Überparteiliche Kommission gefordert – Flüchtlingsgipfel: Sachsens Innenminister will Zuwanderung „drastisch reduzieren“

Sachsen geht am Donnerstag mit einem eigenen Vorschlag in den Flüchtlingsgipfel: Eine Kommission soll die Aufnahmefähigkeit Deutschlands bewerten. Innenminister Armin Schuster (CDU) fordert, dass die Zuwanderungszahlen drastisch reduziert werden müssten.

Sachsen erwartet vom Flüchtlingsgipfel am Donnerstag eine „drastische Reduzierung der Zugangszahlen bei der Zuwanderung“- das sagte Innenminister Armin Schuster (CDU) der LVZ vor dem Treffen. Deshalb werde der Freistaat vorschlagen, dass Bund, Länder und Kommunen eine überparteiliche Kommission einrichten, kündigte Schuster an. Diese solle „eine objektive Lagebewertung zur weiteren Aufnahmefähigkeit Deutschlands“ erstellen. „Das könnte dann eine gemeinsame Grundlage werden, um für die kommenden Jahre eine besser harmonisierte Migrationspolitik von Bund und Ländern herzustellen“, erklärte der Innenressortchef.

Bund, Länder und Kommunen beraten Flüchtlingspolitik

Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen werden an diesem Donnerstag in Berlin über die Flüchtlingspolitik beraten. Vor allem Länder und Kommunen dringen seit Langem auf einen solchen Flüchtlingsgipfel, um über die Lastenverteilung bei Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten zu sprechen. Eingeladen hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die vorab von einem „humanitären Kraftakt“ sprach und weitere Bundeshilfen in Aussicht stellte.

Der Deutsche Städtetag forderte vor dem Gipfel, dass der Bund eigene Aufnahmekapazitäten als Puffer aufbauen und sich besser mit den Ländern abstimmen müsse. Zugleich fehle es an Personal sowie an Kita- und Schulplätzen für Geflüchtete, erklärte der Städtetag.

Schuster kritisiert „unbegrenzte Aufnahmebereitschaft“

Sachsens Innenminister Schuster übte am Mittwoch harsche Kritik an der Bundesregierung. Länder und Kommunen seien bereits am Limit. „Es verfestigt sich der Eindruck, dass der Bund die Möglichkeiten der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen in Deutschland anders einschätzt als Länder und Kommunen“, sagte Schuster. Anders lasse sich „die auf unbegrenzte Aufnahmebereitschaft ausgelegte Migrationspolitik der Bundesregierung nicht erklären“.

Dies betreffe auch das freiwillige Aufnahmeprogramm für Menschen aus Afghanistan: „Die Bundesländer müssen hier mitbestimmen können und dürfen nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden.“ Schuster forderte zudem erneut, Tunesien, Marokko, Algerien und Georgien schnellstmöglich zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären – „das wäre ein erster und schneller Schritt in die richtige Richtung“.

Aufnahmekapazitäten sollen vorerst nicht erweitert werden

Sachsen verfügt derzeit über eine Gesamtkapazität von 8503 Plätzen in Erstaufnahmeeinrichtungen. Davon sind aktuell 4072 Plätze mit Asylbewerbern und 696 mit Geflüchteten aus der Ukraine belegt. Damit beträgt die Auslastung rund 56 Prozent. Zum Vergleich: Am 1. August 2022 betrug die Kapazität 6814 Plätze. Damals lebten 3553 Asylbewerber und 379 Ukrainer in den Unterkünften (58 Prozent).

Seit Jahresbeginn werden jede Woche zwischen 300 und 400 Geflüchtete in Sachsen als Asylbewerber registriert. Im Sommer und Herbst 2022 waren es etwa doppelt so viele Hilfesuchende. Hinzu kommen derzeit weiterhin 100 bis 200 Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Nach einer gewissen Übergangszeit in den Erstaufnahmen müssen die Kommunen die Geflüchteten unterbringen.

