Erste Bilanz des Landeskriminalamtes – Hass und Hetze im Netz: Sachsens Spezialeinheit ermittelt gegen 132 Internet-Extremisten

Seit knapp einem Jahr geht in Sachsen eine neue Spezialeinheit gegen Internet-Extremisten vor – die erste Bilanz ist ernüchternd. Die LKA-Zahlen belegen auch: Insgesamt sind die Fälle von politischer Kriminalität abermals gestiegen.

Sachsens neue Spezialeinheit gegen Internet-Extremisten hat alle Hände voll zu tun: Insgesamt 280 Ermittlungsverfahren wurden im vergangenen Jahr gegen 132 Beschuldigte geführt. Das geht aus der ersten Jahresbilanz des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) hervor, die der LVZ exklusiv vorliegt. Demnach betrug die Aufklärungsquote bei diesen Fällen von schwerer Online-Hetze und Gewaltandrohungen 56 Prozent. Darüber hinaus wurden sachsenweit rund 500 sogenannte Hass-Postings registriert.

Schuster: Internet-Kriminalität bedeutsames Aufgabenfeld

„Die Bekämpfung der politisch motivierten Internet-Kriminalität ist mittlerweile ein bedeutsames Aufgabenfeld. Die Ermittler leisten dabei ausgezeichnete Arbeit“, erklärt Innenminister Armin Schuster (CDU) gegenüber der LVZ. Das PTAZ sei „elementarer Bestandteil unserer sächsischen Null-Toleranz-Politik“ gegenüber jeder Form von Extremismus. Es werde nicht nur gegen linke Gewaltstraftaten und fremdenfeindliche Übergriffe sowie gegen Reichsbürger ermittelt, sondern auch intensiv bei Hass und Hetze im Internet.

Neue Spezialeinheit verfolgt Extremisten im Internet

Die Spezialeinheit war zum 1. Februar 2022 als Dezernat „Zentralstelle zur Bekämpfung von Internet-PMK“ (ZIT) im Landeskriminalamt Sachsen installiert worden, wobei der Zusatz für Politisch Motivierte Kriminalität steht. Dabei geht es unter anderem um die Internet-Aufklärung und -Auswertung und die frühzeitigen Informationen zu geplanten Aktionen. Ziel ist es, „extremistische Aktivitäten und Strukturen frühzeitig zu erkennen, Gefahren effektiv abzuwehren und eine konsequente Strafverfolgung zu erreichen“, heißt es im Landeskriminalamt. Deshalb waren insgesamt 14 Ermittlerinnen und Ermittler als spezielle Online-Fahnder verpflichtet worden.

PTAZ-Chef: Internet-Täter sind politisch extremer geworden

In den Verfahren wegen Hass und Hetze spiegeln sich auch die Corona- und Energieproteste aus dem vergangenen Jahr wider. Bei den im Internet aufgespürten mutmaßlichen Extremisten handelt es sich lediglich in 32 Verfahren um rechte Straftaten und in 17 Fällen um linke – dagegen fallen 101 Verfahren in keine der bekannten Kategorien und haben sich 94 als nicht politisch motiviert erwiesen.

In einer Einschätzung der sächsischen Sicherheitsbehörden heißt es: Der virtuelle Raum habe bei der der Radikalisierung erheblich an Bedeutung gewonnen. „Das Internet ist kein rechtsfreier Raum – und das setzen wir durch“, macht auch PTAZ-Chef Dirk Münster klar, „der Hass im Netz hat sich neu verteilt, die Täter sind politisch extremer geworden.“

Zahl politisch motivierter Straftaten steigt an

Gleichzeitig belegt die PTAZ-Bilanz für das vergangene Jahr: Die politisch motivierte Kriminalität nimmt in Sachsen mit insgesamt 681 Ermittlungsverfahren zu. Damit setzt sich der Anstieg aus den vergangenen Jahren fort. 2021 waren es zwar 1200 Fälle – allerdings betraf fast die Hälfte das Protestgeschehen. Dagegen waren im Jahr 2020 bereits 615 Verfahren und 2019 insgesamt 597 Fälle beim PTAZ geführt worden. „Mit dem PTAZ setzt der Freistaat Sachsen im Bereich der Bekämpfung von Terrorismus und politisch motivierten Straftaten einen deutlichen Schwerpunkt und ist gut aufgestellt“, erklärt der Innenminister.

Aufklärungsquote im linken Spektrum wächst deutlich

Im Jahr 2022 betrafen 105 Ermittlungsverfahren das linke Spektrum, wo die Aufklärungsquote im Jahresvergleich deutlich von 29 auf 39 Prozent gestiegen ist. 2021 sind es noch 495 Fälle gewesen: Damals waren aber sämtliche mutmaßlich linksextremistischen Fälle in Sachsen zentral beim PTAZ gesammelt worden, so auch Ermittlungen wegen Propaganda oder Graffiti. Seit dem vergangenen Jahr konzentrieren sich die Staatsschützer des Landeskriminalamtes mit der Soko Linx nur noch auf schwere Straftaten wie Gewaltdelikte. Ein solches Vorgehen ist im rechten Spektrum seit Langem mit der Soko Rex üblich.

