Fragen an den Innenminister – Razzia in Colditz: Warum war Sachsens Polizei nicht beteiligt?
Die Durchsuchungen in Colditz werden Thema im Innenausschuss. Denn Landespolitiker stellen sich Fragen: Haben die Bundesbehörden den sächsischen Beamten misstraut?
Auf dem Papier könnte die Razzia in Colditz ein voller Erfolg und ein Schlag gegen die Drogenkriminalität sein. 225 Beamte vom Zoll und von der Bundespolizei fanden am vergangenen Dienstag und Mittwoch in mehreren Objekten 5,5 Kilogramm Crystal, fünf Pistolen, zwei Gewehre, Bargeld in fünfstelliger Höhe und mehrere Luxusautos. Die Ermittlungen richten sich gegen Ralf N. und seine Söhne Andreas und Uwe, die in der Kleinstadt keine Unbekannten waren. Im Gegenteil – und genau hier fängt das Problem an: Es war beispielsweise Gesprächsthema, mit welchen ungewöhnlichen Autos die drei unterwegs waren. Deswegen schaut nun die Landespolitik auf den Fall aus dem Landkreis Leipzig: Wieso wurde gegen die Familie nicht schon früher im großen Stil etwas unternommen?
Vor allem Innenpolitiker stoßen sich an Details der Razzia. Es müsse zwar vielleicht nichts bedeuten, dass sächsische Ermittler in die Durchsuchungen nicht involviert waren. Ungewöhnlich sei das aber schon, merken die Fachpolitiker an. Stattdessen kamen Einsatzkräfte des Bundes – aus den Zollfahndungsämtern Dresden und München, der Bundespolizei, dem Zollkriminalamt und den Hauptzollämtern Dresden sowie Erfurt – zum Einsatz.
„Warum war die sächsische Polizei nicht eingebunden?“
„Ich möchte wissen, warum die sächsische Polizei nicht eingebunden war“, sagt beispielsweise Kerstin Köditz (Linke). „Eigentlich gibt es nur eine Antwort darauf: Misstrauen. Vielleicht sollten auch die örtlichen Polizeikräfte vor Bedrohung und Übergriffen geschützt werden.“
Anwohner berichten offen darüber, dass Ralf N. und seine Söhne die Nachbarschaft tyrannisiert haben sollen. Das Trio soll regelrecht gefürchtet gewesen sein. Hinzukommt, dass die drei als führende Rechtsextreme in der Region gelten. Diese Mischung aus Rechtsextremismus, organisierter Kriminalität und lokaler Einschüchterung gehört zu den Colditzer Besonderheiten.
Auch die Koalition hat Fragen ans Innenministerium
Es würde ein schlechtes Bild abgeben, falls sich die bundesweiten Behörden in diesem Zusammenhang nicht auf die sächsische Polizei verlassen wollten – aus welchen Gründen auch immer. Deswegen drängen die Fachpolitiker auf eine Klärung des Sachverhalts. Das Innenministerium soll am Donnerstag im Innenausschuss den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Möglicherweise wird sich sogar Minister Armin Schuster (CDU) selbst zur Sache äußern. Denn nicht nur in der Opposition, auch in der schwarz-grün-roten Koalition hat man Klärungsbedarf.
„Die Razzia in Colditz zeigt viele Ungereimtheiten“, sagt SPD-Innenexperte Albrecht Pallas. „Ich habe deshalb einige Fragen an das Innenministerium gestellt und erwarte zügige Antworten.“
Verbindungen von Neonazis zur organisierten Kriminalität
Nicht nur die Vertrauensfrage gegenüber Sachsens Polizei beschäftigt die Landespolitik. Die diskutierte Nähe der Verdächtigen zur rechtsextremen Szene wird genauso ernst genommen. „Die Verbindungen von Neonazis zur organisierten Kriminalität ebenso wie die damit verbundenen Finanzströme sind viel zu lange unzureichend beobachtet worden“, sagt Valentin Lippmann (Grüne). „Wenn wir in Sachsen rechtsextreme Netzwerke wirksam zerschlagen wollen, müssen die Verbindungen der Naziszene zur organisierten Kriminalität und die damit verbundenen Finanzströme mit höchster Priorität analysiert und beobachtet werden.“
Andere Bundesländer sind da deutlich weiter. Beispielsweise Thüringen. Dort hat die Staatsanwaltschaft Gera Anklage gegen die rechtsextreme Bruderschaft „Turonen“ erhoben. Sie wirft ihnen vor, bandenmäßige Drogengeschäfte gemacht zu haben. In den Jahren 2020 und 2021 sollen sie Betäubungsmittel im Wert von circa 800 000 Euro gehandelt haben.