Laut Innenministerium seien nach den jüngsten Erweiterungen momentan „keine weiteren Aufstockungen in Vorbereitung“. Es bestehe jedoch die Möglichkeit, kurzfristig zusätzliche Stand-By-Reserven mit 640 Plätzen in bereits genutzten Unterkünften einzurichten.


Steigende Anzahl von Asylbewerbern – Entlastung für Kommunen: Sachsen stockt Asyl-Erstaufnahmen weiter auf

Sachsens Innenministerium erweitert die eigenen Asyl-Kapazitäten kurzfristig. Die Strategie könnte sich aber grundlegend ändern: Werden dauerhaft neue Erstaufnahmen geschaffen?

Wegen der anhaltend hohen Anzahl von Asylbewerbern stockt die Landesregierung die Kapazitäten in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen weiter auf: Wie das Innenministerium am Donnerstag der LVZ auf Anfrage bestätigte, wurden rund 600 neue Plätze geschaffen. In den Einrichtungen können jetzt mehr als 9000 Personen unterkommen.

Das Innenministerium hofft, mit den kurzfristigen Maßnahmen die Kommunen zu entlasten. Nicht nur Städte wie Leipzig und Dresden haben Probleme, Asylbewerber unterzubringen. In Leipzig wird bereits eine neue Notunterkunft errichtet: Bis zu 330 Menschen sollen in Zelten im Stadtteil Stötteritz Platz finden. Auch die Landkreise haben der Landesregierung bereits signalisiert, dass die Wohnungskapazitäten zur Neige gingen.

Ministerium prüft Variante mit Modulhäusern

„Wir kommen circa Ende des ersten Quartals, wenn die Zugangszahlen in dieser Größenordnung anhalten, an die Kapazitätsgrenze“, sagte Bert Wendsche, Präsident des Sächsischen Städte- und Gemeindetages sowie Radebeuler Oberbürgermeister, beim Flüchtlingsgipfel in der Staatskanzlei Mitte Januar.

Beim damaligen Spitzengespräch war zudem vereinbart worden, dass der Freistaat die Erstaufnahmen ausbauen wird. Das Innenministerium prüft nach eigener Auskunft aktuell verschiedene Szenarien. Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte beim Gipfel ins Spiel gebracht, dass der Freistaat dauerhaft neue Erstaufnahmekapazitäten durch schnell installierbare Modulhäuser schaffen könnte. Theoretisch könnte das deutlich günstiger sein, als wenn die Landesregierung immer wieder kurzfristig neue Kapazitäten anmieten muss. Das Ministerium lässt beide Varianten derzeit durchrechnen.

Mehr Menschen aufgenommen als 2015

In den Erstaufnahmen sind momentan 4771 Personen untergekommen: 4115 Asylbewerber und 656 ukrainische Geflüchtete. Neben den 600 neuen sind darüber hinaus 3652 freie Plätze verfügbar. Die Landesregierung geht aber davon aus, dass der Zustom weiterer Asylbewerber unvermittelt anhält.

Insgesamt hat Sachsen im vergangenen Jahr mit ukrainischen Geflüchteten und Asylbewerbern deutlich mehr Menschen aufgenommen als 2015 zur Hochzeit der sogenannten Flüchtlingskrise: Es waren mehr als 78 000.

Innenminister übt seit Monaten Kritik am Bund

Innenminister Schuster übt seit Monaten Kritik an der Bundesregierung. Er wirft ihr vor, zu wenig zu unternehmen: „Ich spüre insgesamt kaum politische Initiativen, den Asylzugang zu drosseln. Irgendwann bleibt mir als letztes Mittel nur noch, Grenzkontrollen zu fordern“, sagte er vor Kurzem im Interview mit der „Sächsischen Zeitung“. Als überzeugter Europäer sei er gegen Schlagbäume an den Grenzen. Er möchte aber nicht, dass Schleuser freie Fahrt hätten.