Auch gegen „Letzte Generation“ wird im PTAZ ermittelt

Zuletzt war Kritik am PTAZ laut geworden, weil auch Aktionen der radikalen Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ als politisch links motivierte Kriminalität klassifiziert wurden. „Diese Einstufung ist bundesweit einheitlicher Konsens. Ob es sich um Extremisten handelt, muss der Verfassungsschutz bewerten. Wir bewerten nur die Straftaten und nicht die Täter“, sagt PTAZ-Chef Münster der LVZ, „unser Auftrag lautet, Ermittlungen bei Straftaten zu durchzuführen – unabhängig von der politischen Richtung.“

Fälle von religiösen Extremismus nehmen zu

Noch erfolgreicher als im linken Spektrum ist die Extremismus-Sondereinheit im rechten Bereich. Von den 59 Fällen (2021: 88) sind 36 (2021: 56) aufgeklärt worden. Damit bleibt die Quote mit 61 Prozent etwa konstant. Insgesamt wurden 77 Verdächtige für schwere Straftaten ermittelt. Die Masse der rechtsextremistischen Fälle wird weiterhin dezentral bearbeitet, mit der Soko Rex im Landeskriminalamt an der Spitze.

Daneben nehmen die Fälle von religiösem Extremismus einen immer größeren Teil beim PTAZ ein: Wurden vor vier Jahren noch sechs Ermittlungsverfahren gegen fünf Beschuldigte geführt, waren es 2022 insgesamt 40 Verfahren mit 37 mutmaßlichen Täterinnen und Tätern.

Ermittlungen gegen Neonazis machen großen Anteil aus

Das PTAZ hatte im Jahr 2013 als Operatives Abwehrzentrum (OAZ) seine Arbeit aufgenommen. Als Grund galten damals die falsche Schwerpunktsetzung bei der Bekämpfung der politisch motivierten Kriminalität und eine anhaltende Erfolglosigkeit der Abteilung Staatsschutz. Langjähriger OAZ-Chef war der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz, der inzwischen im Ruhestand ist. Für das neue PTAZ arbeiten gegenwärtig 238 Spezialisten, etwa die Hälfte befasst sich in der Soko Rex mit Ermittlungen im Neonazi-Bereich.


30.01.2022 LVZ

Corona-Proteste – Sachsen setzt neue Spezialeinheit gegen Internet-Extremisten ein

Sachsen reagiert auf zunehmende Hetze im Internet: Ab Februar wird es im Landeskriminalamt eine neue Spezialeinheit geben, die bei ihren Online-Streifen Extremisten aufspüren soll. Im Fokus stehen vor allem die Corona-Proteste.

Sachsen rüstet gegen Internet-Extremisten auf: Eine neue Spezialeinheit tritt am Dienstag beim Landeskriminalamt (LKA) ihren Dienst an. Nach LVZ-Informationen wird ein eigenes Dezernat eingerichtet – die Expertinnen und Experten sollen online auf Streife gehen, um strafbare Inhalte im Internet aufzuspüren. Insgesamt sind 14 Ermittler verpflichtet worden, davon wurden fünf neue Stellen extra vom sächsischen Regierungskabinett bewilligt.

Sicherheitsbehörden registrieren bereits viele Gesetzesverstöße

Hintergrund ist die zunehmende Eskalation auf Kanälen wie „Telegram“. In einer Lageeinschätzung des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) zu den Corona-Protesten und sozialen Netzwerken heißt es: „Eine sehr hohe Zahl an Personen, welche sich teilweise in strafrechtlich relevanter Weise gegen politische Entscheidungen sowie Amts- und Mandatsträger austauschten und zu Aktionen aufriefen, ist festzustellen.“ In den sozialen Netzwerken gebe es eine sich „entwickelnde Dynamik“.

Innenminister warnt vor Radikalisierung über Internet-Kanäle

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hatte zuletzt davor gewarnt, dass verbale Radikalisierungen im Netz nicht selten in radikale Aktionen auf der Straße mündeten. „Das ist gefährlich für die Sicherheit und die Ordnung in Deutschland“, mahnt Wöller. In einer internen Einschätzung der sächsischen Sicherheitsbehörden wird in diesem Zusammenhang ausgeführt: Aus der aktuellen Gemengelage der Corona-Proteste hätten sich Radikalisierungstendenzen gebildet, die einer besonderen Beachtung bedürften. Der virtuelle Raum habe bei der Entwicklung der politischen Kriminalität erheblich an Bedeutung gewonnen, heißt es in dem Lagebild weiter.

Extremisten sollen frühzeitig aufgespürt werden

Deshalb will der Freistaat künftig härter durchgreifen. Offiziell nennt sich das neu installierte Dezernat „Zentralstelle zur Bekämpfung von Internet-PMK“, wobei der Zusatz für Politisch Motivierte Kriminalität steht. Zur Begründung wird in dem internen Schreiben erklärt: Schlagkraft und Effizienz müssten auf Landesebene erhöht werden. Dabei geht es unter anderem um die Internet-Aufklärung und -Auswertung, die frühzeitige Informationsgewinnung, die Sicherung von Hinweisen auf geplante Aktionen sowie die Beweisfeststellung. Ziel sei es, „extremistische Aktivitäten und Strukturen frühzeitig zu erkennen, Gefahren effektiv abzuwehren und eine … konsequente Strafverfolgung zu erreichen“, ergänzt das PTAZ.

Mitte Dezember war bereits eine Taskforce mit Spezialisten von LKA und Verfassungsschutz gegründet worden, um der „Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung und dem Risiko für Leib und Leben insbesondere der Amts- und Mandatsträger wirksam entgegentreten zu können“, erklärt das PTAZ. Entscheidender Auslöser war die Morddrohung gegen Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) gewesen. Damit sei ganz klar die „rote Linie“ überschritten worden, heißt es bei den Staatsschützern des Landeskriminalamtes.

