Zu den Hausdurchsuchungen im Januar
Es folgt ein Bericht, der von den Erfahrungen einer Hausdurchsuchung in Leipzig Connewitz erzählt. Er ist emotional und verfolgt keine hinreichende Analyse. Hinweise, die gegeben werden, sind nichts was unbedingt so gemacht werden muss oder ähnliches. Nehmt euch daraus mit, was ihr für sinnvoll erachtet. Namen und so Sachen sind im Text abgeändert.
Es klingelt an der Tür. Kurz darauf pocht es an der Zimmertür: „Hey du, da ist jemand für dich“ ruft es von vor der Zimmertür. Rene neben mir steht auf und geht zur Tür. In der Zeit schaue ich verschlafen auf die Uhr: Es ist kurz nach 8. Wer sollte so früh was wollen? Ich höre Gemurmel im Flur: „Da gibt’s ne Hausdurchsuchung…ach du scheiße…na ok. Bis später dann…“ Mein Herz fängt an, mir bis sonst wohin zu schlagen! Was war passiert?
Es ist Mittwoch, der 26.01.2022. Bereits zwei Stunden zuvor hatten die Cops zu einer erneuten Welle der Hausdurchsuchungen in Connewitz angesetzt, angefangen die Leute zu nerven und zu stören. Sie haben Alex, meine*n damalige*n Mitbewohner*in, aus den Federn gerissen. Es ging dabei nicht um sie*ihn aber dennoch verwüsteten die Cops unsere Wohnung aber besonders mein Zimmer. Durchsuchungswellen haben im Leipziger Süden fast schon eine traurige Tradition. Eine alleinige durchzuführen trauen sie sich wohl nicht. Beziehungsweise verfehlt es dann den Effekt der vermutlich versuchten Einschüchterung durch die Cops und die Durchsuchung als Repressionsmittel.
Ich richte mich auf und schaue Rene fragend mit großen Augen an, als sie*er wieder ins Zimmer kommt. Rene schaut mich beinah entschuldigend an: „Bei dir ist gerade eine Hausdurchsuchung.“ Stille. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, der mir die Luft abschnürt und die Kehle zudrückt. Meine Gedanken rasen, bekommen aber keinen klaren Gedanken zu fassen. Stattdessen fange ich an zu weinen. Rene kommt zu mir und umarmt mich, wie noch unzählige Male an diesen und den nächsten Tagen. Wir gehen ins Internet und versuchen uns eine Übersicht zu verschaffen und probieren, befreundete Personen zu erreichen, um an mehr Infos zu kommen als an die, die uns die BILD und LVZ zur Verfügung stellt.
Es ist eine von vier Durchsuchungen an diesem Tag. Das Viertel wieder zugeschissen mit Cops. Der Grund bei mir: angebliche Sachbeschädigung. Doch warum bei mir und wo die Sachbeschädigung? Das haben wir, mein Freund*innenkreis, mein*e Anwält*in und ich, uns auch sehr lange gefragt. Denn der Durchsuchungsbefehl wurde Alex nicht ausgehändigt und lediglich für einige Sekunden mit zu großen Abstand vor das Gesicht gehalten. Der Grund für die Durchsuchung wurde meiner*m Anwält*in ewig vorenthalten und konnte sich nur über Umwege zugänglich gemacht werden. Jetzt kann ich sagen, dass die Bullen aufgrund einer DNA Spur, die sie am angeblichen Tatort eines BILD Büros gefunden haben wollen, bei mir waren. Die DNA musste ich, nach richterlichen Beschluss, in einem anderen Verfahren abgeben, was zu diesem Zeitpunkt bereits eineinhalb Jahre zurück lag. Muss die DNA abgegeben werden, so steht die Person erstmal unter Generalverdacht, da das DNA Identifizierungsmuster einmalig mit den in der DNA Analyse Datei des Bundeskriminalamtes gespeicherten offenen Spuren abgeglichen werden dürfen. Es wurde angeblich ein Treffer erzielt, der zu mir nach Hause geführt hat.
Die Datensammelwut der Cops ist ja nun kein neues Phänomen. Es ist jedoch erstaunlich, wie viel Zeit sich beim Auswerten der gesammelten Daten gelassen wird. Wie gesagt, die Entnahme lag reichliche eineinhalb Jahre zurück. Ein weiterer spannender Punkt: Aus den Akten geht hervor, dass die Cops zwei Steine am Floßplatz gefunden haben wollen. An einem öffentlichen Ort, wo ein Park in der Nähe ist. Muss nun überall und immer aufpasst werden, wo was von einem hinterlassen wird??? Jedenfalls auf dem einen Stein sind nach Aussagen der Bullen wohl Glasspuren und auf dem anderen angeblich meine DNA zu finden. Aber nie Glasspuren und DNA gemeinsam…
„Du sollst auf keinen Fall her kommen. Erst wenn die wieder weg sind!“ Immer noch auf dem Bett kauernd halte ich zitternd das Handy von Rene. Ich nicke und bringe immer noch kaum Worte raus. „Ok. Ja, mach ich.“ Ich gebe das Handy wieder ab, schaue mich im Zimmer um und werde unruhig. Wieder sehe ich Rene fragend an: „Du? Darf ich aufräumen bei dir? Ich brauch dringend was zu tun.“ Rene nickt nur und ich laufe ruhelos hin und her und räume auf.
