Gesetzesentwurf am 22. August vor und könnte diesen noch überarbeiten, bevor er zur Entscheidung in den Landtag geht. Vom 30. August bis 25. September steht der Entwurf kommentarlos auf dem sächsischen Beteiligungsportal (https://buergerbeteiligung.sachsen.de/portal/smi/beteiligung/themen/1036793). Das Innenministerium erklärte auf kreuzer-Anfrage:
»Die Bürgerinnen und Bürger haben die Möglichkeit, sich aktiv in die Entscheidungsprozesse der Politik und Verwaltung einzubringen.« Auf die Frage, wie das geschehen kann, wurde nicht geantwortet.
Die geplanten Änderungen des Sächsischen Versammlungsgesetzes im Detail:
Abschnitt 1: Allgemeine Regelungen
§ 2: Der Entwurf erstreckt sich nun auch auf Versammlungen in geschlossenen Räumen. Das bedeutet, dass die Polizei dort zukünftig Zugang erhalten kann.
§ 3: Für Anmeldende werden Kooperationsgespräche und das Teilen von Informationen verpflichtend. Falls dieser »Obliegenheit« nicht nachgekommen wird, kann sich dies auf die Gefahrenprognose auswirken. Diese Regelung soll auch für »Eil- und Spontanversammlungen« gelten.
§ 4: Wer Aufrufe in sozialen Medien teilt, während eine Versammlung noch nicht angemeldet ist, kann als Veranstalterin gelten. Das bedeutet:
§ 5: »Wer eine Versammlung veranstaltet, leitet diese.« Sollten die Behörden niemanden ausfindig machen können, der zur Versammlung eingeladen oder aufgerufen hat, können Versammlungsleitungen bestimmt werden. Falls trotz aller Bemühungen keine Leitung gefunden wird, übernimmt die jeweils zuständige Behörde die Versammlungsleitung selbst.
§ 6: »Die Versammlungsleitung […] darf die Versammlung jederzeit unterbrechen oder beenden.« Das Mindestalter für Ordnerinnen und Ordner wird von der Volljährigkeit auf 16 Jahre herabgesetzt. Die Anzahl der Ordnerinnen und Ordner muss »rechtzeitig vor Beginn« und nicht mehr »auf Anforderung« mitgeteilt werden. Ebenso kann der Einsatz von Ordnerinnen und Ordnern nun verlangt werden, was bislang eher freiwillig geschah.
§ 7: »Es ist verboten, anstelle der aufgelösten Versammlung eine Ersatzversammlung durchzuführen.« Gegen das Verbot einzelner Versammlungen oder das Verbot von Versammlungen mittels Allgemeinverfügungen darf zukünftig nicht mehr demonstriert werden. Rund um den Tag X wurden einige Versammlungen als Ersatzveranstaltungen deklariert und verboten. Klagen dagegen sind noch anhängig.
§ 8: »Es ist verboten, eine Versammlung mit dem Ziel zu stören, deren Durchführung erheblich zu behindern oder zu vereiteln.« Im November 2022 wollten Demonstrierende mit Fackeln über den Leipziger Ring ziehen. Die Demo wurde durch eine Blockade an der Thomaskirche gestoppt – so etwas soll zukünftig verboten sein.
§ 9: Das Waffenverbot und das Verbot sonstiger Gegenstände, die die »Verletzung von Personen« oder erhebliche »Schäden an Sachen« ermöglichen, waren bisher schon im Gesetz verankert. Neu ist, dass die Versammlungsbehörde einzelne Gegenstände mittels Anordnungen verbieten kann. Im Beschränkungsbescheid könnten zukünftig zum Beispiel Schlüssel, Taschenlampen oder Regenschirme aufgeführt sein.
§ 10: Das bisherige Uniformierungsverbot für »Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung« wird durch ein Verbot von »einheitliches Erscheinungsbild vermittelnden Kleidungsstücken […] die den Eindruck der Gewaltbereitschaft vermitteln und dazu beitragen, eine einschüchternde Wirkung zu erzeugen« ersetzt. Die Versammlungsbehörde kann »Gegenstände und Verhaltensweisen« verbieten.