Wöller: Auch im Internet gibt es keine rechtsfreien Räume

Neben den Online-Streifen werden auch das Landesamt für Verfassungsschutz sowie die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft mit ihren Abteilungen für Cybercrime und Extremismus um jeweils fünf Stellen aufgestockt. Außerdem hat der Freistaat Sachsen vor gut einer Woche ein Bürger-Portal im Netz freigeschaltet, auf dem Hass-Kriminalität gemeldet werden kann. „In unserem Land gibt es keine rechtsfreien Räume. Das Strafrecht gilt auch im Internet“, macht Wöller klar. Bürgerinnen und Bürger könnten solche Kommentare nun direkt über die Online-Wache anzeigen.

Gegner der Corona-Politik werden stärker ins Visier genommen

Parallel zu dem sächsischen Vorgehen hat sich die Innenministerkonferenz darauf verständigt, extremistische Bestrebungen unter Gegnern der Corona-Politik künftig verstärkt zu beobachten. Darüber hinaus tritt ab Februar eine Reform des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes in Kraft: Demnach müssen soziale Netzwerke wie Facebook oder Google strafbare Inhalte nicht mehr nur löschen, sondern künftig auch an das Bundeskriminalamt melden. Sachsens Innenminister fordert zudem von Online-Kanälen wie Telegram die Pflicht zur Herausgabe von Klarnamen für etwaige Strafermittlungen.

Von Andreas Debski


09.12.2022 LVZ

„Letzte Generation“ – Radikale Klimaschützer gelten in Sachsen als linke Straftäter

Die Sicherheitsbehörden in Sachsen bewerten die Klebe-Aktion der Protestgruppe „Letzte Generation“ in der Dresdner Gemäldegalerie als linke Straftat. Die sehr allgemeine Begründung des Innenministeriums sorgt für Kritik.

Leipzig. Es gehe nur um Beweise – so hatte das Landeskriminalamt in Sachsen zuletzt die Hausdurchsuchung bei zwei radikalen Klimaschützern in Leipzig begründet. Maike G. und Jakob B. hatten sich im August in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden an den Bilderrahmen der „Sixtinischen Madonna“ geklebt. Sie filmten sich, stellten die Videos online – und so standen mehrere Fragen im Raum. Welche Beweise werden da noch benötigt und: Warum beteiligen sich Beamte des Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) an einem Verfahren, bei dem es um gemeinschädliche Sachbeschädigung und einen Schaden von 4000 Euro geht?

Mittlerweile ist klar: Es geht bei der „Letzten Generation“ um sehr viel mehr. Vergangene Woche einigten sich die Innenminister darauf, ein bundesweites Lagebild zu erstellen – offenbar auf Initiative von Armin Schuster. Der sächsische CDU-Innenminister will schon seit Längeren die Strukturen der „Letzten Generation“ in den Blick nehmen, deren Aktionen er als „politisch motiviert“ sieht. Und nun ist auch klar, wie hiesige Sicherheitsbehörden diese konkret einordnen: Die Klebe-Aktion in der Gemäldegalerie wird als linke Straftat gewertet. Das erklärte das Innenministerium auf Nachfrage der LVZ.

Begründung des Innenministeriums Sachsen „an den Haaren herbei gezogen“

In der Begründung wird weder auf eine entsprechende Einstellung der Beteiligten verwiesen, noch auf konkrete Verbindungen zu Strukturen. Stattdessen begründet das Innenministerium die Einschätzung ganz allgemein mit dem Motiv: So sei „die Thematik des Klima- und Umweltschutzes“ im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) „seit Jahren fest in der linken Szene verankert“. Für das konkrete Verfahren gegen Maike G. und Jakob B. hat diese Einschätzung keinen Einfluss, sie dürfte jedoch Auswirkungen für die langfristige Bewertung der „Letzten Generation“ haben. Innenminister Armin Schuster will klären, „ob es Bezüge zur linksextremen Szene“ gibt – und auch Thüringens Verfassungsschutzchef, Stephan Kramer, warnte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor einer entsprechenden Vereinnahmung.

Dass die „Letzte Generation“ nun in die linke Ecke gesteckt wird, treibt den innenpolitischen Sprecher der SPD, Albrecht Pallas, um. Über die Mittel der radikalen Klimaschützer könne man diskutieren. Aber: „Wir reden hier von einem Teil der Klimabewegung, der heterogen ist, bei dem es keine Bezüge zu Marxismus oder Anarchismus gibt. Die ’Letzte Generation’ lehnt Gewalt ab, sie haben konkrete politische Forderungen, die man nachlesen kann.“ Die Begründung für die Einordnung der Klebe-Aktionen in den Bereich der linksmotivierten Kriminalität, bezeichnet Pallas deshalb als „an den Haaren herbeigezogen“. Der Klima-Aktivismus werde in den nächsten Jahren zunehmen. „Ich erwarte, dass sich die Sicherheitsbehörden differenziert damit auseinandersetzen und nicht vorurteilsbehaftete Bilder von politischen Aktionsformen zur Grundlage ihrer Arbeit machen.“

Befürchtung einer Radikalisierung durch Letzte Generation

Tatsächlich gibt es die Möglichkeit politisch motivierte Straftaten aufzunehmen ohne sie in konkret einzusortieren. Unter die Kategorie „nicht zuzuordnen“ fielen 2021 viele Vorfälle im Zusammenhang mit Demonstrationen, die sich gegen Corona-Schutzmaßnahmen richteten, aber eben auch gegen ein demokratisch verfasstes System. Diese Einschätzung der Sicherheitsbehörden wurde auch der diffusen Lage gerecht, denn bei den Protesten mischten zwar Neonazis mit – aber viele Teilnehmer waren nicht per se rechtsextrem.