Gemeinschafts- und Notunterkünfte – Leipzig baut Kapazitäten für Geflüchtete aus – bis zu 3000 zusätzliche Plätze nötig

In Leipzig werden weitere Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete benötigt. Vier weitere Objekte seien bereits geplant, heißt es aus dem Sozialamt.

Im vergangenen Jahr hat die Stadt Leipzig knapp 1500 Asylbewerberinnen und Asylbewerber neu aufgenommen. Das waren vielfach Menschen aus Syrien und Venezuela, aber auch Ortskräfte aus Afghanistan und Geflüchtete aus dem Irak und Georgien. Zudem suchten etwa 10.000 Menschen aus der Ukraine in Kiews Partnerstadt Schutz vor den russischen Angriffen. Auch wenn Letztere häufig eine private Bleibe in der Messestadt fanden, ist die Unterbringung der Ankommenden für die Stadtverwaltung eine wachsende Herausforderung. Bestehende Kapazitäten sind inzwischen ausgereizt, deshalb wird nach weiteren gesucht.

Bei vier zusätzlichen Objekten geht es derzeit bereits in konkrete Planungen, heißt es aus dem Sozialamt. Weitere sollen folgen. Genaue Prognosen, wie viele noch gebraucht werden, seien kaum möglich. Aber: „Sollte sich die Entwicklung der vergangenen Monate fortsetzen, ist davon auszugehen, dass noch in diesem Jahr bis zu 3000 Plätze zusätzlich geschaffen werden müssen“, so Stadtsprecher Matthias Hasberg gegenüber der LVZ.

Das wäre nahezu eine Verdopplung der bestehenden Kapazitäten. Bei diesem Mehrbedarf spiele abgesehen vom anhaltendem Zuzug auch der sich verändernde Wohnungsmarkt in Leipzig eine Rolle. Denn im Gegensatz zur Situation 2015 und 2016 halte dieser nun kaum noch Angebote für Geflüchtete bereit. „Es fällt daher zunehmend schwerer, Menschen aus den Gemeinschaftsunterkünften in Wohnungen zu vermitteln“, so Hasberg weiter.

38 Unterkünfte in Leipzig – 200 Menschen harren in Zelten aus

In der Theorie sind Gemeinschaftsunterkünfte eigentlich nur eine Übergangslösung – als temporäres Obdach, nachdem der Asylantrag gestellt wurde. In der Praxis lebt die Hälfte der Geflüchteten ob fehlender Alternativen und geringer Bereitschaft bei privaten Vermietern aber in der Regel auch ein Jahr später noch immer in den kommunalen Objekten. 38 solcher Gemeinschaftsunterkünfte gibt es inzwischen in Leipzig – über das gesamte Stadtgebiet verteilt und meist aufgrund der Integration ins Quartier kaum als solche zu erkennen. Einige sind aber auch größere Wohnanlagen, die ausschließlich für Schutzsuchende genutzt werden: wie in der Torgauer Straße und in der Arno-Nitzsche-Straße.

Neun Gemeinschaftsunterkünfte sind schon 2022 neu in Betrieb genommen worden – fünf davon für Wohnungslose aus der Ukraine. Darüber hinaus entstanden im vergangenem Jahr auch zwei Zeltstädte als Notunterkünfte auf dem Deutschen Platz und an der Arno-Nietzsche Straße. Trotz Winterkälte harren dort auch in diesen Tagen mehr als 200 Menschen aus und hoffen auf bessere Optionen. Die gibt es zumindest von Seiten der Kommune aber kaum noch. Abgesehen von den beiden Zeltstädten seien die Reserven aufgebraucht, heißt es aus dem zuständigen Sozialamt.