Mit den Worten, dass die Beamt*innen schon wissen würden, wonach sie suchen sollen, begannen sie die Durchsuchung. Sie waren im Schlepptau einer Staatsanwältin gekommen, zwei Bullen in ziviler Kleidung und vier Beamt*innen, die die Wohnung dann durchsuchten. Beschlagnahmt haben die Cops alle technischen Geräte (Handys, PC’s, USB Sticks, andere Speichermedien). Weiteres sogenanntes verdächtiges Material konnten sie nicht finden bzw. konnten sie aus den Sachen nichts kriminelles machen. Sie haben unglaublich viele Fotos gemachvon Notizen, Bildern an meiner Wand und anderen persönlichen Sachen. Die Cops wussten genau Bescheid, was wo war. Sie hatten einen Lageplan der Wohnung und wussten, wo mein Auto steht. Nur welches der Kellerabteile zu uns gehörte, wussten sie nicht. Aber auch in Connewitz wohnen Bullenfreunde, die ihnen dahingehend Auskunft gaben.
„Sollen wir dich abholen kommen?“ fragt mich Alex. „Ja schon, wenn es nicht zu viele Umstände macht? Aber ich kann schon auch so irgendwie zu euch kommen.“ Eine Zeit später rauscht ein Auto auf den Parkplatz. Die Menschen drin steigen aus. Sie sehen alle verschlafen und müde aus. Wir fallen uns in die Arme und weinen ein weiteres Mal. Wir fahren nicht zu meiner Wohnung sondern erstmal woanders hin. Wir wollen uns besprechen und schauen, wie wir weiter vorgehen wollen.
Besprechen. Das ist das was ich hätte im Vorfeld noch mehr machen sollen. In Ratgebern steht: sprecht mit eurer WG und engen Personen drüber, was im Fall X passieren soll. Der Fall X kommt so unerwartet und kann wirklich alle von uns treffen. Also sprecht in euren Bezügen, WG’s und Freund*innenkreisen darüber, was passiert wenn es passiert. Es nimmt die Angst und gibt notwendige Struktur in Extremsituationen. Aus meiner Erfahrung sind Wünsche und Bedürfnisse in solchen Situationen schwer zu formulieren, wenn sie einem überhaupt klar sind. Genau deshalb ist es wichtig, vorher drüber nachzudenken und Szenarien durchzuspielen und Strategien des Umganges zu entwickeln. Die können natürlich immer wieder umgestoßen werden, aber sie geben eine Art von Sicherheit in extrem unsicheren Situationen, wie der einer Hausdurchsuchung. Auch die Zeit danach sollte mit beachtet werden. Denn klar gehen die Bullen am Tag der Durchsuchung wieder raus, doch die vielen Eindrücke und beklemmenden Gefühle bleiben.
Es ist der 27.01.2022. Ich schrecke aus einem unruhigen Schlaf hoch. Es ist 5:45 Uhr. Ich bin nicht zu Hause und um mich liegen mehrere Personen. Alex schaut mich an. Die Person ist also auch wach und kann nicht schlafen. Mein Herz fängt auf einmal wie wild an zu pochen und mein Hals schnürt sich zu und die Tränen laufen wieder. Wir kuscheln uns eine zeitlang aneinader. Später laufen wir zur Wohnung. Ich stehe kurz darauf alleine in meinem Zimmer. Es sieht anders aus und es fühlt sich anders an. Tag für Tag wird vergehen, an dem ich und wir uns versuchen die Räume wieder zu unserem zu Hause zu machen, versuchen uns wieder sicher zu fühlen. Das gelingt mal mehr mal weniger gut. Und das ist voll OK. Und auch wenn es gar nicht gelingt, ist das OK. Schuld tragen die Bullen und der repressive Staat. Sich das immer wieder vor Augen zu führen, hat mir, neben Putz- und Pyjamapartys, geholfen, mit der Situation klar zu kommen. Und trotzdem gibt es Tage, an denen ich mir Vorwürfe mache, was wäre wenn…Ich finde es wichtig, diese Gedanken zu denken und nicht runter zu schlucken, sondern drüber zu reden und sich immer wieder und wieder zu besprechen!
Passt auf euch und andere auf und kümmert euch umeinander. Ganz getreu dem Motto: Take care of each other so we can be dangerous together!