Dass nun die gemeinschädliche Sachbeschädigung als eindeutig linksmotiviert eingestuft wurde, findet auch die innenpolitische Sprecherin der Linken, Kerstin Köditz, für „völlig unangemessen“. „Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob es das ein billiger Versuch der Kriminalisierung ist oder einfach nur Hilflosigkeit“, so Köditz. Das Vorgehen der „Letzten Generation“ entspreche nicht dem der linken Szene. „Mit dieser Szene haben viele Aktivistinnen und Aktivisten der Klima-Bewegung auch nichts zu tun.“

Köditz aber auch Albrecht Pallas glauben, dass die Art, wie Innenminister und Sicherheitsbehörden derzeit über die „Letzte Generation“ diskutieren, Auswirkungen auf deren weitere Entwicklung hat. „Die Bewegung bekommt bereits jetzt Zulauf, weil wir beim Klimaschutz zu langsam sind. Wenn in der öffentlichen Diskussion nicht rhetorisch abgerüstet wird, dann kann es passieren, dass sich die Leute erst recht radikalisieren.“


08.03.2022 LVZ

Sondereinheit gegen Linksextremismus – Für mehr Schlagkraft: Sachsen richtet die Soko Linx neu aus

In den vergangenen beiden Jahren hatten die Extremismus-Ermittler des Landeskriminalamtes Sachsen so viel Arbeit wie noch nie. Deshalb soll sich die Soko Linx künftig auf die schweren Fälle konzentrieren.

Der Freistaat Sachsen verschärft das Vorgehen gegen linke Straftäter. Um mutmaßlichen Gewalttätern noch effektiver auf die Spur zu kommen, wird die sogenannte Soko Linx umgebaut. Die Sondereinheit war vor gut zwei Jahren ins Leben gerufen worden und ist Bestandteil des Polizeilichen Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrumn (PTAZ) im Landeskriminalamt Sachsen. „Wir konzentrieren uns künftig auf die schweren Straftaten“, sagte PTAZ-Chef Dirk Münster der LVZ.

Sondereinheit soll sich künftig auf schwere Fälle konzentrieren

Hintergrund ist die Masse an Ermittlungsverfahren, die die Soko Linx bislang zu bearbeiten hatte. Seit ihrer Gründung im Dezember 2019 haben die Staatsschützer in der sächsischen Zentralstelle quasi „alles auf den Schreibtisch bekommen, was nach linker Kriminalität aussah“, so Münster. Die Delikte reichten von Graffiti über Propaganda-Flyer und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz bis hin zu Brandstiftungen und Körperverletzungen.

Damit die 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Soko Linx effizienter vorgehen können, wird nun zunächst vorsortiert. So werden Schmierereien und vergleichsweise geringe Sachbeschädigungen wieder von den Staatsschützern der jeweiligen Polizeidirektionen behandelt. Die neue Struktur ähnelt der Soko Rex: Auch bei Straftaten im rechtsextremen Bereich greift die Sondereinheit nur in schweren Fällen ein, dagegen wird das Gros dezentral bearbeitet. Außerdem wird weiterhin ein sogenannter personenbezogener Ansatz – ähnlich wie beim Bundeskriminalamt oder in Nachrichtendiensten – verfolgt: Die Sonderermittler analysieren Strukturen und Protagonisten der Szene.

Deutlicher Anstieg von mutmaßlich linksextremen Straftaten

Beim PTAZ hatten in den vergangenen beiden Jahren die Ermittlungsverfahren insbesondere zu linken Straftaten deutlich zugenommen. Auch aufgrund der Konzentration kletterten die Fallzahlen von 27 (2019) über 287 (2020) auf 495 im vergangenen Jahr. Im Vergleich stagniert die Aufklärungsquote bei 29 Prozent, zuletzt konnten 324 Beschuldigte ausgemacht werden. Die Soko Linx solle sich nun auf die Aufklärung von Straftaten fokussieren, für die es einen „hohen Personalbesatz“ braucht, heißt es.

Wesentlich erfolgreicher waren die Extremismus-Spezialisten im rechten Spektrum: Von den 88 Fällen im vergangenen Jahr (2020: 60) sind 56 (2020: 41) aufgeklärt worden. Damit bleibt die Quote mit 64 Prozent etwa konstant. Insgesamt wurden 177 Verdächtige für schwere Straftaten ermittelt.

Innenminister Wöller sieht „zunehmende Gefahr“

Das Einsetzen einer eigenen Soko Linx – mit einer Verdopplung des Personals und einer engen Verzahnung zu speziellen Staatsanwälten – war 2019 unter anderem mit einem „stetig wachsenden Gewaltsockel“ innerhalb der linksextremen Szene begründet worden. Spätestens seit 2013 müsse Leipzig deutschlandweit als ein „Hotspot der linksautonomen Szene“ gesehen werden, hieß es. Das Landeskriminalamt hatte damals in einem internen Papier davon gesprochen, dass „die Schwelle zum Terrorismus bereits erreicht“ sei. Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) hat seither immer wieder betont, dass die Szene in Leipzig kontinuierlich wachse, und von einer „zunehmenden Gefahr“ gesprochen.

Im aktuellen Verfassungsschutzbericht für Sachsen heißt es: „Sehen sich Linksextremisten in ihren Freiräumen, das heißt in ,ihren‘ Stadtvierteln, bedroht, reagieren sie häufig mit Straftaten gegen die aus ihrer Sicht verantwortlichen Immobilienunternehmen oder beauftragten Baufirmen.“ Die Zahl der Linksextremisten – zu denen neben Autonomen unter anderem auch Anarchisten und die Rote Hilfe gezählt werden – wird in Sachsen mit insgesamt 800 angegeben.