Geflüchtete in Leipzig: Jährlicher Zuzug von Asylbewerbern

Von einer Situation wie bei den großen Flüchtlingsströmen 2015 und 2016 kann zwar nicht die Rede sein. Die Erstaufnahmen (EAE) des Freistaates sind nur etwa zur Hälfte ausgelastet. Allerdings bleibt es beim kontinuierlichen Zuzug in die Gemeinde: So wie im Januar 2023 muss sich Leipzig nun auch im Februar auf wöchentlich etwa 60 Neuankommende einstellen, so die Prognosen der Landesdirektion Sachsen.

Leipzig will zeitnah 729 weitere Plätze schaffen

Entsprechend steht die Verwaltung unter Handlungsdruck: „Die Stadt ist fortlaufend auf der Suche nach Unterkünften für Geflüchtete“, sagt Stadtsprecher Hasberg. In der aktuellsten Info aus dem Sozialamt ist konkret von bereits vier zusätzlich geplanten Objekten mit einer Gesamtkapazität von 729 Plätzen die Rede. Weitere sollen folgen.

Dazu gehört die bereits als dritte Leipziger Zeltstadt schon vermeldete Notunterkunft in der Stötteritzer Kommandant-Prendel-Allee, wo ab März bis zu 330 Personen vorübergehend Platz finden sollen. Zu anderen geplanten Unterbringungen gibt es dagegen noch keine offizielle Bestätigung aus dem Neuen Rathaus. Nach LVZ-Informationen sollen die Vorbereitungen für ein Objekt in der Lindenthaler Hauptstraße aber ebenfalls bereits laufen.


Flüchtlingszahlen: Warum Berlin die Sorgen aus Sachsen sehr ernst nehmen sollte

In Sachsen ist zu spüren, dass mehr Geflüchtete auf der Balkanroute unterwegs sind. Land und Kommunen fordern Hilfe vom Bund – bisher erfolglos. Das ist fatal, meint LVZ-Chefkorrespondent Kai Kollenberg.

Noch ist viel Unsicherheit in den Prognosen – aber wenn das eintrifft, was die sächsische Landesregierung und die Kommunen befürchten, dann steht der Freistaat möglicherweise vor ungemütlichen Monaten. Zusätzlich zum Ukraine-Konflikt und den rapide kletternden Energiepreisen ist Sachsen aktuell mit derart steigenden Flüchtlingszahlen konfrontiert, dass selbst zurückhaltende Kommunalvertreter bereits die dritte Krise binnen weniger Monate aufziehen sehen. Die Gleichzeitigkeit dieser Herausforderungen erscheint vielen Landkreisen, Städten und Gemeinden kaum mehr handhabbar.

Die wichtigste Ressource: Solidarität

In einem Kraftakt haben der Freistaat, die Kommunen und viele Bürger in diesem Frühjahr zehntausende Ukrainerinnen und Ukrainer in Sachsen aufgenommen. Schon damals hatte Sorgen gegeben, die Lage könnte unübersichtlich werden. Dank einer Mischung aus Glück, Improvisationstalent und Hilfsbereitschaft kam es aber anders. Auch weil längst nicht so viele Ukrainer nach Deutschland wollten, wie man angenommen hatte.

Die wichtigste Ressource in diesem Frühjahr war aber Solidarität: Viele ließen geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer bei sich unterkommen. Freiwillige halfen ihnen, wenn sie mit Sonderzügen an den Bahnhöfen in Leipzig oder Dresden ankamen. Kleidung, Lebensmittel, Drogerieartikel und vieles mehr wurde gespendet. Sachsen zeigte sich großzügig, die eigenen Sorgen schienen schließlich angesichts des russischen Einmarschs in die Ukraine klein. Momentan ist es aber anders. Auch das hat mit den Folgen dieses Krieges zu tun.

