Petition fordert Umbenennung von Dresdner Uniklinik
Der 1869 in Dresden verstorbene Namensgeber Carl Gustav Carus sei ein Rassist gewesen, deshalb soll sein Name aus der medizinischen Fakultät der TU Dresden und dem Klinikum gestrichen werden, fordert eine Petition. Wie die Hochschulmedizin reagiert.
Das Uniklinikum Dresden ist nach Carl Gustav Carus benannt, dessen Büste auch im Gelände steht. Nun wird in einer Petition gefordert, dass der Name gestrichen wird.
Mehr als 1.300 Menschen unterstützen bereits eine Petition, die die Umbenennung der medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Uniklinikums Dresden fordert (Stand am Karsamstag um 7.30). Der Name Carl Gustav Carus müsse gestrichen werden. Carus habe eine unrühmliche Rolle in der „Rassenlehre“ vertreten, so der Vorwurf. Deshalb sei der als „Universalgenie“ gefeierte Gelehrte als Namensgeber ungeeignet.
Unter der Bezeichnung „Kritmed* Dresden“ hat eine Gruppe mit studentischen Mitgliedern, aus der Pflege und Ärzteschaft, die sich mit medizinpolitischen Themen auseinandersetzt, die Petition gestartet. Die Arbeitsgruppe Antirassismus/Städtische Dekolonialisierungsprozesse befasste sich mit Carl Gustav Carus und ist zu dem Schluss gekommen: „Eine universitäre Einrichtung sollte nicht von einer solchen Figur repräsentiert werden.“
„Carus bedient sich zutiefst rassistischer und kolonialistischer Argumentationsstrukturen“
In seiner Schrift „Über die ungleiche Befähigung der verschiedenen Menschheitsstämme für höhere geistige Entwicklung“ setzte sich Carus mit Rassentheorie auseinander und entwickelte seine These von „Tag-, Dämmerungs- und Nachtvölkern“. Darin behauptet er, die Leistungsfähigkeit und Intelligenz eines Menschen sei durch seine Herkunft bestimmt. „Er bedient sich hier zutiefst rassistischer und kolonialistischer Argumentationsstrukturen und rechtfertigt auf Grundlage seiner Thesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Sklaverei“, so die Petenten. Deshalb fordern sie, den Namen an den Dresdner Institutionen zu streichen.
Carus war Arzt (auch königlicher Hofarzt), Maler, Naturphilosoph und Psychologe. In seiner Forschung hat er auch Menschenschädel vermessen, was damals als üblich galt. Daraus entwickelte er vier Menschheitsstämme: die europäischen „Tagvölker“, die für ihn „kulturtragend“ sind, und „Nachtvölker“, eine Art Untermenschen, die er in Afrika ansiedelte. „Dämmerungsvölker“ gab es für ihn in Amerika und Asien, abgeleitet von den von ihm vermessenen Äußerlichkeiten.
Den Namen von Carus trägt das Uniklinikum Dresden seit 1954 auf Vorschlag des 1966 verstorbenen Chirurgen Albrecht Fromme. Zudem wurde 1993 das Reichpietschufer in Carusufer umbenannt und die neue Medizinische Fakultät erhielt seinen Namen.
Die Verantwortlichen an der TU und am Uniklinikum Dresden kennen diese Kritik. Auf Anfrage von Sächsische.de lautet die Antwort: „Der Mediziner, Naturforscher und Maler Carl Gustav Carus begleitet die Geschichte der Hochschulmedizin Dresden seit ihrer Gründung als Namensgeber. Carus gab durch sein vielfältiges Wirken vor allem in der Medizin wegweisende Anstöße – so in der Anatomie, der Geburtshilfe und der Psychologie.“
„Es gibt zu Recht eine kritische Diskussion über diesen Teil seines Schaffens“
Nachdem Carus mit 22 Jahren sein Studium in Leipzig mit mehreren Promotionen abgeschlossen hatte, wurde er 1814 als Professor für Geburtshilfe und Leiter der königlichen Hebammenschule nach Dresden berufen.