Von Andreas Debski


08.02.2022 LVZ

Mehr als 1200 Verfahren – Corona-Proteste treiben Extremismus-Fälle in Sachsen auf neuen Höchststand

Die Extremismus-Sondereinheit der sächsischen Polizei hat immer mehr Arbeit: Nie zuvor mussten die Ermittler so viele Fälle wie 2021 bearbeiten. Ein wesentlicher Grund sind die Corona-Proteste.

Die Zahl der Extremismus-Verfahren hat in Sachsen einen neuen Höchststand erreicht: Das beim Landeskriminalamt angesiedelte Polizeiliche Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum (PTAZ) hat im vergangenen Jahr 1272 Fälle bearbeitet – das sind mehr als doppelt so viele wie 2020. Damals hatte es 615 Verfahren gegeben.

Mit 687 Beschuldigten wurden ebenfalls deutlich mehr Verdächtige ermittelt als in vorangegangenen Jahren (2020: 400; 2019: 351). Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote von 52 auf 57 Prozent. Das geht aus einer LKA-Aufstellung zur politischen Kriminalität hervor, die der LVZ exklusiv vorliegt.

Fast die Hälfte der Fälle passt nicht in klassische Kategorien

Für den starken Anstieg sind in erster Linie die Corona-Proteste verantwortlich. Dazu heißt es in einer Lageeinschätzung des PTAZ: „Eine im Vergleich zu den Vorjahren wachsende Herausforderung stellt insbesondere der Phänomenbereich ,nicht zuzuordnen‘ dar. Dies resultiert aus den Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus und den damit verbundenen Resonanzen.“ Das bedeutet: Die klassischen Extremismus-Bereiche Rechts, Links und Ausländische Ideologie greifen in diesem Zusammenhang nicht mehr – auch wenn der Hintergrund nach Ansicht der Staatsschützer eindeutig politisch ist.

Verfahren zu Corona-Protesten steigen stark an

Das spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Das PTAZ ermittelte im vergangenen Jahr in insgesamt 529 Extremismus-Verfahren, die sich nicht den bekannten Kategorien zuordnen ließen – im Jahr 2020 waren es noch 194. Parallel stieg die Aufklärungsquote bei diesen Fällen von 67 auf 82 Prozent. „Im vergangenen Jahr ist auch das Corona-Protestgeschehen stark in den Fokus der Arbeit des PTAZ gerückt. Demokratiefeinde nutzen die Pandemie, um Bürgerinnen und Bürger für ihre rechtsextremistische Agenda zu vereinnahmen“, erklärt Innenminister Roland Wöller (CDU) gegenüber der LVZ.

Zahl der Verfahren gegen mutmaßliche Linksextremisten steigt

Zum anderen macht sich in der PTAZ-Bilanz auch die Arbeit der vergleichsweise neuen Soko LinX bemerkbar: Hier werden seit 2020 sämtliche mutmaßlich linksextremistischen Fälle in Sachsen zentral gesammelt. Die Verfahren reichen vom sogenannten Propagandadelikt über Verstöße gegen das Versammlungsgesetz bis hin zu Körperverletzungen und Sachbeschädigungen wie etwa Brandstiftungen. Auch aufgrund dieser Konzentration kletterten die Ermittlungsverfahren von 27 (2019) über 287 (2020) auf nun 495, heißt es zur Erklärung. Im Vergleich stagniert die Aufklärungsquote bei 29 Prozent, wobei 324 Beschuldigte ausgemacht werden konnten.

Zwei Drittel der schweren Neonazi-Straftaten werden aufgeklärt

Wesentlich erfolgreicher sind die Extremismus-Sonderermittler im rechten Spektrum. Bei den vorliegenden Fällen handelt es sich meist um schwere Straftaten, beispielsweise Propagandadelikte von Neonazis sind in die PTAZ-Statistik nicht eingeflossen: Von den 88 Fällen (2020: 60) sind 56 (2020: 41) aufgeklärt worden. Damit bleibt die Quote mit 64 Prozent etwa konstant. Insgesamt wurden 177 Verdächtige für schwere Straftaten ermittelt. Die Masse der rechtsextremistischen Fälle wird weiterhin dezentral bearbeitet, allerdings mit der Soko Rex im Landeskriminalamt an der Spitze.

Extremismus-Spezialisten ermitteln wegen krimineller Vereinigung

Das PTAZ machte im vergangenen Jahr gleich mehrfach von sich reden. Im linken Spektrum führte die Sondereinheit ein umfangreiches Ermittlungsverfahren für die Generalbundesanwaltschaft aufgrund des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Im rechten Bereich wurde für die Bundesanwaltschaft ein Online-Versandhandel ausgehoben. Daneben laufen die Ermittlungen zu der Chat-Gruppe „Dresden Offline-Vernetzung“, die den sächsischen Ministerpräsidenten offenbar ermorden wollten, beim PTAZ zusammen.

Potenzielle islamische Gefährder wurden in Sachsen gestellt

Mit insgesamt 22 Fällen (2020: 24) nimmt der durch Ausländer verübte Extremismus eine vergleichsweise geringe Rolle in Sachsen ein, wobei zuletzt 45 Prozent (2020: 71) der Verfahren aufgeklärt wurden. So konnten beispielsweise ein mutmaßlicher Terrorist aus Frankreich in Dresden festgenommen und ein Unterstützer des Islamischen Staates im Freistaat identifiziert werden.

