Internes Schreiben aus dem Innenministerium – Nach Polizei-Skandalen: Sachsens Spezialeinheiten sind chronisch unterbesetzt
Bei den Spezialeinheiten der sächsischen Polizei ist etwa jede vierte Stelle nicht besetzt. Das ist zwar auch ein Resultat der Skandale aus den vergangenen anderthalb Jahren – doch die Neubesetzungen dauern viel zu lange.
Sie sind die Elite der sächsischen Polizei – und sie sind überlastet: Bei den Spezialkräften sind lediglich 151 von 195 Stellen besetzt. Das geht aus einer internen Auflistung des Innenministeriums hervor, die der LVZ vorliegt. Betroffen ist damit fast jede vierte Stelle. Aus dem Schreiben wird auch ersichtlich: Die meisten dieser offenen Stellen sind bereits seit April 2021 verwaist. Damals war das Mobile Einsatzkommando (MEK) Dresden mit seinen 27 Mann im Zuge des Munitionsskandals aufgelöst worden. Unbeteiligte Beamte sollten auf andere Spezialeinheiten verteilt und neue Kräfte rekrutiert werden, hieß es vor anderthalb Jahren.
Einheiten der Spezialkräfte sind seit Langem unterbesetzt
Laut der aktuellen Statistik aus dem Haus von Innenminister Armin Schuster (CDU) fehlen den verbliebenen MEK in Leipzig und Chemnitz aber mittlerweile 35 Beamtinnen und Beamte: Von den 88 Stellen sind seit Monaten nur 53 besetzt, zwischenzeitlich waren es sogar noch weniger (Ministeriumsstand: Juli 2022). Gleichzeitig klafft beim MEK des Staatsschutzes eine Lücke von sieben Spezialkräften zur Soll-Stärke von 35. Für das in Leipzig stationierte Spezialeinsatzkommando (SEK) beträgt das Minus zwei Stellen, bei einem Soll von 72. Neben den klassischen Observationsaufgaben, der verdeckten Ermittlung und der Zielfahndung werden die Elite-Polizistinnen und -Polizisten insbesondere bei Durchsuchungen und Festnahmen von gefährlichen Verbrechern aktiv.
Nach anderthalb Jahren: Konzept für MEK-Neuaufbau wird erarbeitet
Nun wird intern erklärt: Bislang seien zumindest „intensive Überlegungen zum künftigen Aufbau und den spezifischen stellenmäßigen Untersetzungen … getätigt“ worden. Und weiter wird in dem Papier, das als Vorlage für die Antwort zu einer Großen Anfrage der sächsischen Linksfraktion dienen soll, ausgeführt: Aktuell würden „die Möglichkeiten zum Neuaufbau des MEK Dresden … erarbeitet“. Der damalige Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar hatte im Frühjahr 2021 gesagt, dass eine entsprechende Ausbildung zwei bis drei Jahre dauere – doch von solchen Zeiträumen ist in dem vorliegenden Schreiben des Innenministeriums keine Rede mehr.
Expertenkommission hatte Aus- und Weiterbildung kritisiert
Tatsächlich hatte eine Expertenkommission schon im September 2021 erhebliche Mängel bei der Aus- und Weiterbildung von sächsischen Spezialkräften festgestellt. In dem als geheime Verschlusssache eingestuften Bericht wurde unter anderem kritisiert, dass die Sonderkommandos bei Personalaufstockungen nicht berücksichtigt wurden. Zudem sei versäumt worden, für ausreichend Nachwuchs zu sorgen.
Deshalb habe schon vor der Auflösung des MEK Dresden eine chronische Unterbesetzung geherrscht, hatten die bundesweit anerkannten Sicherheitsexperten bemängelt. Inzwischen hat sich die Lage offenbar weiter verschlechtert, wie die jüngsten Zahlen aus dem Innenministerium nahelegen. Die Untersuchungskommission hatte vor gut einem Jahr zusammengefasst: Die Spezialeinheiten hätten im Freistaat Sachsen längst nicht den Stellenwert besessen, der ihnen öffentlich zugeschrieben wird.
Sonderkommandos erhalten mehr politische Bildung
Das Innenministerium hat nach eigenen Angaben zumindest an zwei Stellen reagiert. Die Fortbildungskonzeption für Spezialkräfte sei überarbeitet worden, heißt es – „insbesondere die politische Bildung wurde in die jährlichen Fortbildungspläne aufgenommen“. Zudem sollten die Elite-Beamtinnen und -Beamten für gesellschaftliche Entwicklungen stärker sensibilisiert werden. Auch die Führung des für die MEK zuständigen Dezernats wurde neu besetzt, allerdings schon vor einem Jahr.
Spezialkräfte hatten mit Skandalen für Aufsehen gesorgt
Die sächsischen Spezialkräfte hatten in den vergangenen anderthalb Jahren immer wieder mit Skandalen für Aufsehen gesorgt. So hatte das MEK Dresden nach heutigen Erkenntnissen etwa 14 000 Schuss gestohlen und zumindest einen Teil davon als Zahlungsmittel auf einem privaten Übungsgelände verwendet. Im Zuge der Ermittlungen kamen immer neue Verfehlungen ans Licht. Dazu gehörte ein Skiurlaub, der als Fortbildung deklariert worden war. Auch ein brutales Aufnahmeritual beim MEK Leipzig war bekannt geworden, bei dem Neulinge aus nächster Nähe mit Farbmunition beschossen wurden.
Innenministerium: Keine rechtsextremistischen Vernetzungen
Das Innenministerium listet jetzt insgesamt 95 „relevante Vorkommnisse“ auf, denen seit Anfang 2021 nachgegangen wurde. Davon betreffen zwölf das SEK, wobei sieben im Zusammenhang mit der Leipziger „Fahrradgate“-Affäre stehen: Offenbar haben auch Elite-Polizisten illegal Räder aus der Asservatenkammer gekauft oder hatten dies vor. Ein Fall berührt demnach das Staatsschutz-MEK, ermittelt wird wegen des Verdachts der außerdienstlichen Nötigung im Straßenverkehr.
Die Masse machen mit 82 Ermittlungen aber die MEK aus, wobei die drei bereits erwähnten Skandale die größten Posten darstellen. Im Fall des Leipziger Aufnahmerituals wird immerhin gegen 24 Beteiligte ermittelt. Daneben werden sowohl der Munitionsskandal als auch die private Skiwoche der Spezialkräfte noch vor Gericht behandelt, so das Innenministerium. In einem Punkt herrsche allerdings schon Klarheit, wird hinzugefügt: Bislang gebe es keine Erkenntnisse zu „rechtsextremistisch orientierten Vernetzungen“ im Bereich der Spezialeinheiten, das gelte sowohl für frühere als auch für aktuelle Beamtinnen und Beamte.