Prozess gegen Lina E.: Plädoyers der Verteidigung erwartet
In drei Wochen wird das Urteil im Prozess gegen vier mutmaßliche Linksextremisten erwartet. Am Mittwoch wollen die Verteidiger die Plädoyers halten.
Im Prozess gegen vier mutmaßliche Linksextremisten werden am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Dresden die Plädoyers der Verteidiger erwartet. Das bestätigte das Oberlandesgericht am Dienstag in Dresden. Der mutmaßlichen Rädelsführerin Lina E. sowie drei Männern werden mehrere tätliche Angriffe auf Rechtsextreme vorgeworfen. Sie sollen eine linksextremistische kriminelle Vereinigung gegründet haben.
Die Bundesanwaltschaft hatte für die Leipziger Studentin Lina E. eine achtjährige Haftstrafe gefordert. Als Rädelsführerin der Vereinigung habe die heute 28-Jährige zusammen mit ihrem untergetauchten Verlobten prägenden Einfluss auf die Gruppe ausgeübt. Ihr werden gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und räuberischer Diebstahl vorgeworfen. Der Prozess hatte im September 2021 begonnen.
Als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung sollen die vier Angeklagten zwischen 2018 und 2020 Überfälle auf Angehörige der rechten Szene in Leipzig, Wurzen und Eisenach geplant und ausgeführt haben. Für die drei angeklagten Männer beantragte die Bundesanwaltschaft Freiheitsstrafen von zwei Jahren und neun Monaten, drei Jahren und drei Monaten sowie drei Jahren und neun Monaten.
Lina E. war Ende 2020 festgenommen worden und sitzt in Untersuchungshaft. Die drei mitbeschuldigten Männer aus Leipzig und Berlin sind derzeit auf freiem Fuß. Das Urteil wird am 10. Mai erwartet. Die linke Szene hat Proteste angekündigt.
Karin Schlottmann 05.04.2023 , 12:18
Staatsanwaltschaft fordert acht Jahre Haft für Lina E. – Ausschreitungen befürchtet
Die Bundesanwaltschaft sieht in der Studentin Lina E. die Rädelsführerin einer kriminellen Vereinigung. Die links-militante Szene droht nach dem Urteil mit schweren Ausschreitungen in Leipzig.
Die Bundesanwaltschaft hat im Prozess gegen eine linksextremistische Vereinigung für die Hauptangeklagte Lina E. eine Haftstrafe von acht Jahren gefordert. Die Studentin aus Leipzig sei die Rädelsführerin einer Gruppe gewesen, die innerhalb von knapp zwei Jahren mehrere Überfälle und schwere Körperverletzungen begangen habe, sagte Alexandra Geilhorn am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Dresden. Sie wirft ihr Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, schwere und gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch vor.
Die folgenreichsten Verletzungen habe ein bis heute schwer gezeichneter Kanalarbeiter in Leipzig erlitten, den die Täter nur aufgrund seiner Mütze für einen Rechtsextremisten gehalten hatten. Diese Tat weise eine erhebliche Nähe zu einem versuchten Tötungsdelikt auf, sagte die Anklägerin.
Für die drei Mitangeklagten beantragte die Behörde Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten und drei Jahren und neun Monaten.
Lina E.-Prozess: Drohende Ausschreitungen nach Urteil
Lina E. ist nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft gemeinsam mit ihrem untergetauchten Verlobten Johann G. die treibende und steuernde Kraft der kriminellen Vereinigung gewesen. Sie hätten bei der Auswahl der Opfer und der Bestimmung der Gruppenziele Führungsverantwortung übernommen, sagte Geilhorn in ihrem Plädoyer. Ihre Aufgabe sei es zudem gewesen, für die einzelnen Überfälle Mittäter anzusprechen und zu gewinnen. Als sogenannte Überblicksperson habe sie an den Tatorten die Schlägereien abgesichert und bei Gefahren von außen den Rückzug angeordnet. Lina E. habe zudem Zugang zu dem Tatmitteldepot auf dem Dachboden eines von Linksextremisten in Leipzig bewohnten Hauses gehabt sowie elf Handys bei sich aufbewahrt.
Die aus Kassel stammende Lina E. sitzt seit November 2020 in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer die Aufrechterhaltung des Haftbefehls und begründete dies mit hoher Fluchtgefahr. Die Angeklagte habe ihre Tatmotive weder aufgegeben noch infrage gestellt. Zu ihrem Verlobten habe sie auch nach dessen Abtauchen als Untersuchungsgefangene Kontakt gehabt. Geilhorn sagte, es sei davon auszugehen, dass auch Lina E. den Weg in die Illegalität wählen würde, wenn sie jetzt auf freien Fuß käme. Unterstützung auf der Flucht würde sie vom linksextremen Unterstützerkreis in Leipzig erhalten, der den Strafprozess intensiv begleitet habe.
Die Vertreterin der Bundesanwaltschaft geht zudem von drohenden Ausschreitungen in Leipzig nach der Urteilsverkündung in Dresden aus. In einem Aufruf habe die Szene für jedes Jahr Freiheitsstrafe eine Million Euro Sachschaden angekündigt, sagte sie. In den nächsten Verhandlungstagen folgen die Plädoyers der Verteidiger, die die Existenz einer kriminellen Vereinigung stets bestritten haben. Die Angeklagten selbst haben sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Der Staatsschutzsenat des OLG plant eine Urteilsverkündung für Anfang Mai.
