Proteste in Leipzig: Zuspruch bei linkem Bündnis bleibt hinter Erwartungen
Ursprünglich waren zur Großdemo „Jetzt reichts. Wir frieren nicht für Profite“ 10.000 Menschen in Leipzig erwartet worden. Am Protest am Samstag selbst beteiligten sich dann aber weniger als die Hälfte. Auch aufgrund parallel stattfindender Proteste war es dennoch ein dynamischer Nachmittag.
Mehrere Tausend Menschen sind am Samstagnachmittag mit verschiedenen Forderungen durch die Leipziger Innenstadt gezogen. So kamen zum Protest eines linken Bündnisses für mehr Umverteilung in der Energiekrise etwa 2000 bis 3000 Menschen auf den Augustusplatz zusammen, die anschließend auch auf dem Innenstadtring protestierten. Parallel dazu forderten mehrere Hundert Motorfahrerinnen und –fahrer bei einer gemeinsem Ausfahrt in die City billigere Spritpreise und zogen etwa einhundert Personen auf einer prorussischen Friedensdemo durch die Fußgängerzonen.
Das größte Augenmerk der mit einem Großaufgebot und vielen temporären Straßensperrungen agierenden Polizei galt der Initiative „Jetzt reichts. Wir frieren nicht für Profite“, zu der zahlreiche Gewerkschaften sowie politische und gesellschaftliche Gruppen aufgerufen hatten. Im Vorfeld war von bis zu 10.000 Teilnehmenden ausgegangen worden, die aber bei weitem nicht erreicht wurden. Mitorganisator Marco Böhme (Linke) zeigte sich dennoch sehr zufrieden. „Es ist der Anfang der Ferien und es ist auch unserer erste Demonstration. Ich glaube, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr Menschen erreichen“, so der Landtagsabgeordnete.
Die Proteste von „Jetzt reichts“ hatten am frühen Nachmittag mit einem Sternmarsch aus drei Himmelsrichtungen begonnen. Aus südlicher Richtung war die Leipziger Grundschullehrerin Rita mit dabei. „Uns geht es um ein Gesprächsangebot an die Politik.“ Es werde aktuell viel Geld in Waffen investiert, aber zu wenig in Bildung. „Kinder, Lehrer und Eltern werden in der aktuellen Situation wieder allein gelassen“, so die Pädagogin.
Umverteilung gefordert – Polizei stoppt Demozug
Zur Hauptkundgebung auf dem Augustusplatz hatte sich dann auch Volker mit Familie eingefunden. „Wir sind für eine Umverteilung. Nicht wir, die Bürgerinnen und Bürger, sollten die Kosten der Energiekrise tragen, sondern vor allem jene, die auch aktuell an der Krise am meisten verdienen“, so der Leipziger. Michael Sommer von der Gewerkschaft Verdi rief von der Bühne: „Es kann nicht sein, dass Menschen nach zehn Stunden Arbeit nach Hause kommen und dann Angst haben, dass sie nicht mehr warm durch können.“
Andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer ärgerte es, dass die Bundesregierung zu lange auf klimaschädliche Energie gesetzt habe und nun auch Atomkraftwerke länger laufen dürften. Nicht zuletzt war auch der Krieg in der Ukraine im Protestzug Thema: So machten einige USA, Bundesregierung und Nato für die Eskalation mitverantwortlich.
Die sehr diversen Ansätze waren beim Protestarsch um den Innenstadtring auch optisch in großen Lücken zwischen den verschiedenen Gruppen zu erkennen. Die Polizei ließ den Zug mehrfach stoppen, weil sich Teilnehmerinnen und Teilnehmer vermummt haben sollen und weil Pyrotechnik gezündet wurde. Wie Polizeisprecher Olaf Hoppe am Abend erklärte, sei von einigen Personen deshalb die Identität festgestellt worden. Ansonsten bleib der Protestmarsch aber ohne größere Vorkommnisse.
Biker demonstrieren gegen hohe Energiekosten
Zuvor hatten die Beamten am frühen Nachmittag bereits etwa 300 Motorradfahrerinnen und Motorradfahrer bei einer gemeinsamen Ausfahrt von der Neuen Messe durch die Stadt bis zum Simsonplatz vor dem Bundesverwaltunggericht begleitet. An dieser Bikerdemo mit dem Titel „Schluss mit lustig“ hatte sich auch Marco mit seinem Trike beteiligt. Er sei wegen der hohen Energie- und Spritpreise sowie der allgemein großen Ungerechtigkeit dabei. „Wir sollen für die hohen Strompreise blechen und die Politiker sitzen in ihren 500 Quadratmeter großen Wohnungen und machen nichts“, so der Biker aus dem Landkreis Leipzig.