Die Hilfsbereitschaft kommt an Grenzen

Über den Sommer hat die Energiekrise an Wucht gewonnen. Was im April theoretisch und abstrakt anmutete, wird nun real: Erste Versorger informierten ihre Kunden bereits über neue und höhere Abschlagszahlungen. Sie sollen teils mehr als das Doppelte vom alten Preis zahlen. Die Furcht vor horrenden Energie- und Stromrechnungen ist Alltagsgespräch. Das Durcheinander rund um Gasumlage, Gaspreisdeckel und Doppel-Wumms hat nicht dazu beitragen, die Nerven zu beruhigen. Wie das Unterstützungspaket der Bundesregierung ausgestaltet, welchen Beitrag darüber hinaus Sachsen tragen und welchen konkreten Effekt das alles auf die Gas- und Stromrechnung haben wird, wissen nicht einmal die politischen Verantwortlichen.

Viele Sachsen treiben existenzielle Ängste um. Ihre Erwartungshaltung ist klar: „Die Leute wollen, dass die Politik sie zuerst unterstützt“ – so formuliert es der parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer. Die Hilfsbereitschaft kommt an Grenzen, nun da die Flüchtlingszahlen wieder steigen. Seit Wochen machen sich immer mehr Geflüchtete über die Balkanroute auf. In den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen sitzen Menschen mit den Herkunftsländern Syrien, Türkei und Afghanistan. Landrat Neubauer ruft deswegen dazu auf, sich nun nicht zu „entsolidarisieren“. Aber nicht nur er stellt sich die Frage, wie er mit der Situation umgehen soll. Zum einen politisch. Zum anderen finanziell. Der Freistaat hat zu Jahresbeginn versprochen, die Kommunen bei den Kosten für die Ukraine-Hilfe nicht allein zu lassen. Da war die jetzige Situation nicht abzusehen.

Forderungen an den Bund sind verpufft

Seit Wochen warnt Sachsen vor einer Überforderung der Kommunen. Die Appelle in Richtung Berlin werden stetig dringlicher. In der Landespolitik wird schon über verstärkte Grenzkontrollen debattiert. Die Forderungen – auch an die Bundesinnenministerin – sind aber verpufft. Stattdessen herrscht anscheinend bei vielen der Eindruck vor, der Freistaat würde mal wieder allzu schwarzmalen. Bei den Gesprächen zwischen Kanzler und Ländern gab es diese Woche auch keine Einigung, wie die Kosten durch die neuen Flüchtlingszahlen verteilt werden.

Dabei wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, ein Zeichen zu setzen und den Kommunen samt den Bürgern zu signalisieren, dass man auch mit dieser Lage angemessen umgeht. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Wortmeldungen immer dramatischer werden und die allgemeine Aufgeregtheit verstärken: Wer verhindern möchte, dass die Stimmung sich verschlechtert, sollte die Wortmeldungen aus Sachsen deswegen ernst nehmen. Drei Krisen sind schließlich mindestens eine zu viel.


29.08.2022 LVZ

Asylbewerber-Zahlen: Minister warnt vor Problemen für Sachsens Kommunen

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sieht unter anderem Schwierigkeiten beim Wohnraum, wie er an den Bund schreibt. Auch Schulen und Kitas würden belastet.

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) befürchtet deutliche Probleme für die sächsischen Kommunen, sollten die Asylbewerberzahlen und die Anzahl der ukrainischen Geflüchteten weiter ansteigen. Das geht aus einem Brief hervor, den Schuster vor knapp zehn Tagen an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) geschrieben hat. Es sei „selbstverständlich“, dass der Freistaat Sachsen eine „angemessene Unterbringung der zugewiesenen Schutzsuchenden zeitnah“ abzusichern versuche. Aber es sei bereits jetzt festzustellen, „dass die Verteilung der Personen und deren Integration in die Kommunen hoch problematisch ist“.

„Lage spitzt sich zusehends zu“

Schuster sieht vor allem logistische Probleme: „Insbesondere ist Wohnraum zunehmend knapp. Schulen, Kitas sowie auch der Arbeitsmarkt werden durch eine sich verschärfende Konkurrenz- und Verdrängungssituation in nicht unerheblicher Weise belastet. Die kommunale Ebene hat mir eindringlich signalisiert, dass die Lage sich zusehends zuspitzt.“ Würden die Zugangszahlen wie prognostiziert steigen, „werden sich die skizzierten Probleme deshalb weiter in erheblicher Weise verschärfen“.