„Carl Gustav Carus war – wenngleich in vielen Fächern beispielgebend – in einer Zeit unterwegs, in der es als probat galt, Menschen nach ihrer geografischen Herkunft zu klassifizieren“, heißt es in der Antwort weiter. „Dabei nahm er Wertungen vor, die wir heute nicht mehr teilen. Deshalb gibt es zu Recht eine kritische Diskussion über diesen Teil seines Schaffens. Diese Diskussion ist der Hochschulmedizin Dresden bekannt und wird von ihr überaus ernst genommen. Sie spiegelt sich auch in Forschung und Lehre wider.“
Die medizinhistorische Forschung habe die problematischen Facetten in Carus‘ Wirken bereits im 2009 erschienenen Essayband „Carl Gustav Carus – Wahrnehmung und Konstruktion“ thematisiert. „Zur Verbreiterung der noch schmalen Wissensbasis initiiert das Institut für Geschichte der Medizin derzeit ein Forschungsprojekt zu Carl Gustav Carus, das von der Hochschulmedizin Dresden unterstützt wird“, so die Dresdner Hochschulmediziner.
„Die Hochschulmedizin Dresden achtet Carl Gustav Carus als vorbildgebenden Arzt und Universalgelehrten“
Auch habe es kritische Referate von Medizinstudierenden im Fach Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin über Carus‘ rassentheoretische Auffassungen gegeben oder sie wurden von den Dozenten damit konfrontiert. „In den ergebnisoffen geführten Diskussionen zeigte sich ein durchaus heterogenes Meinungsbild unter den Studierenden zur Bewertung von Carus aus heutiger Sicht. Mit der Neubesetzung der Professur für Ethik und Geschichte der Medizin und Zahnmedizin wird den Studierenden im Sommersemester 2023 erstmals die Möglichkeit gegeben, sich in einem vertiefenden Wahlfach nur mit dieser Thematik zu befassen.“
Aber die Verantwortlichen stellen auch klar: „Die Hochschulmedizin Dresden achtet Carl Gustav Carus als vorbildgebenden Arzt und als Universalgelehrten, dessen Wirken nicht auf die Medizin beschränkt blieb, sondern sich auch auf Kunst und Philosophie erstreckte.“
19.04.2023 Karin Großmann
Debatte um Dresdner Uniklinik: War Carl Gustav Carus ein Rassist?
Eine Petition fordert eine Umbenennung der Dresdner Uniklinik, wegen rassistischer Thesen des Namensgebers Carus. Wie ist sein Werk heute zu bewerten?
Es ist etwa so groß wie ein A5-Heft, trägt auf dem Rücken ein winziges sächsisches Wappen mit Krone und hat fein marmoriertes Vorsatzpapier in Braun und Türkis. Das Original von 1841 steht im Magazin der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Man darf es nur unter Aufsicht lesen. Wie viel Sprengstoff darin steckt, sieht man dem Büchlein nicht an. Der Titel: „Grundzüge einer neuen und wissenschaftlich begründeten Cranioskopie (Schädellehre)“. Die Übersetzung des Fachbegriffs liefert der Verfasser Carl Gustav Carus gleich mit. Das Büchlein legt die Basis für jene Thesen, die er zum 100. Geburtstag von Goethe in einer „Denkschrift“ verbreitete und die jetzt hohe Wellen der Empörung schlagen.
Ausgangspunkt ist eine romantisch-philosophische Idee vom Verhältnis zwischen Erde und Sonne. Aus der Existenz von Tag und Nacht, Morgen- und Abenddämmerung zieht Carus wie andere seiner Zeit den Schluss, das „Taghafte“ und das „Nachthafte“ würde sich bei den menschlichen „Rassen“ in unterschiedlicher geistiger Befähigung zeigen. Das lasse sich nachweisen durch ihren Beitrag zur Hochkultur und durch die Messung ihres Gehirnvolumens.
„Der Nacht des Planeten entsprachen die körperlich und geistig unvollkommener ausgestatteten Neger“, so Carus. Das Schicksal der Sklaverei hätte den Nacht-Stamm nicht getroffen, „wäre seine Geistesbefähigung nicht eine niedrigere, als die aller andern Stämme“. Das ist natürlich unerträglicher Unfug.