Auf dem Leipziger Marktmarktplatz hatten sich unterdessen mehrere Hundert Personen bei der ansonsten auch montags demonstrierenden Bewegung Leipzig unter dem Motto „Frieden und eine freie Impfentscheidung“ versammelt. Auf der zwischenzeitlichen Demonstration durch die Einkaufsstraßen der Innenstadt wurde unter anderem ein Ende der bundesdeutschen Corona-Impfkampagne gefordert.
Zehn Demonstranten – zehn Motivationen: Warum Menschen in Leipzig protestieren
Mathias Orbeck – LVZ 16.10.2022
Ob Biker, Bewegung Leipzig oder Bündnis „Jetzt reicht’s“. Leipzig erlebte am Samstag unterschiedliche Kundgebungen. Zehn Menschen erzählen, was sie bewegt und warum gerade diese Demo für sie wichtig ist.
Diese Menschen gehen in Leipzig auf die Straße: Von der Biker-Demo „Schluss mit lustig“ über das Aktionsbündnis „Jetzt reicht’s“ bis hin zu „Frieden und freie Impfentscheidung“ der Bewegung Leipzig gab es am Sonnabend verschiedene Kundgebungen und Protestmärsche.
Demonstrationen in Leipzig: Darum gehen die Menschen auf die Straße
Die LVZ hat zehn Frauen und Männer befragt, was sie bewegt und warum sie sich gerade für diese entschieden haben. Das sind ihre Antworten:
Andreas Krüger (49), Arbeiter, beim Motorradaufzug „Schluss mit Lustig“: „Als Biker möchten wir natürlich mehr Verständnis für uns in der Bevölkerung erreichen. Motoradfahren ist unser Hobby, deshalb nutzen wir diese Form des Protestes. Bei einer unserer letzten Demos ging es um Fahrverbote, jetzt zeigen wir Solidarität mit allen Bürgern. Uns bewegen ja dieselben Themen. Auch wir müssen höhere Heizkosten, Lebensmittelkosten oder Spritpreise bezahlen. Und wir leiden unter dem wirtschaftlichen Druck. Es muss endlich was passieren! Deshalb passt das Thema ‚Schluss mit lustig‘ gut zu dieser Veranstaltung.“
Marika Zimmermann (39), Altenpflegerin, beim Motorradaufzug „Schluss mit Lustig“: „Ich habe mir die Ducati V2 bestellt, da gibt es inzwischen über ein Jahr Wartezeit. Es gibt keine Maschinen und Teile mehr, der Benzinpreis steigt einfach nur. In meiner Motorradgruppe, den Bikerfreunden Sachsen, sind etwa 550 Leute vertreten. Immer häufiger höre ich dort, dass viele meiner Bikerfreunde die Kosten in ihrer Familie nicht mehr bewältigen können und dass ihnen wohl nichts mehr anders übrigbleibt, ihr Motorrad verkaufen zu müssen. Deshalb wollen und müssen wir bei der Biker-Demo ein Zeichen setzen.“
Judith Mittelbach (32), Angestellte, auf der Kundgebung: „Menschenhandel und moderne Sklaverei“: „Nach wie vor leben Menschen in Sklaverei, werden festgehalten, ausgebeutet und missbraucht. Ich gehöre der globalen Menschenrechtsorganisation IJM an, die die Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken will. Dabei geht es um Sexsklaverei, Cypersex-Ausbeutung von Kindern, Arbeitssklaverei in Ziegeleien, Tabakfabriken, in der Bekleidungsindustrie… Wir sammeln Spenden für die Projektbüros in den Ländern in Afrika und Lateinamerika. Verteilen aber auch 80-Euro-Scheine, denn für einen durchschnittlichen Preis von 80 Euro werden Sklaven heute verkauft.“
Angela Müller (69), Rentnerin, bei der Kundgebung „Jetzt reichts! – Wir frieren nicht für Profite“: „Ich habe gerade von den Stadtwerken Briefe bekommen und mir mal ausgerechnet, was auf mich in diesem Winter zukommt. Da hat sich wieder gezeigt: Die Kleinen müssen zahlen, die Großen verdienen sich eine goldene Nase. Irgendwelche Verschwörungstheorien sind nicht mein Ding. Aber das Aktionsbündnis ‚Jetzt reicht’s‘ greift die Themen, die mich bewegen, gut auf. Deshalb bin ich hier auf dieser Demonstration.“
Florian Bach (41), selbstständig, bei der Kundgebung „Jetzt reichts! – Wir frieren nicht für Profite“: „Der Angriffskrieg Russlands hat uns wieder deutlich gemacht, wie sehr wir von fossilen Energien abhängig sind. Statt massiv auf erneuerbare Energie zu setzen, machen wir uns wieder abhängig von Gas aus anderen Quellen. Die Grünen sind vor RWE eingeknickt, statt eine solidarische und klimagerechte Zukunft für uns alle zu schaffen. Dörfer werden weiter abgebaggert. Deshalb ist mir diese Demo wichtig, um auf Klimaschutz und Umweltprobleme aufmerksam zu machen.
