Radikale Klimaschützer gelten in Sachsen als linke Straftäter
Die sächsischen Sicherheitsbehörden bewerten die Klebe-Aktion in der Dresdner Gemäldegalerie als linke Straftat. Die sehr allgemeine Begründung des Innenministeriums sorgt für Kritik.
Leipzig. Es gehe nur um Beweise – so hatte das Landeskriminalamt in Sachsen zuletzt die Hausdurchsuchung bei zwei radikalen Klimaschützern in Leipzig begründet. M. G. und J. B. hatten sich im August in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden an den Bilderrahmen der „Sixtinischen Madonna“ geklebt. Sie filmten sich, stellten die Videos online – und so standen mehrere Fragen im Raum. Welche Beweise werden da noch benötigt und: Warum beteiligen sich Beamte des Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrums (PTAZ) an einem Verfahren, bei dem es um gemeinschädliche Sachbeschädigung und einen Schaden von 4000 Euro geht?
Mittlerweile ist klar: Es geht bei der „Letzten Generation“ um sehr viel mehr. Vergangene Woche einigten sich die Innenminister darauf, ein bundesweites Lagebild zu erstellen – offenbar auf Initiative von Armin Schuster. Der sächsische CDU-Innenminister will schon seit Längeren die Strukturen der „Letzten Generation“ in den Blick nehmen, deren Aktionen er als „politisch motiviert“ sieht. Und nun ist auch klar, wie hiesige Sicherheitsbehörden diese konkret einordnen: Die Klebe-Aktion in der Gemäldegalerie wird als linke Straftat gewertet. Das erklärte das Innenministerium auf Nachfrage der LVZ.
Begründung „an den Haaren herbei gezogen“
In der Begründung wird weder auf eine entsprechende Einstellung der Beteiligten verwiesen, noch auf konkrete Verbindungen zu Strukturen. Stattdessen begründet das Innenministerium die Einschätzung ganz allgemein mit dem Motiv: So sei „die Thematik des Klima- und Umweltschutzes“ im Bereich der politisch motivierten Kriminalität (PMK) „seit Jahren fest in der linken Szene verankert“. Für das konkrete Verfahren gegen M. G. und J. B. hat diese Einschätzung keinen Einfluss, sie dürfte jedoch Auswirkungen für die langfristige Bewertung der „Letzten Generation“ haben. Innenminister Armin Schuster will klären, „ob es Bezüge zur linksextremen Szene“ gibt – und auch Thüringens Verfassungsschutzchef, Stephan Kramer, warnte im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vor einer entsprechenden Vereinnahmung.
Dass die „Letzte Generation“ nun in die linke Ecke gesteckt wird, treibt den innenpolitischen Sprecher der SPD, Albrecht Pallas, um. Über die Mittel der radikalen Klimaschützer könne man diskutieren. Aber: „Wir reden hier von einem Teil der Klimabewegung, der heterogen ist, bei dem es keine Bezüge zu Marxismus oder Anarchismus gibt. Die ’Letzte Generation’ lehnt Gewalt ab, sie haben konkrete politische Forderungen, die man nachlesen kann.“ Die Begründung für die Einordnung der Klebe-Aktionen in den Bereich der linksmotivierten Kriminalität, bezeichnet Pallas deshalb als „an den Haaren herbeigezogen“. Der Klima-Aktivismus werde in den nächsten Jahren zunehmen. „Ich erwarte, dass sich die Sicherheitsbehörden differenziert damit auseinandersetzen und nicht vorurteilsbehaftete Bilder von politischen Aktionsformen zur Grundlage ihrer Arbeit machen.“
Befürchtung einer Radikalisierung
Tatsächlich gibt es die Möglichkeit politisch motivierte Straftaten aufzunehmen ohne sie in konkret einzusortieren. Unter die Kategorie „nicht zuzuordnen“ fielen 2021 viele Vorfälle im Zusammenhang mit Demonstrationen, die sich gegen Corona-Schutzmaßnahmen richteten, aber eben auch gegen ein demokratisch verfasstes System. Diese Einschätzung der Sicherheitsbehörden wurde auch der diffusen Lage gerecht, denn bei den Protesten mischten zwar Neonazis mit – aber viele Teilnehmer waren nicht per se rechtsextrem.
Dass nun die gemeinschädliche Sachbeschädigung als eindeutig linksmotiviert eingestuft wurde, findet auch die innenpolitische Sprecherin der Linken, Kerstin Köditz, für „völlig unangemessen“. „Ich bin mir nur noch nicht sicher, ob es das ein billiger Versuch der Kriminalisierung ist oder einfach nur Hilflosigkeit“, so Köditz. Das Vorgehen der „Letzten Generation“ entspreche nicht dem der linken Szene. „Mit dieser Szene haben viele Aktivistinnen und Aktivisten der Klima-Bewegung auch nichts zu tun.“
Köditz aber auch Albrecht Pallas glauben, dass die Art, wie Innenminister und Sicherheitsbehörden derzeit über die „Letzte Generation“ diskutieren, Auswirkungen auf deren weitere Entwicklung hat. „Die Bewegung bekommt bereits jetzt Zulauf, weil wir beim Klimaschutz zu langsam sind. Wenn in der öffentlichen Diskussion nicht rhetorisch abgerüstet wird, dann kann es passieren, dass sich die Leute erst recht radikalisieren.“