Ist es auch ein Grund, den sächsischen Universalgelehrten aus der Öffentlichkeit zu verbannen? Mit dem Vorwurf des Rassismus fordert die Hochschulgruppe „Kritmed“ in einer Petition, dem Dresdner Universitätsklinikum, der medizinischen Fakultät und anderen Orten den Namen Carl Gustav Carus abzuerkennen. Müssten dann nicht auch seine Bilder aus dem Albertinum geräumt werden? Sollte das Carusufer am Dresdner Rosengarten umbenannt werden? Und wie sieht es aus mit Büchern wie „Die Carus-Sachen“ von Uwe Tellkamp oder „Der Leibarzt“ von Ralf Günther in den Bibliotheken?
Noch 2009 hieß es im Essayband zur überregional gefeierten Carus-Ausstellung in Dresden, der Name stehe für Qualitäten, „die bis heute das Fundament für herausragende Leistungen in der Medizin bilden“. Dresdner Ärzte hatten 1953 eine eigene Hochschuleinrichtung erkämpft. Sie erhielt als erste und einzige im Land den Namen eines Mediziners. Carus war mit 25 Professor. Wegbereiter der modernen Gynäkologie. Seinem zweibändigen Lehrbuch folgten zahllose Publikationen, darunter ein Standardwerk zur Anatomie mit über tausend Zeichnungen, einmalig in der zeitgenössischen Fachliteratur.
Carus dachte schon Körper und Geist zusammen, als das noch längst nicht Standard war in der Medizin. Er warb für ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient und eine biografische Befragung, die das soziale Umfeld einschließt. Wer um die nackte Existenz kämpfen müsse, schrieb er, könne sich nicht um geistigen Aufschwung kümmern. Bessergestellte hätten die Pflicht zu helfen. Lange vor Sigmund Freud befasste sich Carus mit der Rolle des Unbewussten. Er diente drei sächsischen Königen als Leibarzt, betrieb eine umfangreiche Korrespondenz, schrieb über Mozarts Opern, gehörte zum regen geistigen Zirkel Dresdner Honoratioren. Gilt alles nichts?
Spätestens nach seiner „Denkschrift“ für Goethe hätten die Alarmglocken läuten müssen, oder? Ein Komitee aus Wissenschaftlern und Künstlern hatte das Fest im August 1849 im Auftrag des sächsischen Hofes vorbereitet. Keiner schien dafür besser geeignet als der Goethe-Freund Carus. Er feierte den Verehrten als Prototypen des „Taghaften“, als „Inbegriff einer gesunden, vollkräftigen Natur mit der angeborenen Verehrung der Kunst“. Goethe selbst hatte sich seinen Kopf 1807 von einem Mediziner abformen lassen und notierte stolz, die Maske sei „wohl geraten“. Halb Weimar fuhr nach Jena zu Vorlesungen über Schädelkunde.
Der Geist der Zeit
Vor allem mit seiner Goethe-Schrift sei Carus „in beängstigende Nähe der – seinem Humanitätsideal diametral entgegengesetzten – nationalsozialistischen Rassentheorie und Rassenhygiene“ geraten“, heißt es im Band zur großen Ausstellung von 2009. Die Vorwürfe der Petition sind ja nicht neu. Die zitierten Sätze werden spätestens seit den 1980er-Jahren als „wissenschaftliche Fehlleistung“ und „Entgleisung“, als „unhistorisch“, „fragwürdig“ und „äußerst problematisch“ bewertet. Dass die Kritik jetzt wieder hochgeholt und zugespitzt wird, liegt am Geist der Zeit. Carl Gustav Carus folgte dem Geist seiner Zeit. Das wollen die Petitanten nicht gelten lassen, es sei „eine Fehlinterpretation und Verharmlosung seines Werks“.
Wie kam der international anerkannte Naturforscher, Anatom, Pathologe, Philosoph und Künstler Carus zu den Thesen, die heute so absurd und abscheulich anmuten?