Dieter Janke (67), Rentner, bei der Kundgebung „Jetzt reichts! – Wir frieren nicht für Profite“: „Die steigenden Lebenshaltungskosten und was sich da am Horizont noch abzeichnet, bewegen mich. Zwar habe ich keine direkte Zukunftsangst, ich bin ja im Ruhestand und konnte auch ein wenig dafür zurücklegen. Für junge Leute, ich merke das an den eigenen Kindern, ist es sehr kompliziert geworden, ihr Leben zu bestreiten. Vor allem für die, die im Beruf stehen oder eine eigene Familie gründen wollen. Deshalb unterstützte ich das Aktionsbündnis, das diese sozialen Themen anspricht und Veränderungen fordert.“
Sylke Hanke-Leichsenring (56), Verkäuferin im Naturkostladen, auf der Abschlusskundgebung des Aufzuges „Frieden und eine freie Impfentscheidung für Alle“: „Es ist eine sehr friedliche Demonstration, es wird immer gesagt: keine Gewalt, nicht auf böse Sprüche der Antifa reagieren. Deshalb bin ich auch montags dabei. Am Anfang ging es mir um die Impfflicht und die Kinder. Jetzt habe ich gemerkt: Das Thema Frieden steht über allem. Wir müssen raus aus der Nato, aufhören mit Waffenlieferungen, Amerika führt diesen Krieg. Wir müssen uns um uns selbst kümmern. Es gibt hier alte Menschen, die gehen containern, weil sie von ihrer Rente nicht leben können. Bei dieser Demo fühle ich mich sicher, kann sagen, was ich denke. Zu diesen Menschen habe ich großes Vertrauen.“
Klaus Siebeneichner (74), Rentner, auf der Kundgebung „Kritische Stimmen und Musik“ auf dem Markt: „Die Sicherung des Friedens ist die wichtigste Frage, deshalb habe ich die Fahne ‚Schwerter zu Pflugscharen‘ dabei. Frieden schaffen ohne Waffen. Es muss sofort Friedensverhandlungen geben. Deutschland ist nicht nur abhängig vom russischen Gas, wir betätigen uns auch als Vasall von Amerika. Eine eigenständige deutsche und europäische Politik ist notwendig. Auch in der Verteidigung, unter dem Atomschutz von Frankreich. Ich glaube, dass hinter Angriffen auf die Pipeline der amerikanische Geheimdienst steckt. Es macht keinen Sinn, dass Russland die eigene gebaute Pipeline zerstört.“
Klara Charlotte Zeitz, Künstlerin, auf der Kundgebung „Gegen Femizide – Erinnern heißt Kämpfen“: „Wir haben die Veranstaltung für den Verein Phia ins Leben gerufen, der sich gegründet hat, nachdem meine Cousine Sophia ermordet worden ist. Das war beim Trampen. Sie hat im Späti in der Kolonnadestraße gearbeitet, deshalb demonstrieren wir hier. Unser Anliegen ist, patriarchalen Strukturen, die Gewalt an Frauen ermöglichen, etwas entgegensetzen. Verschiedene Bündnisse sind hier, wir wollten die Straße im Kolonnadenviertel, die häufig mit dem Thema konfrontiert ist, beleben und eine kleine Gedenkstätte schaffen.“
Hannah Lehmann (32), Bildungsreferentin, auf der Kundgebung „Gegen Feminizide – Erinnern heißt Kämpfen“: „Ich gehöre zur Gruppe ‚Keine mehr Leipzig‘. Der Name schließt sich an den internationalen Kampf gegen Femininzide an. Wir haben uns 2020 gegründet und versuchen seitdem, Femininzide, die in Leipzig und im Umland passieren, zu dokumentieren. Zwölf haben wir bereits dokumentiert. Die Statistiken sind ja bekannt: Jeden dritten Tag gelingt es, dass eine Frau in Deutschland ermordet wird. Alle zwei Tage gibt es einen Tötungsversuch. Es ist mir wichtig, Feminizide zu benennen. Es gibt Morde an Frauen, einfach weil sie Frauen sind.“