Karin Schlottmann 30.03.2023 , 19:08
Prozess gegen Lina E.: „Es gibt keine gute politische Gewalt“
Die Bundesanwaltschaft hält die Vorwürfe gegen Lina E. für bewiesen. Die Spirale der Gewalt zwischen Links- und Rechtsextremisten müsse unterbrochen werden.
Den Kanalarbeiter in Leipzig hatte es besonders schlimm erwischt. Am helllichten Tag war er während eines Arbeitseinsatzes im Leipziger Stadtteil Connewitz von einer fünfköpfigen Gruppe schwarz gekleideter Schläger verprügelt worden. Er erlitt mehrere Brüche des Schädels und musste Metallplatten im Gesicht tragen. Unerträgliche Schmerzen und Angstzustände dauern bis heute an. Eine Strickmütze mit einem Logo aus der Kampfsportszene, die der Mann an diesem Tag zufällig aufgesetzt hatte, habe die Angreifer auf ihr Opfer aufmerksam gemacht. So schildert es Alexandra Geilhorn, Staatsanwältin beim Generalbundesanwalt, am Donnerstag in ihrem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht Dresden.
Die Bundesanwaltschaft sieht es als erwiesen an, dass dieser Überfall wie fünf weitere Taten der Gruppe um die mutmaßliche Linksextremistin Lina E. zuzurechnen sind. Anderthalb Jahre nach Beginn des Strafverfahrens gegen insgesamt vier Angeklagte sieht sie die Vorwürfe als bewiesen an. Die Gruppe habe sich spätestens im August 2018 als kriminelle Vereinigung zusammengeschlossen und sei mindestens 21 Monate aktiv gewesen.
Sie hätten sich aufgrund ihrer eigenen Definition von Antifaschismus für ermächtigt gehalten, mit Gewalt gegen den politischen Gegner vorzugehen, sagte Geilhorn in ihrem mehrstündigen Schlussvortrag. Ziel sei es gewesen, Rechtsextremisten nachhaltig Schaden zuzufügen, sie psychisch zu brechen und andere abzuschrecken. In den vergangenen Jahren hätten die Auseinandersetzungen zwischen den links- und den rechtsextremistischen Lagern zugenommen. Dies gehe mit massiver Gewalt und Verletzungen einher. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit hänge aber nicht von der politischen Gesinnung ab, mahnte Geilhorn. „Es gibt keine gute politische Gewalt.“ Es sei Aufgabe dieses Gerichtsverfahrens, den Belastungen für die Innere Sicherheit wirksam zu begegnen und die Spirale der Gewalt zu unterbrechen.
Lina E. und ihr Verlobter hatten den „Hut auf“
Die Staatsanwältin ordnete der Gruppe insgesamt sechs Taten zu, die in wechselnder Zusammensetzung begangen worden seien. Lina E. habe gemeinsam mit ihrem Verlobten Johann G. eine herausgehobene Stellung eingenommen. Die beiden hätten den Hut aufgehabt, wie es der Kronzeuge der Anklagebehörde formulierte. G. ist anders als Lina E. die Flucht gelungen, er wird mit Haftbefehl gesucht.
Geilhorn überzeugt, dass die Hauptangeklagte an allen Taten beteiligt gewesen ist, und zwar in der selbst gewählten Rolle als „Überblicksperson“. In dieser Funktion habe sie die Tatorte abgesichert, die Opfer mit Pfefferspray in Schach gehalten und je nach Lage vor Ort den Rückzug angeordnet. Zu den angeklagten Taten gehören Überfälle auf NPD-Funktionäre, auf eine Gruppe rechtsextremistischer Demonstranten in Wurzen sowie auf einen Kneipenwirt aus der Kampfsportszene in Eise- nach. Die Gruppe habe sich zum Ziel gesetzt, möglichst sämtliche Teilnehmer eines rechtsextremen Aufmarsches in Leipzig-Connewitz im Jahr 2016 ausfindig zu machen und zu verprügeln.
Die Vereinigung habe weder einen Namen noch ein Kassenbuch oder eine Satzung, sagte Geilhorn. Es habe auch keine feste Aufgabenverteilung gegeben. Für eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung komme es darauf aber nicht an. Das konspirative Vorgehen, das gezielte Training, das ausgeprägte „Wir“-Gefühl und die Abschottung nach außen habe die Gefährlichkeit der Gruppe ausgemacht.
Geilhorn räumte ein, dass die Beweislage für die Teilnahme an den einzelnen Taten nicht klar auf der Hand liege. Es gebe keine „smoking gun“. Sie halte die Angeklagten aufgrund vieler Beweise dennoch für überführt, darunter die Aussagen der Geschädigten, eine Abhöraktion in einem Fahrzeug, Chatauswertungen und die Aussage des Kronzeugen, den der Verfassungsschutz im Sommer präsentierte.
In der nächsten Woche wird die Anklägerin ihr Plädoyer fortsetzen. Anschließend werden die Schlussvorträge der acht Verteidiger erwartet.