Urteil nach Tagebaubesetzung – Leipziger Journalist wirft Mibrag Angriff auf die Pressefreiheit vor

Nächster Gerichtsentscheid nach der Besetzung eines Braunkohletagebaus bei Neukieritzsch vor drei Jahren. Ein Leipziger Journalist bekommt ein recht mildes Urteil, will das aber nicht akzeptieren.

Nach der Besetzung eines Braunkohletagebaus bei Neukieritzsch (Landkreis Leipzig) vor drei Jahren hat das Amtsgericht Borna jetzt einen Leipziger Journalisten wegen Hausfriedensbruch verwarnt. Der Richterspruch ist vergleichsweise mild. Der Verurteilte will ihn trotzdem nicht akzeptieren.

Der Hintergrund: Am 30. November 2019 waren etwa 1000 bis 1200 Braunkohlegegner in den Tagebau „Vereinigtes Schleenhain“ eingedrungen. Sie hatten dort den Abbau blockiert. Die Polizei hatte nur von wenigen die Personalien festgestellt. Das Bergbauunternehmen Mibrag stellte dann Strafanträge wegen Hausfriedensbruchs gegen Teilnehmer, deren Namen es in Erfahrung gebracht hatte.

Verwarnung mit angedrohter Strafe

Darunter waren auch Journalisten. Deren Namen entnahm die Mibrag mutmaßlich den damaligen Veröffentlichungen. Gegen einen Journalisten, der damals für die LVZ berichtet hatte, wurde das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt.

Im nächsten Prozess mit einem Journalisten auf der Anklagebank ist der Leipziger Marco Brás dos Santos jetzt verurteilt worden. Gemessen an zuvor in anderen Prozessen ausgesprochenen Geldstrafen, ist das Urteil gegen ihn jedoch vergleichsweise mild. Das Gericht sprach nur eine Verwarnung mit Strafvorbehalt aus.

Es gilt eine Bewährungszeit von einem Jahr. Für den Fall, dass er die Bewährung nicht einhält, droht dem freien Journalisten aus der Messestadt eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je zehn Euro. Aber auch das will er nicht akzeptieren, hat er der LVZ gesagt.

Vorwurf: Gezielte Klagen

Marco Brás dos Santos bezeichnet sich selbst als „Journalisten mit Fokus auf Freiheitsrechten“. In diesem Fall geht es ihm um die Pressefreiheit. Die sieht er von den Strafanträgen der Mibrag gegen Presse- und Medienvertretern gefährdet. Wörtlich sagte er: „Es handelt sich um einen gezielten Angriff auf die Pressefreiheit.“

Für das Vorgehen von Unternehmen gegen Journalisten mit Klagen gebe es sogar einen Begriff. „Slapp“ erklärt dos Santos steht für „Strategic lawsuits against public participation“. Auf Deutsch: „Strategische Klagen gegen die Beteiligung der Öffentlichkeit“.

Ziel solcher Verfahren ist, Journalisten zum Schweigen zu bringen, sagt er. Indem er das Urteil nicht akzeptiert, womit das Verfahren vermutlich fortgesetzt wird, wolle er „dem Phänomen die erforderliche Öffentlichkeit verschaffen“.


18.11.2022 – LVZ

Geldstrafe nach Tagebaubesetzung – Klimaaktivistin will Urteil des Bornaer Gerichtes nicht akzeptieren

Nach zwei Verhandlungstagen ist der Prozess gegen eine Tagebaubesetzerin am Amtsgericht Borna zu Ende gegangen. Sie erhielt tosenden Beifall und will das Urteil wegen Hausfriedensbruchs nicht akzeptieren.

Ob der Vorwurf des Hausfriedensbruchs haltbar ist, wurde schon bei bisherigen Verfahren in den vergangenen Monaten nicht restlos geklärt. Die Ansichten, ob das Tagebaugelände hinlänglich abgegrenzt und umfriedet war, gingen auseinander. Es gab Freisprüche, einige Verfahren wurden eingestellt, und es gab mindestens eine Verurteilung, die angefochten wird.

Im Kern stützte sich die Verteidigung diesmal nicht auf die konkreten Umstände an der Tagebaukante. Vielmehr versuchte sie, Klimaschutz als das höhere Rechtsgut gegenüber dem Anspruch des Tagebaubetreibers zu werten.