Wöller: Härteres Vorgehen gegen Extremismus im Internet

Bei den Ermittlungen rücken extremistische Bestrebungen im Netz immer stärker in den Fokus. „In diesem Zusammenhang gilt es, künftig noch mehr das Internet, speziell die sozialen Medien, im Blick zu haben – vor allem im Hinblick auf die Mobilisierung, die Vernetzung und die Verbreitung von Hass und Hetze“, kündigt der Innenminister ein härteres Vorgehen an. Deshalb sei Anfang Februar im PTAZ die Zentralstelle zur Bekämpfung von politisch motivierter Kriminalität im Internet eingerichtet worden, so Wöller. Dort arbeiten 14 Spezialisten an einer verbesserten Aufklärung.

In sächsischer Sondereinheit ermitteln 237 Spezialisten

Das PTAZ hatte im Jahr 2013 als Operatives Abwehrzentrum (OAZ) seine Arbeit aufgenommen. Als Grund galten damals die Pannen bei den NSU-Ermittlungen. Langjähriger OAZ-Chef war der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz, der inzwischen im Ruhestand ist. Für das neue PTAZ arbeiten gegenwärtig 237 Spezialisten, etwa die Hälfte befasst sich in der Soko Rex mit Ermittlungen im Neonazi-Bereich. Wöller kündigt an: „Wir werden politisch motivierte Straftaten weiterhin mit allen dem Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln verfolgen.“

Von Andreas Debski


24.01.2019 LVZ

Interview mit Leipzigs scheidendem Polizeipräsidenten – „Mir ging immer alles viel zu langsam“

Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz sagt nach 44 Dienstjahren „Auf Wiedersehen“ – im LVZ-Interview blickt der 62-Jährige zurück und spart dabei auch nicht mit Kritik. Ihm hat offenbar einiges auf der Seele gebrannt.

Leipzig. Bernd Merbitz (62) verabschiedet sich als Leipziger Polizeipräsident nach 44 Dienstjahren in den Ruhstand: Im Interview blickt der Vollblut-Polizist zurück – und legt auch den Finger in so manche Wunde. So sagt Merbitz, dass die Kürzungen bei der Polizei ein gravierender Fehler waren, der sich bis heute rächt, und dass der Rechtsextremismus in Sachsen von „offizieller Seite“ unterschätzt wurde.

Die Kriminalitätsentwicklung in Leipzig ist nicht gerade positiv, spricht nicht für Sie – ist das ein guter Abschied?

Die ganz neuen Zahlen sagen: Leipzig hat im vergangenen Jahr die Trendwende geschafft. Es zeichnet sich ein Rückgang der Kriminalität von über sechs Prozent gegenüber 2017 ab. Das sind 7152 Straftaten weniger. Die Maßnahmen, die wir über die Jahre hinweg eingeleitet haben, zeigen endlich ihre Wirkung. Dazu gehören mehr Präsenz auf der Straße, ein konzentriertes Vorgehen gegen Wohnungseinbrüche und Rauschgiftkriminalität. Wir sind neue Wege gegangen – und das spiegelt sich nun in den Zahlen wider, insbesondere in Leipzig. Aber die Stadt selbst bleibt natürlich der Brennpunkt. Schwerpunkte sind Drogen, Einbrüche und Gewaltdelikte. Und, in Leipzig werden überproportional viele Fahrräder gestohlen.

Inwieweit kommt Ihnen die Aufstockung der Polizei zugute?

Unterm Strich gab es nur eine geringe Aufstockung: Es sind zwar viele junge Beamte gekommen, aber gleichzeitig auch etliche Polizisten in den Ruhestand gegangen. Deshalb haben wir die Verteilung neu organisiert, auch im ländlichen Raum mehr Beamte eingesetzt. Denn die Kriminalität macht ja nicht an der Stadtgrenze halt, was insbesondere Drogendelikte betrifft.

Sie hatten nach einer Vielzahl von Straftaten auch angekündigt, auch den Brennpunkt Hauptbahnhof stärker ins Visier zu nehmen.

Es gibt inzwischen eine gemeinsame Ermittlungsgruppe mit der Bundespolizei – das läuft gut. Ich kann zwar nicht sagen, dass wir das Problem gelöst haben, aber wir sind auf einem guten Weg. Daneben muss es aber auch um den Allgemeinzustand in diesem Gebiet gehen: Wir brauchen eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, wie wir mit Obdachlosen und auch Drogensüchtigen umgehen wollen. Mit der Stadtverwaltung haben wir nun eine Lösung gefunden, damit den Leuten geholfen wird. Darum muss es immer gehen.

Das Sicherheitsgefühl vieler Menschen scheint nicht sonderlich hoch – was sagen Sie jenen, die Angst haben?

Ich rede mit vielen Leuten – und ich frage auch, ob sie sich sicher in Leipzig fühlen. Die meisten sagen tatsächlich, dass sie sich sicher fühlen. Aber natürlich bekommen die Menschen auch mit, dass es in Leipzig viele Straftaten gibt. Deswegen gibt es ja auch die Zusage durch Innenminister Wöller, die Zahl der Polizisten entscheidend zu erhöhen. Und, was allmählich positive Effekte zeigt: Die Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig läuft endlich so, wie ich mir das als Polizeipräsident vorstelle. Wir sind auch nachts wieder sehr präsent, um den Menschen ein Sicherheitsgefühl zu geben.

Wie drückt sich die bessere Zusammenarbeit mit der Stadt Ihrer Ansicht nach aus?

Es wurde zum Beispiel die städtische Ordnungsbehörde mit mehr Mitarbeitern ausgestattet, die auch nicht abends punkt acht ihre Arbeit niederlegen. Daneben wurden die Einsätze an Brennpunkten verstärkt. Die Stadt nimmt sich jetzt die Probleme vor, die in ihrer Hoheit liegen – und wir können als Polizei andere Aufgaben wahrnehmen. Bis vor kurzem war es so, dass Dresden in dieser Beziehung das Vorbild gewesen ist. Heute ist es Leipzig. Ich weiß, dass es darüber viele Diskussionen in der Verwaltung und im Stadtrat gegeben hat.

