Positionen zur Beteiligung von Antiautoritären / Autonomen / Anarchist*innen an der Demonstration „Heißer Herbst gegen soziale Kälte“

Dieser Text ist die gekürzte und konkretisierte Version des Textes „Alles allen! Soziale Revolution gegen soziale Kälte. Dadurch gingen einige Aspekte verloren, wurden andere aber besser auf den Punkt gebracht. Der Text wurde am 05.09.2022 auf der von der Linkspartei veranstalteten Demo unter dem Motto „Heißer Herbst gegen soziale Kälte“ verteilt.

 

Alles allen!
Soziale Revolution gegen soziale Kälte

Positionen zur Beteiligung von Antiautoritären / Autonomen / Anarchist*innen an der Demonstration „Heißer Herbst gegen soziale Kälte“

Alles allen!
Soziale Revolution gegen soziale Kälte


Dass sich Personen und Gruppen aus unserem Lager an der Demonstration beteiligen versteht sich nicht ganz von selbst. Sich zu positionieren, während Rechtspopulist*innen versuchen, eine Querfront zu schaffen, autoritäre Kommunist*innen ihre Ideologien verbreiten und Sozialdemokrat*innen kaum über die Wahrung sozialer Rechte hinaus-kommen, ist schwierig.
Deswegen wird in diesem Text versucht, eine eigene Perspektive von unserem Standpunkt aus zu formulieren.

Die soziale Kälte in diesem Land

Die Verteilung von Eigentum und Vermögen ist unglaublich ungerecht. Im Jahr 2017 verfügten die obersten 10% der Haushalte über 56,1% des Gesamtvermögens. Das oberste 1% verfügte über 18% des Besitzes – und damit über mehr als drei Viertel der ärmeren Bevölkerung. Seit den letzten fünf Jahren hat sich die Ungleichheit durch die Pandemie und den Krieg weiter verschärft.

Mit Inflation und Preissteigerung steht uns eine Sparpolitik bevor, wie sie vor 10 Jahren in den südeuropäischen Ländern brutal durchgesetzt wurde: Drückung der Löhne, Schleifung der Arbeitnehmer*-innen-Rechte, Stigmatisierung von Armen, Verfall öffentlicher Infrastruktur (Bildung, Gesundheit, Kultur, Wohnen, Energieversorgung, Sozialarbeit). Dies führt zu einer sozialen Verelendung weiterer sozialer Schichten – die auch heute schon real ist.

Damit spitzen sich alle soziale Übel weiter zu: patriarchale Gewalt, psychische und körperliche Krankheiten, Probleme im Gebrauch und Handel mit Drogen usw.. Um dieses soziale Elend regieren zu können, ist es wahrscheinlich, dass die repressiven Staatsapparate ausgebaut werden (militarisierte Polizei, Gefängnissystem, strafendes Justizwesen).
Diesen Entwicklungen müssen wir uns gemeinsam mit Vielen entgegenstellen.

Eine libertär-sozialistische Orientierung

Doch soziales Elend ist niemals die Voraussetzung für etwas Besseres. Deswegen müssen wir die Ursachen der Probleme begreifen: Die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und Wirtschaftsformen in der gegenwärtigen Herrschaftsordnung.
Diese sind verbunden mit Staatlichkeit, Patriarchat, weißer Vorherrschaft und Naturbeherrschung – Herrschaft kann nur in allen Dimension gleichzeitig abgeschafft werden.

Dagegen gibt es im Hier und Jetzt zugleich andere Formen und Verhältnisse, die wir anstreben: Konzepte für dezentrales sozialistisches Wirtschaften. Manche von ihnen sind lange bekannt, wie Genossenschaften, Kollektivbetriebe und die Selbstverwaltung von Unternehmen.
Andere können gerade heute umgesetzt werden, weil die Digitalisierung ermöglicht, regionale (aber nicht national abgeschottete) Wirtschaftskreisläufe nach den Fähigkeiten und Bedürfnissen der Menschen und nach ökologischen Kriterien zu organisieren.

Solche alternativen Wirtschaftsformen, die Angleichung der Eigentumsverteilung, die fort-schreitende Vergesellschaftung von Besitz und die gemeinsame Verfügung über Produktion und Konsum erscheinen nicht deswegen „unrealistisch“ oder absurd, weil sie nicht durchdacht wäre. Auch nicht, weil „der Mensch nun mal nicht so ist“. Im Gegenteil, sie können sehr gut funktionieren und das Beste hervorbringen, wie Menschen sein können.

Aber: Es gilt die Gesellschaftsform zu verändern, in welcher wir heute leben müssen. Dies ist mittlerweile keine hohle Phrase, sondern – angesichts der gigantischen Krise, in der wir uns befinden – eine Einsicht in die Notwendigkeit.