Staatsanwalt: Nur eine abstrakte Gefahr

Verteidiger Christian Mucha verwies unter anderem auf eine Entschließung des Europäischen Parlaments, welches zwei Tage vor der Tagebaubesetzung den Klima- und Umweltnotstand ausgerufen hatte. Bei unumkehrbaren Klimaschäden müssten Übertretungen des Strafrechtes hingenommen werden, sagte Mucha sinngemäß. Dies sei in diesem Fall gerechtfertigt „wegen existenzieller Gefahren durch globale Erwärmung“.

Staatsanwalt Alexander König wollte dies nur gelten lassen für den Fall einer konkreten Gefahr. Er hielt Reisch und den Klimaaktivisten zugute, „dass Sie keine bösartigen Absichten haben“. Es liege aber nur eine abstrakte Gefahr vor, und die rechtfertige keine Straftat.

Besetzer wollen politische Veränderungen vorantreiben

Gegen diese Auffassung wandte sich Sina Reisch ganz energisch in ihrem klimapolitischen Schlusswort, das sie von einem sechsseitigen Manuskript ablas. Sie berichtete von einem Tsunami in Thailand mit vielen Toten, Verletzten und weiteren schlimmen Folgen, den sie 2010 in Thailand miterlebt hatte, und hielt Staatsanwalt König vor: „So viel zum Thema konkrete Gefahr.“

Bei der Aktion im November 2019 sei es darum gegangen, konkrete Zerstörung zu verhindern, die von Baggern und der Kohleverstromung ausgeht. Außerdem sei es darum gegangen, „den Kohleabbau und seine katastrophalen Folgen zu skandalisieren und politische Veränderungen voranzutreiben“.

Sie stehe wegen ihrer Beteiligung an einer politischen Aktion gegen einen Braunkohletagebau vor Gericht, weil die Mibrag Angst vor der Klimagerechtigkeitsbewegung hat, sagte Reisch. Das Unternehmen will diese Bewegung mit juristischen Mitteln einschüchtern, lautete ihr Vorwurf.

Viel Applaus für klimapolitisches Schlusswort

Reisch bezog sich auch auf die Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom April 2021. Mangelnder Klimaschutz, sagte sie, schränkt die Grundrechte der jungen und zukünftigen Generation ein und ist eine Gefährdung der Demokratie.

Ihre Anhänger im Saal quittierten die Rede mit langem, tosendem Applaus und zustimmenden Rufen. Richter Frank Pätzold ließ die Zuschauerinnen und Zuschauer gewähren, sich aber nicht beeindrucken. Die Klimaveränderung, sagte der Richter, betrifft alle. Die Frage sei aber, ob politischer Protest auch Straftaten rechtfertigt. „Das sehe ich nicht so.“

Er verurteilte Sina Reisch zu einer Geldstrafe von 345 Euro – deutlich weniger, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Die Klimaaktivistin sagte gleich im Anschluss der LVZ, sie werde das Urteil nicht akzeptieren. Damit dürfte sich demnächst das Landgericht Leipzig mit dem Fall beschäftigen.


13.10.2022 LVZ

Vereinigtes Schleenhain – Juliane Nagel im Prozess wegen Tagebau-Besetzung verurteilt

Fast drei Jahre ist es her, dass Klimaaktivisten den Tagebau Vereinigtes Schleenhain besetzt haben. Jetzt stand deswegen die Leipziger Linken-Politikerin Juliane Nagel vor Gericht – und wurde verurteilt.

Prominenter Besuch am Amtsgericht Borna: Dort wurde am Donnerstag gegen die Leipziger Linken-Politikerin Juliane Nagel verhandelt. Die Stadträtin und Landtagsabgeordnete saß wegen Hausfriedensbruchs auf der Angklagebank – und wurde für schuldig befunden.

Hintergrund waren Proteste des Klimaaktionsbündnisses „Ende Gelände“ vor knapp drei Jahren. Am 30. November 2019 waren rund 1200 Demonstranten auf dem Gelände des Tagebaus Vereinigtes Schleenhain südlich von Leipzig ins Abbaufeld Peres vorgedrungen und hatten dabei den damaligen Erkenntnissen zufolge einen Zaun niedergetreten. Mit Juliane Nagel und Marco Böhme waren zwei Abgeordnete des sächsischen Landtages unter den Demonstranten.

