„Wir dachten, wir holen sie da raus“ – Leipziger Vater kann seine Tochter (16) nach Stunden umarmen

Die Polizei setzte am Samstag im Leipziger Süden Minderjährige fest und fuhr sie aufs Präsidium – obwohl ihre Eltern um Freilassung baten. In der LVZ spricht ein betroffener Leipziger Vater.

Leipzig. „Jetzt kommt sie, jetzt ist sie frei“, sagt Alexander König. Gegen halb zwei Uhr nachts schließt der Vater seine 16-jährige Tochter E. wieder in die Arme. Der Ort ist nicht ganz gewöhnlich: Es ist die Dimitroffstraße, wo sich E. mehr als acht Stunden in Gewahrsam der Leipziger Polizei befand.

Als am Samstag im Leipziger Süden demonstriert wurde, zum Teil gewaltsam, behalf sich die Polizei mit einer Strategie, die Fragen aufwirft: Über mehrere Stunden setzte sie Hunderte Personen in einem Kessel in der Südvorstadt fest. Was bedeutet: Die Polizei umstellt einen gewissen Bereich, aus dem niemand einfach so rauskommt. Noch in der Nacht wurde Kritik laut: Befanden sich in dem Kessel nicht auch viele Minderjährige?

Minderjährige seien „priorisiert“ behandelt worden

Am Sonntagmorgen teilte die Polizei mit, dass Stunden zuvor etwa 1000 Menschen vor dem Kant-Gymnasium festgesetzt wurden. Am Abend habe man begonnen, die Personalien der Demonstranten aufzunehmen. Die Maßnahme zog sich über rund elf Stunden bis zum frühen Morgen. „Gegen 5.30 Uhr wurden die letzten Identitätsfeststellungen durchgeführt“, sagte Polizeisprecherin Josephin Heilmann der LVZ.

Unter den mutmaßlichen Randalierern waren auch Minderjährige, bestätigte die Polizei. Diese seien „priorisiert“ behandelt worden. Zur Versorgung vor Ort wurden mobile Toiletten und auch ein Trinkwasserwagen bereitgestellt. Zum Schutz gegen die Kälte wurden Rettungsdecken verteilt. Essen gab es nicht.

Zur Frage, warum eine so große Zahl an Menschen über einen langen Zeitraum festgehalten wurde, sagte Heilmann: „Von diesem Personenkreis gingen die Straftaten aus.“ Zur Identifizierung einzelner Täterinnen und Täter sei es notwendig gewesen, jeden zu identifizieren, um dies später mit Videoaufzeichnungen und anderen Beweismitteln abzugleichen. 50 Verdächtige kamen vorübergehend in Polizeigewahrsam. Gegen 30 am Wochenende festgenommene Personen sollten laut Polizei Haftbefehle geprüft werden. Ermittelt werde unter anderem wegen Landfriedensbruchs und Angriffen auf Polizisten. Fünf weitere Männer im Alter zwischen 20 und 32 Jahren kamen deshalb bereits am Sonntag in Untersuchungshaft.

„Ich war perplex“, sagt Alexander König

Alexander König erreicht seine Tochter gegen 17 Uhr per Handy. Er weiß, dass sie im Leipziger Süden demonstrieren wollte. Laut Medienberichten hatte er gehört, dass die Polizei Personen festsetzte. Am Telefon erfährt er: Seine Tochter ist unter ihnen. „Ich habe nichts dagegen, dass unsere Tochter sich engagiert, ich verstehe es zum Teil auch“, sagt er. Gegen 21 Uhr erreicht er zusammen mit seiner Frau den Kessel. „Wir dachten, wir holen sie da raus.“

Doch die Abholaktion gerät zu einer Odyssee. Nach stundenlangem Warten – und nur durch einen Zufall – erfahren die Eltern, dass ihre Tochter inzwischen im Gefangenentransport in die Dimitroffstraße gefahren wurde. „Ich war perplex“, sagt König. Aber vor Ort erteilt ihm niemand Auskunft. Schließlich, so erzählt es König, erklärt sich ein Beamter am Straßenrand bereit, drinnen nach seiner Tochter zu fragen. Nach einigen Stunden kommt sie frei.

Kritik an Kesselung „nach Zufallsprinzip“

Der Kessel beschäftigt nun auch die Landespolitik. Die Linksfraktion will am Montag eine Sondersitzung des Innenausschusses des Landtags beantragen. Linkenabgeordnete Kerstin Köditz kritisierte am Sonntag, dass die Personen „teils nach dem Zufallsprinzip“ umschlossen und festgesetzt worden seien. „Die Herstellung menschenunwürdiger Bedingungen ist weder verhältnismäßig noch ein Beitrag zur Deeskalation.“

Ähnliche Kritik kam vom innenpolitischen Sprecher der Grünen, Valentin Lippmann. Die Identitätsfeststellungen seien „mit Blick darauf, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit keineswegs alle Gewalttäterinnen und Gewalttäter waren, hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit deutlich zu hinterfragen”. Ulrike Böhm, Sprecherin des Leipziger Grünen-Kreisverbands, ergänzte: „Dass Demonstrierende ohne zureichende Versorgung festgehalten wurden und Minderjährige nicht zu ihren Eltern konnten, ist absolut inakzeptabel. Dieses Vorgehen muss aufgearbeitet werden.“