Landtagsgutachten hält Teile von Sachsens Verfassungsschutzgesetz für verfassungswidrig

In einer Expertise melden die Parlamentsjuristen „umfassenden“ Handlungsbedarf an. Wie aber reagieren die Koalitionäre von Sachsen-Kenia?

Überrascht dürften zumindest die Kenner der Materie kaum sein. Immerhin haben es die Landtagsabgeordneten nun schriftlich, dass auch für das Verfassungsschutzgesetz des Freistaats „aufgrund der Verfassungswidrigkeit“ mehrerer Passagen ein „umfassender gesetzgeberischer Änderungs- und Novellierungsbedarf“ besteht.Dieses Fazit hat jedenfalls der Juristische Dienst des Landtags gezogen, nachdem er von der Linken im Frühjahr um ein Gutachten gebeten worden war. Die Oppositionsfraktion hatte um eine Bewertung der Rechtmäßigkeit der sächsischen Regeln gebeten, nachdem das Bundesverfassungsgericht im April Bayerns Verfassungsschutzgesetz in mehreren Punkten für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt hatte. Betroffen waren Bayerns Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung, zum Einsatz sogenannter V-Leute und zu längeren Observationen, die gegen Grundrechte wie das Fernmeldegeheimnis oder den Schutz der informationellen Selbstbestimmung verstoßen. Die Befugnis, um Auskunft über Daten aus der Vorratsdatenspeicherung zu ersuchen, hatte Karlsruhe direkt für nichtig erklärt.

Sachsens Landesgesetz weist zwar bisher keine vergleichbaren Regelungen zu Online-Durchsuchung, Handy-Ortung oder Vorratsdatenspeicherung auf. Anderes ist aber ähnlich wie in Bayern auch in Sachsen geregelt – und müsste aus Sicht der Parlamentsjuristen überarbeitet werden, wie aus ihrer der „Freien Presse“ vorliegenden Expertise hervorgeht.

Als verfassungswidrig stufen sie etwa die bisherige Befugnis zur Wohnraumüberwachung ein, da es dort keine „Subsidiaritätsregelung gegenüber Gefahrenabwehrbehörden“ gebe. Zudem würden die Regelungen zum Schutz des Kernbereichs nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen. Damit ebenfalls unvereinbar sei die Vorschrift zum Einsatz von V-Leuten oder Observationen, da bei besonders intensiver oder längerfristiger Anwendung dieser nachrichtendienstlichen Mittel keine „unabhängige Vorabkontrolle“ vorgeschrieben sei und es an der „gesetzlichen Normierung differenzierter Eingriffsschwellen“ mangele.

Diese könnten zwar vom Landesamt in einer internen Vorschrift zur „heimlichen Informationsbeschaffung“ enthalten sein, dies genüge jedoch nicht, da nach Karlsruher Rechtsprechung der Gesetzgeber – also der Landtag – maßgebliche Gesichtspunkte zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit selbst regeln müsse und zumindest nicht vollständig einer Behörde überlassen dürfe.

Klare Regeln vermissen die Landtagsjuristen auch für den Umgang mit personenbezogenen Daten, die aus Auskunftsersuchen von Banken oder Telekommunikationsdienstleistern stammen. Lediglich gegen die bisherige Regelung zur Übermittlung von Daten aus Wohnraumüberwachungen zur Verfolgung besonders schwerer Straftaten bestünden keine Bedenken, heißt es.

Für die Linke-Abgeordnete Kerstin Köditz ist nach dem Gutachten erst recht klar, dass das „Kerngeschäft“ des Landesamtes „derzeit auf ganz wackligen Beinen“ stehe. Das Regierungslager aus CDU, Grünen und SPD verweist darauf, dass die Gesetzesnovelle bereits in Arbeit sei. Tatsächlich lässt die von Innenminister Armin Schuster (CDU) im Mai angekündigte Novelle auf Basis des von ihm selbst als „richtungsweisend“ bezeichneten Karlsruher Urteils bisher noch auf sich warten.

Für die CDU-Fraktion komme es auf „die höchstmögliche Sicherheit für die Bevölkerung“ an, erklärte ihr Innenpolitiker Ronny Wähner. Sein SPD-Amtskollege Albrecht Pallas attestierte derweil den Landtagsjuristen, mit ihrem Gutachten „den Finger in die Wunde gelegt“ zu haben. Die Arbeit des Landesamtes müsse „ohne Zweifel verfassungsrechtlichen Maßstäben genügen“.

Die Grünen halten Sachsens Gesetz für „grundsätzlich überarbeitungsbedürftig“, sagte Fraktionsvize Valentin Lippmann. Das Innenministerium müsse dem Landtag nun „zügig einen komplett überarbeiteten Gesetzentwurf vorlegen, der das sächsische Verfassungsschutzrecht von Grund auf neu aufstellt“. Allerdings sollte dabei auch die in Kürze erwartete Karlsruher Entscheidung zum hessischen Verfassungsschutzrecht berücksichtigt werden.