Radikale Klimaschützer – Letzte Generation: Angst vor der Klimakrise – aber nicht vorm Gefängnis
Sein Engagement für die Letzte Generation hat Jakob Beyer in den Knast gebracht – aufhören will er trotzdem nicht. Wie radikale Klimaschützer gerade die Sicherheitsbehörden herausfordern.
Leipzig. Im Flur von Jakob Beyer herrscht Chaos: Klamotten häufen sich, Kartons stehen herum, Schränke, die noch keinen Platz gefunden haben. Beyer ist eigentlich schon im September in die Altbauwohnung im Leipziger Süden gezogen. Um es sich so richtig gemütlich zu machen, fehlte ihm aber bisher die Zeit. Er war ja so viel unterwegs, klebte sich auf die A100 in Berlin, auf eine Ampelkreuzung in München. Beyer ist Sprecher der Letzten Generation, er hat 22 Tage mit anderen radikalen Klimaschützern in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim gesessen. Seitdem er wieder zurück ist, muss sich Jakob Beyer zweimal täglich bei der Leipziger Polizei melden – damit er nicht gleich wieder los fährt. Bisher hat er sich dran gehalten. Bei der Besetzung des Flughafens in München war der 29-Jährige nicht dabei. Ob das so bleibt – er weiß es nicht. „Eigentlich will ich mich nicht vom Protest abhalten lassen.“
Für ihre Kompromisslosigkeit wird die Letzte Generation gehasst und bewundert. Autofahrer bepöbeln die radikalen Klimaschützer, der Regisseur Volker Lösch will ein Theaterstück über sie machen. Es gibt fast keinen Politiker, der nicht etwas zum Thema zu sagen hätte. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer kritisierte im LVZ-Talk die Form des Protestes. Und jetzt interessieren sich auch noch Innenminister und Verfassungsschützer für so jemanden wie Jakob Beyer – denn wie soll man mit Menschen umgehen, die immer wieder Grenzen überschreiten? Weil die Klimakrise bei ihnen mehr Schrecken entfaltet als Geld- oder Haftstrafen.
Jakob Beyer teilt sich die Wohnung mit zwei anderen radikalen Klimaschützern. Im Flur liegt eine der orangefarbenen Warnwesten, die sie bei den Straßenblockaden tragen. Das Zimmer von Beyer ist karg eingerichtet: Auf dem Boden ein Futon, der sich zur Couch zusammen klappen lässt, in der Ecke ein kleiner Schreibtisch, ein paar Grünpflanzen stehen herum. Die Gitarre erinnert an die Zeit, als Jakob Beyer noch nicht ständig auf der Straße klebte. Er ist in Berlin aufgewachsen, im Prenzlauer Berg. „Privilegiert“, wie er sagt. Beyer hat Blockflöte gelernt, spielte Tischtennis, trainierte Thai-Boxen. Nach dem Abitur studierte er Ökologie und Umweltplanung, begann anschließend eine Tischler-Lehre. In seiner Freizeit ging er klettern, zeltete mit Freunden.
Seine Lehre als Zimmermann hat Beyer hingeschmissen
Jakob Beyer hat sich schon immer irgendwie für Politik interessiert, die Klimakrise. Aber als er mal bei Friday for Future mitgelaufen ist, stand am Ende die Erkenntnis: Es bringt nichts. Im Herbst 2021 lernte Jakob Beyer Henning Jeschke kennen. Der hatte ein Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz durch Hungerstreik erzwungen. Jeschke gilt als einer der Mitbegründer der Letzten Generation. Er kann so über die Klimakrise reden, dass man glaubt, die Menschheit stehe am Abgrund, dass schnell etwas passieren müsse. Jakob Beyer glaubt das auch.
Seine Lehre als Zimmermann hat er mittlerweile hingeschmissen. Wenn es darum geht, die Welt zu retten, will er keine Zeit verlieren. Beyer hat eine Öl-Pipeline zugedreht, er klebte sich an den Bilderrahmen eines Gemäldes, rannte während eines Fußballspiels über den Rasen. Beyer gilt bei der Letzten Generation mittlerweile als ziemlich erfahren. Aber bei den Straßenblockaden, da wird ihm bis heute flau im Magen. Weil er nie weiß, wie die Leute reagieren. Ob sie reden wollen – oder pöbeln.
Doch wenn Beyer auf der Straße sitzt, stehen im Stau eben nicht nur wütende Autofahrer, sondern auch Krankenwagen. Oder ein Vater, der sein Kind ins Krankenhaus fahren will. „Es kommt immer wieder vor, dass Rettungswagen im Stau stehen.“ Wer das ändern wolle, muss die Städte autofrei machen. Es sind Sätze, die Beyer im Gespräch mit Journalisten wiederholt. Auf Widerspruch reagiert Beyer mit einem weiteren Mantra der „Letzten Generation“: „Die Bundesregierung hat es in der Hand, das zu beenden.“ Die „Letzte Generation“ will ein Tempo-Limit auf der Autobahn, die Wiedereinführung des 9-Euro-Tickets, den Ausbau des ÖPNV. „Wenn diese Forderungen erfüllt werden, sind wir sofort weg“. Für Jakob Beyer klingt das nach einer einfachen Lösung, für seine Kritiker nach Erpressung.