Personalie ist Thema im Colditzer Stadtrat
Während die Landespolitik noch nach Antworten sucht, könnte es in Colditz bereits am Mittwochabend erste Konsequenzen geben: Der Stadtrat wird sich dann mit den Folgen der Razzia beschäftigen. Bürgermeister Robert Zillmann (parteilos) hat die Stadträte bereits im Vorfeld der Beratung darüber unterrichtet, dass er sie im nicht-öffentlichen Teil informieren möchte. Auf Nachfrage bestätigte er das: „Da es vor allem um Personalfragen geht, wollen wir zunächst hinter verschlossenen Türen sprechen.“
Dabei dürfte es vor allem um die örtliche Tourismuschefin und ihre berufliche Zukunft gehen. Deren Tochter ist die Partnerin eines der Beschuldigten. Die Tochter ist zudem seit einiger Zeit beim Verein „Ländliches Leben“ beschäftigt. Der Verein betreibt mehrere Kindertagesstätten in der Region.
Haig Latchinian 04.04.2023
Jahrelanger Terror in Colditz und die bange Frage: Wie konnte es so weit kommen?
Die Razzia in der vorigen Woche sorgt dafür, dass die Colditzer Stadtgesellschaft ihr Schweigen bricht. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Drogen und Luxusautos.
Wie könne es sein, dass eine Familie über Jahre einen ganzen Ort terrorisiere? „Der Vater und beide Söhne gelten als führende Nazis in der Region“, sagt Linken-Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz, in ihrer Fraktion Sprecherin für antifaschistische Politik. Im Innenausschuss werde sie das Thema noch in dieser Woche ansprechen: „Colditz mag ein Extremfall sein – im kleineren Maßstab gibt es Vergleichbares aber auch andernorts in Sachsen.“
Als großen Erfolg bezeichnet Frank Schröter vom Zollfahndungsamt Dresden die Durchsuchungen aus der Vorwoche. An fünf Adressen in und um Colditz wurden 5,5 Kilo Crystal (Marktwert eine halbe Million Euro), fünf Pistolen und zwei Gewehre sichergestellt. Die 225 Beamten von Zoll und Bundespolizei konfiszierten zudem Bargeld in fünfstelliger Höhe und zwei Luxuskarossen.
Der Colditzer Ralf N. (66) sowie seine Söhne Uwe (35) und Andreas (38), alle einschlägig vorbestraft, stehen im Verdacht, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstoßen zu haben. In einer Halle hoben die Fahnder eine Cannabisplantage aus. Der Chemnitzer Oberstaatsanwalt Wolfgang Klein spricht von 2600 Pflanzen, die unschädlich gemacht werden konnten. Das Trio sitzt inzwischen in U-Haft.
Stadtgesellschaft bricht das Schweigen
Bürgermeister Robert Zillmann (parteilos) bezeichnet die Razzia als „starkes Zeichen des Rechtsstaates“. Dies sei überfällig gewesen, da mancher im Ort schon glaubte, der Staat ließe sich auf der Nase herumtanzen. Das Trio sei gefühlt jeden Tag mit anderen hochpreisigen Autos vorgefahren – alle hätten das gesehen, passiert aber sei zu wenig.
Der Colditzer Blogger Günther Spiegel sieht Verwicklungen bis in die Stadtspitze: Seiner Meinung nach sei die Colditzer Tourismuschefin Cornelia Kasten, deren Tochter die Partnerin von Andreas N. ist, in ihrem Amt fehl am Platze. „Will sie uns weismachen, keine Ahnung davon zu haben, wie die Gangster ihr Geld verdienen?!“ Ortschef Zillmann lobt die Ex-CDU-Stadträtin und einstige stellvertretende Bürgermeisterin dagegen als tadellose Kulturchefin im Schloss.