Die Existenz einer rassistischen Rangfolge galt unter seinesgleichen im 19. Jahrhundert als selbstverständlich: Ganz unten standen die „Nachtvölker“. Der Göttinger Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach, der Schweizer Biologe Louis Agassiz, der amerikanische Arzt Samuel George Morton, der französische Anatom Etienne Serres und viele andere popularisierten diese Sicht. Die Reiseberichte von Menschenopfern in Afrika, dann die ersten Fotografien halb nackter Ureinwohner und die Völkerschauen ab den 1870er-Jahren schienen die Überlegenheit der weißen Oberschicht zu bestätigen. Sie hielt sich für die Krone der Schöpfung. Zu Recht, meinte Carus. Den Beweis wollte er mit dem Vermessen von Schädeln liefern. Kolonisatoren konnten sich darauf berufen.
Goethe und der Schädelbau
Die Vermessung der Welt war ohnehin Mode. Die Schubladisierung sollte Ordnung ins Leben bringen. Es lag nahe, dass nach Pflanzen und Tieren auch der Mensch an die Reihe kam. Die anatomische Privatsammlung von Carus zählte rund 300 Objekte, ein Drittel davon hütet nun das Museum für Völkerkunde in Dresden: Skelettschädel, Totenmasken, Gipsabgüsse von Händen. Sammeln als Mittel der Welterkenntnis. Wie sich mentale Zustände zum Körper verhalten, wird bis heute diskutiert. Bei Vorträgen in der „Villa Cara“ in der Nähe des Dresdner Altmarkts mussten es sich die Gäste gefallen lassen, dass der Hausherr den Abstand zwischen ihren Ohren maß. Den Tasterzirkel trug er im Reisegepäck immer bei sich. Schon aus sechs bis neun Messpunkten könne er sich ein Bild machen, schrieb er.
Das Messgerät ist auf einem eingeklebten Blatt in dem Büchlein zur Schädellehre von 1841 abgebildet. Im Text weist Carl Gustav Carus den Regionen des Kopfes unterschiedliche Funktionen zu. Im Vorderhaupt sei die Intelligenz, im Mittelhaupt das Gefühl und im Hinterhaupt das Wollen und Begehren zu verorten. Letzteres sei bei den „Nachtvölkern“ vorherrschend, bei den „Dämmervölkern“ in Asien und Amerika der mittlere Bereich, und bei den „Tagvölkern“ das Vorderhaupt. Carus betont zwar mehrfach, dass Erziehung und äußere Verhältnisse den Geist beeinflussen, „aber das, was wir Genius nennen, wird nie anders hervortreten als da, wo auch die organische Bildung die Anlage gewährt hat“.
Ein Goethe werde nie im Schädelbau eines Kretins zu finden sein. Zum Beweis vergleicht er die Kopfmaße von Napoleon, Ludwig Tieck, Johan Christian Clausen Dahl und der Opernsängerin Wilhelmine Schröder-Devrient mit den Maßen von „Negersklave“, „Caffer“, „Grönländer“ und einer Frau, die er in einem Irrenhaus in Florenz traf. „Die Maße am Kopfe unseres Tieck deuten auf eine vorzügliche Entwicklung des Gehirns.“ Beim Maler Dahl findet er eine bedeutende Breite der Augenhöhlengegend. Die Maße von „Neger“, „Caffer“ und Florentinerin liegen darunter.
Im Unterschied zu manchen seiner Kollegen sah Carus jedoch keinen Zusammenhang zwischen Schädelbau und moralischen Eigenschaften. Ob einer gottesfürchtig, streitsüchtig oder besonders wohlwollend sei, lasse sich am Äußeren nicht erkennen. Trotzdem lieferte er ein Material, das den Rassenideologen der NS-Zeit zupasskam. Anderes nicht: In seiner Rangfolge der „Tagvölker“ sortierte er die Germanen erst an zwölfter Stelle ein. Ganz oben stehen Kaukasier, Perser, Armenier und Semiten, also Juden.
Bei Carus selbst ist eine Antwort zu finden, wie sein Werk zu beurteilen ist. Für die Relativität aller wissenschaftlichen Betrachtungen findet er das Bild von der Fliege: Wenn sie auf der Statue des Apollo von Belvedere herumkriecht, würde sie sicher Kälte und Härte des Marmors spüren. Doch sie könnte weder das hohe Ebenmaß des Ganzen noch den großen Gedanken des Künstlers begreifen.