Corona, Krieg und Energiekrise: Polizei erwartet weiteren Zulauf bei Protesten in Chemnitz und im Erzgebirge
Die Krisen und ihre Folgen lassen die Unzufriedenheit wachsen. Die Akteure auf der Straße sind häufig dieselben wie bei den Corona-Demos. Drohen in Chemnitz und im Erzgebirge neue Eskalationen?
Die Polizei rechnet für die kommenden Wochen auch in Chemnitz und im Erzgebirge mit einer weiteren Zunahme des Demonstrationsgeschehens. Sowohl die Anzahl der Kundgebungen und Demos, als auch die der Teilnehmer dürfte weiter nach oben gehen, sagte Stefan Dörner, der amtierende Leiter der Polizeidirektion Chemnitz, im Gespräch mit der „Freien Presse“.
Das Lagebild ähnele dem bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, wie sie seit dem Jahr 2020 auch in Chemnitz in unterschiedlicher Intensität und Regelmäßigkeit stattfanden. „Nur dass wir es heute mit mittlerweile drei Krisen zu tun haben, die zu gesellschaftlichen Spannungen führen – Corona, der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise“, so Dörner.
Keine pandemiebedingten Einschränkungen – geringeres Konfliktpotenzial
Doch gebe es aus Sicht der Polizei einen gravierenden Unterschied: Anders als in den vergangenen beiden Jahren gelten keine pandemiebedingten Einschränkungen des Versammlungsrechts mehr. Weder eine Obergrenze für Teilnehmerzahlen, Mindestabstände noch eine Maskenpflicht sind derzeit ein Thema. Das reduziert das Konfliktpotenzial erheblich.
In den vergangenen beiden Jahren hatte es immer wieder Spannungen und Ausschreitungen gegeben, weil sich Demonstranten nicht an die Vorgaben zum Schutz vor Corona halten wollten. In der Folge verzichteten die Organisatoren oft bewusst darauf, ihre Versammlungen wie vorgeschrieben anzumelden. Von der Polizei gab es laut Stefan Dörner zwar jedes Mal eine Anzeige. Bewirkt hat diese Konsequenz aber augenscheinlich wenig.
Die meisten Kundgebungen sind angemeldet
Mittlerweile werden die meisten Kundgebungen und Demos den Angaben zufolge wieder bei den zuständigen Behörden angemeldet. Ein Beispiel Ein Beispiel dafür ist die Montagskundgebung in Annaberg-Buchholz, anmeldet von der Partei „Das Haus Deutschland“. Auch auf Chemnitz trifft das zu. „Das ist auch deshalb wichtig, um mögliche Einschränkungen für den Verkehr abschätzen zu können“, so der amtierende Polizeipräsident.
In Chemnitz etwa waren am Montag dieser Woche mit nach offiziellen Schätzungen 1800 Teilnehmern so viele Menschen unterwegs, dass aus Sicht der Behörden nun schon nicht mehr jede beliebige Gasse als Demonstrationsstrecke taugt. „Wenn jemand stolpert und hinfällt, kann es an Engstellen schnell zu gefährlichen Situationen kommen“, erläutert eine Polizeisprecherin. Grund für ein Eingreifen sah die Polizei bislang allerdings nicht. Die jüngsten Versammlungen werden als „friedlich und störungsfrei“ beschrieben.
Gefahrenprognose bestimmt Einsätze
Doch das, so gibt Polizeichef Dörner zu bedenken, könne sich ganz schnell ändern. Zum Beispiel, wenn extremistische Gruppierungen, die bei vielen Aktionen eine aktive Rolle spielen, versuchten, die Grenzen des Rechtsstaates auszutesten oder zu überschreiten. Oder wenn Konfrontationen mit Gegenprotesten zu erwarten sind. Deshalb werde das Geschehen Woche für Woche polizeiintern ausgewertet.
„Ausschlaggebend für unsere Einsätze, die Anzahl der Beamten vor Ort und mögliche Einschränkungen ist immer die Gefahrenprognose“, betont der Leitende Polizeidirektor. Wer sich als Versammlungsteilnehmer an Recht und Gesetz halte, habe nichts zu befürchten. Verboten sind Alkohol und Glasflaschen sowie das Mitführen gefährlicher Hunde.
Leiter der Polizeidirektion Chemnitz: Begriff „Heißer Herbst“ sollte hinterfragt werden
Von einem „heißen Herbst“ zu sprechen, davon hält Dörner nichts. „Das hat etwas von Kampfansage, der Begriff sollte wirklich hinterfragt werden“, findet er. In Chemnitz wie in anderen Teilen Sachsens ist es aktuell vor allem die Gruppierung „Freie Sachsen“, die unter diesem Schlagwort massiv für die Montagsdemos wirbt. Sie wird vom Verfassungsschutz als rechtsextreme Bestrebung beobachtet, ihre Anführer Martin Kohlmann (Pro Chemnitz) und Stefan Hartung (NPD) sind seit Langem in der Szene aktiv.
Verstärkung erhalten sie seit 2020 durch den aus Dortmund zugewanderten einstigen Vize-Chef der dort aktiven Kleinpartei „Die Rechte“, Michael Brück. Ebenfalls regelmäßig präsent sind in Chemnitz Aktivisten der extrem rechten „Identitären Bewegung“, die mit großen Bannern wie „Wir sind die rote Linie“ und „Unser Volk zuerst!“ das Gesicht der Demos mitprägen. Als offizieller Veranstalter indes fungiert eine Gruppierung „Chemnitz steht auf“, die sich zunächst vor allem gegen Corona-Maßnahmen wandte und sonst kaum in Erscheinung tritt.