Schloss Colditz galt in der NS-Zeit als ausbruchssicherstes Gefängnis. Alliierte Offiziere, darunter Angehörige des britischen Königshauses, unternahmen etliche Fluchtversuche, bauten Tunnel und ein Segelflugzeug. Es ist das Verdienst von Cornelia Kasten, jährlich bis zu 10.000 englischsprachige Touristen nach Colditz zu locken. Ohnehin dürfe niemand in Sippenhaft genommen werden, betont Zillmann. Doch die Razzia, über die bundesweit berichtet werde, sorge bei ihm für ein Umdenken: „Natürlich sind die Ergebnisse der Durchsuchungen abzuwarten, aber wir werden reden müssen.“
Bürgermeister: Es hat ein Geschmäckle
Dass die Tochter der Tourismuschefin nun auch noch vom ortsansässigen Verein „Ländliches Leben“ beschäftigt werde, mache die Sache nicht einfacher, so Zillmann. Denn auch M. K., der stellvertretende Geschäftsführer des Vereins, der mehrere Kitas betreibt, hatte laut Insidern eine rechte Vergangenheit. Er bestritt das jedoch stets und argumentierte damit, dass gegen ihn keine Urteile vorliegen. Stadtchef Zillmann: „Es hat ein Geschmäckle.“
Er nehme die Frage ernst, sagt Bürgermeister Zillmann: „Vor allem auch deshalb, weil der stellvertretende Geschäftsführer des Vereins als IT-Dienstleister der Stadt fungiert.“ Ein No-Go für manche Colditzer. Ihrer Meinung nach sei Frau Kasten zwar schuldlos, doch sei sie „aus familiären Gründen“ befangen. Kasten selbst bezeichnet Andreas N. auf Nachfrage als treu sorgenden Vater und perfekten Gefährten für ihre Tochter.
Für Matthias Schmiedel, den ehemaligen Bürgermeister der 8000-Einwohner-Stadt und Kreisrat der Unabhängigen Wählervereinigung, steht fest: „Sowohl Frau Kasten als auch Marcel K. machen einen guten Job. Was haben sie mit den möglichen Verfehlungen der Familie N. zu tun?!“
Ja, es stimme, sein Verein beschäftige die Partnerin von Andreas N., so Schmiedel: „Sie hilft stundenweise in unserem Büro aus. Aber auch sie kann man nicht in Sippenhaft nehmen!“ Schmiedel ist Vorsitzender des Vereins „Ländliches Leben“. Marcel K. unterstützte vor wenigen Jahren auch die Kandidatur seines Sohnes im Kampf um das Bürgermeisteramt.
Überfälle auf Andersdenkende
Thomas Datt wurde 2010 zusammen mit seinem Kollegen Arndt Ginzel zum Journalisten des Jahres gekürt. Beide recherchierten den sogenannten Sachsensumpf. Über seine Nachforschungen zum NSU und eine Razzia im Vorort Zollwitz bekam es Datt mit Colditz zu tun. Er spricht offen von Staatsversagen. Polizei und Gerichte hätten gerade in Bezug auf die rechtsextreme Szene immer wieder erstaunliche Milde walten lassen.
Datt erinnert an den Überfall auf ein Konzert mit antifaschistischen Bands auf dem Sophienplatz und die Angriffe auf einen Geschäftsmann, der aus Furcht vor erneuten Repressalien eine Zeitlang in seinem Auto auf einem Parkplatz übernachtete. „Der inzwischen verstorbene damalige Bürgermeister Manfred Heinz (FDP) wurde am Rande des Birkenfestes von den Rechten verprügelt. Aus Angst schwieg er darüber.“
Ralf N. sei daran genauso beteiligt gewesen wie an den Scharmützeln in dessen Wohnort Möseln, sagt Datt. Anwohner Manfred Hinkelmann bestätigt das: „Dieser Mann sieht uns als seine Todfeinde an. Dabei waren wir um ein gutnachbarliches Verhältnis bemüht. Letztlich tyrannisiert Ralf N. nicht nur uns. Zwei Familien zogen fort, ein Mann nahm sich das Leben.“
Schikanepferch als Psychoterror
Journalist Datt kennt die Hintergründe. Der LVZ sagt er: „Seinem Nachbarn L. überreichte Ralf N. mal eine Schatulle. Er möge sie bitte bei sich unterstellen. Der gutgläubige Nachbar platzierte das Behältnis in seinem Schuppen und schaute nie rein. Als seine Frau aufräumte und das Gefäß öffnete, entdeckte sie darin eine Pistole.“
Der Nachbar ließ sich nichts gefallen. Fortan wurde er gemobbt, so Datt: „Ralf N. errichtete in unmittelbarer Nähe des Nachbarn einen regelrechten Schikanepferch. Er steckte dort alle möglichen Tiere rein – etwa ein Schwein und eine Gans. Es war laut und stank, und irgendwann verkaufte der Nachbar entnervt sein Haus.“
Viele Colditzer haben die Hoffnungen aufgegeben: „Was soll sich schon ändern? Das Trio kommt bald wieder raus. Dann beginnt alles von vorn.“ Aber Familie N. hat auch Freunde. Nett sei Ralf N. und hilfsbereit, heißt es bei jenen, die ihnen wohlgesonnen sind. Im Internet tauchte jetzt sogar ein Spendenaufruf auf – im Gedenken an den Wachhund von N., der bei der Razzia erschossen wurde.