In der vergangenen Woche haben Sie das Black Triangel im Leipziger Süden räumen lassen. War das so etwas wie ein Abschiedsgeschenk an die linke Szene, mit der Sie sich über die Jahre hinweg duelliert haben?

Wir müssen nicht über Abschiedsgeschenke reden – die Räumung war längst überfällig. Wenn ein Objekt weit mehr als zwei Jahre besetzt ist, muss man irgendwann sehen, dass Recht und Gesetz durchgesetzt werden. Es gab viele Gespräche, die äußerst zäh verlaufen sind. Jetzt ging es um die Durchsetzung eines Strafantrages der Deutschen Bahn, die Eigentümer ist. Dafür gibt es Fristen, weswegen nun gehandelt wurde. Gedanklich hatten wir den Einsatz als Polizei schon viel früher geplant.

Wie sehen Sie das Potenzial für Ausweich- und Vergeltungsaktionen?

Damit muss man immer rechnen. Es ist zu hören und lesen, dass dieser Schlag der linken Szene sehr weh getan hat. Aber mal ehrlich: Es ist doch verständlich, dass die Autonomen nicht gut finden, was wir gemacht haben. Dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben, zeigt auch der Angriff auf den Sitz des Bundesgerichtshofes in Leipzig aus der Silvesternacht. Denn wer aufhört zu reden und zur Gewalt übergeht, verlässt der Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung – und muss dann auch mit den Konsequenzen leben müssen.

Hätte es wirklich keine andere Lösung gegeben?

Darüber ist lange gesprochen worden. Irgendwann war die Schmerzgrenze erreicht. Schauen Sie sich an, welche Probleme es sehr offensichtlich vor Ort gegeben hat. Es wurde stets behauptet, dass das Black Triangel ein soziokulturelles Zentrum gewesen sein soll – ich hatte auf dem Gelände einen ganz anderen Eindruck. Wenn solche Begriffe benutzt werden, sollte der Zustand nicht derart erschreckend sein, wie wir es feststellen mussten. Bei der folgenden Demonstration ging es dann auch nicht so sehr um das Black Triangel, sondern vielmehr um den Hass gegen die Polizei.

Sie haben eine lange Erfahrung als Staatsschützer, sind erst vor gut einem Jahr als Chef des Operativen Abwehrzentrums abgetreten – wie bewerten Sie den Rückgang der politischen Straftaten im vergangenen Jahr?

Dass erstmals seit einigen Jahren ein Rückgang zu verzeichnen ist, ist zunächst positiv. Meine Erfahrung sagt aber: Wir müssen auch weiterhin auf der Hut sein, denn die Situation kann sich jederzeit wieder drehen, gerade jetzt im Wahljahr. Deshalb lässt sich auf keinen Fall Entwarnung geben. Bis heute ist es übrigens so, dass es in Sachsen deutlich mehr rechts- als linksextremistische Straftaten gibt.

Wie konnte es – in der Rückschau – möglich sein, dass sich in Sachsen rechtsterroristische Gruppen wie der NSU oder die Revolution Chemnitz organisieren konnten?

In den 1990er Jahren hatten wir mit der Soko Rex einen sehr guten Start hingelegt. Damit wurde zum ersten Mal überhaupt auf den Fremdenhass reagiert. Die damalige Soko Rex war erfolgreich – doch es wurde nachgelassen. Gerade beim NSU müssen wir uns selbst noch viele Fragen beantworten, wie das passieren konnte, weil es bis heute keine schlüssigen Antworten gibt. Die Reaktion war dann richtig: Der Aufbau des Operativen Abwehrzentrums im Jahr 2013, das nun als PTAZ im Landeskriminalamt agiert, war die Fortsetzung der Soko Rex nach einer langen Unterbrechung.

Mit anderen Worten: Die Lage ist in Sachsen unterschätzt worden?

Wir haben sehr viel über Extremismus gesprochen – aber das konsequente Handeln wurde vernachlässigt. Dadurch konnte sich etwas entwickeln, das bis heute wirkt und einige Probleme bereitet. Es war eindeutig ein Fehler, die Soko Rex abzuschaffen. Als Staatsschutz sind wir zwar tage- und häufig auch wochenlang von einem zum anderen Einsatz gefahren, doch von offizieller Seite wurde nicht mehr die Notwendigkeit für diese Sondereinheit gesehen.

Wenn Sie auf die 44 Dienstjahre zurückschauen: Was hat sich Ihnen besonders eingeprägt?

Es gab viele Ereignisse, die mich nicht kalt gelassen haben. Am emotionalsten ist sicherlich die Zeit als Leiter der Mordkommission gewesen: Die Familien der Opfer erwarten ganz einfach, dass man den Täter findet. Auch die Wendezeit – in der man nicht immer fair mit den Polizisten umgegangen ist, was bis heute noch spürbar ist –, hat ihre Spuren hinterlassen. Nicht alles, was man erzählte, entsprach den Tatsachen. Wir sind alle überprüft worden und der größte Teil der Beamten wurde übernommen. Ich habe dann sogar – als erster Ostdeutscher, der Abteilungsleiter für Staatsschutz werden sollte – die höchste Sicherheitsüberprüfung absolviert, die es in der Bundesrepublik gibt, und bestanden.

Sie haben zwei Mal Ihren Ruhstand aufgeschoben, die Dienstzeit verlängert. Theoretisch wäre auch eine dritte und letzte Verlängerung möglich gewesen.

