Analyse – „Letzte Generation“: Verbindungen der radikalen Klimaaktivisten führen nach Leipzig

Sie kleben sich an Straßen fest, blockieren Flughäfen oder werfen Kartoffelbrei auf Gemälde – mit ihren Aktionen will die „Letzte Generation“ maximale Aufmerksamkeit. Mit dabei sind auch immer wieder Studenten aus Leipzig.

Leipzig. Die Aktion dauert nur wenige Sekunden – doch sie wird wochenlang für Aufregung sorgen: Ende Oktober kippen Aktivisten der „Letzten Generation“ im Potsdamer Museum Barberini Kartoffelbrei über ein millionenschweres Gemälde von Monet. „Der Heuschober“ ist zum Glück mit einer Glasscheibe gesichert, bleibt also von hässlichen Spritzern verschont – trotzdem entzündet sich an Gemälde und Kartoffelbrei eine kontroverse Diskussion. Über bessere Sicherheitsmaßnahmen in Museen und die Grenzen von Protest. „Bei allem Verständnis für das drängende Anliegen der Aktivisten angesichts der Klimakatastrophe bin ich erschüttert über die Mittel“, sagte damals die Museumsdirektorin.

Die „Letzte Generation“ will stören, irritieren – und eben auch erschüttern, weil sie glaubt, nur so konkrete gesetzliche Maßnahmen für mehr Klimaschutz zu erzwingen. Etwa ein Tempolimit auf Autobahnen. Die Mitglieder der radikalen Bewegung kleben sich mittlerweile fast täglich auf Deutschlands Straßen fest. Am Flughafen BER blockierten sie den Flugverkehr.

Leipzig spielt bei Klimaaktivisten eine Rolle

Viele von ihnen kommen aus Leipzig. Auffällig ist auch deren Präsenz bei besonders umstrittenen Aktionen. Da ist Mirjam H. . Sie hat sich von einer Autobahnbrücke abgeseilt – bekannt wurde sie jedoch durch die Kartoffelbrei-Aktion in Potsdam. Da ist Caris C., die sich mit ihrem Sohn an ein Dinosaurierskelett klebte. Und da sind Maike G. und Jakob B. Die beiden hatten sich in Dresden an den Rahmen der berühmten Sixtinischen Madonna geklebt. Seitdem läuft gegen sie und zwei weitere Personen ein Verfahren wegen Sachbeschädigung. Am Donnerstag durchsuchte die Polizei deren Wohnungen, sicherte Speichermedien und Sekundenkleber.

Und mittlerweile stellt sich die Frage, welche Rolle hiesige radikale Klimaschützerinnen bei der Durchführung der Aktionen der „Letzten Generation“ spielen. Wenn man dazu die Pressestelle Bewegung befragen will, muss man eine Berliner Nummer wählen, landet dann bei Carla Rochel. In Leipzig. Bis vor Kurzem hat sie noch in Heidelberg studiert, lebt jetzt aber als Vollzeit-Aktivistin in der Messestadt. Sie sagt: „Leipziger sind bei uns schon ziemlich stark vertreten.“ Rochel erklärt sich das ein Stück weit mit der Geschichte der Stadt. Rochel verweist auf den Kampf für das Frauenwahlrecht, die friedliche Revolution 1989. Hilfreich ist aber sicher auch, dass Leipzig beliebt bei Studenten ist, Bewegungen wie die „Letzte Generation“ an bereits bestehende linke Netzwerke andocken können.

Vom Vortrag zum Training

Wer Teil der „Letzten Generation“ werden möchte, muss erst mal einen der Vorträge besuchen. Wie viele kommen, hängt zuweilen vom Stadtteil ab. Zu Veranstaltungen im Leipziger Osten, wo mittlerweile viele Studenten hinziehen, kommen manchmal 20 bis 40 Leute. In Gohlis waren es sehr viel weniger, derzeit finden Treffen in einem Café in Connewitz statt. Bei anschließenden Trainings lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, wie sie sich bei Straßenblockaden zu verhalten haben: Friedlich bleiben trotz aggressiver Autofahrer. Mit der Polizei kooperieren. Gleichzeitig gibt es auch einen Crash-Kurs in juristischen Fragen. Denn die Aktionen der „Letzten Generation“ sind strafbar.

In Deutschland laufen mittlerweile Hunderte Verfahren. Wie streng Sicherheitsbehörden und Justiz gegen die radikalen Klimaschützerinnen vorgehen, hängt von den Gerichten ab. In Berlin wurde ein Aktivist wegen Nötigung im Straßenverkehr zu 60 Sozialstunden verurteilt – das Amtsgericht Freiburg sprach einen 32-Jährigen von dem Vorwurf frei– allerdings hatte er sich auch nicht auf der Straße festgeklebt. In Bayern sitzen derzeit mehrere Aktivistinnen im Gefängnis, ohne vorheriges Strafverfahren. Die im Freistaat geltende Präventivhaft kann bis zu 60 Tage dauern. Eingeführt wurden die Sanktionen eigentlich, um terroristische Straftaten zu verhindern. Dass die bayerische Polizei sie jetzt anwendet, um radikale Klimaschützer davon abzuhalten, sich auf Straßen festzukleben, sorgt für viel Kritik.

Jurist bewertet Leipziger Razzia

In Sachsen gibt es keine Präventivhaft, doch auch scheinen die Sicherheitsbehörden härter durchgreifen zu wollen gegen die „Letzte Generation“. Zum Beispiel mit Hausdurchsuchungen. Das Landeskriminalamt begründet den morgendlichen Polizeieinsatz in Leipzig damit, weitere Beweismittel im Verfahren rund um die Aktion in der Gemäldegalerie sichern zu wollen.

Der Rechtswissenschaftler Alexander Brade sagt der LVZ, dass eine Hausdurchsuchung nach einer Sachbeschädigung im rechtlichen Rahmen liege. Im konkreten Fall findet er das Vorgehen jedoch „ungewöhnlich“. „Die Beschuldigten sind namentlich bekannt, es gibt Videos, die die eigentliche Tat zeigen – mir ist unklar, welche Beweise man da noch braucht.“ Aus Sicherheitskreisen erfuhr die LVZ, dass es tatsächlich auch darum geht, mehr über die hiesigen Strukturen zu erfahren.

Dass Leipzig eine zentrale Schnittstelle der „Letzten Generation“ sein könnte, wollten die Behörden nicht bestätigen. „Letzte Generation“-Sprecherin Carla Rochel will die aktuellen Vorgänge nicht weiter kommentieren. Ihre Botschaft ist nur: „Wir werden nicht aufhören, die überlebenswichtigen Fragen zu stellen.“