„Tag X“ in Leipzig – sechs Fragen, sechs Antworten

Leipzig. Der sogenannte „Tag X“ der linksautonomen Szene in Leipzig ist Geschichte. Steine flogen, Autos und Barrikaden brannten, rund 50 Polizisten und eine unbekannte Zahl an Demo-Teilnehmern wurde verletzt, 30 Verdächtige festgenommen. Jetzt geht es an die Aufarbeitung – und strafrechtliche Verfolgung. Die LVZ versucht, die wichtigsten Fragen zu beantworten – sofern dies jetzt schon möglich ist.

Wie viele Tatverdächtige kamen in Untersuchungshaft?

Die Staatsanwaltschaft habe am Sonntag in acht Fällen Haftbefehl beantragt, teilte Behördensprecher Ricardo Schulz mit. Darunter waren sechs Tatverdächtige, die sich unter jenen rund 1000 Menschen befanden, die infolge von massiven Ausschreitungen bei einer Kundgebung am Heinrich-Schütz-Platz festgesetzt worden waren. Hinsichtlich der sechs Verdächtigen aus dem Polizeikessel erließ der Ermittlungsrichter fünf Haftbefehle, wobei zwei gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt wurden. Die übrigen drei Männer (24, 25, 34) mussten wegen schweren Landfriedensbruchs und tätlichen Angriffs auf Polizisten hinter Gitter. Zwei weitere Männer wurden in Connewitz gefasst, weil sie Polizisten mit Steinen und Flaschen beworfen haben sollen. Diese beiden 33 und 36 Jahre alten Männer kamen wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und versuchter Körperverletzung in U-Haft. Bereits am Freitag waren nach Ausschreitungen fünf Haftbefehle gegen Männer im Alter von 20 bis 32 Jahren erlassen worden.

Woher stammen die bekannten Linksextremen?

Unter den acht Männern, gegen die nach dem „Tag X“ am Sonntag Haftantrag gestellt wurde, sind gerade mal zwei Leipziger. Die übrigen Verdächtigen stammen laut Staatsanwaltschaft aus Berlin, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Bayern und Norddeutschland.

Wie ist die weitere Strafverfolgung organisiert?

Bei der Polizei wird nach Informationen von Polizeipräsident René Demmler eine Ermittlungsgruppe gebildet. In dem Polizeikessel am Heinrich-Schütz-Platz kam die Spurensicherung zum Einsatz. Beamte sollen dort verhindert haben, dass Kleidungsstücke verbrannt wurden. Bei Demo-Teilnehmern seien unter anderem Steine und Teleskopschlagstöcke sichergestellt worden. Diese Gegenstände werden dem Polizeichef zufolge in den nächsten Tagen kriminaltechnisch untersucht. Zur Größe der Ermittlungsgruppe machte die Polizeidirektion noch keine konkreten Angaben. Diese sei im Aufbau begriffen, hieß es, der notwendige Personalansatz werde geprüft. Allerdings sei der Aufwand angesichts der Vielzahl an Beweismitteln beträchtlich, so Demmler. Gleiches gelte für die Aufnahme der angerichteten Sachschäden.

Was sagt die Polizei zu angeblichen Übergriffen von Beamten?

In den sozialen Medien kursiert ein Video von einem vermeintlich brutalen Polizeieinsatz im Leipziger Süden. Der Vorwurf: Beamte hätten einem Delinquenten einen Sack über den Kopf gezogen, sodass dieser ohnmächtig geworden sei. In der Online-Debatte wurde sogar der Vergleich zur Folter im US-Gefangenenlager Guantánamo bemüht. Die Polizei wies das zurück: Es handele sich nicht um einen Sack, sondern einen sogenannten „Spuckschutz“. Dieser bestehe aus einer dünnen Netzstruktur und werde Personen angelegt, die wiederholt Einsatzkräfte angespuckt hätten und damit auch nicht aufhörten. „Davon wird niemand ohnmächtig“, hieß es auf LVZ-Anfrage. Zum Hintergrund der Polizeimaßnahme lägen indes noch keine konkreten Informationen vor.

Wo waren die auswärtigen Polizisten untergebracht?

Beim größten Polizeieinsatz der letzten beiden Jahre unterstützten am Wochenende mehrere Hundertschaften und verschiedene Einsatzmittel aus zwölf Bundesländern und der Bundespolizei ihre Kollegen in Leipzig. Rund 3000 Beamte waren auf der Straße. Und auch wenn Leipzigs Polizeipräsident Demmler davon sprach, dass sich viele Polizisten zwangsläufig an vier Stunden Schlaf gewöhnt haben: Ruhe finden mussten sie irgendwo. Mithin war die Unterbringung der Einsatzkräfte eine logistische Herausforderung. Laut Polizeidirektion Leipzig wurden sie nicht nur in Hotels in Leipzig einquartiert, sondern auch in Unterkünften in benachbarten Landkreisen. Bis nach Chemnitz sollen Einheiten gefahren sein, um etwas Schlaf zu bekommen.

Was hat der Großeinsatz gekostet?

Für konkrete Zahlen ist es noch zu früh. „Im Freistaat Sachsen wird im Zusammenhang mit Einsätzen keine Aufschlüsselung von Kosten für sächsische Einsatzkräfte vorgenommen“, teilte das sächsische Innenministerium auf LVZ-Anfrage mit. „Für Unterstützungskräfte der Bundespolizeien oder der Polizeien anderer Länder ist eine Aussage der entstandenen einsatzbedingten Ausgaben erst nach deren Rechnungslegung möglich.“ Im Zusammenhang mit der Diskussion um Klimakleber und die Kosten für Polizeieinsätze waren auch Zahlen bekannt geworden, die im Zehnten Sächsischen Kostenverzeichnis festgelegt sind: Für den Einsatz von Polizeifahrzeugen fallen demnach 73 Euro je angefangene halbe Stunde und für jedes eingesetzte Fahrzeug an – einschließlich der Besatzung bis zu zwei Bediensteten. Für jeden eingesetzten Polizeibeamten sind 28 Euro je angefangene halbe Stunde zu zahlen.

LVZ