Viele offene Fragen – Überfall in Torgauer S-Bahn und Schlägerei in Eilenburg: Urteil ist gefallen

Urteil von: https://knack.news/5608

Das brutale Geschehen in der S-Bahn und auf dem Bahnhof Eilenburg bleibt für die meisten Angeklagten strafrechtlich ohne Folgen, hat das Gericht in Torgau entschieden. Doch offene Fragen bleiben.

Torgau/Eilenburg. Es waren Szenen massiver Gewalt, die all jenen, die dabei waren, kaum mehr aus dem Kopf gehen. Doch die juristische Aufarbeitung erweist sich nach einem halben Jahrzehnt als sperrig – für eine Verurteilung aller fünf Angeklagten fehlten dem Gericht am Ende die Beweise. Die Schlägerei in der S-Bahn mit dem anschließenden brutalen Getümmel am Bahnhof Eilenburg-Ost endete jetzt jedenfalls nur für einen der Angeklagten, Ralf S. (alle Namen geändert) aus Mockrehna, mit einer Freiheitsstrafe zur Bewährung. Offen blieb auch, wer die Angeklagten auf dem Bahnhof Eilenburg angegriffen hatte. Waren es womöglich Täter aus dem Umfeld von Lina E.?

Wie berichtet, mussten sich vor dem Jugendschöffengericht Torgau fünf Männer aus Mockrehna, Beilrode und Eilenburg im Alter zwischen 23 und 29 Jahren verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen gemeinschaftliche, gefährliche Körperverletzung, einen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte sowie das Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen vor.

Streit um rechtsextreme Symbole

Am 8. September 2018 hatten 285 000 Menschen in Torgau den Tag der Sachsen gefeiert. Auf der Rückfahrt in Richtung Leipzig kam es in einer voll besetzten S-Bahn der Linie 4 zu einer Schlägerei. Augenzeugen berichteten, dass bis zu zehn junge Männer zunächst verbal, dann körperlich auf zwei männliche Fahrgäste losgegangen seien. Diese hatten sich offenbar über das Zeigen rechtsradikaler Symbole geärgert. Ein Polizist, der zufällig außer Dienst im Zug war, versuchte zu deeskalieren. Dabei wurde er selbst an der Nase getroffen. Gegen 21.30 Uhr stoppte der Zug in Eilenburg-Ost. Hier ging das Getümmel bis zum Eintreffen der alarmierten Polizei weiter. Drei der Angeklagten wurden von Vermummten verprügelt und blieben mit blutenden Kopfverletzungen zurück. Die Angreifer konnten vor dem Eintreffen der Polizei unerkannt flüchten.

Die Zeugenaussagen blieben in vielen Punkten widersprüchlich oder vage. Die Staatsanwaltschaft war dennoch von der Schuld der fünf Angeklagten überzeugt: „Es handelte sich um einen rechtsradikalen Überfall in der Öffentlichkeit“, sagte Staatsanwalt Marek Ressel. Aufgrund der „massiven Gewalt“ seien auch unbeteiligte Personen gefährdet gewesen. Die beiden angegriffenen Männer in der S-Bahn hätten ebenso wie die Umstehenden keine Chance gehabt auszuweichen. „Es ist reiner Zufall, dass keiner ernsthaft verletzt wurde.“

Spürbare Strafen gefordert

Dass die Angeklagten am Ende selbst attackiert wurden, spiele dabei keine Rolle. Er forderte für drei Angeklagte Haftstrafen zwischen eineinhalb und dreieinhalb Jahren ohne Bewährung, für einen weiteren Angeklagten eine Bewährungsstrafe und für den zum Tatzeitpunkt 17-jährigen Heiko F. aus Beilrode eine Geldstrafe von 1000 Euro.

Die fünf Verteidiger reagierten empört. Sie argumentierten, dass es keine Hinweise darauf gebe, dass die Angeklagten sich gemeinsam zur Tat entschlossen hätten. Zudem seien die Tatbeiträge in vielen Fällen nicht bewiesen, selbst die Aufnahmen der Videokamera im Zug hätten keine Klarheit gebracht. Schließlich verwiesen sie auf die ungeklärte Rolle der Schläger, die offenbar am Eilenburger Bahnhof gewartet hatten. „Das Verfahren ist eine Farce, pure Schikane“, ereiferte sich der Leipziger Rechtsanwalt Tom Hanke, der dahinter „Nazijäger“ vermutete. Im Visier hatte er dabei offenbar die Staatsschutz-Abteilung, die bei politisch motivierten Straftaten zum Einsatz kommt und in diesem Fall die Ermittlungen übernommen hatte.

Getümmel auf dem Bahnsteig

Sein Kollege Mario Thomas (Leipzig) regte an, dass die Staatsanwaltschaft sich erneut mit dem „Trupp Vermummter“ in Eilenburg-Ost befassen sollte: „Die haben dort mit einem Totschläger gewartet und auf Köpfe eingeschlagen.“ Sein Mandant, Mirko Z. (27) aus Eilenburg, hatte ebenso wie Ralf S. eine stark blutende Kopfwunde davongetragen. Beide hatten daraufhin Anzeige erstattet.

Thomas erinnerte an das aktuelle Verfahren gegen die mutmaßliche Linksextremistin Lina E., der ähnliche Taten zur Last gelegt wurden. „Irgendjemand muss dieses Überfallkommando doch organisiert haben“, mutmaßte er. „Ganz offenkundig sollte den Angeklagten eine Abreibung verpasst werden.“ Kurz nach der Tat in Eilenburg fand am 30. Oktober 2018 ein brutaler Überfall auf einen Rechtsextremen in Wurzen statt, der im aktuellen Verfahren gegen Lina E. eine Rolle spielt. Doch die Ermittlungen zum Überfall in Eilenburg waren damals eingestellt worden, da sich keinerlei Hinweise auf die Täter fanden.

Für die zur Last gelegten Taten spielte die Frage, ob die Angeklagten im Anschluss gezielt und bestellt attackiert worden waren oder nicht, allerdings keine Rolle. Richter Michael Christiansen führte aus, dass für das Gericht entscheidend war, ob den einzelnen Angeklagten konkrete Tatbeiträge zugeordnet werden konnten. In drei Fällen hatten sie Zweifel und sprachen die jungen Männer deshalb frei.

Nur bei Ralf S., dem auch noch drei weitere, separate Taten zur Last gelegt wurden, sahen sie die Schuld als erwiesen an. Der mehrfach vorbestrafte Mann, der zuletzt 2019 zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden, war 2021 vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Nun kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Er hatte das Gericht davon überzeugen können, dass er sich aus dem kriminellen Milieu losgesagt und der körperlichen Gewalt abgeschworen habe.

Der Heiko F. erhielt für das Zeigen des Hitlergrußes die Auflage, 250 Euro an die Kinderkrebshilfe zu zahlen. Bei ihm wurde die „erhebliche Alkoholisierung“ zum Tatzeitpunkt sowie das stabile soziale Umfeld strafmildernd berücksichtigt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.