Klimapolitik spielt vor Gericht keine Rolle

Die Verhandlung gegen Nagel war nicht die erste im Rahmen der juristischen Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse, aber die erste gegen prominente Angeklagte. Zum Aktionsbündnis „Ende Gelände“ zählt nicht nur Nagels Fraktionskollege Böhme, sondern unter anderem auch die eigene Pressesprecherin Sina Reisch sowie der Journalist Marco Bras dos Santos.

In der vierstündigen Verhandlung spielten die klimapolitischen Absichten der Tagebaubesetzer jedoch keine Rolle. Stattdessen ging es einzig und allein um die Frage, ob Juliane Nagel sich des Hausfriedensbruches schuldig gemacht habe. Die Verteidigung sagte dazu nein und forderte Freispruch. Verteidigerin Rita Belter aus Leipzig begründete das einerseits mit dem angeblich nicht ausreichend eingefriedeten Gelände des Tagebaus und zum anderen mit der Rolle der Linken-Politikerin. Juliane Nagel äußerte sich zu den ihr gemachten Vorwürfen im Gerichtssaal nicht.

Google zeigt einen Radweg auf Tagebaugelände

Detailreich und langwierig diskutierten Verteidigerin Belter und Staatsanwalt Ricardo Schulz darüber, wann ein Privatbesitz hinreichend erkennbar als eingegrenzt gelte. Die Kontrahenten stritten über Zäune, ein offenes Tor, Betretungsrechte für Anwohner des Dorfes Kieritzsch direkt am Tagebau und über einen Radweg, den Google immer noch als öffentlich anzeigt, der aber über Mibrag-Gebiet verläuft.

Zäune standen damals offenbar nur auf rund zwei der ungefähr zehn Kilometer langen äußeren Umfassung des Tagebaus. Laut der Vertreter des Bergbauunternehmens Mibrag hätten ansonsten Schilder gestanden, Abbruchkanten hätten natürliche Grenzen gebildet. Der Verteidigerin reichte das als „äußerlich erkennbare Schutzwehr“ nicht aus. Ein Betreten des Tagebaus sei an einigen Stellen „ohne Weiteres möglich“ gewesen.

Nagel soll Vermittlerin gewesen sein

Belter stellte zudem in Frage, dass ihre Mandantin unberechtigt auf dem Mibrag-Gelände gewesen sei. Dafür führte sie deren orangefarbene Schutzweste ins Feld, die sie aus dem Meer der weißen Anzüge der anderen Demonstranten abhob. Außerdem habe Juliane Nagel am Nachmittag mit dazu beigetragen, dass die Demonstration friedlich endete und die Teilnehmer das Gelände verließen. Sie habe daher eine Rolle als Vermittlerin zwischen Polizei und Demonstranten eingenommen und sei „parlamentarische Beobachterin“ gewesen.

Staatsanwalt und Richter sehen Schuld als erwiesen an

Doch dafür, darauf wiesen Richter Thomas Sternberger und Staatsanwalt Schulz mehrfach hin, gebe es keinerlei offizielle Bestätigung des Landtages. Selbst wenn dem so wäre, so Schulz, hätte die Landtagsabgeordnete keine Sonderrechte gehabt. Auch sie hätte „das grundsätzliche Eigentumsrecht“ beachten müssen. „Frau Nagel ist einfach mitgelaufen über die niedergetretenen Zäune“, stellte Schulz fest. Und genau das sei eine Straftat gewesen. Er forderte eine Verurteilung der Politikerin zu einer Geldstrafe in Höhe von 6000 Euro.

Richter Sternberger sah die Schuld der Angeklagten ebenfalls als erwiesen an, blieb aber im Strafmaß unter dessen Forderung. Er verurteilte Juliane Nagel zur Zahlung von 2250 Euro, außerdem muss sie die Kosten des Verfahrens tragen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidigung erwägt, das Urteil anzufechten, sagte Rita Belter der LVZ.