Abgrenzungen von Rechtspopulismus und Querfront, autoritären Kommunismus und Sozialdemokratie

Wir sollten uns und wollen uns an Protesten gegen die soziale Verelendung aus einer anti-autoritären / autonomen / anarchistischen Perspektive heraus beteiligen. Anstatt weiterhin nur Abwehrkämpfe zu führen, wollen wir in die Offensive kommen und eigene Perspektiven aufzeigen.

Trotzdem machen wir uns nicht gemein mit den Rechtspopulist*innen. Sie stehen nicht für soziale Gerechtigkeit und Gleichheit für alle, sondern für nationalistische Abschottung, Ausgrenzung von Minderheiten, lassen die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse in Takt und wollen einen totalitären Staat. Sie stehen gegen alles, wofür wir eintreten – auch wenn manche von ihnen ebenso von sozialer Verelendung betroffen sind.

Wir richten uns gegen autoritäre Kommunist*innen, weil sie ebenfalls zu einfache Lösungen für komplizierte Probleme präsentieren. Ihre hierarchischen Strukturen und Ansätze sind für uns kein Angebot für eine Gesellschaftsform, die wir anstreben. Wir wollen definitiv keine DDR zurück und überhaupt keinen „sozialistischen Staat“.

Die Forderungen der Linkspartei sind sinnvoll, denn die soziale Verelendung muss aufgehalten werden. Sie gehen uns aber nicht weit genug, weil sie viel zu kurz greifen. Wir wollen an die Ursache der Übel heran und uns auf eine libertär-sozialistische Gesellschaftsform hin orientieren. Wir sind nicht die Vorhut von linken Politiker*innen, sondern eine eigenständige Strömung in sozialen Bewegungen.

Für eine sozial-revolutionäre Perspektive

Um unsere Perspektive zu verbreiten und unsere Vorstellungen zu verwirklichen gibt es viel zu tun. Das antiautoritär / autonom / anarchistische Lager hat es verpasst, die Protestmomente der letzten Jahre für sich zu nutzen. Unsere Kapazitäten sind auch häufig im Kampf gegen unmittelbare Übel gebunden.

Wir sind nicht viele, aber wir wollen mehr werden und uns besser organisieren. Dafür dient uns eine Orientierung an sozial-revolutionären Zielen, wie sie hier ansatzweise formuliert wurden.

Der Ausbreitung des sozialen Elends, als Folge des Klassenkampfes der Herrschenden, gilt es sich entschlossen entgegenzustellen. Mit einem richtigen Verständnis der staatlich-kapitalistischen Herr-schaftsordnung, richten wir unsere Blicke aber auf das Fernziel einer libertär-sozialistischen Gesellschaftsform mit einer dezentralen sozialistischen Wirtschaftsweise und einer Rätedemokratie.

Die Mittel und Strategien, welche wir dafür nutzen, halten wir uns dabei offen.
Heute nehmen wir an einer Demonstration für kommende Sozialproteste teil, um deutlich zu machen, dass wir gegen soziale Verelendung kämpfen wollen und dazu eigene Ansichten haben.
In einem anderen Moment werden wir unsere eigenen Aktionen machen und dabei auch unbequem sein.

Alles allen – Kernpunkte einer anarchistischen Perspektive

# Inflation und Preissteigerung führen zu Verarmung und sozialen Verelendung weiterer Schichten in der Bevölkerung

# Dies ist kein „kaltes Marktgesetz“, keine schicksalshafte Wirtschaftsdynamik und kein „Versagen“ der Regierung.
Ohne deutliche Anhebung niedriger Einkommen, Renten und Hartz4-Sätzen handelt es sich um einen Klassenkampf von oben.

# Es besteht ein ungeheurer Reichtum in der staatlichen-kapitalistischen Gesellschaftsform.
Er beruht auf
Ausbeutung, Unterdrückung und Zerstörung. Angeeignet wird er von wenigen, für einige gibt es Kompensationen, viele könnten dagegen deutlich besser leben.

# Stattdessen gibt es selbstorganisierte sozialistische Wirtschaftsformen: Genossenschaften, Kollektivbetriebe, Selbstverwaltung von Unternehmen durch die Arbeitenden, koordinierte regionale Wirtschaftskreisläufe und sozial-ökologische Kriterien, nach welcher sich wirtschaften lässt

# Aber: Um dies zu entfalten müssen wir selbstverständlich die Eigentumsordnung und Besitzverhältnisse verändern. Das ist eine Tatsache, an welcher wir nicht vorbei kommen.

# Wir wollen ganz andere ökonomische Verhältnisse (dezentraler Sozialismus) und andere politische Verhältnisse (Rätedemokratie) von unten selbst erkämpfen und aufbauen. Dafür gibt es in der Geschichte und weltweit Beispiele.

# Wir wollen eine soziale Revolution, das bedeutet eine Veränderung der Gesellschaftsform in Richtung eines freiheitlichen Sozialismus, ohne Staat, Kapitalismus, Patriarchat, Rassismus und Naturzerstörung.

# Dafür braucht es starke soziale Bewegungen, die sich an diesen emanzipatorischen Zielen orientieren.