§ 11: Neu ist, dass die Versammlungsleitung bei Übersichtsaufnahmen der Polizei unverzüglich informiert werden soll. In den letzten Jahren hat sich der rechtswidrige Einsatz von Übersichtsaufnahmen bei Versammlungen etabliert – das wird jetzt legalisiert. Neu ist auch, dass Videoaufnahmen für polizeiliche Aus- und Fortbildungen verwendet werden können.
Abschnitt 2: Versammlungen unter freiem Himmel
§ 14: Eilversammlungen sollen zukünftig nicht nur bei der Versammlungsbehörde, sondern auch bei der Polizei angemeldet werden.
§ 15: Zukünftig darf auf allen öffentlichen Verkehrsflächen demonstriert werden, ohne dass eine Sondernutzungserlaubnis erforderlich ist. Versammlungen sollen auch auf Privatgrundstücken möglich sein, die öffentlich zugänglich sind, ohne dass die Einwilligung der Eigentümerin oder des Eigentümers eingeholt werden muss.
§ 16: Wenn aufgrund »tatsächlicher Anhaltspunkte« angenommen werden kann, dass von einer Versammlung eine Gefahr für die »öffentliche Sicherheit« ausgeht, soll die Versammlungsleitung Namen und Geburtsdaten der Ordnerinnen und Ordner herausgeben. Der Eintrag in einer Datenbank der Polizei könnte dazu führen, dass Ordnerinnen und Ordner abgelehnt werden – ohne vorbestraft zu sein.
§ 17: Versammlungen, die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit propagieren, sollen beschränkt oder verboten werden können. Ortsbezogene Beschränkungen wie die Frauenkirche in Dresden oder das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig fallen dafür weg.
§ 18: Personen kann zukünftig die Teilnahme oder Anwesenheit bei Versammlungen untersagt werden, wenn von ihnen eine »unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit« ausgeht.
§ 19: Das Vermummungsverbot wird verschärft. Das Mitführen von Gegenständen, die dazu geeignet und bestimmt sind, die Identität zu verschleiern, bleibt weiterhin verboten. Neu ist, dass Ausnahmen – wie beispielsweise ein Gespensterkostüm – zukünftig nicht mehr zulässig sein sollen.
Abschnitt 3: Versammlungen in geschlossenen Räumen
§ 22: Versammlungen in geschlossenen Räumen können beschränkt, verboten oder aufgelöst werden. Zudem darf die Polizei zukünftig bei Versammlungen in geschlossenen Räumen anwesend sein, wenn »Anhaltspunkte« für zu erwartende Rechtsverstöße vorliegen, die von Amts wegen verfolgt werden müssen.
Abschnitt 4: Straf- und Bußgeldvorschriften
§ 24: Straftaten: Das Strafmaß für den Verstoß gegen das Uniformierungsverbot wird hingegen von zwei auf ein Jahr Freiheitsstrafe reduziert. Das Strafmaß für den Verstoß gegen das Waffenverbot wird von ein auf zwei Jahre erhöht.
§ 25: Ordnungswidrigkeiten: Die Behinderung von Presse soll zukünftig eine Ordnungswidrigkeit darstellen, ebenso das Blockieren oder Stören einer Versammlung. Gleiches gilt, wenn die Versammlungsleitung sich weigert, Anzahl, Namen und Geburtsdaten der Ordnerinnen und Ordner herauszugeben.
Abschnitt 5: Zuständigkeiten, Datenverarbeitung
§ 29: Sachliche Zuständigkeit: Zukünftig soll nicht nur die Versammlungsbehörde für Versammlungen zuständig sein, sondern auch die Polizei. Das bedeutet, dass die Polizei Beschränkungen verhängen kann, wie sie es in der Vergangenheit häufig versucht hat.
§ 31: Die Polizei muss Daten aus der Eignungsprüfung für Ordnerinnen und Ordner nach Ende der Versammlung löschen. Die Versammlungsbehörde darf die Daten jedoch zwei Jahre lang speichern, verarbeiten und in Gefahrenprognosen einfließen lassen.