Von den Diskussionen über Strafverschärfungen profitierte vor allem die „Letzte Generation“
Weder der Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen, noch Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD haben sich bis jetzt mit den radikalen Klimaschützern zusammengesetzt – die radikalen Klimaschützer sind stattdessen ins Visier der Sicherheitsbehörden geraten. Wochenlang liefen Diskussionen über Strafverschärfungen und Präventivhaft. Geschwächt hat es die Letzte Generation nicht – sie hat profitiert. Es gab Petitionen, Demonstrationen, plötzlich wollten immer mehr Leute mitmachen. Jakob Beyer schätzt die Zahl der Unterstützer mittlerweile auf mehr als 500. Angefangen haben sie ungefähr mit 30. Die Bundesländer wollen nun ein Lagebild zu der Bewegung erarbeiten. Sachsens Innenminister, Armin Schuster (CDU), will dabei den Fokus auf die Strukturen legen. Die Letzte Generation ist in Sachsen nicht besonders aktiv – bei besonders spektakulären Aktionen waren in der Vergangenheit aber auch immer wieder Leipziger dabei.
Am 23. August stieg Jakob Beyer in der Dresdner Gemäldegalerie über die Absperrung vor der Sixtinischen Madonna, neben ihm Maike Grunst, ebenfalls Leipzigerin. Mit Sekundenkleber pappten sie sich an den vergoldeten Rahmen. Wie immer ließen sie sich dabei filmen. Die Polizei kam, ein Verfahren wurde eingeleitet: Wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung. So weit die Routine. Doch Monate später, am 24. November, fuhren vor dem Wohnhaus von Jakob Beyer Polizeiwagen vor. Die Beamten gingen in seine Wohnung, sie mussten nicht lange nach seinem Zimmer suchen. An der Tür steht sein Name. Sie nahmen einen USB-Stick mit, eine externe Festplatte.
Beyer saß zu der Zeit in Bayern im Gefängnis, von der Durchsuchung erfuhr er aus dem Fernsehen. BildTV berichtete live. Auch bei Maike Grunst fuhren Polizisten vor – aber auch beim Mitbegründer der „Letzten Generation“, Henning Jeschke. Sie nahmen unter anderem mehrere Laptops mit. Die Ermittlungsbehörden glauben, dass er die Person war, die die Aktion in Dresden gefilmt hat. Jeschke lebt in Greifswald. Er sagt, er sei an besagtem Tag überhaupt nicht in der Stadt gewesen. Jakob Beyer bestätigt seine Darstellung. Die Hausdurchsuchungen, bei denen auch Beamte des Polizeilichen Terror- und Abwehrzentrum des Landeskriminalamt beteiligt waren, nennt er eine „Machtdemonstration“.
Die Letzte Generation finanziert Beyer die Miete
In einem Statement des sächsischen Innenministeriums hieß es zuletzt, Strafermittlungsbehörden müssten ermitteln, ob netzwerk- oder gruppenartige Strukturen vorlägen und der Frage nachgehen, „wer die Steuerung innehat“. Die „Letzte Generation“ ist eine verschworene Truppe, die jedoch gezielt die Öffentlichkeit sucht. Radikale Klimaschützer geben Interviews und treten in Talkshows auf. Ihre Vorträge, ihre Trainings bewerben sie auf der eigenen Webseite. Dort steht auch wie die „Letzte Generation“ sich finanziert: Über Spenden. Die stammen wohl vor allem vom „Climate Emergency Fund“. Das Geld der Organisation stammt wiederum zum großen Teil von einer Frau, deren Familie viel Geld mit Ölgeschäften gemacht hat. Wie hoch die Summe ist, die die „Letzte Generation“ zur Verfügung hat, ist unklar – aber es reicht aus, um Jakob Beyer und anderen radikalen Klimaschützern die Miete zu finanzieren – und was sie sonst noch brauchen.
Die Sicherheitsbehörden interessiert aber auch, wie die Letzte Generation sich organisiert, ihre Aktionen plant. Zu viel will Jakob Beyer deswegen nicht verraten. Er kann sagen, dass es Bezugsgruppen gibt, die zum Beispiel die Namen verschiedener Bäume tragen. Innerhalb dieser Gruppen laufen offenbar die Absprachen. Bei Straßenbockaden wird abgeklärt, wer wo sitzen soll. Den genauen Einsatzort erfahren aber die meisten erst kurz vorher. Wegen dieser straffen Organisation, der Begehung von Straftaten, will etwa der Innenminister von Brandenburg prüfen lassen, ob es sich bei der „Letzten Generation“ um eine kriminelle Vereinigung handelt. Die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin hat die Frage bereits negativ beschieden.
Und in Sachsen will Innenminister Armin Schuster Bezüge zur linksextremen Szene prüfen lassen. Die Klebe-Aktion in der Dresdner Gemäldegalerie hat die Polizei als linke Straftat eingestuft, was bei hiesigen Innenpolitikern für hefige Kritik sorgt. Stört es Jakob Beyer nicht, dass da gerade sehr viel mehr über politische Kategorien gesprochen wird als den Klimaschutz? „Alles, was für Aufmerksamkeit sorgt, nützt dem langfristigen Ziel“, sagt er. Und dann steht Jakob Beyer wieder im Flur der Wohnung und findet, dass er in den nächsten Tagen mal aufräumen könnte. Bevor er wieder raus fährt, bevor er wieder auf der Straße sitzt.