Zugriff bei Protest gegen Corona-Spaziergänger in Chemnitz: Vorgehen der Polizei war „riesen Rechtsbruch“
An einem Abend vor einem Jahr trafen 400 Corona-Spaziergänger auf 27 Gegendemonstranten. Erlaubt war beides nicht.
Die Polizei griff nur auf einer Seite durch. Der Fall kam jetzt vor Gericht.
Den 400 „Spaziergängern“ ohne Maske stellten sich an diesem Abend 27 linke Gegendemonstranten in den Weg, die Masken trugen. Diese Demo war zwar angemeldet, aber aufgrund der Einschränkungen auch verboten. Im Nachgang unerklärlich: Die Polizei griff nur auf einer Seite durch. „Bei dem Einsatz, bei dem Gegendemonstranten von einigen Polizisten im Lauf angesprungen, auf den Boden geworfen und gefesselt wurden, gab es nach Angaben des Bündnisses ‚Chemnitz Nazifrei‘ Verletzte“, berichtete „Freie Presse“ damals.
Wenige Wochen später erhielten die Teilnehmer der Gegendemo einen Bußgeldbescheid. Der Vorwurf: Ordnungswidrigkeit gegen das Infektionsschutzgesetz. 250 Euro sollte jeder zahlen. Sie weigerten sich, sodass sich die neun damaligen Gegendemonstranten am Dienstag vor dem Amtsgericht verantworten sollten. Etwa 15 junge Leute und zwei Anwälte hatten sich in einem Verhandlungssaal im ersten Stock des Gerichtsgebäudes eingefunden. Alle mit Maske geschützt, obwohl dies nicht mehr vorgeschrieben ist. Der Richter fand deutliche Worte. Hier sei „offensichtlich ein riesen Rechtsbruch“ geschehen, ordnete er das damalige Vorgehen der Ordnungshüter ein. Ein paar Hundert Corona-Spaziergänger habe man laufenlassen. „Da hat die Polizei nicht oder wenig hingeschaut“, betonte der Richter. Diese Demonstration sei nicht aufgehalten oder unterbunden worden, obwohl man sie hätte auflösen können.
Umgekehrt sei aber auch die Gegendemonstration rechtswidrig gewesen, stellte er fest. 27 Demonstranten seien 17 zu viel gewesen. Doch wenn die Polizei meine, eine Demo mit ein paar Hundert Personen nicht unterbinden zu müssen, dann könne er die Teilnehmer einer kleinen Demo auch nicht unbedingt mit einem Bußgeld belangen. Deshalb werde er die Verfahren einstellen – wenn die Teilnehmer ihr rechtswidriges Verhalten einräumten und bereuten.
Reue und Entschuldigung
Die neun Demo-Teilnehmer, alle nicht vorbestraft, folgten dem und entschuldigten sich. Er habe versucht, sich an das Infektionsschutzgesetz zu halten und Maske getragen, erklärte ein 25-Jähriger. Sollte er bei der Demo dennoch ein Risiko gewesen sein, tue ihm das leid. Es sei „unfassbar notwendig gewesen“, sich gegen das undemokratische Vorgehen der „Spaziergänger“ zu engagieren, ergänzte ein anderer, 26-Jähriger. Das Verfahren gegen drei weitere Teilnehmer wurde auf April vertagt, da sich die Studenten derzeit im Ausland aufhalten. Die Prozesskosten trägt der Staat.
Betroffene erleichtert
Die Verhandlung sei ein Zeichen an die Polizei, fasste eine Betroffene im Nachgang zusammen. Sie sei damals durch das rüde Eingreifen der Polizei leicht verletzt worden, berichtete sie. Dass das Verfahren eingestellt wurde, wundere sie nicht. Ebenso wenig die klaren Worte des Richters. Sie erinnere sich, wie ein Polizist einem „Spaziergänger“ noch eine Route empfahl, während sie umgekehrt zu Boden geworfen wurde. In einer Stellungnahme erklärten die Betroffenen Dienstagabend gemeinsam, dass der Richter „glücklicherweise“ das Handeln der Polizei in Frage stellte. „Wir sind erleichtert, dass die Monate der Anspannung und Ungewissheit vorbei sind. Wir empfinden das als kleinen Teilsieg.“
Die Polizei will sich nach Anfrage der „Freien Presse“ vom Dienstag am Mittwoch zu den Vorgängen äußern, so ein Sprecher. Anfragen der „Freien Presse“ von vor einem Jahr zu dem Vorgang, hatte die Polizei damals mit Verweis auf eine interne Auswertung nicht beantwortet.