Das stimmt, ich hätte bis Juni 2020 durchziehen können. Doch ich habe mich nach etlichen Gesprächen dazu entschlossen, nochmal etwas Neues anzufangen. Wir haben in Sachsen ein Problem mit der Inneren Sicherheit – und deshalb will ich nun in die Politik gehen. Es gibt viele, die darüber reden, aber es braucht auch fachliche Kompetenz an der richtigen Stelle. Da ich nun für den Landtag kandidiere, ziehe ich meine Uniform aus: Als Polizeipräsident hätte ich keinen Wahlkampf machen können.

Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?

Ich konnte mich ja ein Jahr lang darauf vorbereiten. Nun gehe ich mit anderthalb lachenden Augen – und einer ganz dicken Träne. Es ist schon einige Wehmut dabei. Wenn ich etwas anderes sage, würde ich lügen. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht und mein Leben geprägt. Ab 1. Februar werde ich vor allem die Kollegen vermissen, die mir zu Freunden geworden sind. Worauf ich mich freue: Die Zeit, in der ich über andere bestimmt habe, liegt hinter mir – jetzt beginnt eine neue Zeit. Bislang habe ich vieles nur aus dem Blickwinkel der Polizei gesehen. Nun kommen neue Perspektiven dazu, kann ich den Menschen mehr zuhören. Mir ist aber auch klar, dass es nicht allen gefällt, dass ich in die Politik will.

Wollten Sie Ihrer Frau nicht zumuten, den ganzen Tag zu Hause zu sein?

Ich bin mit meiner Frau 20 Jahre verheiratet, sie kennt mich also genau. Manchmal muss man sich auch einfach mal hinterfragen: Mein Leben bestand bislang fast ausschließlich aus Polizei, unzählige Abende und Wochenenden sind dafür draufgegangen. Es war immer schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Außerdem nimmt man ja auch vieles im Kopf mit nach Hause. Aber meine Frau hatte immer Verständnis, zumal sie glücklicherweise auch selbst Polizeibeamtin ist. Das hat sicherlich einiges einfacher gemacht. Es muss sich niemand Gedanken machen: Ich falle nicht in ein tiefes Loch. Im Gegenteil, denn ich will noch Berge erklimmen.

Die sächsische Polizeispitze befindet sich in einem Umbruch. Wenn Sie gehen, bleibt nur noch Conny Stiehl als alter Haudegen. Wie verfolgen Sie den Führungswechsel?

Wenn man ehrlich ist, kann es nicht Lebensziel sein, ewig Polizeipräsident zu sein. Es musste ein Umbruch kommen, und das nicht nur in Leipzig. Jetzt müssen mal Jüngere ran – und das wird auch Zeit. Dabei sollte allen klar sein, dass diese Jüngeren – genauso wie wir damals – auch mal Lehrgeld bezahlen müssen. Das liegt aber in der Natur der Sache. Die Entscheidungen, die zur Zeit auch im Ministerium getroffen werden, sind zu respektieren. Man sollte der nächsten Generation die notwendige Zeit geben.

Zum Abschluss: Was hätten Sie gern anders gemacht?

Mir ging immer alles viel zu langsam. Wir zeichnen uns auch als Polizei dadurch aus, dass wir zu viele Konzepte schreiben – ich bin für pragmatische, für schnelle Lösungen. Da hätte ich mir häufig gewünscht, dass man schneller auf den Punkt kommt. Denn viel wichtiger als lange Diskussionen ist, was auf der Straße passiert. Ein zweiter Punkt ist: Ich hätte mir gewünscht, dass in meiner Zeit als Landespolizeipräsident die Rotstift-Diskussion gar nicht erst aufgekommen wäre. Die Einsparungen waren ein großer Fehler. Damals habe ich gewarnt, dass die Pläne nicht funktionieren und sich die Kürzungen rächen werden. Das Resultat ist bekannt: Meine Tage in Dresden waren gezählt. Jetzt ist der Fehler zwar korrigiert und sind die Einsparungen rückgängig gemacht worden, die Wirkung wird aber erst allmählich zu spüren sein.

Interview: Andreas Debski

Zur Person

Bernd Merbitz (62) hat zu DDR-Zeiten an der Hochschule der Volkspolizei studiert und als Major in den 1980er-Jahren die Mordkommission des Bezirks Leipzig übernommen. 1991 wurde der gebürtige Thüringer Abteilungsleiter im Landeskriminalamt Sachsen für Extremismus, Terrorismus, polizeiliche Spionagebekämpfung; bis 1998 war er Chef des Staatsschutzes. Merbitz baute unter anderem die Sonderkommission gegen Rechtsextremismus (Soko Rex) auf.

Danach übernahm er bis 2004 die Leitung der Polizeidirektion Grimma, anschließend für drei Jahre die Polizeidirektion Westsachsen. Von 2007 bis 2012 war Merbitz sächsischer Landespolizeipräsident. Nach seinem Abschied aus Dresden war er bis jetzt Chef der Polizeidirektion Leipzig und leitete daneben fünf Jahre lang das Operative Abwehrzentrum gegen Extremismus.

Ende Januar 2019 geht Merbitz, der für sein Engagement gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit unter anderem vom Zentralrat der Juden mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet wurde, nach 44 Dienstjahren in den Ruhestand. Kritiker werfen ihm bis heute seine DDR-Karriere und die SED-Mitgliedschaft vor. Seit 2008 gehört Merbitz als Beisitzer dem Landesvorstand der CDU in Sachsen an, für die er auch bei der kommenden Landtagswahl am 1. September 2019 in Nordsachsen kandidiert.

Er ist katholisch, Vater von zwei Töchtern und einem Sohn. ski

Von Andreas Debski