Hintergrund des Briefes sind Zusagen der Bundesregierung auf EU-Ebene. Im Rahmen des „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“ wird auch Deutschland Flüchtlinge aufnehmen, die in den Mitgliedsstaaten an der südlichen EU-Außengrenze angekommen sind. Eine entsprechende Erklärung hatte Deutschland mit knapp 20 weiteren Staaten Ende Juni abgegeben.

Innenminister rechnet mit mehr ukrainischen Geflüchteten

Der sächsische Innenminister nennt es in seinem Brief „unbestritten“, dass Deutschland sich mit den südlichen EU-Staaten solidarisch zeigen sollte. Der Bund müsse aber „seiner finanziellen Verantwortung“ nachkommen: „Es ist jedenfalls nicht hinnehmbar, dass hier nur die Länder und Kommunen in die Pflicht genommen werden.“ Er gehe davon aus, dass die Bundesrepublik unabhängig von der Ukraine-Frage in diesem Jahr möglicherweise bis zu 200.000 Personen aufnehmen müsse. Aktuell meldeten sich „täglich bis zu 100 Personen in den Aufnahmeeinrichtungen“ des Freistaats, die Asylanträge stellten. Sachsen habe zudem bisher circa 52.000 Ukrainerinnen und Ukraine aufgenommen. „Ich gehe aufgrund der aktuellen Entwicklung davon aus, dass diese Zahl noch weiter steigen wird“, so Schuster.

Sachsens Innenminister erinnerte die Bundesinnenministerin auch an die Ankündigungen der Ampel-Koalition zu einer „Rückführungsoffensive“, die insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern beinhalten sollte. „Der Bund wird die Länder bei Abschiebungen künftig stärker unterstützen“, heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Eine solche Offensive wäre laut Schuster „gerade vor dem Hintergrund der (…) sich zuspitzenden Situation dringend erforderlich, um eine Entlastung der Länder und Kommunen zu erreichen“. Nur wenn es gemeinsam gelinge, „vollziehbar ausreisepflichtige Personen zurückzuführen, bleibt auch die Akzeptanz der Bevölkerung für die Aufnahme tatsächlich schutzbedürftiger Personen erhalten“.

Noch Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen verfügbar

Aktuell sind in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates 4841 Personen untergebracht: 4279 Asylbewerber sowie 562 Ukrainer. Die Gesamtkapazität liegt derzeit bei 6814 verfügbaren Plätzen. Haben Geflüchtete ihren Antrag auf Asyl gestellt, können sie die Erstaufnahmen des Freistaates verlassen und warten in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen auf die Entscheidung der Behörden. In der 33. Kalenderwoche haben die Kommunen zuletzt 48 Personen auf diesem Weg aufgenommen. Mit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Bearbeitungszeit der Asylanträge in Deutschland im Schnitt von sechs auf zehn Monate erhöht – mit Folgen auch auf die Unterbringungssituation.

In Leipzig gibt es beispielsweise 31 solcher Wohnheime und Mehrfamilienhäuser – mit einer Gesamtkapazität von gut 2900 Betten. Die Auslastung lag Ende Juli bei 93 Prozent. Vor allem in den vielen kleineren Unterkünften im ganzen Stadtgebiet gibt es praktisch kaum noch freie Kapazitäten für Ankommende.

90 Prozent der Ukrainer in Leipzig sind privat untergebracht

Neben Asylbewerberinnen und Asylbewerbern sind auch geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer teilweise in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht. Von den 10.000 in der Messestadt registrierten Personen wohnten Ende Juli 260 in drei kommunalen Gebäuden und 280 in zwei temporär errichteten Zeltstädten der Kommune. Mehr als 90 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer in Leipzig sind dagegen privat untergebracht.

Von Kai Kollenberg und Matthias Puppe